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STRAFRECHT/368: Hinweise zur Verteidigung abschiebebedrohter Ausländer (Der Schlepper)


Der Schlepper Nr. 46 - Winter 2008/2009
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in Schleswig-Holstein

Identitätsklärung und Passbeschaffung
Einige Hinweise insbesondere zur Verteidigung in Strafverfahren

Von Peter Fahlbusch


Identitätsklärung und Passbeschaffung sind für Ausländerbehörden seit jeher ein zentrales Anliegen. Dies deshalb, als bei ungeklärter Identität und/oder fehlendem Pass(ersatz) aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht möglich sind. Bei dem Versuch, die Identität von Betroffenen festzustellen und/oder einen Pass zu erlangen agieren die beteiligten Ausländerbehörden - mal mehr, mal weniger kreativ - in unterschiedlichster Weise. Die meisten Leser kennen das von den Behörden angewandte Instrumentarium: Strafverfolgungsbehörden werden bemüht, Wohnungen durchsucht, Betroffene in Abschiebungshaft genommen und/oder, zwangsweise Botschaften vorgeführt, Leistungen nach dem AsylbLG auf das unabweisbare gekürzt, etc..

Was in der Beratungspraxis nach meinem Eindruck häufig leider nicht erkannt wird: Die von den Behörden ergriffenen "Disziplinierungsmaßnahmen" sind regelmäßig mit dem Gesetz nicht vereinbar. Die landläufig anzutreffende Meinung "Da kann man nichts machen" ist unzutreffend. Nachstehende Beispiele verdeutlichen, dass Gegenwehr sich lohnen kann.


I. Strafrechtliche Maßnahmen

1. Paragraph 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (= Paragraph 92 Abs. 1 Nr. 2 AuslG)

Ein typischer Fall:
Einem iranischen Staatsangehörigen wird mit einem sog. Strafbefehl vorgeworfen, sich seit Jahren entgegen Paragraph 3 Abs. 1 i.V.m. Paragraph 48 Abs. 2 AufenthG im Bundesgebiet aufzuhalten. Obschon er nicht im Besitz seines Passes sei, weigere er sich, entsprechendes Papier beim iranischen Generalkonsulat zu beantragen. Eine erste Verurteilung nach Paragraph 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG habe ihn nicht bewegt, sein Weigerungsverhalten aufzugeben. Insofern sei eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen festzusetzen, wobei die Höhe des Tagessatzes 5,00 EUR betrage.

Das Beispiel stellt einen Klassiker in der Betratungspraxis dar. Leider wird hier viel zu früh die Flinte ins Korn geworfen. Die Verteidigungsmöglichkeiten sind mannigfach. Hierbei wird man zunächst zu beachten haben, dass ein Strafbefehl rechtskräftig und damit vollstreckbar wird, wenn nicht innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung bei dem jeweiligen Amtsgericht Einspruch eingegangen ist.

In der Sache selbst gibt es verschiedene Vertretungsmöglichkeiten:

Zunächst einmal ist es so, dass der Straftatbestand des Paragraph 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG voraussetzt, dass der Betroffene einen Pass weder besitzt noch auf zumutbare Weise erlangen kann, Paragraph 48 Abs. 2 AufenthG. Einen Pass besitzt man auch dann, wenn dieser nicht bei sich geführt, sondern - z. B. im Heimatland - verwahrt wird. Dass der Betroffene einen Pass nicht (weder im Heimatland noch andern Orts) besitzt, muss von der Staatsanwaltschaft nachgewiesen werden. Wie ihr das gelingen kann, wenn der Betroffene keine Angaben zur Sache macht, ist unklar. Dieser Punkt bleibt in Strafverfahren regelmäßig unbeachtet.

Des Weiteren ist es so, dass eine Strafbarkeit dann ausscheidet, wenn der Betroffene einen Pass nicht in zumutbarer Weise erlangen kann. Verschiedene Staaten - so auch der Iran - verlangen von Betroffenen bei der Pass(ersatz)beschaffung die Angabe, dass man freiwillig in den Iran zurückkehren wolle (sog. "Freiwilligkeitserklärung"). Wenn nun die Betroffenen - was regelmäßig der Fall ist - eben gerade nicht freiwillig in ihr Heimatland (hier in den Iran) zurückkehren wollen, müssten sie lügen, um an einen Pass zu gelangen. Nach wohl mittlerweile herrschender Meinung der Strafgerichtsbarkeit kann von einem Betroffenen eine derartige Lüge nicht verlangt werden, sodass eine Strafbarkeit ausscheidet (vgl. mit ausführlichen Anmerkung OLG Nürnberg, Urteil vom 16. Januar 2007 - 2 St OLG Ss 242/06 -).

Unzumutbar ist darüber hinaus z. B. die Anforderung, sich wiedereinbürgern zu lassen, um an einen Pass zu gelangen.

Regelmäßig nicht beachtet wird darüber hinaus, dass ein Betroffener - jedenfalls - erneut bestraft werden kann, wenn er nach erster Verurteilung nach Paragraph 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG seine Weigerungshaltung nicht aufgibt. Paragraph 95 Abs. 1 NR. 1 AufenthG ist ein sog. "Unterlassungsdauerdelikt". Eine zweite Verurteilung bei gleichbleibender Verweigerungshaltung würde nämlich das Schuldprinzip, das unser Strafrecht durchzieht, verletzten. Fraglich ist einerseits, ob durch die bloße Fortsetzung des Nichthandelns (keine Bereitschaft bei der Passbeschaffung mitzuwirken) ein erneut rechtlich verbotenes Verhalten gezeigt wird, dass eigenständiger Sanktionierung zugänglich ist. Andererseits steht einer bei gleichbleibender Verweigerungshaltung erfolgenden erneuten Bestrafung das Schuldprinzip deshalb entgegen, als in einem solchen fall der Strafe eine mit dem Schuldprinzip nicht zu vereinbarende Beugewirkung zukäme. (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgericht vom 27. Dezember 2006 - 2 BvR 1895/05 - in einem vergleichbaren Verfahren). Der Betroffene würde bei einer erneuten Verurteilung wegen seines gezeigten "Ungehorsam" mit Strafen belegt, deren Ende nicht absehbar sei. Ungehorsam aber - so das Bundesverfassungsgericht a. a. O. - ist einem rechtsstaatlichen Strafrecht als Strafgrund fremd.

Exkurs: Unabhängig von vorstehenden Erwägungen weise ich darauf hin, dass häufig die Strafe selbst viel zu hoch angesetzt wird. Regelmäßig beziehen Betroffene, die sich seit geraumer Zeit weigern, an der Passbeschaffung mitzuwirken, lediglich Leistungen nach Paragraph 1 a AsylbLG. Zumeist verfügen sie über keinerlei Geldleistungen mehr. Bei der Bemessung einer Geldstrafe knüpft das Gesetz aber an das Einkommen eines Betroffenen an, dass dieser in einem Monat erzielt/erzielen könnte. Dieses Einkommen - geteilt durch 30 - ergibt die sog. Tagessatzhöhe, Paragraph 40 Abs. 2 StGB. Wenn ein Betroffener nur noch über ein von der Kommune gestelltes Bett mitsamt Verpflegung verfügt, hat er keinerlei - einsetzbares - Einkommen mehr, von dem er eine Geldstrafe bezahlen kann. Meiner Ansicht nach ist in einem derartigen Fall die Verhängung einer Geldstrafe nicht zulässig, da sie eben gar nicht bezahlt werden kann. Jedenfalls aber wird der Tagessatz auf das Minimum des vom Gesetz vorgesehenen Betrages, nämlich 1,00 EUR festzusetzen sein, Paragraph 40 Abs. 2 Satz 3 StGB. In diesem Sinne hat unlängst auch das OLG Celle in einem von mir geführten Verfahren entschieden (Beschluss des OLG Celle vom 10. Juli 2007 - 32 Ss 95/07 -).


2. Paragraph 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG/Paragraph 271 StGB

Ein weiterer Klassiker:
Ein Betroffener ist seit Jahren im Besitz einer Duldung. Als er heiraten bzw. die Vaterschaft für ein Kind anerkennen will, wird für die Ausländerbehörde deutlich, dass die von dem Betroffenen über Jahre bei der Duldungsverlängerung angegebenen Personalien (Name; Geburtsdatum; Staatsangehörigkeit) unzutreffend waren. Auf Anzeige der Ausländerbehörde ergeht ein Strafbefehl (s. o.) wegen des Verstoßes gegen Paragraph 271 StGB ("mittelbare Falschbeurkundung") und/oder des Verstoßes gegen Paragraph 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ("unrichtige Angaben gemacht zu haben, um zu ...").

Auch hier sind die Verteidigungsmöglichkeiten gut. Die den Betroffenen in entsprechenden Fällen erteilten Duldungen enthalten regelmäßig den Hinweis, dass die Personalien auf eigenen Angaben des Betroffenen beruhen. Dann aber scheidet eine Strafbarkeit nach Paragraph 271 StGB aus. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Normzweck des Paragraph 271 StGB ist der Schutz der Beweiskraft öffentlicher Urkunden. Vom Wahrheitsschutz des Paragraph 271 StGB werden nur diejenigen Teile der Urkunde erfasst, auf die sich diese erhöhte Beweiskraft der öffentlichen Urkunde erstreckt. Vorausgesetzt wird also, dass die beurkundete Tatsache (d. h. vorliegend: die Personalien) mit der Urkunde gegenüber jedermann bewiesen werden kann. Dies ist bei einer Duldung mit dem Zusatz "Personalien beruhen auf eigenen Angaben" eindeutig nicht der Fall. Die ausstellende Behörde übernimmt mit entsprechendem Zusatz gerade nicht die Gewähr für die Richtigkeit dieser Angaben. Dann aber scheidet eine Strafbarkeit nach Paragraph 271 StGB aus, wie u.a. das Amtsgerichts Bremen in einem von mir geführten Verfahren (Urteil vom 12. April 2007 - 94 Cs 200 Js 35942/06 - 3/07-) entscheiden hat.

Aber auch eine Bestrafung nach Paragraph 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ist - häufig - nicht möglich. Entscheidend ist hier, wann der Betroffene falsche Angaben gemacht haben soll. Ist dies vor dem 28. Juli 2007 (d. h. vor dem Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007) der Fall gewesen, ist das Verhalten nicht strafbar. Dies deshalb, als Paragraph 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG in der Fassung des AufenthG, das in der Zeit vom 1. Januar 2005 bis 27. Juli 2007 galt, eine Strafbarkeit nur für den Fall vorsah, dass ein Betroffener unrichtige Angaben macht, um für sich einen Aufenthaltstitel zu beschaffen. Eine Duldung stellt aber keinen Aufenthaltstitel dar (vgl. Paragraph 4 Abs. 1 S. 2 AufenthG):

Sollte die Falschangabe vor dem 1. Januar 2005, d. h. unter der Herrschaft des AuslG erfolgt sein, scheidet eine Strafbarkeit ebenfalls aus. Zwar war nach Paragraph 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG unter Strafe gestellt, wenn ein Ausländer unrichtige Angaben machte, um für sich eine Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung zu beschaffen, sodass eigentlich eine Strafbarkeit gegeben wäre. Dies ändert sich aber dadurch, dass es vom 1. Januar 2005 bis zum 27. Juli 2007 nach Paragraph 95 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nicht strafbar war, falsche Angaben zu machen, um eine Duldung zu beschaffen, s.o. Diese Regelung kommt nach Paragraph 2 Abs. 3 StGB auch den Betroffenen zu Gute, die unter der Herrschaft des AuslG falsche Angaben gemacht hatten, um sich eine Duldung zu beschaffen. Eine Bestrafung ist in diesen Fällen nicht möglich (vgl. Amtsgericht Bremen a. a. O.).


3. Paragraph 95 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG

Regelmäßig erhalten Betroffene Strafbefehle, weil sie sich geweigert haben, Passersatzpapieranträge der Botschaften zu unterschreiben. Ein derartiges Verhalten unterfällt nicht dem Straftatbestand des Paragraph 95 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG. Nach dieser Norm kann nur derjenige bestraft werden, der keine oder unrichtige Angaben gegenüber den Ausländerbehörden macht. Verweigerte, unterlassene, falsche oder unvollständige Erklärungen gegenüber der Botschaft sind nach dieser Norm nicht strafbar (vgl. OLG Celle, Entscheidung vom 14. Februar 2007 - 21 Ss 84/06 -).


II. Abschiebungshaft:

Es ist völlig unstreitig, dass Abschiebungshaft nicht angeordnet werden darf, um den Betroffenen zur Erzwingung von Passbeschaffungsmaßnahmen zu motivieren, da es sich hierbei um unzulässige Beugehaft handeln würde. Wenn Abschiebungshaft in einem derartigen Fall dennoch angeordnet/vollstreckt wird, muss hierauf sofort reagiert werden (sofortige Beschwerde; Haftaufhebungsantrag).


III. Wohnungsdurchsuchungen:

Immer wieder werden Wohnungen von ausreisepflichtigen Betroffenen durchsucht, um den dort vermuteten Pass beschlagnahmen zu können. Entsprechende Durchsuchungen erfolgen entweder auf strafrechtlicher oder polizeirechtlicher Grundlage. Beides ist unzulässig.

Eine Durchsuchung auf strafrechtlicher Grundlage ist nur dann möglich, wenn gegen den Betroffenen ein Verfahren wegen Verstoß gegen Paragraph 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (Verdacht des unerlaubten Aufenthalts im Bundesgebiet ohne erforderlichen Pass) geführt wird. Im Rahmen eines derartigen Strafverfahrens wird gelegentlich beantragt, die Wohnung des Betroffenen zu durchsuchen, da dies zum Auffinden von Beweismitteln (nämlich des Passes) führen werde.

Diese Vorgehensweise ist rechtswidrig. Entweder verfügt nämlich der Betroffene über einen Pass, der sich in seiner Wohnung befindet. Dann aber ist der Straftatbestand des Paragraph 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht gegeben (s. o. I.1.). oder aber der Betroffene verfügt über keinen Pass in seiner Wohnung. Dann aber darf seine Wohnung auch nicht durchsucht werden, da nicht wahrscheinlich ist, dass entsprechender Pass dort aufgefunden wird. Eine Durchsuchung ist also so oder so auf strafrechtlicher Grundlage nicht zulässig. In diesem Sinne hat das LG Lüneburg in einem von hier geführten Verfahren unter dem 24. März 2008 - 26 Qs 48/06 - entschieden.

Eine Durchsuchung ist aber auch nicht auf polizeirechtlicher Grundlage zulässig. Auch dies hat das LG Lüneburg in einem von mir geführten Verfahren (Beschluss vom 18. Oktober 2006 - 10 T 15/06 -) entschieden. Der bloße Verdacht der Ausländerbehörde, ein ausreisepflichtiger Ausländer würde seinen Pass in seiner Wohnung verwahren, kann eine Durchsuchung nach Polizeirecht nicht rechtfertigen, so das LG Lüneburg. Zudem ist es so, dass eine Durchsuchung nach Polizeirecht nur dann ergehen darf, wenn von der gesuchten - und zu beschlagnahmenden - Sache eine Gefahr ausgeht. Dies aber ist bei einem gesuchten Pass nicht der Fall.

Da vorbeugender Rechtsschutz gegen Durchsuchungsanordnungen regelmäßig nicht erlangt werden kann (Durchsuchungen werden nicht angekündigt!) sind die Betroffenen darauf angewiesen, nach erfolgter Durchsuchung feststellen zu lassen, dass die Durchsuchung rechtswidrig war. Auch dies hat disziplinierenden Charakter!


IV. Zwangsweise Botschaftsvorführungen,
Paragraph 82 Abs. 4 AufenthG

Immer wieder ist festzustellen, dass Betroffene gegen ihren Willen zwangsweise im Rahmen der Pass(ersatzpapier)beschaffung ihren vermeintlichen Heimatvertretungen vorgeführt werden. Entsprechende Vorführungen verstoßen regelmäßig gegen Paragraph 82 Abs. 4 AufenthG.

Hiernach ist nämlich zunächst einmal Voraussetzung, dass ein Betroffener eine ordnungsgemäße Aufforderung des persönlichen Erscheinens vor der Heimatvertretung erhält. In vielen Fällen mangelt es bereits an einer entsprechenden ordnungsgemäßen Verfügung. Gelegentlich ordnen die Ausländerbehörden nicht die sofortige Vollziehung einer entsprechenden Verfügung an. In einem derartigen Fall kann erst nach Eintritt der Bestandskraft eine Vorführung erfolgen. Wichtig ist weiter, dass konkrete Anhaltspunkte für die vermutete Staatsangehörigkeit des Betroffenen bestehen. Auch hieran mangelt es regelmäßig. Unzulässig ist es daher, wenn Betroffene ohne konkrete Anhaltspunkte einer Botschaft nach der anderen vorgeführt werden, was gerade bei Betroffenen aus Afrika häufig zu beobachten ist. Das Gesetz erlaubt keinen derartigen "Wanderzirkus"!

Weithin nicht beachtet wird, dass bei einer Weigerung des Betroffenen, bei der Heimatvertretung vorzusprechen, eine vorherige richterliche Entscheidung einzuholen ist. Paragraph 82 Abs. 4 S. 2 AufenthG verweist insofern auf die entsprechenden Regelungen im Bundespolizeigesetz. Erforderlich ist also, dass die zuständige Behörde einen Haftantrag beim zuständigen Amtsgerichts stellt und der Betroffene geladen und (für den Fall, dass er verheiratet ist, auch sein Ehepartner) vom Amtsgericht angehört wird. Sollte das Gericht Haft anordnen wollen, wäre diese für maximal vier Tage zulässig; unmittelbar nach Vorsprache wäre zudem die Haft sofort zu beenden.

Trotz der insofern völlig eindeutigen gesetzlichen Regelung "verzichten" Behörden regelmäßig auf die Einholung entsprechender richterlicher Beschlüsse und führen Betroffene gegen deren Willen bei vermeintlichen Heimatvertretungen vor. Diese mit Freiheitsentziehungen einhergehende Praxis ist rechtswidrig! Ähnlich wie bei Wohnungsdurchsungen kommt auch hier regelmäßig vorbeugender Rechtsschutz zu spät, sodass im Nachhinein beim Amtsgericht festgestellt werden kann, dass die mit der Vorführung verbundene Freiheitsentziehung rechtswidrig war. Hieran anschließen können sich dann Amtshaftungsansprüche des Betroffenen aufgrund der zu Unrecht erfolgten Freiheitsentziehung. Ausländerbehördenmitarbeiter, die trotz ersichtlicher Weigerung eines Betroffenen, diesen bei seiner Heimatvertretung vorführen, riskieren zudem ein Strafverfahren wegen Freiheitsberaubung.

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang schließlich, dass es einer richterlichen Anordnung auch dann bedarf, wenn ein Betroffener sich bereits in Haft (auch in anderer Sache wie etwa Abschiebungshaft oder Strafhaft) befindet. Dies hat zu Recht das VG Braunschweig unter dem 19. April 2006 - 7 T 116/06 - in einem von mir geführten Verfahren entschieden und eine laufende Vorführung gestoppt, da die Behörde nicht angeordnet hatte, dass der Betroffene bei seiner Heimatvertretung persönlich erscheine.

Auch bei Botschaftsvorführungen lohnt es sich also, der Sache genau auf den Grund zu gehen.


V. Fazit:

Bedauerlicherweise nehmen Behörden und Gerichte auch im Bereich der Identitätsfeststellung/Passbeschaffung das Gesetz häufig nicht ernst. Ebenso wie bei der Aburteilung von Verstößen gegen die sog. "Residenzpflicht" (vgl. hierzu meine Anmerkungen in Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 1 + 2, S. 51 ff.) und bei der Anordnung und Vollstreckung von Abschiebungshaft (siehe hierzu meine Ausführungen in Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 119, S. 21 f.) sind Fehlentscheidungen an der Tagesordnung. Es lohnt sich, jeden Einzelfall genau zu betrachten.


Peter Fahlbusch, Rechtsanwalt

Der Text stellt eine gekürzte Zusammenfassung des Referates dar, das Rechtsanwalt Fahlbusch, Hannover am 8. November 2008 vor dem Niedersächsischen Netzwerk Flüchtlingshilfe gehalten hat


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Quelle:
Der Schlepper Nr. 46 - Winter 2008/2009, Seite 32-34
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in
Schleswig-Holstein
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2009