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PATENTRECHT/035: Patentlösung gegen Produktpiraterie (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 3/2008

China
Patentlösung gegen Produktpiraterie gesucht

Von Andreas Kurz


Die Volksrepublik China passt den Schutz des geistigen Eigentums an die Standards des Westens an. Die Startschwierigkeiten dabei sind immens, während Produkt- und Markenpiraterie weiterhin auf dem Vormarsch bleiben. Doch die Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten und wird von Peter Ganea und seinen Kolleginnen und Kollegen im Asienreferat des Münchner Max-Planck-Instituts für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht kritisch begleitet.


Das bevölkerungsreichste Land der Welt ist in Bewegung. So sehr, dass alte Gewissheiten, Klischees und Vorurteile dem Wandel Chinas kaum noch gerecht werden können. 2010, so die Erwartung der OECD, wird China Deutschland den Titel des Exportweltmeisters abnehmen. Auch die Entwicklung des Rechtssystems hat rasant an Fahrt aufgenommen, und am Ende ist sie noch lange nicht. Zwar haben gerade die Olympischen Spiele in Peking auch die Unzulänglichkeiten, das Fehlen wirklicher Menschen- und Bürgerrechte, aufgezeigt. Aber das Land bewegt sich doch.

Kaum jemand hier zu Lande weiß, dass das Reich der Mitte schon seit fast 30 Jahren an einem gesetzlichen Rahmen für den Schutz von Immaterialgütern bastelt. Fast von Anfang an begleiten Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht diesen Prozess. "Vor über 25 Jahren kam der erste chinesische Gastforscher nach München", berichtet Peter Ganea, Leiter der Asienabteilung des Instituts, über die Anfänge der Aufbauhilfe für die Chinesen in Fragen zum Urheberrecht. "Heute finden wir viele ehemalige Gastwissenschaftler in hohen Positionen in China wieder." Der Präsident des Staatsamts für Geistiges Eigentum etwa, oder der Vizeleiter des Urheberrechtsamts - sie alle haben vor vielen Jahren am Max-Planck-Institut geforscht. Und sie alle haben ihr in München gesammeltes Wissen mitgenommen in ihre Heimat.

Das Interesse am Schutz von Immaterialgütern steht in Zusammenhang mit dem Machtwechsel von 1978, der den Reformer Deng Xiaoping an die Spitze des Staates brachte. Fortan sollten fortschrittliche Gesetze, allen voran diejenigen zum Schutz geistigen Eigentums, für Chinas wirtschaftlichen Aufstieg sorgen. "Sie dienten dazu, ausländische Investitionen anzuziehen", so Ganea. Im Jahr 1982 erließ China ein Markengesetz, zwei Jahre später folgte das Patentgesetz. 1990 kam ein Urheberrechtsgesetz hinzu, drei Jahre später das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb.

In einer zweiten Legislativwelle überarbeitete die Volksrepublik in den Jahren 2000 und 2001 sämtliche Normen noch einmal, schließlich folgte der Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO. "Selbst westliche Kommentatoren stellen fest, dass Chinas Patent-, Urheber- und Markengesetzgebungen damit im Wesentlichen komplett sind", sagt Ganea.


Chinesische Gerichte sprechen Recht

Doch dicke Gesetzbücher sind eben nicht alles. Dass China trotz des Wandels der Ruf eines Fälscherdorados anhaftet, liegt auch daran, dass europäische Unternehmen in China immer wieder wundersame Überraschungen erleben. 1997 etwa musste der schwedische Möbelriese Ikea feststellen, dass sich eine chinesische Firma den Domain-Namen "ikea.com.cn" gesichert hatte - und das, obwohl Ikea seine Marke bereits Jahre zuvor in China hatte schützen lassen. "Ein deutliches Beispiel dafür, dass eine proaktive Anmeldung von Schutzrechten in China keine Garantie dafür ist, kein Opfer von Marken- und Produktpiraterie zu werden", sagt Andrea Wechsler, die sich am Max-Planck-Institut mit dem chinesischen Immaterialgüterrecht beschäftigt.

Für Ikea hatte das fernöstliche Abenteuer immerhin ein gutes Ende. Vor dem Zweiten Bezirksgericht in Peking gewannen die Schweden den Prozess gegen den Domain-Dieb. Und so ist die Geschichte des Möbeldiscounters auch ein Beispiel dafür, dass es für ausländische Unternehmen in China entgegen landläufiger Meinung nicht mehr unmöglich ist, vor den Gerichten zu ihrem Recht zu kommen.

Wer sein geistiges Eigentum gegen Fälscher durchsetzen will, hat die Wahl, entweder direkt zum Gericht zu gehen oder die Behörden zu bemühen. Spezialisierte Behörden auf lokaler Ebene können nämlich ebenso wie Gerichte die Einstellung von Verletzungshandlungen anordnen, Piraterieprodukte beschlagnahmen und sogar Geldstrafen verhängen. Die zweigleisige Rechtsdurchsetzung durch Gerichte und Behörden lässt sich laut Peter Ganea dadurch erklären, dass das Gerichtswesen in China noch in der Entwicklung begriffen ist. Die Verwaltung spielt dagegen traditionell eine stärkere Rolle.

Ende der 1970er-Jahre begann sich China schrittweise zu reformieren und der Marktwirtschaft zu öffnen, ohne dabei jedoch den Machtanspruch der Kommunistischen Partei infrage zu stellen. Daher waren unabhängige Gerichte nach wie vor nicht gern gesehen. "Es wird in China aber gegenwärtig diskutiert", so Ganea, "die Rechtsdurchsetzung durch die Behörden abzuschwächen."

Trotz aller strukturellen Schwächen sollte, wer in China investiert, nicht alle Hoffnungen in das aktuelle Patentwesen fahren lassen. Doch kann in China nur gegen Produktfälscher vorgehen, wer dort auch entsprechende Schutzrechte angemeldet hat. Dies allerdings hat sich unter europäischen Unternehmen offenbar noch nicht herumgesprochen. Einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages zufolge haben von 650 Unternehmen, die in China Geschäfte machen, 70 Prozent keine gewerblichen Schutzrechte angemeldet.


Ohne Anmeldung kein Schutz

Dann kann es dem Unternehmen so ergehen wie dem Motorradhersteller KTM. Die Österreicher wollten auf dem chinesischen Markt durchstarten, hatten es aber versäumt, ihren Markennamen frühzeitig schützen zu lassen. Und so war in China längst ein Unternehmen namens "KTM China" auf dem Markt, als der österreichische Konkurrent an die Türe klopfte: Das chinesische Unternehmen Kungtao Motorcycle ("KTM China") versorgte das Reich der Mitte bereits mit Motorrädern - flankiert von wirksamen Markenrechten. KTM Österreich zog sich zurück. Und verkauft heute in China nur mehr Fahrräder.

"Basis jeglicher Schutzstrategie sind frühzeitige Schutzrechtsanmeldungen", sagt Andrea Wechsler. Die Doktorandin untersucht am Münchner Max-Planck-Institut, inwieweit es für Entwicklungs- und Schwellenländer - wie eben beispielsweise China - unter Gesichtspunkten der Wohlfahrtsökonomie volkswirtschaftlich sinnvoll ist, Schutzrechte wie Patente oder Urheberrechte einzuführen. Nicht immer sind es die Schwellenländer selbst, die von diesen Rechten profitieren. Sehr oft geben diese Rechte den westlichen Firmen viel Macht in die Hand.

Während geistiges Eigentum von beliebig vielen Personen gleichzeitig genutzt werden kann - man denke nur an das Hören eines Musikstücks - schränkt die Nutzung von materiellem Eigentum (wie etwa das Fahren mit einem Auto) die Nutzungsmöglichkeiten durch andere naturgemäß ein. Dieser fundamentale Unterschied erklärt, warum geistiges Eigentum durch spezielle Monopolrechte geschützt werden muss.

Was aber, wenn diese Rechte Entwicklungs- und Schwellenländer daran hindern, eine (vielleicht lebenswichtige) Erfindung zu nutzen? Genau an dieser Frage hat sich ein heftiger Streit zwischen Schwellen- und Industrieländern entzündet; in der Sache geht es um Pharmapatente. "Wenn Lizenzgebühren so hoch sind, dass sich viele Konsumenten in den Schwellenländern die betroffenen Produkte nicht leisten können, sind sie faktisch vom Konsum ausgeschlossen", erklärt Wechsler. Das kann etwa bei einem Medikament gegen das HI-Virus fatale Folgen haben, denn die meisten Patente in diesem Bereich halten westliche Pharmafirmen.

Also sind die Rechte am geistigen Eigentum für Entwicklungs- und Schwellenländer nicht unbedingt eine lohnende Sache. Wer die Schutzrechte westlicher Firmen respektiert, muss Lizenzgebühren zahlen. Und die "sind in den Finanzmitteln vieler chinesischer Unternehmen oftmals nicht enthalten", sagt Wechsler. So haben diese Schutzrechte in Schwellenländern eine unangenehme Nebenfolge: Sie können auf die heimische Industrie wie eine Innovationsbremse wirken.


Patentschutz fördert Investitionen

Trotzdem zimmert China weiter an einem Rechtsrahmen für das geistige Eigentum. Die Volksrepublik kann auch nicht anders: Mit dem Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO hat sie sich verpflichtet, auch das TRIPS-Übereinkommen zu ratifizieren, einen völkerrechtlichen Vertrag über "die handelsbezogenen Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums". Mit diesem Akt musste China die westlichen Spielregeln akzeptieren. Das sei keineswegs immer nur ein Nachteil, so Wechsler, die für ihre Dissertation 106 internationale Unternehmen aus der Automobil-, der Pharma- und der Softwarebranche befragt hat: "Der bessere Schutz des geistigen Eigentums hat Investitionen ausländischer Unternehmen in und Technologietransfer nach China gefördert."

Andererseits wäre es sinnvoll gewesen, China behutsamer an den westlichen Club heranzuführen, findet die Forscherin. Sie hätte den Entwicklungsländern längere Übergangsfristen gegönnt, anstatt sie so zügig in das westliche System zu integrieren. Gerade in China "war die Bevölkerung noch nicht weit genug", sagt sie. Zwar hat das Reich der Mitte nun formal die Schutzrechte eingeführt, doch der Markt nimmt sich häufig noch, was er braucht. Und wenn die Lizenzgebühren der Patentinhaber zu hoch sind, dann "befördert das die Entstehung von organisierter Produktpiraterie", so Wechslers These.

Letztlich sind die Rechte am geistigen Eigentum also eine Art Monopol: Wer eine Erfindung schützen lässt, darf sie ausschließlich nutzen und versilbern. Unerwünscht sind allerdings Monopole, die den Wettbewerb so behindern, dass er praktisch zum Erliegen kommt: Fusionieren zwei Unternehmen, die gemeinsam den Markt beherrschen würden, schreitet in westlichen Ländern das Kartellamt ein. Das ist jetzt auch in China möglich: Seit dem 1. August gilt im Reich der Mitte nach mehr als zehn Jahren der Vorbereitung ein Kartellgesetz.

Dass die Volksrepublik ein Kartellgesetz einführt, ist für Rupprecht Podszun nicht ohne Pikanterie. "Plötzlich", sagt der Kartellrechtsexperte, "gilt dieses Grundgesetz der Marktwirtschaft in China" - und damit in einem formal sozialistischen Land. Wie kaum ein anderes Regelwerk setzt ein Kartellgesetz das freie Spiel der Kräfte voraus, in das der Staat nur dann eingreift, wenn der Wettbewerb gefährdet ist. Etwa bei Fusionen, verbotenen Preisabsprachen oder dem Gebaren eines Monopolisten.

Das Antimonopolgesetz enthält dabei durchaus "Regeln, die westlichen Standards entsprechen", sagt Podszun. Dennoch wird ein Blick ins Gesetz wohl nicht immer Klarheit schaffen: Für westliche Unternehmen könnte es problematisch werden, dass vieles nur schwammig formuliert ist. Wie das Gesetz also praktisch angewendet wird, dürfte noch für die eine oder andere Überraschung sorgen. Vor allem, von wem - denn China hat die Zuständigkeiten auf verschiedene Behörden verteilt, ähnlich wie im Patentwesen.


Traditionelle Kartelle bleiben unbehelligt

Während in Deutschland nur das Bundeskartellamt entscheidet, haben es ausländische Unternehmen in China künftig mit der Nationalen Kommission für Entwicklung und Reformen, der Industrielenkungsbehörde und dem Handelsministerium zu tun. Die Kartellverfahren dürfte das kaum beschleunigen. Auch könnten unterschiedliche Standards in den drei Ämtern Verwirrung stiften, fürchten Experten.

Doch rechnen sie nicht damit, dass das Antimonopolgesetz in nächster Zukunft praktisch umgesetzt wird. "Indonesien hat sein Kartellgesetz schon seit acht Jahren", gibt Podszun zu bedenken, "aber erst jetzt wagt man sich an die Fälle, für die man das Regelwerk geschaffen hat." China müsse sowieso erst einmal im großen Stil seine Staatsbetriebe privatisieren. "Dann", so vermutet Podszun, "wird es wettbewerblich erst richtig spannend."

Ausländische Unternehmen sollten ihre Erwartungen also besser noch zügeln, meint der Max-Planck-Forscher. Auch, weil mit kartellrechtlichen Erfolgsgeschichten eher in modernen, weniger etablierten Branchen wie der Telekommunikation zu rechnen sei. Im traditionellen Gewerbe dürfte es ganz anders aussehen. "Im Agrar- und Lebensmittelmarkt Chinas gibt es Hunderte, eigentlich verbotene Preisabsprachen!", sagt Podszun. Wenn eine ausländische Supermarktkette diese über Generationen gewachsenen Kartelle aufbrechen will, dürften die chinesischen Behörden dabei kaum eine Hilfe sein. "Da greift die Regierung natürlich nicht ein, weil sie sich dann mit dem ganzen Land anlegen würde. Die sozialen Verwerfungen würden zu groß sein, wenn ausländische Supermarktketten die Märkte aufmischten."

Immerhin: Die ersten Fälle für die Kartellbehörden gibt es schon: Die chinesischen Wettbewerbshüter haben verbotene Preisabsprachen in der Nudelbranche im Visier. In Deutschland wäre das ein klarer Fall, schnell abgehakt. In China müssen sich die Kartellwächter jetzt beweisen. Und: Aller Wandel ist schwer.


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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-Gesellschaft
Ausgabe 3/2008, Seite 32 - 36
Herausgeber: Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2008