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INTERNATIONAL/102: Chile - Gericht will Tod Pablo Nerudas aufklären (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. April 2013

Chile:
Gericht will Tod Pablo Nerudas aufklären - Weiterer Schritt der Aufarbeitung der Militärdiktatur

von Marianela Jarroud


Exhumierung der Leiche Pablo Nerudas in Isla Negra - Bild: © Marianela Jarroud/IPS

Exhumierung der Leiche Pablo Nerudas in Isla Negra
Bild: © Marianela Jarroud/IPS

Santiago de Chile, 10. April (IPS) - Ein Gericht in Chile will herausfinden, ob der Literat Pablo Neruda eines natürlichen Todes gestorben ist. Menschenrechtler und Opfer der Diktatur von 1973 bis 1990 halten das Verfahren für einen wichtigen Schritt in Richtung Wahrheit und Gerechtigkeit. Denn die Verbrechen, die der Staat damals gegen seine eigenen Bürger begangen hat, wurden nie rechtlich aufgearbeitet.

Neruda, ein bekannter Schriftsteller und bekennender Kommunist, war 1973 wegen Prostatakrebs in die Privatklinik Santa María in der chilenischen Hauptstadt Santiago eingeliefert worden. Vier Tage später starb er. Angehörige und Freunde nehmen an, dass er vergiftet wurde.

Gut 40 Jahre nach seinem mysteriösen Tod, am 8. April, wurden seine sterblichen Überreste nun aus dem Gemeinschaftsgrab mit seiner letzten Frau, der Sängerin und Schriftstellerin Matilde Urrutia (1912-1985), geborgen. Das Grab befindet sich in Isla Negra, rund 110 Kilometer westlich der Hauptstadt Santiago, wo Neruda zuletzt lebte.

Ziel der Exhumierung ist es, Näheres über seine Krankheit herauszufinden und nach möglichen Spuren giftiger Substanzen zu suchen, die zu seinem Tod geführt haben könnten. Die Proben sollen in chilenischen Laboren untersucht werden und verlässliche Ergebnisse in drei Monaten vorliegen.

Angeordnet hatte die Exhumierung Richter Mario Carroza, der untersucht, ob Dritte am Tod Nerudas beteiligt waren, der am 23. September 1973 und damit zwölf Tage nach seinem Freund, dem damaligen sozialistischen Präsidenten Salvador Allende, ums Leben kam. Allende hatte das Land zu der Zeit gerade einmal drei Jahre regiert.

Neruda war 69 Jahre alt, als er starb. Der Schriftsteller, der mit bürgerlichem Namen Neftalí Reyes hieß, war kurz davor, nach Mexiko ins Exil zu gehen, von wo aus er als Sprecher der chilenischen Opposition fungieren wollte. Der Anwalt der Klägerseite, Eduardo Contreras, erklärte gegenüber IPS, es bestehe "ein starker Verdacht", dass Neruda von Agenten der chilenischen Geheimpolizei DINA umgebracht worden sei.


Merkwürdige Umstände

Zu der Zeit, als Neruda ums Leben kam, hielt sich der US-Amerikaner und CIA-Agent Michael Townley in Chile auf, der gleichzeitig für die DINA arbeitete. Auf sein Konto sollen mehrere Giftmorde gehen. Townley hat einen Teil seiner Verbrechen gestanden und profitiert zurzeit vom Zeugenschutzprogramm der USA.

Contreras zufolge arbeitete der Agent in Chile mit Eugenio Berríos zusammen, einem Chemiker, der den Giftstoff Sarin herstellte, den Pinochet gegen Oppositionelle einsetzen ließ. Berríos seilte sich Anfang der 90er Jahre nach Uruguay ab und verschwand 1992. Seine Leiche wurden 1995 mit mehreren Einschusslöchern aufgefunden.

Kurz vor Nerudas Tod durchsuchten Angehörige des Militärs seine drei Häuser, zerstörten einen Großteil seines Besitzes und verschleppten die meisten seiner Angestellten. Zurück ließen sie Neruda, seine Frau, seinen Chauffeur und seinen persönlichen Sekretär Manuel Araya. Letzterer ist nun Hauptkläger im Prozess, den die Kommunistische Partei im Fall Neruda angestrengt hat.

"Ich will, dass die Forensiker offen und ehrlich ans Werk gehen und die Wahrheit über den Tod Nerudas erzählen", sagte Araya gegenüber IPS. Dass Neruda kein Testament gemacht habe, zeige, dass er nicht so krank gewesen sei, dass er hätte mit seinem Tod rechnen müssen.

"Es ist interessant, dass ein Richter darauf dringt, die Menschenrechtsverbrechen der Militärdiktatur aufzuklären", sagte der Soziologe Manuel Antonio Garretón gegenüber IPS. "Das zeigt, dass die Justiz sich selbst in der Bringschuld sieht", so der Träger des Nationalen Preises für die Menschlichkeit von 2007. (Ende/IPS/jt/2013)


Links:
http://neruda.uchile.cl
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=102637

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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. April 2013