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MENSCHENRECHTE/055: Reichweite des Internationalen Strafgerichtshofs bleibt begrenzt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. Juli 2014

Menschenrechte: 'Global, nicht universell' - Reichweite des Internationalen Strafgerichtshofs bleibt begrenzt

von Joel Jaeger


Bild: © Eskinder Debebe/UN

Der Präsident des Internationalen Strafgerichtshofs, Sang-Hyun Song, auf einer UN-Veranstaltung
Bild: © Eskinder Debebe/UN

New York 23. Juli (IPS) - Der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag kann zwar auf einige Erfolge zurückblicken. Doch die Aussichten, es irgendwann einmal zu einem universellen Menschenrechtstribunal zu bringen, sind gering.

Das 1998 angenommene und vier Jahre später in Kraft getretene Rom-Statut, das Gründungsabkommen des ICC, autorisiert das Tribunal zur strafrechtlichen Verfolgung von Personen, denen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zur Last gelegt werden. Zwar sind bisher 122 Staaten dem Statut zum Internationalen Gerichtshof beigetreten, doch einige der bevölkerungsreichsten Länder der Welt blieben außen vor.

"Der ICC ist zwar eine globale, aber keine universelle Entität", meint deshalb William Pace von der Koalition für den Internationalen Strafgerichtshof (CICC). Das Bündnis aus 150 Nichtregierungsorganisationen setzt für eine faire, wirksame und unabhängige ICC-Gerichtsbarkeit ein.

Richard Dicker von der internationalen Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW) weist auf regionale Unausgewogenheiten bezüglich der ICC-Mitgliedschaft hin. So seien Asien, Nahost und Nordafrika unterrepräsentiert, sagte er.

Doch die globale Reichweite des ICC wird vor allem durch die Nicht-Mitgliedschaft Chinas, Russlands und der USA erschwert, die als ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates über ein Vetorecht verfügen, mit dem sie ebenfalls die Arbeit des ICC behindern können.

Der ICC wird auf Antrag des Chefanklägers, der Länder selbst oder des UN-Sicherheitsrates aktiv. Allerdings können Empfehlungen des UN-Sicherheitsrates leicht politischen Interessen geopfert werden. So war ein Versuch des UN-Sicherheitsrates vom 22. Mai, den Syrien-Konflikt an den ICC zu überstellen, von Russland und China vereitelt worden.

Dicker hatte unlängst auf einer Pressekonferenz über die Zukunft des ICC China, Russland und die USA als die größten Hindernisse bezeichnet. "Diese drei, die außerhalb der Einflusssphäre des ICC-Rom-Statuts geblieben sind, schützen sich selbst und, indem sie ihr Veto im UN-Sicherheitsrat einlegen, auch ihre Verbündeten davor, für Verbrechen zur Rechenschaft gezogen zu werden, wenn die nationalen Gerichte in diesen Ländern ihre Arbeit nicht tun", erklärte er.

Ohne die Ratifizierung des Rom-Statuts durch die USA wird es der ICC mit der globalen Legitimität schwer haben. Zwar verhält sich die US-Regierung unter Barack Obama weniger ablehnend als unter George W. Bush, doch erfolgt eine Zusammenarbeit nur dann, wenn die Positionen des ICC mit denen Washingtons deckungsgleich sind.

Die USA haben das als 'Haager-Invasions-Gesetz' verschriene und von beiden Häusern des Kongresses angenommene Gesetz zum Schutz amerikanischer Soldaten aus dem Jahre 2002 bisher nicht zurückgenommen. Es sieht vor, dass US-Bürger oder Bürger eines verbündeten Landes, die vom ICC angeklagt und in den Niederlanden festgehalten werden, notfalls mit Militärgewalt befreit werden können.

Allerdings vermochte die Nicht-Ratifizierung des Rom-Statuts durch die USA die Arbeit des ICC nicht völlig lahmzulegen. "In den 199er Jahren, als das Abkommen verhandelt wurde, und während der Ratifizierungszeit im letzten Jahrzehnt war immer wieder zu hören, dass das Tribunal ohne die USA nicht funktionieren werde", erinnert Pace. "Doch funktioniert es sehr wohl - trotz des Handicaps, dass die großen Mächte dagegen sind. Fast jede Woche wird es von irgendwem angerufen."

Als das Gericht seine ersten Untersuchungen und strafrechtliche Verfolgungen aufnahm, stieß es auf massiven Widerstand der Afrikanischen Union (AU). In allen Fällen, die derzeit vom ICC untersucht werden, sind Afrikaner involviert, was dem Gericht den Vorwurf einbrachte, sich unfairerweise auf den afrikanischen Kontinent eingeschossen zu haben.

Die Fälle, in die Uganda, die Demokratische Republik Kongo und Mali involviert sind, wurden von den Ländern selbst eingereicht. Im Fall des Sudans und Libyens war der UN-Sicherheitsrat die treibende Kraft, während die Klage, die sich gegen den kenianischen und ivorischen Staatspräsidenten richten, vom ICC-Chefankläger erhoben wurde.

Nach Ansicht des CICC-Afrika-Beraters Stephen Lamony sind diese letzten beiden Staaten für die Zunahme der Spannungen zwischen dem ICC und der AU verantwortlich. Die Klagen gegen den sudanesischen Staatspräsidenten Omar al-Bashir 2009 und gegen den Kenianer Uhuru Kenyatta 2011, der inzwischen Staatschef seines Landes ist, hätten die AU veranlasst, den ICC als Werkzeug des westlichen Imperialismus zu bezeichnen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass ein in Europa ansässiges Gericht afrikanische Führer verfolge, die Gräuel in Syrien, im Gazastreifen und Nordkorea hingegen ignoriere, so die Kritik.

Lamony zufolge arbeitet der AU derzeit am Aufbau eines Afrikanischen Straf- und Menschenrechtsgerichtshofes. Ende Juni hieß es jedoch, dass amtierende Staatschefs von den Ermittlungen eines solchen Gerichts vorerst ausgenommen blieben. Dies wiederum veranlasste afrikanische Menschenrechtsorganisationen dazu, den ICC in Schutz zu nehmen und den afrikanischen Führern eine Kultur der Straffreiheit vorzuwerfen. "Die Staatschefs versuchen sich zu schützen. Doch die Bürger sagen 'Stopp, für euch müssen dieselben Standards gelten. Ihr solltet mit euren Verbrechen gegen uns aufhören'", meint dazu Lamony im IPS-Gespräch.

In sechs von zehn Fällen, in denen das internationale Strafgericht Voruntersuchungen aufnimmt, sind nicht-afrikanische Staaten involviert. Sollte gegen eines dieser Länder ermittelt werden, könnten die Bedenken zerstreut werden, dass sich die Richter zu sehr auf Afrika konzentrierten, meint Lamony und fügt hinzu, dass derzeit kein afrikanischer Führer mit dem Rückzug aus dem ICC drohe. Die Kritik an dem Tribunal komme in erster Linie von den ICC-Nicht-Mitgliedstaaten.

Trotz aller Widrigkeiten, mit denen der ICC zu kämpfen hat, sind viele zivilgesellschaftliche Organisationen überzeugt, dass allein seine Existenz die internationale Landschaft verändern wird. Diese weckt nach Ansicht von Dicker "Hoffnungen und Erwartungen, dass Massengräuel, wo immer sie auch stattfinden mögen, strafrechtlich verfolgt werden". (Ende/IPS/kb/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/07/u-s-russia-china-hamper-iccs-reach/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juli 2014