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MELDUNG/181: In Madrid geht es um die richterliche Unabhängigkeit (IALANA)


IALANA
Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen
Für gewaltfreie Friedensgestaltung
Deutsche Sektion der International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms

Presseerklärung vom 6. Februar 2012

In Madrid geht es um die richterliche Unabhängigkeit

Deutsche Juristenvereinigung IALANA an der Seite von Garzon


"Die einem Einzelnen zugefügte Ungerechtigkeit ist eine Bedrohung für alle", mit diesem Satz von Montesquieu leitete der Spanische Richter Baltasar Garzon ein Kapitel seines neusten Buches "Die Kraft der Vernunft" ein. " Jetzt droht Garzon selbst Unrecht und wir haben allen Anlass, uns in diesen Tagen, in denen er auf der Anklagebank des Obersten Gerichtshofs von Madrid sitzt, solidarisch an seine Seite zu stellen", erklärte der Vorsitzende der Juristenvereinigung IALANA Otto Jäckel. Selbst Staatsanwalt Navajas habe in der Verhandlung vom Montag die von Untersuchungsrichter Varela gegen Garzon durchgeführten Ermittlungen wegen Rechtsbeugung als unhaltbar bezeichnet und die Einstellung des Verfahrens gefordert. Nicht die Staatsanwaltschaft, sondern zwei falangistische Organisationen, Anhänger des früheren Diktators Franco, waren es auch, die mit einer in Spanien zulässigen "Popularklage" Garzon vor Gericht gebracht hatten.

Der Vorwurf: Er habe mit seinen 2008 eingeleiteten Ermittlungen in über 114.000 bislang dokumentierten Fällen von ermordeten oder verschwundenen Franco-Gegnern das 1977 erlassene Amnestiegesetz verletzt. Garzon erklärte hierzu vor Gericht, er habe in gutem Glauben das Recht angewandt, als er die Ermittlungen eröffnete. Die systematischen Verfolgungen während des Bürgerkriegs von 1936 bis 1939 und in der Folgezeit habe er als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft, die keiner Verjährung unterlägen.

"Es kann gar keinem Zweifel unterliegen", so Jäckel, "dass Garzon als Untersuchungsrichter in zulässiger Weise diese Rechtsauffassung vertreten konnte". Nach § 29 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag verjähren die der Rechtsprechung des Gerichtshofs unterliegenden Verbrechen nicht. Nach Auffassung der Kommentatoren des Statuts handelt es sich bei dieser Regelung lediglich um einen Hinweis auf einen völkergewohnheitsrechtlichen Grundsatz, der auch ohne dessen Erwähnung im Statut gelten würde. Auch der französische Cassationsgerichtshof hat in seinem Barbie-Urteil vom 26.1.1984 die Unverjährbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Völkergewohnheitsrecht eingestuft.

Sowohl die UNO-Konvention über die Nichtanwendbarkeit von Verjährungsvorschriften auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vom 26.11.1968 als auch das Europäische Übereinkommen gleichen Inhalts vom 25.1.1974 sehen vor, dass die Staaten diesen Grundsatz bei der Gestaltung ihres nationalen Rechts beachten. Deutschland hat dies mit der Normierung in § 5 des deutschen Völkerstrafgesetzbuchs vom 30.6.2002 umgesetzt.

Auch in Spanien ist die Unverjährbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit zwingend zu beachten", erklärte Jäckel. "Jedenfalls kann es nicht sein, dass ein Richter wegen Vertretung dieser Auffassung aus dem Dienst entfernt und mit Berufsverbot belegt wird", so der Wiesbadener Anwalt weiter. "Die Tatsache, dass das Gericht am Montag mit vier gegen drei Stimmen die Anträge der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft auf Einstellung des Verfahrens ablehnte und beschloss, eine Beweisaufnahme durchzuführen, hat auch eine positive Seite. Auf diese Weise kamen erstmals in der spanischen Geschichte Angehörige von Opfern des Franco-Regimes vor einem Gericht zu Wort. Vielleicht erweist sich dies als Initialzündung für die Eröffnung einer bisher unterdrückten öffentlichen Debatte über die Geschichte der Franco-Zeit und führt zu einer Aufhebung des Amnestiegesetzes von 1977.

Garzon hat durch seine Haftbefehle gegen Pinochet und Galtieri, die Putschisten von Santiago de Chile und Buenos Aires, schon mehrfach dazu beigetragen, dass ehemalige Militärdiktatoren sich nicht mehr vor Verfolgung sicher fühlen können. Es wäre eine Schande für Spanien und ganz Europa, wenn Garzon für die Ermittlungen gegen den Diktator und dessen Schergen im eigenen Land mit der Vernichtung seiner beruflichen Existenz und der Beschädigung seines guten Rufs bezahlen müsste. In Madrid geht es in diesen Tagen daher gleich in zweierlei Hinsicht um die richterliche Unabhängigkeit: Werden die Richter des Obersten Gerichtshof eine Entscheidung unabhängig von den noch immer starken Kräften des alten Regimes treffen und die richterliche Unabhängigkeit des Richters Garzon schützen?

Wiesbaden/Berlin, den 6.2.2012

Otto Jäckel
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Verwaltungsrecht
Vorsitzender IALANA Deutschland


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Quelle:
Presseerklärung vom 6. Februar 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2012