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VÖLKERRECHT/065: Kritik am Haftbefehl gegen Omar al-Bashir (inamo)


inamo Heft 57 - Berichte & Analysen - Sommer 2009
Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten

Eine Kritik am Haftbefehl gegen Omar al-Bashir

Von Alex de Waal


Dieser Beitrag basiert auf einem längeren Blogeintrag von Alex de Waal vom Januar 2009. Dort nimmt er ausführlich zu den vom IStGH Chefankläger vorgebrachten zehn Anklagepunkten gegen den sudanesischen Präsidenten Qmar al-Bashir Stellung, wobei sich drei der Anklagepunkte auf Genozid, fünf auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit und zwei auf Kriegsverbrechen beziehen. Wir dokumentieren in Auszügen de Waals politische Einschätzung der Folgen des IStGH Haftbefehls. Den an den juristischen Argumentationen de Waals interessierten Lesern möchten wir seinen detaillierten Blog www. ssrcorg/blogs/darfur/ empfehlen.

Mit der Resolution 1593 verwies der UN-Sicherheitsrat Darfur an den Internationalen Gerichtshof. Diese Resolution bestätigt, dass Recht und Verantwortlichkeit unverzichtbar sind, um dauerhaften Frieden und Sicherheit in Darfur zu erreichen. Der Sicherheitsrat muss die Autorität dieser Entscheidung überdenken. Er ist die einzige Institution, die über eine Verschiebung der Anklage entscheiden kann, um Frieden und Sicherheit im Sudan zu erreichen.[...]

Gemäß dem Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) sollte der Chefankläger sicherstellen, dass jede Anklage sowohl im Interesse der Opfer als auch im Interesse der Gerechtigkeit liegt. Innerhalb des IStGH hat nur der Chefankläger die Möglichkeit und die Autorität, diesbezüglich eine Entscheidung zu fällen. Seine Aufgabe ist es, in Bezug auf die Erhebung von Anklagen gegen jedes andere Interesse das die Opfer vielleicht haben, wie zum Beispiel Frieden und Stabilität, abzuwägen. Es wäre vielleicht klüger gewesen, diese Macht an anderer Stelle in der Struktur des IStGH anzulegen, damit der Chefankläger nicht zu sehr von seinem professionellen Interesse beeinflusst wird, Anklagen zu verfolgen. Wenn der Chefankläger erst einmal eine solche Festlegung getroffen hat, gibt es kein zusätzliches Verfahren innerhalb des Gerichtshofes um zu überprüfen, ob sein Urteil tatsächlich sachgemäß gefällt wurde. Die Pre-Trial Chamber kann eine Anklage nur auf Grund der Beweise und der anwendbaren Gesetze bewerten. Lediglich der UN-Sicherheitsrat kann wegen anderer Gründe intervenieren.

Viele Gründe sprechen dafür, dass die Anklage gegen Präsident al-Bashir nicht im Interesse der Gerechtigkeit ist.


Strafverfolgung vs. nationale Stabilität

Vor sieben Jahren noch hatte sich die internationale Gemeinschaft einschließlich der stärksten Kritiker der sudanesischen Regierung, wie etwa die USA, für einen verhandlungsbasierten Übergang zu Frieden und Demokratie entschieden. Es wurde entschieden, dass eine "welche Landung" für die NCP (National Congress Party) notwendig sei und dass eine Verhandlungslösung, die zu Frieden und demokratischen Reformen führe, möglich wäre. Obwohl die Aussagen der internationalen Gemeinschaft, sich für die umfassenden Friedensvereinbarungen zu engagieren, nicht mit entsprechenden diplomatischen Bemühungen verbunden waren, bleibt diese Angelegenheit dennoch von höchster internationaler Dringlichkeit.

Die Bilanz der sudanesischen Regierung in Bezug auf ihre Verpflichtungen ist eher mager und weder so gut, wie sie die sudanesische Regierung darstellt, noch so schlecht, wie manche ihrer Kritiker behaupten. Aber auch die internationalen Partner schienen ihren Versprechen nur begrenzt nachgekommen zu sein. Da der Sudan der schwierigsten Prüfung seit der Erlangung seiner Unabhängigkeit entgegensieht (Wahlen 2010, Referendum 2011) ist es entscheidend, die politischen Verhandlungen aufrechtzuerhalten und das Tempo der Umsetzung von Vereinbarungen zu erhöhen.

Der Antrag auf internationalen Haftbefehl gegen Präsident al-Bashir steht im Widerspruch zur Verhandlungsstrategie. Wenn der Haftbefehl (der Artikel ist vor der Ausstellung des Haftbefehls geschrieben. Anm. Red.) durchgesetzt werden soll, müsste das. Staatsoberhaupt ausgewechselt werden. Sollte das OTP (Büro des Anklägers) faktisch die gesamte Regierung wegen Verbrechertum anklagen, hätte das einen Regierungswechsel zur Folge. Wie sollen die Verhandlungen vorangetrieben werden, wenn gleichzeitig versucht wird, das Staatsoberhaupt des betreffenden Staates zu verhaften? Möglicherweise kann durch diesen Ansatz erheblicher politischer Druck erzeugt werden, um positive Ergebnisse zu erzielen, aber wahrscheinlicher ist es, dass das Gegenteil eintritt und der Übergangsprozess zu Frieden und Demokratie destabilisiert wird, mit entsprechenden negativen Folgen. Es ist ein immens riskantes Spiel mit der Zukunft des Sudan.

Das Mantra "Es gibt keinen Frieden ohne Gerechtigkeit" ist offensichtlich falsch, weil viele Staaten Frieden auch ohne Gerechtigkeit erlangt haben. Frieden, Demokratie und Gerechtigkeit sind alles positive Errungenschaften, die um ihrer selbst willen erstrebt werden müssen. Gerechtigkeit ist ein Menschenrecht, und das Argument zugunsten der Gerechtigkeit ist nicht etwa, dass sie entscheidend zur Erlangung eines dauerhaften Friedens und! oder der Demokratie beiträgt. In einigen Fällen wird die Praxis der Rechtssicherheit die Entstehung von Frieden und/oder Demokratie beschleunigen oder ihrer Festigung dienen. In anderen Fällen aber wird sie keinen Effekt erzielen, und so kann sie zuweilen sogar das Gegenteil bewirken.

Die meisten der zitierten Präzedenzfälle haben wenig Bedeutung für den Fall des Sudan. Die meisten der Anklagen gegen Mitglieder oder Beamte ehemaliger Regierungen finden nach einer Transition zur Demokratie statt, wenn ein neue demokratische Regierung ihre Macht konsolidiert. Nur zwei Haftbefehle sind bisher gegen regierende Staatsoberhäupter ausgestellt worden, und keiner von beiden kann als Präzedenzfall für den Fall Sudan dienen.

Der Haftbefehl gegen den früheren Präsidenten von Liberia, Charles Taylor, wurde während der Verhandlungen über seinen Rückzug von der Macht ausgestellt. Dieser konnte nur durchgeführt werden, weil ihm Asyl in Nigeria versprochen wurde (ein Unternehmen, das später von den Nigerianern aufgegeben wurde, zum Teil auch weil Taylor sich nicht an die Bedingungen seines Asyls hielt.) Der Haftbefehl gegen den Jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic wurde ausgestellt, während er von der NATO militärisch angegriffen wurde. [...]

Wie oben bereits erwähnt, birgt die Anklage wegen Genozid zumindest im öffentlichen Verständnis die wichtige politische Schlussfolgerung in sich, dass es keine Verhandlungen und Kompromisse mit einer des Völkermords schuldigen Person oder einem solchen Staat geben kann.

Die Anklage nimmt somit der Regierung die Legitimation, ermutigt die Opposition und läuft darauf hinaus, dass eine Aussöhnung zwischen Opfer und Täter entweder unmöglich ist, oder nur durch weitreichende Veränderungen wie eine Revolution, eine Teilung oder eine internationale Militärintervention erreicht werden kann.


Internationale Strategien

Der Chefankläger des IStGH hat den Sudan unter weit größeren Druck gesetzt als zu der Zeit nach dem 11. September 2001 (9/11), als die Beziehungen des Landes zum internationalen Terrorismus es in Gefahr brachten, Ziel von Aktionen des US-Militärs im Krieg gegen den Terror zu werden. Ob es gut oder schlecht ist, Druck auszuüben, hängt davon ab, zu welchem Ergebnis man kommt und wie die unter Druck gesetzte Partei darauf reagiert.[...]

Den Haftbefehl gegen Präsident al-Bashir durchzusetzen, wird außerordentlich schwierig sein. Falls die UNO oder ausländische Regierungen auf der Durchsetzung bestehen, würden alle anderen Formen ihres Engagements mit der Regierung in Khartum blockiert werden. Führende westliche Regierungen ziehen es vor, den Haftbefehl als eine Form des politischen Druckmittels zu betrachten, vergleichbar mit wirtschaftlichen Sanktionen, die zur Verfolgung anderer Zielvorgaben genutzt werden können.

Sanktionen können allerdings auferlegt und genauso wieder aufgehoben, oder in unterschiedlichen Härtestufen angewandt werden. Ein Haftbefehl des IStGH hingegen kann nicht zurückgenommen oder modifiziert werden. Ein internationaler Ansatz ist die Forderung, dass die sudanesische Regierung mit dem IStGH kooperiert, das heißt dass al-Bashir und zwei andere Mitangeklagte dem IStGH ausgeliefert werden sollen. Das könnte dann zur Grundlage für einen Prozess der politischen Normalisierung werden. Ein Problem mit dieser Verfahrensweise ist, dass verhältnismäßig wenige Leute innerhalb der Regierungspartei, der Armee und des Sicherheitsapparats die Erwartung hegen, dass der politische und juristische Säuberungsprozess damit beendet wäre. Der Chefankläger des IStGH hat mit der Unterstellung, dass al-Bashir den gesamten Staatsapparat benutzt hat, um Verbrechen zu begehen, scheinbar alle Regierungsmitglieder kriminalisiert. In Khartum wird viel darüber spekuliert, wessen Namen noch auf einer möglichen verdeckten Liste von Personen steht, die dem Chefankläger vorliegt. Alle Zusicherungen, die vielleicht von westlichen Regierungen oder sogar vom Chefankläger im Rahmen seiner anklägerischen Bestrebungen selbst gegeben werden, sind rechtlich nicht bindend. Er kann keine Amnestie ausrufen.

Eine mögliche Variante wäre, die Aktionen des IStGH als Druckmittel einzusetzen, um einen politischen Prozess im Land selbst anzustoßen, der diejenigen, die für die Verbrechen in Darfur verantwortlich sind, vor Gericht bringt. Wenn man diesem Ansatz folgt, könnte die Verfolgung der Fälle für den IStGH unzulässig werden, da im Hinblick auf das Prinzip der Komplementarität die juristische Zuständigkeit bei den nationalen Gerichten bleibt. Der IStGH darf dann nur die Fälle bearbeiten, bei denen die nationalen Autoritäten nicht gewillt sind, die Verfolgung aufzunehmen. Es wurden Vorschläge unterbreitet, kombinierte Gerichte einzurichten, um mit Hilfe internationaler Anwälte Fälle gemäß sudanesischem Recht im Sudan selbst vor Gericht zu bringen. Ein solcher kombinierter Gerichtshof könnte Präsident al-Bashir jedoch nur dann anklagen, wenn er seines Amtes enthoben wird.

Eine andere mögliche Vorgehensweise wäre ein Versprechen (gewesen), den Haftbefehl im Rückgriff auf Artikel 16 des Rom-Status für zwölf Monate aufzuschieben, um eine Friedensvereinbarung in Darfur zu erzielen oder einen UNAMID-Einsatz oder eine Umsetzung des CPA zu erreichen. Drei Staaten, die USA, Frankreich und Großbritannien (auch die P3 - The Permanent Three genannt), haben diese Option diskret geprüft und auf verschiedene Arten versucht, den IStGH als ein Instrument zu benutzen, um die sudanesische Regierung in diese Richtung zu drängen. Dieser Ansatz birgt drei Hauptprobleme in sich.

(a.) Das erste Problem ist, dass der IStGH nicht dafür konzipiert ist, in dieser Weise benutzt zu werden. Die Artikel-16-Regelung war selbst nicht dazu bestimmt, vom UN-Sicherheitsrat angewandt zu werden, um seine eigenen früheren Überweisungen (von Fällen an den IStGH) zu widerrufen. Obwohl es kein legales Hindernis für den UN-Sicherheitsrat gibt, auf diese Art zu handeln, widerspricht es dem Geist des Gerichtes und dem Rom-Statut.

(b.) Zweitens ist es unklar, was die sudanesische Regierung benötigt, um die internationalen Forderungen voll und ganz zu erfüllen. Es gibt eine ernst zu nehmende internationale Unterstützergruppe von Aktivisten, zusammengeschlossen in der Save Darfur Coalition (siehe den Beitrag von Juli Flint und Alex de Waal (*)), die vehement einen Regierungswechsel fordert und dass al-Bashir vor Gericht gestellt wird. Eine Fraktion von Hardlinern innerhalb der sudanesischen Regierung glaubt, dass dies die endgültige Position der westlichen Mächte sei, und dass es sich bei allen anderen Forderungen lediglich um eine Taktik handele, um dieses Ziel leichter zu erreichen. Andere sudanesische Regierungsmitglieder suchen Kompromisse mit dem IStGH, werden aber von seiner Strategie daran gehindert. Eine Aufschiebung nach Artikel 16 dauert nur ein Jahr und viele in der sudanesischen Führung argwöhnen, dass sich die westliche Politik nicht ändert, wenn sie Zugeständnisse machen. Sie fürchten nach einem Jahr mit weiteren Forderungen konfrontiert zu werden. Aus diesem Grund sieht die sudanesische Regierung die Anwendung des Artikel 16 nicht als Lösung an, sondern fordert eine Aufhebung der Resolution 1593.

(c.) Ein wichtiger, aber vernachlässigter, Faktor ist, dass sich das politische System des Sudan in einem bestimmten Tempo bewegt, das nicht beschleunigt werden kann. Die Zeitspanne, die benötigt wird, um Resultate aufzuweisen, ist schlicht zu kurz für die P3, um die messbaren Ergebnisse zu erzielen, die sie verlangen. Wenn die gestellten Forderungen zum Beispiel eine Unterbrechung von militärischen Flügen in Darfur zum Gegenstand hätten, wäre es relativ unkompliziert, die Erlaubnis zu bekommen. Aber kompliziertes politisches Verhandeln ist ein langsamer Prozess im Sudan, der dazu neigt, zu misslingen, wenn gegen ein zu enges Zeitkorsett gearbeitet werden muss.


Reaktionen

Einige Auswirkungen des Antrags können im Sudan bereits beobachtet werden. Erhoffte oder gar befürchtete Konsequenzen sind nicht oder noch nicht eingetreten. Die gesamte politische Klasse des Sudan beschäftigt sich derzeit mit der Angelegenheit des IStGH. Die Regierung hat die UN-Missionen nicht außer Landes verwiesen. Auch hat sie keine existierenden Verpflichtungen einschließlich der CPA abgesagt. Die Regierung hat weder den Ausnahmezustand verhängt, noch die Wahlen annulliert. Sie hat keine größeren neuen Offensiven in Darfur begonnen. Wenn irgendeines der aufgezählten Dinge passieren würde, würde die Verantwortung für die Aktion direkt auf die sudanesische Regierung zurückfallen. Wenn allerdings die Regierung tatsächlich eine solche kriminelle Institution wäre, wie der Chefankläger behauptet, würde man erwarten, dass sie in einer so brutalen oder undemokratischen Art handelt.

Es wäre ein Fehler, die relativ kühle Reaktion der sudanesischen Regierung, in den sechs Monaten seit der Ankündigung vom 14. Juli 200B, als einen Hinweis darauf zu werten, dass alles so weitergeht wie bisher. Dieser Zeitraum ist dadurch gekennzeichnet, dass die NCP und andere sudanesische Parteien die Lage sondieren, sowohl im Land selbst wie auch international. Die sudanesische Regierung hat versucht, Unterstützung im UN-Sicherheitsrat zu bekommen, um eine Abstimmung über eine Verschiebung nach Artikel 16 zu erzwingen, und ist damit gescheitert. Sie hoffte darauf, hinreichende Fortschritte im Friedensprozess in Darfur zu machen, um die internationale Gemeinschaft zu überzeugen, dass es eine echte Aussicht auf Frieden gibt, die es. wert ist, verteidigt zu werden: bisher ohne Erfolg. Die NCP hat weiterhin versucht, ausreichende inländische Unterstützung von Partnern in der Regierung der nationalen Einheit zu bekommen, um eine Einheitsfront zu präsentieren: ebenfalls vergeblich.

Durch die Erkenntnis der inneren und außenpolitischen Schwäche der Regierung sind einige Oppositionskräfte, einschließlich der Parteien "Popular Congress Party" und "Justice and Equality Movement" dazu ermutigt worden, sich selbst zu nationalen Anführern eines Regierungswechsels zu ernennen, indem sie al-Bashir an den IStGH ausliefern wollen.

Die Angelegenheit kann zu einer Sache auf Leben und Tod für die Regierungsführung werden. In diesem Kontext wird die Antwort der NCP und der Führung der Sicherheitskräfte auf einen Haftbefehl von der Reaktion Dritter abhängen. Keine Eventualitäten sind ausgeschlossen. Es ist zwar möglich, dass die Dinge unverändert so weitergehen, aber das sollte nicht als selbstverständlich gesehen werden.

Es besteht tatsächlich die Möglichkeit, dass der politische Betrieb knirschend zum Stehen kommt. Das wäre eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit im Sudan, insoweit wichtige Abschlusstermine für die Implementierung der CPA näher rücken, insbesondere der Termin der nationalen Wahlen. Eine weitere Verlangsamung des politischen Prozesses könnte leicht eine Krise hervorrufen. Ein mögliches Szenario ist, dass der Haftbefehl eine Konsolidierung von Präsident al-Bashir im Amt bewirkt, und zu einem langsamen Festziehen der Schrauben für die Zivilgesellschaft, die Demokratie und für die internationalen humanitären- und Friedensbemühungen führt. Die nationalen Wahlen, die in Übereinstimmung mit der CPA geplant sind, waren ursprünglich als eine demokratische Übung angedacht, um der Regierung der Nationalen Einheit und der CPA Legitimität im Volk zu verleihen. Nun sind die Wahlen in Gefahr, zu einem rein taktischen Manöver zur Unterstützung der NCP und der Machterhaltung ihrer Führer instrumentalisiert zu werden. Wenn dies das Ergebnis der Initiative des Chefanklägers ist, wird das kein sehr beeindruckender Beitrag zu Frieden und Demokratie im Sudan sein.

Die Möglichkeit einer harschen Vorgehensweise gegen Menschenrechtsaktivisten, die politische Opposition und humanitäre Helfer ist realistisch. Die Möglichkeit, UN- und ausländische diplomatische und unterstützende Aktivitäten einzuschränken, ist gegeben. Eine neue Phase der Feindseligkeiten in Darfur ist ebenfalls denkbar, möglicherweise als Antwort auf militärisch-politische Unternehmungen der bewaffneten Bewegungen. Menschenrechtsaktivisten im Sudan sind besorgt, dass der Chefankläger einen Prozess in Bewegung gesetzt hat, der voraussichtlich zu ihrer Unterdrückung führt, wobei der IStGH keinerlei Mittel hat, die Konsequenzen einzugrenzen und sie vor der Gegenreaktion zu beschützen.


Weitere Verwicklungen

Unter einem weiteren Blickwinkel betrachtet unterminiert der Fall al-Bashir das Ansehen des IStGH in ganz Afrika. Afrikanische Staaten, die den Gerichtshof früher unterstützt haben, haben ihre Meinung geändert. Der Antrag vom 14. Juli kam im Kielwasser der Verhaftung des kongolesischen Führers Jean-Pierre Bemba während seines Brüssel-Besuches und von Haftbefehlen, die von französischen und spanischen Magistrats-Gerichten gegen ruandische Regierungsmitglieder ausgestellt wurden. Die Wahrnehmung afrikanischer Politiker und zunehmend auch die von Führungspersönlichkeiten der Zivilgesellschaft und Menschenrechtsaktivisten, dass die internationale Gerichtsbarkeit zum Werkzeug für westliche Staaten wird, um Afrika auf eine neoimperiale Weise unter ihre Kontrolle zu bringen, hat zu einer starken afrikanischen Ablehnung der universellen Gerichtsbarkeit und des ISTGH geführt. Als sich der Friedens- und Sicherheitsrat der Afrikanischen Union im September 2008 in einer geschlossenen Sitzung traf, um den IStGH-Fall Sudan zu besprechen, hat jeder einzelne Repräsentant, der dort sprach, den IStGH kritisiert.

Viele haben angegeben, zu bereuen, das Rom-Statut unterzeichnet zu haben. Nur wenige befassten sich mit dem Sudan und konzentrierten sich eher auf weiter gefasste Schlussfolgerungen in Bezug auf die Strategie des Büros des Anklägers in Afrika. Es ist undenkbar, dass ein anderer afrikanischer Staat in absehbarer Zeit einen Fall an den IStGH überweist, und sehr unwahrscheinlich, dass einer der Staaten mit dem IStGH kooperiert, um einen Haftbefehl durchzusetzen. Als Resultat könnte Afrika zur Zone werden, in der die Jurisdiktion des IStGH keine Geltung mehr hat: Das genaue Gegenteil von dem, was die Architekten des Rom Statuts und die afrikanischen Führungspersönlichkeiten verkündet haben, die den IStGH in seinen Anfängen so sehr begrüßten.


Schlussfolgerung

Ich folgere daraus, dass wenn der Chefankläger Präsident al-Bashir wegen Völkermord anklagt, und sich dabei auf die Argumente des Antrags stützt, wird er ziemlich sicher keine Verurteilung erreichen. Al-Bashir würde freigesprochen werden.

Weiterhin schlussfolgere ich, dass der Chefankläger ebenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit scheitern wird, falls er Präsident al-Bashir aufgrund von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit Hilfe des Anklagepunktes der so genannten "indirekten Täterschaft" anklagt.

Es ist bemerkenswert, dass sich der Chefankläger selbst der Gefahr des Scheiterns aussetzt, angesichts einer Regierung, die während der 19 Jahre, die sie an der Macht ist, für eine Unzahl von unaussprechlichen Menschenrechtsverletzungen, einschließlich der abscheulichsten Verbrechen nach internationalem Recht die Verantwortung trägt. Sudans erfahrenste Menschenrechtsaktivisten und seine am besten informierten Politik-Analysten sind sehr über dieses Defizit erstaunt.[...]

Die Substanz des öffentlichen Antrags grenzt die Strategie des Chefanklägers nicht ein, sollte der Fall al-Bashir jemals vor Gericht kommen. Dem Chefankläger ist immer noch die Option vorbehalten, die Anklage wegen Völkermord und die entsprechende Begründung fallen zu lassen, die in dem Antrag präsentiert wird und stattdessen eine Anklagestrategie anzuwenden, die mit höherer Wahrscheinlichkeit zur Verurteilung führt. Das könnte tatsächlich seine Intention sein. Er ist sicher hinsichtlich der Mängel seines Ansatzes beraten worden. Wenn dies allerdings die Strategie sein sollte, warum sollte der Chefankläger mit der Vorlage eines solch mangelhaften Dokumentes ein so hohes Risiko eingehen?

Es ist bemerkenswert, dass bei einer solchen Fülle von vorliegenden Beweisen und der Anzahl von möglichen und interessanten Optionen diejenigen vor Gericht zu bringen, die für die Verbrechen in Darfur verantwortlich sind, einschließlich Präsident al-Bashir, der Chefankläger die umstrittensten und am schwierigsten zu begründenden Anklagepunkte wählt. Der größte Vorteil dieser Herangehensweise ist, dass die maximale Aufmerksamkeit für den Chefankläger erreicht wird und ihn in den Mittelpunkt einer großen internationalen Kontroverse rückt. Auf der internationalen Bühne scheint Moreno Ocampo der Champion der Justiz zu sein, während sein Gegner, das Oberhaupt eines weithin geschmähten Staates, wenige glaubwürdige Fürsprecher hat. Ein Prozess von dieser Sorte wird bereits im Gerichtssaal der internationalen öffentlichen Meinung geführt. Das ist vielleicht der Ort, an dem sich der Chefankläger am wohlsten fühlt.

Der Chefankläger des IStGH hat die Hilfe der bedeutendsten internationalen Unterstützer des Gerichtshofes erzwungen, einschließlich der Vertragsparteien des Rom-Statuts und der nicht staatlichen Menschenrechtsorganisationen. Vor die Wahl gestellt, entweder den Sudan oder den IStGH zu unterstützen, wählen die meisten instinktiv den Letzteren. Eine genauere Untersuchung der Fakten des Falls in Darfur und der Anklagestrategie lässt vermuten, dass der Chefankläger nicht nur mit der Zukunft des Sudan spielt, sondern auch mit der Zukunft des Gerichtshofes. [...]

Das schreckliche Leid der Menschen in Darfur und besonders der Opfer und Überlebenden von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sollten nicht als Gelegenheit dienen, sich öffentlich auf eine Weise in Pose zu setzen, die den Menschen keine greifbaren Vorteile bringen kann und die keinerlei Aussichten auf Frieden oder Gerechtigkeit verspricht. Dem Interesse der Menschen in Darfur wird mit Sicherheit am Besten gedient, indem humanitäre Programme durchgeführt werden, Fortschritte in Richtung Frieden gemacht werden und Vorkehrungen getroffen werden, die CPA Mission durchzuführen, um den Sudan in Richtung Demokratie zu führen.


Alex de Waal ist Betreiber des SSRC Blogs Making Sense of Darfur www.ssrc.org/blogs/darfur/. Der Beitrag ist vom Januar 2009.
Bearbeitung und Kürzung: Oliver Wils.
Aus dem Englischen von Heike Rahil-Hoffmann


(*) Anmerkung der Schattenblickredaktion:
Den Beitrag von Juli Flint und Alex de Waal finden Sie im Schattenblick unter
www.schattenblick.de -> Infpool -> Recht -> Fakten ->
VÖLKERRECHT/064: Unter einem Genozid interessiert Darfur nicht! (inamo)



ZUSATZINFORMATION:

"De Waal kritisiert die Anklageschrift des IStGH in mehrfacher Hinsicht. So sieht er mit Blick auf die Anklagepunkte zum Genozid eine Reihe inhaltlicher und juristischer Probleme. Vor allem kritisiert er aber, dass die Argumentation soweit gefasst ist, dass ein Nachweis dafür kaum zu erbringen sei: "Das OTP (Büro des Anklägers) unterstellt nicht nur die Absicht des Völkermords, sondern einen zentral geplanten Völkermord. Es wäre extrem schwierig, Präsident al-Bashir auf dieser Grundlage für schuldig zu erklären."

Zudem glaubt der Autor, dass der Chefankläger mit hoher Wahrscheinlichkeit daran scheitern wird, die Verantwortung al-Bashirs an den Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen anhand des juristischen Konstrukts der indirekten Täterschaft (indirect perpetration) hinreichend belegen zu können: Anstatt mit Anklagepunkten wie "besondere Schwere der Verantwortung", "Verschwörung" oder "Bildung einer kriminellen Vereinigung" zu argumentieren, hat der Chefankläger entschieden, einen gewagten und neuartigen Hauptanklagepunkt zu verfolgen und zwar 'die indirekte Täterschaft'. "Es ist nicht klar, welche Beweise der Chefankläger vorlegen muss, um diese Anklage unanfechtbar zu machen. Den Antrag auf Haftbefehl begründet das OTP damit, dass al-Bashir die totale Kontrolle über jede relevante Institution des Staates, hat. Das wird aber weder durch die vorgelegten Beweise bestätigt, noch von früheren Anklagestrategien unterstützt." (Redaktion)


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Inhaltsverzeichnis - inamo Nr. 57, Sommer 2009

Gastkommentar - Ein Turban tragender Militärdiktator: absurd, aber..., von Bahman Nirumand

Sudan
- Bilanz: 20 Jahr unter al-Bashir, von Mohamed Mahmoud
- Machtstrukturen und politische Lager, von Annette Weber
- Vier Jahr nach dem Comprehensive Peace Agreement (CPA), von Maria Peters
- Wahlen 2010, von Roman Deckert
- Unter einem Genozid interessiert Darfur nicht! Von Julie Flint und Alex de Waal
- Der Internationale Strafgerichtshof und Darfur: Wie störend ist Gerechtigkeit?,
   von Annette Weber und Denis M. Tull
- Eine Kritik am Haftbefehl gegen Omar al-Bashir, von Alex de Waal
- Warum nutzt der Sudan nicht sein Entwicklungspotenzial? Von Anja Dargatz
- Ausdruck des Wandels: Die Beziehungen China - Sudan, von Daniel Large

Iran
- 30 Jahr Islamische Revolution: Fortschritt, Rückschritt, Stillstand,
   von Mohssen Massarrat
- Youtubing Teheran. Für eine Ethik des Betrachtens, von Patricia Edema

Libanon
- Hisbullah nach Doha: Neue Ära? Neue Politik? Von Manuel Samir Sakmani

Israel/Palästina
- Israel, Südafrika und Apartheid, von John Dugard
- 60 Jahre Nakba: Von ethnischer Säuberung zur Dekolonisierung?
   Von Ali Fathollah-Nejad

Wirtschaftskommentar
- Konjunkturspritze aus dem Morgenland, von Barik Schuber

Zeitensprung
- Juli 1908: Konstitutionelle Revolution im Osmanischen Reich, von Vangelis Kechriotis

Literatur
- Zwischen Politik und Zimtaroma: Die Autorin Samar Yasbek, von Amall Breijawi-Mousa
- Lehm, von Samar Yazbek
- Der Andere, von Hamid Fadlallah
- Fertiges Szenario, von Mahmud Darwish

Ex Libris
- Johannes M. Becker, Herbert Wulf (Hg.), Zerstörter Irak - Zukunft des Irak,
   von Werner Ruf

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Quelle:
INAMO Nr. 57, Jahrgang 15, Sommer 2009, Seite 29 - 33
Berichte & Analysen zu Politik und Gesellschaft des Nahen und
Mittleren Ostens
Herausgeber: Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2009