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MELDUNG/147: Kunduz - Vorstellung der Klage für die Entschädigung der Opfer (IALANA)


IALANA
Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen
Für gewaltfreie Friedensgestaltung
Deutsche Sektion der International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms

Presseerklärung vom 1. September 2011

Anlässlich des 2. Jahrestages des Bombardements vom 04. September 2009 und der Vorstellung der Klage für die Entschädigung der Opfer


Klage für Gerechtigkeit

Die Erhebung der Klage ist erforderlich, weil das Bundesverteidigungsministerium zu Unrecht ohne substantiierte Darlegung einer sachlichen Begründung, rein aus politischen Motiven die Verhandlung der Anwälte der Opfer von Kunduz für gescheitert erklärt und weitere Verhandlungen mit Rechtsanwalt Popal abgelehnt hat.

Widersprüchlich zu dieser Behauptung, nachdem mit Schriftsatz vom 20.05.2010 mit der Erhebung der Klage gedroht wurde, hat sich erneut das Bundesverteidigungsministerium bereit erklärt, in der Sache zu verhandeln. Während der gesamten Verhandlung wurde festgestellt, dass das Bundesverteidigungsministerium nicht mehr willig ist, tatsächlich für die Verletzten und Hinterbliebenen des Bombardements vom 04. September eine angemessene Entschädigung zu zahlen.

Parallel zu diesen Gesprächen hat das Bundesverteidigungsministerium versucht mit Hilfe der korrupten Regierung in Kunduz und Zuziehung von Großgrundbesitzern, die niemals die Familien der Opfer vertreten können, dort eine Liste anzufertigen und an die Familien der Getöteten 5.000 US Dollar pro Familie gezahlt. Das Bundesverteidigungsministerium war nicht willig an alle Familienangehörigen der Opfer zu zahlen, hat sich nur an eine geringe Zahl der Opfer orientiert und die tatsächliche Zahl der Opfer und Hinterbliebenen ignoriert.

Abgesehen von dieser Tatsache ist die Zahlung von 5.000 US Dollar pro Familie im Vergleich der international gezahlten Entschädigung für Kriegsopfer sowie auch nationalen Entschädigung dermaßen gering, dass diese als Beleidigung der Bevölkerung von Kunduz dort verstanden worden ist.

Im Sinne der Gerechtigkeit für die Geschädigten in Kunduz sowie auch im Interesse der Völkerverständigung zwischen der betroffenen afghanischen Bevölkerung und der gegen Krieg eingestellten deutschen Bevölkerung ist es sinnvoll Klage zu erheben. Daher wird aus Erwägung der obigen Tatsachen Klage erhoben.

Der Kernpunkt der Klage ist das Recht und der Anspruch der Kläger auf einen Schadensersatzanspruch nach § 839 BGB i.V.m. Artikel 34 GG. In Anbetracht des internationalen bewaffneten Konflikts kommen ergänzende Anspruchsgrundlagen aus Artikel 91 ZP I (Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte) in Betracht, dies insbesondere weil die Vorschriften des humanitären Völkerrechts bei dem Angriff durch die Befehle des Oberst Klein nicht eingehalten wurden. Dies wird in dem Bericht des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz bestätigt. Der Bericht vom Roten Kreuz und die nationale und internationale Normverletzung wurde vom Bundesverteidigungsministerium bis heute nicht bestritten. Aus diesem Grunde ist die objektive Rechtswidrigkeit aus der Amtspflichtverletzung i.S.d. § 839 BGB herzuleiten.

Die Klage ist auch in Anbetracht des Verhältnismäßigkeitsprinzips angebracht. Zum einen liegen Dokumente vor, wonach die deutsche Regierung auch zwischen 20.000,00 bis 33.000,00 US Dollar an getötete Opfer gezahlt hat, zum anderen wenn an einen verletzten deutschen Soldaten eine Entschädigung in Höhe von 150.000,00 Euro gezahlt wird, ist es im Interesse des Rechtsstaatsprinzips des Artikel 20 Abs. 3 GG angebracht, dass hier eine angemessene Entschädigung auch für die afghanischen zivilen Opfer des Kriegs gezahlt wird.

Die Lage der hinterbliebenen Geschädigten hat sich erheblich im Laufe der Zeit verschlechtert. Die geleistete Hilfe ist nicht bei den Betroffenen tatsächlich angekommen. Es sind mehr als 16 Waisenkinder, die mittlerweile Vollwaise geworden sind, weil deren Mütter als junge Witwen heiraten mussten und die Kinder, die ihre Ernährer verloren hatten, bei der neuen Familie der Mutter keine Aufnahme gefunden haben. Zahlreiche Mütter, die sich nicht von ihren Kindern trennen konnten, verzichten auf die Eheschließung und bleiben mit ihren Kindern hilflos; ihnen drohen Hungersnot und Armut.

Männliche Personen, die sich auf die Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland und auf ihre Klagen verlassen haben, werden von den Taliban dermaßen schikaniert, dass wir mittlerweile drei Hinterbliebene von Kunduz-Opfern in der Bundesrepublik Deutschland haben, die aus Furcht vor Verfolgung durch die Taliban hier Asylanträge gestellt haben (bedauerlicherweise werden solche Personen in der Propaganda des Verteidigungsministeriums als Taliban genannt). Teile der geschädigten Familien sind gezwungen ihre Heimatdörfer zu verlassen und in der Stadt Kunduz zu leben, weil sie von Taliban verfolgt wurden.

Auch von dem Rechercheteam des Anwalts Popal sind Personen getötet worden, wie z.B. der ehemalige Bürgermeister von Aliabad, Abdul Wahed Omarkhel. Frau Zaka und Frau Erfan, die als Vorstandsvorsitzende von Frauenrechts und Menschrechtsorganisationen in Kunduz tätig waren und Rechtsanwalt Popal bei der Recherche und Auflistung der Toten beigestanden haben, mussten Kunduz für immer verlassen, weil sie von Taliban in ihrem Leib und Leben bedroht wurden.


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Quelle:
Pressemitteilung vom 1. September 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. September 2011