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MELDUNG/521: Literaturhinweis - Flüchtlinge, Blick auf die Paragraphen reicht nicht aus (idw)


Friedrich-Schiller-Universität Jena - 28.07.2017

Flüchtlinge: Blick auf die Paragraphen reicht nicht aus

Rechtswissenschaftler der Universität Jena legen Buch zu Flucht, Asyl und Integration vor


Bewerten populistische Kreise die Flüchtlingsbewegungen der vergangenen Jahre, dann hört man häufig Wörter wie "Kollaps" und "Staatsversagen". Doch wenn es um die Beschreibung dieser Situation aus rechtlicher Perspektive geht, dann entbehren solche Vokabeln jeglicher Grundlage. Allerdings bergen Flucht, Asyl und Integration erhebliche gesellschaftliche Herausforderungen in sich und stellen damit auch die Rechtssysteme sowohl der Europäischen Union als auch der Nationalstaaten vor ganz neue Fragestellungen. Es herrscht also Klärungsbedarf - und genau dem sind die Juristen der Friedrich-Schiller-Universität Jena im vergangenen Jahr während einer Ringvorlesung nachgekommen. Nun ist der Sammelband, der die verschiedenen Beiträge zusammenfasst, erschienen.


Sachlich, aber auch kontrovers diskutiert

"Uns ist es wichtig, die Diskussionen rund um das Thema Flucht und Migration auf eine sachliche Ebene zu holen, was nicht heißt, dass meine Kollegen und ich untereinander nicht kontrovers diskutiert haben - vor allem im Anschluss an die jeweiligen Vorlesungen", sagt die Herausgeberin des Buches, Prof. Dr. Martina Haedrich. Beispielsweise gebe es durchaus unterschiedliche Meinungen dazu, ob die Dublin III-Verordnung widerrechtlich außer Kraft gesetzt wurde, als Bundeskanzlerin Angela Merkel im Herbst 2015 Flüchtlinge aus Ungarn kommend nach Deutschland einreisen ließ, oder ob das Selbsteintrittsrecht diese Entscheidung rechtlich abgesichert hat. Danach kann ein Mitgliedsstaat der Europäischen Union auch Asylverfahren durchführen, wenn ein Flüchtling an seiner Grenze nicht zum ersten Mal europäischen Boden betreten hat.

So widmet sich Prof. Dr. Harald Dörig, Bundesverwaltungsrichter und Honorarprofessor an der Universität Jena, der Frage der Kontigentierung von Flüchtlingen und der damit verbundenen Forderung nach einer Obergrenze, wie sie beispielsweise häufig aus den Reihen der CSU geäußert wird. Er macht zwar einerseits deutlich, dass eine solche Begrenzung der Zahl Asylsuchender rechtlich unter bestimmten Voraussetzungen durchaus möglich ist, hebt aber auch die politische Dimension hervor: "Das zunehmende Errichten nationaler Grenzzäune würde nach meiner Einschätzung zu großen Verwerfungen im Rechtsraum Europa führen und möglicherweise zu einem Zerfall der staatlichen Ordnung in den Ländern Südeuropas, mindestens in Griechenland. Die Gefahr einer Ausbreitung des Terrorismus in Europa würde dramatisch vergrößert."


Konfrontationskurs zwischen den Kulturen ist kontraproduktiv

Schon hier wird deutlich, dass man dem Thema allein mit dem Blick auf das juristische Instrumentarium nicht gerecht wird. "Uns ging es bei den Beiträgen auch darum, Wertvorstellungen zu thematisieren und ihre Etablierung in Normen zu untersuchen", sagt Haedrich, selbst Expertin für Völkerrecht. Sie beschäftigt sich in ihrem Aufsatz am Beispiel des Islam mit der Frage, wie Deutschland auf rechtlicher Ebene mit unterschiedlichen kulturellen Identitäten umgehen kann. Dabei zieht sie ein positives Fazit: Grundsätzlich sei der Staat gut aufgestellt, da er alle juristischen Instrumentarien besitzt, um auf kulturelle Unterschiede eingehen und mögliche Konflikte regeln zu können. Darüber hinaus bietet das Internationale Recht Orientierung. Ein gesellschaftlicher Konfrontationskurs zwischen den Kulturen sei daher kontraproduktiv. "Die Offenheit von Staat und Recht gegenüber dem Islam ist die Voraussetzung für eine gelingende Multikulturalität, die nicht die Bewahrung der eigenen kulturellen Identität ausschließt", erklärt die Jenaer Juristin. Christliche Wertvorstellungen aus Geschichte und Tradition seien in die deutsche Staats- und Rechtsordnung ein- und damit festgeschrieben.

Auch weitere Beiträge gehen vor allem auf Themen zur Integration ein, etwa wie sie das Arbeitsrecht, das Familienrecht oder das Strafrecht berührt. Deutschland ist ein Einwanderungsland, in dem Diskussionen über solche Fragestellungen unabhängig von markanten Flüchtlingsbewegungen wie der im Herbst 2015 geführt werden sollten. Zudem ist es die Aufgabe der Rechtswissenschaft, das Recht zur Migration und Integration zu steuern und zu gestalten.


Bibliographische Angaben:
Martina Haedrich (Hg.):
Flucht, Asyl und Integration aus rechtlicher Perspektive,
Mohr Siebeck, Tübingen 2017,
280 Seiten, Preis: 74 Euro, ISBN 978-3-16-155458-2


Weitere Informationen unter:
http://www.uni-jena.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution23

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Sebastian Hollstein, 28.07.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2017

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