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STRAFRECHT/345: Haß in Haft (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 2/2008

Forschung & Gesellschaft - Strafrecht
Hass in Haft

Von Birgit Fenzel


"Ausländer auf offener Straße verprügelt" oder "Rechte attackieren Homosexuelle" - Schlagzeilen, wie sie immer wieder vorkommen. Hassgewalt nennen Kriminologen diese Straftaten meist jugendlicher Täter. Wie entwickeln diese sich, wenn sie zu Haftstrafen verurteilt werden? Martin Brandenstein vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht ist dieser Frage nachgegangen.


Auf hohem Niveau, nämlich bei rund 10.000, hat sich die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremen stabilisiert, wie es im Verfassungsschutzbericht 2007 heißt. "Grund zur Entspannung gibt es also keineswegs", sagt Martin Brandenstein und verweist auf eine Konsequenz, die gern übersehen wird: "Da die Entwicklung von Rechtsextremismus im Strafvollzug von der Forschung bislang vernachlässigt wurde, bedeutet das wiederum, dass vor allem die Jugendstrafanstalten zunehmend von einer Gruppe von Gefangenen bevölkert werden, über die kaum etwas bekannt ist."

Seit Dezember 2004 arbeitet Martin Brandenstein als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der kriminologischen Abteilung am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg im Breisgau. Während seines Studiums - er hatte zunächst Psychologie und später parallel dazu auch noch Rechtswissenschaften studiert - spezialisierte er sich auf klinisch- und forensisch-psychologische Fragestellungen. Viele Erkenntnisse aus diesen Arbeiten flossen in seine Dissertation ein, die er in Kürze fertigstellen wird.

Hierfür entwickelte er einen Gesprächsleitfaden, mit dem er neben der Veränderung der Identität, des Selbstbildes, der Bindungen an rechtsextreme Überzeugungen und Gruppen auch die Gewaltbereitschaft der Jugendlichen im Haftverlauf untersuchte. Die Antworten sollten die Verurteilten selbst liefern, doch dazu musste Brandenstein erst einmal an sie herankommen. "Ein fremdenfeindlicher Hintergrund einer Straftat erscheint nicht unbedingt in den Vollzugsakten", beschreibt er das Ausgangsproblem seiner Recherchen.

Über die Opfermerkmale kam er schließlich doch an die gesuchten Täter. "Ich habe geschaut, wen es im wahrsten Sinne 'getroffen' hat - Ausländer, Homosexuelle, Obdachlose, Junkies, Punks oder Linke." Als typisch für diese Form der Gewalt gilt nämlich, dass die Täter Personen angreifen, die sie als Angehörige einer Minderheitengruppe identifizieren. "Selbst wenn sich das eine oder andere Mal herausstellen sollte, dass die Tat nicht zweifellos fremdenfeindlich motiviert war, so war gerade der Zugang über die Opfermerkmale geeignet, die Vielschichtigkeit und Grautöne fremdenfeindlicher Gewalt zu ergründen", erklärt Brandenstein.

Die große Zufälligkeit der Gewalt, sich an dieser Stelle gegenüber ausgerechnet dieser speziellen Person zu manifestieren - für Brandenstein sind das wichtige Indizien: "Zwischen Täter und Opfer existierte vor der Tat kaum je eine persönliche Beziehung; die Opfer hatten lediglich das Pech, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein", so der Freiburger Forscher.

Brandenstein befragte in seiner Studie gezielt Jugendliche, die ihre erste Haftstrafe verbüßten, und zu Beginn der Untersuchung nicht länger als sechs Wochen hinter Gittern saßen. "Das war wichtig, denn aktuelle Entwicklungen sollten sich möglichst auch auf die für den Jugendlichen neue und aktuelle Haftsituation, und nicht etwa auf bereits vergangene Hafterfahrungen zurückführen lassen."

Elf junge Haftinsassen konnte er auftreiben, die seine strengen Kriterien erfüllten und überdies bereit waren, mitzumachen. Zwei Mal traf sich Brandenstein mit ihnen in der Haftanstalt: kurz nach ihrer Einlieferung, dann noch einmal sieben bis neun Monate später. Zum Vergleich befragte er zwei weitere Gruppen von Jugendlichen: zehn, die zwar auch wegen Gewalttaten, allerdings ohne rechten Hintergrund, einsaßen sowie 16 Jugendliche, die wegen fremdenfeindlicher Gewalttaten mit dem Gesetz in Konflikt gekommen waren, aber bloß eine Bewährungsstrafe erhalten hatten.

Mit der ersten Gruppe wollte er vergleichen, inwiefern sich fremdenfeindliche Gewaltbereitschaft anders entwickelt als nicht fremdenfeindliche. Denn nach Recherchen in der Vorbereitungsphase deutete sich an, dass Fremdenfeindlichkeit und Gewaltbereitschaft nicht unbedingt miteinander gekoppelt sein müssen. "Zumal es nicht 'die' Fremdenfeindlichkeit gibt, sondern viele Ausprägungen", stellt er fest.

Mit der zweiten Gruppe, den nicht inhaftierten fremdenfeindlichen Gewalttätern, untersuchte er, ob Veränderungen in Haft sich überhaupt auf Hafteinflüsse zurückführen lassen müssen oder ob die Ahndung eines gewalttätigen Verhaltens möglicherweise an sich schon zu Veränderungen der Einstellung oder der Gewaltbereitschaft führt, ohne dass es dazu drastischerer Maßnahmen wie einer Haftstrafe bedarf.

Mit eher gemischten Gefühlen fuhr der Forscher zu seinen ersten Treffen mit den jungen Häftlingen. "Ich war damals wirklich gespannt, wie das laufen wird", sagt Brandenstein. Schließlich erwarteten ihn da im Besucherzimmer der Anstalt keine Chorknaben. "Bevor man als Jugendlicher ins Gefängnis kommt, muss man sich schon einiges erlauben." Er war darauf gefasst, seinen Interviewpartnern die Antworten auf seine Fragen in Kleinarbeit aus der Nase ziehen zu müssen. Statt Ressentiments erlebte er in den meisten Fällen jedoch eine frappierende Offenheit. "Mir kam es so vor, als ob die meisten froh waren, dass sich da einer für sie interessiert und ihnen zuhört", stellt er fest.

Um herauszufinden, was ein Aufenthalt im Gefängnis bei Jugendlichen bewirkt, musste sich Brandenstein zunächst mit einer grundlegenderen Frage beschäftigen. Seine Eröffnungsstrategie: herausfinden, inwieweit die als rechtsextremistisch oder fremdenfeindlich beurteilte Straftat tatsächlich aus einer entsprechenden Ideologie heraus begangen wurde und wie sich solche Neigungen inhaltlich äußern. Wichtige Fragen dabei: Handelte der Jugendliche aus Ablehnung von sozialen Minderheiten heraus oder lassen sich weitere Symptome feststellen - etwa Nationalismus oder Führer- und Gefolgschaftsideologien, die auf extremere Radikalisierungstendenzen hinweisen?

Fremdenfeindlichkeit hat viele Gesichter. Was für die Gesellschaft im Allgemeinen gilt, trifft auch auf Subkulturen, wie der Forscher sie im Jugendstrafvollzug antraf, zu: "Wir haben es mit einer äußerst heterogenen Gruppe zu tun." Die ganze Palette sozialpädagogischer Härtefälle habe ihm gegenüber im Gesprächsraum Platz genommen.

"Da war zum Beispiel ein Junge mit Abitur, der als mehrfacher Brandstifter verurteilt wurde", beschreibt er einen Fall, der ihm besonders in Erinnerung haften blieb. "Der war nicht auf Kontaktgewalt aus, sondern wollte vollkommen politisch motiviert Ausländer vertreiben - absolut ideologisch durchtränkt." Für diesen Täter sei Gewalt ein Mittel zum Zweck - für Brandenstein ein wichtiger Punkt, denn er eignet sich als Lackmustest, der ihm Unterscheidungsmerkmale dieser heterogenen Gruppe liefert: "Sind es jene rechten Überzeugungstäter, die Gewalt gezielt einsetzen, handelt es sich um Jugendliche, die Gewalt ausgeübt haben, um sich selbst als stark und männlich zu präsentieren, war es das, was sie glaubten, machen zu müssen, um einer bestimmten Gruppe anzugehören, oder hatten sie einfach Lust auf Randale?"

Bei näherer Betrachtung erscheint längst nicht alles rechts, was auf den ersten Blick so aussieht. "Wir sind oft überrascht worden", sagt Brandenstein, "bei vielen konnten wir gar nicht so sicher sein, ob dahinter wirklich Fremdenfeindlichkeit steckte." Ein Jugendlicher erzählte etwa, dass er sich draußen mit einem Ausländer ganz gut verstanden habe. Dann sei er allerdings mit seiner Clique an ihm vorbeigekommen und sei mit auf ihn losgegangen. Da habe der Ausländer dann halt Pech gehabt.

Für den Psychologen sind solche Widersprüche zwischen Worten und Taten der Jugendlichen sehr aufschlussreich. Sie geben auch einen Hinweis auf den Entwicklungsstand des Betreffenden, da Menschen in bestimmten Entwicklungsphasen wie der Pubertät und der Adoleszenz eine höhere Bereitschaft zu aggressivem Verhalten zeigen. Oft würden fremdenfeindliche Gewalttaten von Jugendlichen begangen, um sich 'Luft zu machen'", so Brandenstein. "Bei denen dient die rechtsextremistische Ideologie dann eher als Deckmantel für Gewalt um ihrer selbst willen, weil es ihnen Spaß macht, sich zu schlagen - ähnlich wie wir es etwa von Hooligans kennen."

Entwicklungspsychologische Prozesse spielten auch in anderer Hinsicht den Rechten in die Hände. Denn typisch für die Zeit zwischen Kindheit und Erwachsensein ist eine Phase der Identitätssuche. Durch den Pluralismus einer postmodernen Gesellschaft werde diese Suche nach Verhaltensrichtlinien nicht eben erleichtert, sagt der Freiburger Forscher: "Unsere heutige Zeit ist durch ein immer vielfältigeres Angebot an akzeptierten Lebensentwürfen gekennzeichnet." Damit geht auch die Relativierung einzelner Werte und Normvorstellungen einher, was mit einem Verlust an Halt verbunden ist. Jugendlichen werde es damit wesentlich erschwert, eigene Identität zu entwickeln. Ein Dilemma, das für enormen psychischen Druck sorgt. So versuchen manche Jugendliche, durch ihre Gewalttaten eine Identität der Stärke und Macht zu etablieren und aufrechtzuerhalten. Und gerade die seelische Gemengelage in dieser Phase mache sie auch verführbar für markige Propaganda mit simplen Parolen. "Die rechte Szene zieht da mit einem starken, weil scharfen Profil: Von der Musik über die Symbole bis hin zur Gewaltbereitschaft gibt es kaum einen Bereich, der in der rechten Szene nicht spezifisch rechts aufgeladen ist. Da lassen sich Jugendliche, die wissen wollen, wer sie sind und wohin sie gehören, gerne an die Hand nehmen."

Auch die Ideologie spiele als Merkmal, das den Jugendlichen innerhalb der Gruppe Orientierung bietet, eine ungemein bedeutsame Rolle: "Da es sich um eine extreme, nämlich rechtsextreme Einstellung handelt, müssen sie sich innerhalb der Szene nicht um Grautöne und komplexe Differenzierungen der Meinungen scheren. Im Gegenteil, je mehr man einfach tut, was verlangt wird, desto besser." Nicht minder wirksam seien das Gemeinschaftserlebnis durch die häufigen Gruppenaktivitäten und das daraus erwachsende Gefühl der Stärke und die Anerkennung.

Identitätsstiftend sei auch die uniformierte Kleidung. "Sie können schon allein durch Schuhe, Kleidung oder Haarschnitt zeigen: Ich bin einer von denen." Auch die Aufwertung der eigenen Gruppe durch Abwertung anderer Gruppierungen ist ein Faktor, der fremdenfeindliche von anderen Gewalttätern unterscheidet und eine gesonderte Untersuchung von nicht fremdenfeindlichen Gewalttätern rechtfertigt: Während es sich bei 'normalen' Gewalttaten in der Regel um Konflikte zwischen Privatleuten handelt, geht von fremdenfeindlichen Offensiven immer auch eine Botschaft für eine ganze Zielgruppe aus: "Wir wollen euch nicht hier haben!"

Brandenstein arbeitete in seinen Interviews hauptsächlich mit offenen Fragen, die sich nicht nur mit Ja oder Nein beantworten lassen. "Nur so kann der Proband selbst über sein Selbstbild entscheiden und darüber, was für ihn wichtig ist und welche Rolle seine Einstellungen, seine Taten, nicht zuletzt natürlich seine Straftaten für ihn spielen", erklärt der Forscher diese Interviewstrategie.

Damit ergründet er das Verhalten der Jugendlichen in all seiner Komplexität. Die Identität lässt eine sowohl entwicklungs- und sozialpsychologische als auch soziologische Deutung fremdenfeindlichen gewalttätigen Verhaltens von Jugendlichen zu. "Das Bild, das man von sich selbst hat, kann nur dadurch erzeugt werden, dass man sich selbst mit den Augen der anderen sieht", sagt der Psychologe: "Dies wiederum kann nur durch Interaktion mit anderen Menschen geschehen."

Zwischenmenschliche Interaktion findet dabei auf verschiedenen Ebenen statt: zwischen Einzelnen wie auch zwischen Gruppen, wobei solche Identitäten stets aufs Neue ausgehandelt, bestätigt oder verändert werden. Gerade Letzteres ist wichtig: Will man herausfinden, wie sich Hafterfahrungen auf fremdenfeindliche Täter auswirken, müsse man sich einen spezifischen Umstand klarmachen: In der Haft beschränken sich Interaktionen auf einen äußerst kleinen Kreis von Menschen. "Die haben immer die gleichen Leute um sich herum - Leute, die ebenfalls kriminell geworden sind", sagt Brandenstein.

"Außerdem herrschen Machogehabe und Großtuerei und oft müssen sie sich mit Körpereinsatz verteidigen", erläutert er das soziale Klima im Knast. "Es sind also denkbar ungünstige Bedingungen", findet der Forscher. Im Gespräch allerdings zeigten sich einige der Jugendlichen durchaus in der Lage, ihre Interaktionen mit den anderen Inhaftierten distanziert zu betrachten. "Sie sagen dann: 'Das ist hier ein einziger Kindergarten.' Und trotzdem gehört es für sie dazu, sich körperlich zu wehren: Wenn man zu viel mit sich machen ließe, habe man keine Ruhe."

Als Anzeichen, dass die Hafterfahrung die Jugendlichen läutert, mag Brandenstein Äußerungen wie diese jedoch nicht werten. Wie sich Freiheitsentzug auf fremdenfeindliche Gewalttäter auswirkt, lasse sich wegen der Heterogenität dieser Tätergruppe nicht eindeutig und pauschal beurteilen. Unter anderem hänge die Wirkung sehr vom generellen Verhältnis der Häftlinge zum Staat ab. "Normale" Gefangene akzeptieren die Strafe in der Regel als eine normale Reaktion auf ihre Tat. Bei fremdenfeindlichen Gewalttätern ist dagegen nicht auszuschließen, dass sie die Strafe für ungerechtfertigt halten und ihre Kritik am "untätigen" Staat gar bestätigt sehen. "Die fremdenfeindliche Gewalttat lässt sich auch als ablehnende Botschaft gegenüber dem Staat verstehen", erklärt er.

Strafen können üblicherweise Trotz und ein jetzt erst recht bewirken. Daher gibt Brandenstein zu bedenken, dass rechtsextreme Jugendliche von einer Instanz bestraft werden, gegen deren verfassungsmäßige Grundausrichtung sie mit ihrer Tat rebelliert haben. So kann es kommen, dass ein Jugendlicher sagt: "Jetzt werden wir auch noch dafür bestraft, dass wir mal was in die Hand genommen haben." Tatsächlich ist Brandenstein einem Jugendlichen begegnet, der seine Entwicklung in Bezug auf seine Gesinnung in die Worte gekleidet habe: "Ich bin staatsfeindlicher geworden."

Auch die Funktion der Gewalt - sei es als Mittel zum ideologischen Zweck, als Identität stiftende Handlung oder einfach des Thrills wegen - entscheide, ob der Jugendliche weiterhin als Gewalttäter rechter Couleur auffallen wird oder nicht. Prinzipiell gilt: Bei allen Jugendlichen lässt sich beobachten, dass die Gewaltbereitschaft im Laufe der Haftzeit abnimmt. Das ergibt sich auch aus bisherigen kriminologischen Erkenntnissen ableiten: Jugendliche Gewalt ist meist eher ein Phänomen, aus dem die Jugendlichen 'herauswachsen'.

Doch gilt dies nicht uneingeschränkt, wie Brandenstein beobachtet hat: "Je mehr die Gewalt ideologisch motiviert ist, desto weniger scheint auch die Gewaltbereitschaft zurückzugehen." Insofern stellt die Entwicklung fremdenfeindlicher Gewaltbereitschaft in Haft eine eigene Kategorie dar. Zwar geht auch bei diesen ideologisch motivierten Tätern die Bereitschaft zurück, offene Gewalt auszuüben, weniger aber die Bereitschaft, etwa als Hintermann mittels delegierter Gewalt weiterhin ideologische Ziele zu verfolgen. "Man will sich dann die Hände selbst nicht mehr schmutzig machen."

Im Übrigen berichten Jugendliche, in Haft ruhiger geworden zu sein und auch, dass sie mit der rechten Szene wenig bis gar nichts mehr zu tun haben wollen. Und für fast alle inhaftierten Jugendlichen bekommen die primären Bezugspersonen wie die Familie plötzlich eine ganz große Bedeutung. Sie merken, dass sie sich letztlich einzig auf diese Menschen verlassen können. "Von der rechten Clique lässt sich dagegen kaum jemand blicken", merkt Brandenstein an. Das heißt aber nicht, dass sich ihre fremdenfeindliche Einstellung, soweit sie selbstständige Bedeutung hatte, in der Haft geändert hat. Kontakt zu Jugendlichen, etwa aus rechtsgerichteten Organisationen, kann eine Distanzierung von der rechten Szene zudem erschweren.

Inzwischen hat der Freiburger seine Daten weitgehend ausgewertet, die Dissertation steht vor dem Abschluss. Die Fakten, die er dabei in seinen empirischen Erhebungen zutage förderte, lassen den strafrechtlichen Umgang mit rechtsextremen Jugendlichen in keinem besonders positiven Licht erscheinen. Strafe als Abschreckung sei sowieso ein stumpfes Schwert. "Das würde ja voraussetzen, dass sie sich drum scherten. In der Regel ist das aber nicht so. Sie denken nicht ernsthaft dran, überhaupt erwischt zu werden." Schon allein diese Tatsache demonstriere, was von den Diskussionen um die Erhöhung der Jugendhöchststrafe von 10 auf 15 Jahren zu halten sei.

Auch wirke das wegen eines vermeintlichen Abschreckungseffektes sehr populäre Verhängen hoher Haftstrafen innerhalb der Haft nicht unbedingt im Sinne des Erfinders. "Wenn sie dann erst mal im Gefängnis sind, nimmt der Abschreckungseffekt mit zunehmender Aufenthaltsdauer eher ab", so der Freiburger Rechtsexperte. Die Jugendlichen gewöhnen sich zwangsläufig an die entbehrungsvolle Situation. Am stärksten werde die Strafe noch am Anfang der Haft als solche empfunden. "Das", so Brandenstein, "ist ein Umstand, der in Politik und Öffentlichkeit kaum Berücksichtigung findet, offenbar weil solch ein psychologischer Sachverhalt sich nicht mit der Suggestionskraft von Zahlen verträgt, mit denen man in Haftjahren die Schwere der Strafe zum Ausdruck bringen will."

Das Fazit, das er aus seinen Interviews und Beobachtungen zieht, versteht sich zugleich als Plädoyer für einen Kurswechsel: "Den in ihren komplexen Grautönen teilweise sogar widersprüchlichen Ausprägungen von Fremdenfeindlichkeit kann man nicht mit einem Allzweckprogramm gerecht werden."

Doch sollten die Möglichkeiten innerhalb des Jugendstrafvollzugs erweitert werden, wenn sich dieser nicht gar offener gestalten lässt. Langjährig verurteilten Jugendlichen, die ernsthaft an sich arbeiten, sollte in Aussicht gestellt werden, schon früher als bislang wieder in Kontakt mit der Außenwelt treten zu können. "Nur dann können resozialisierende Bedingungen geschaffen werden, die dem an sich erzieherisch ausgerichteten Jugendstrafvollzug besser als bisher gerecht werden", so der Forscher. Letztlich werde es ein Problem aber immer geben: "Auch behandelnder Strafvollzug bleibt am Ende in erster Linie immer noch Strafvollzug."

Allerdings sieht Brandenstein derzeit geringe Chancen, mit solchen Vorschlägen Gehör zu finden. Zwar betonten Politiker und Gesetzgeber gerne die erzieherischen Grundsätze der einschlägigen Gesetze. "Doch das ist sehr idealistisch", sagt er. "In Wirklichkeit ist der Sicherheitsaspekt in den letzten Jahren stark in den Vordergrund getreten, und das schlägt sich nun auch in den meisten der Jugendstrafvollzugsgesetze der Länder nieder." Diese sind nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts am 31. Mai 2006 erst in diesem Jahr vollständig in Kraft getreten. Davor gab es für den Jugendstrafvollzug nicht einmal eine eigene gesetzliche Grundlage.

Immerhin beinhaltet das Ergebnis der Studie einen Trost. Da sich bei den meisten dieser Jugendlichen die Aggressionen auf natürliche Weise auswachsen, ist bei ihnen gewöhnlich nicht damit zu rechnen, dass sie nach der Haft wieder schwer rückfällig werden. Die stigmatisierende Wirkung von Haft könne da zwar kontraproduktiv sein, meistens dürfte aber gelten: Wo das Gesetz versagt, hilft die Natur.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Gewalt und rechte Ideologie erleichtern Jugendlichen die Identitätssuche: Jugendliche beim Überfall auf ein Asylbewerberheim in Greifswald im Jahr 1992 (links) und bei einer rassistischen Demonstration (rechts).

Die Jugendstrafanstalt Regis-Breitingen im Landkreis Leipzig gehört zu den modernsten Deutschlands - an der staatsfeindlichen Haltung inhaftierter rechter Gewalttäter, die ideologisch motiviert sind, dürfte das nichts ändern.

In Jugendarrestanstalten wie in Neustadt am Rübenberge (links) oder in Berlin Lichtenrade (rechts) bleiben Jugendliche nur wenige Wochen; der Arrest soll als Erziehungsmaßnahme dienen.


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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-Gesellschaft
Ausgabe 2/2008, S. 70-77
Herausgeber: Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Oktober 2008