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INTERNATIONAL/132: Guatemala - Sexuelle Versklavung indigener Frauen, historischer Prozess gegen Militärs (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. Oktober 2014

Guatemala:
Sexuelle Versklavung indigener Frauen im Bürgerkrieg - Historischer Prozess gegen Militärs

Eine Analyse von Luz Méndez



Guatemala-Stadt, 29. Oktober (IPS) - Am 14. Oktober hat das guatemaltekische Tribunal für besonders schwere Verbrechen ('Tribunal de Sentencia de Mayor Riesgo') der Klage von Opfern sexueller Gewalt gegen zwei Militärs stattgegeben. Den beiden Armeeangehörigen wird vorgeworfen, im Bürgerkrieg (1960-1996) Frauen vom Volk der Q'eqchí am Sepur-Zarco-Militärstützpunkt als Sex- und Haushaltssklavinnen missbraucht zu haben.

Nach Ansicht von Richter Miguel Angel Gálvez reichen die Beweismittel aus für ein Verfahren gegen Oberst Esteelmer Reyes Girón, dem ehemaligen Leiter des militärischen Außenpostens Sepur Zarco, und Heriberto Valdéz Asij, dem Ex-Armeebeauftragten der Region.

Reyes wird sich wegen der Menschenrechtsverbrechen der sexuellen Gewalt und der sexuellen Versklavung, der Zwangsarbeit und der Ermordung von Dominga Coc und ihren beiden minderjährigen Töchtern am Militärstützpunkt verantworten müssen. Váldez kommt wegen dem Menschenrechtsverbrechen der sexuellen Gewalt und des Verschwindenlassens vor Gericht.


Systematischer Vernichtungsfeldzug

Sechs Jahre lang waren Frauen aus Dörfern der Departements Alta Verapaz und Izabal als Sex- und Arbeitssklavinnen am Militäraußenposten von Sepur Zarco an der Grenzen zwischen den Townships von Panzós und El Estor gefangen gehalten worden. Die schweren Übergriffe waren Teil der an der Zivilgesellschaft in den Jahren 1982 bis 1988 verübten Verbrechen.

Die Frauen waren in dreitägigen Schichten eingesetzt worden, um unentgeltlich für die Soldaten zu kochen, zu putzen und zu waschen. Die Zwangsarbeit ging mit sexueller Gewalt einher. Die Opfer wurden von den Soldaten des Außenpostens im Verlauf ihrer Schichten systematisch vergewaltigt.

Die sexuelle Versklavung und Zwangsarbeit von Frauen in Sepur Zarco waren Teil eines Militärplans in einer Konfliktphase, in der die Männer der Opfer, Bauernführer, entführt und gefoltert wurden und 'verschwanden'. Danach drangen Soldaten und Militäroffiziere in die Hütten der Frauen ein, um diese vor den Augen ihrer Kinder zu vergewaltigen. Ihre Hütten und Besitztümer wurden verbrannt, die Ernten vernichtet. Dann verschleppten die Soldaten die 'Witwen' als Sex- und Arbeitssklavinnen nach Sepur Zarco.

Selbst nach der Schließung des Außenpostens im Jahr 1988 nahmen die seelischen und körperlichen Qualen der Frauen kein Ende. Zu den besonders grausamen Folgen gehörte, dass sie von ihren Gemeinschaften verstoßen wurden.

Der Rechtsstreit wird zu einem Präzedenzfall für sämtliche Bemühungen werden, sexuelle Gewalt während bewaffneter Konflikte, eine der verbreitetsten und zugleich am wenigsten geahndeten Menschenrechtsverletzungen, zu bekämpfen und die Straffreiheit in diesen Fällen zu beenden.

Nach der patriarchalen Logik ist sexuelle Gewalt ein Verbrechen, für das die Opfer zahlen müssen. Trotz der Tatsache, dass die Vergewaltigungen in einem Zusammenhang von Terror und Militarisierung begangen werden, werden die Frauen für die sexuelle Gewalt, die sie erleiden, verantwortlich gemacht.


Der lange Weg zur Gerechtigkeit

Heute verlangen die Frauen von Sepur Zarco Gerechtigkeit für die furchtbaren Verbrechen, die an ihnen begangen worden sind. Der Weg zur Gerechtigkeit dauert bereits zehn Jahre.

Zu den wichtigsten Strategien der betroffenen Frauen gehörte der Aufbau von Frauengruppen und -allianzen auf lokaler und nationaler Ebene. Die Opfer brachen ihr Schweigen und schilderten in einem 2009 veröffentlichten Buch die harte Wahrheit als Teil eines Verfahrens, das eine historische Erinnerung an die sexuelle Gewalt gegen indigene Frauen in Guatemalas bewaffnetem Konflikt schaffen soll.

2010 nahmen die Protagonistinnen zusammen mit Frauen aus den anderen drei Landesregionen an einem 'Gewissensgericht' zur Ahndung sexueller Gewalt teil. 2011 strengten dann 15 Opfer von Sepur Zarco ein Strafrechtsverfahren an einem nationalen Gericht an, um Gerechtigkeit für die Verbrechen einzufordern, denen sie und ihre Familien während des bewaffneten Konflikts ausgesetzt waren.

Im Verlauf dieses Verfahrens konnten sie sich auf die Unterstützung von Frauen- und Menschenrechtsorganisationen verlassen. Für diese Organisationen ist der Kampf der Frauen von Sepur Zarco Teil ihres eigenen politischen Kampfes gegen geschlechtsspezifische Gewalt und für weibliche Emanzipation.


Historisches Verfahren

Das strafrechtliche Verfahren, das von den Opfern von Sepur Zarco angestrengt wurde, ist von nationaler und internationaler Bedeutung.

In Guatemala herrscht im Zusammenhang mit Verbrechen der sexuellen Gewalt während des Bürgerkrieges absolute Straflosigkeit. Obwohl nach Erkenntnissen der Wahrheitskommission die sexuelle Gewalt mehrheitlich und systematisch von den staatlichen Akteuren durchgeführt worden war, geschieht es zum ersten Mal, dass die Klage vor ein Gericht kommt, das auf Vergewaltigung und sexuelle Versklavung spezialisiert ist.

Von internationaler Relevanz ist der Fall deshalb, weil er das erste Rechtsverfahren gegen sexuelle Versklavung im Verlauf eines bewaffneten Konflikts darstellt, das in die rechtliche Zuständigkeit desjenigen Landes fällt, in dem die Verbrechen stattfanden.

Es handelt sich um einen Präzedenzfall im Sinne von Bemühungen, die sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten als eines der verbreitetsten und nicht anerkannten Menschenrechtsverbrechen und die Straffreiheit für diese Verbrechen zu beenden. (Ende/IPS/kb/2014)


Luz Méndez Gutiérrez ist eine guatemaltekische Frauenrechtsaktivistin. Sie gehört dem Vorstand der Nationalen Union Guatemaltekischer Frauen Guatemalas (UNAMG) an und ist Mitautorin des Buches 'Q'eqchí-Frauen: Sexuelle Gewalt und der Kampf um Gerechtigkeit'. Sie hatte als einzige Frau am Friedensprozess ihres Landes mitgewirkt. Sie war während des Bürgerkriegs Mitglied der Rebellenbewegung 'Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas' (URNG), die gegen die Armee kämpfte, die nach Erkenntnissen der Wahrheitskommission für 80 Prozent aller Fälle von Verschwindenlassen verantwortlich war.

Die vorliegende Analyse ist erstmals von cipamericas.org veröffentlicht worden.


Link:
http://www.ipsnews.net/2014/10/guatemalan-officers-face-sexual-slavery-charges-in-historic-trial/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 29. Oktober 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Oktober 2014