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DILJA/181: "Deal" - Absprachen im Strafprozeß zulasten der Angeklagten (SB)


Baden-Württembergs Justizminister Goll propagiert den "Deal" im Strafprozeß

Verfahrensabsprachen entlasten die Ankläger von der Beweispflicht


Auf dem 29. Triberger Symposium des baden-württembergischen Justizministeriums forderte der Justizminister des Landes, Ulrich Goll (FDP), am vergangenen Freitag eine gesetzliche Regelung für die bereits bestehende Praxis von sogenannten Verfahrensabsprachen in Strafprozessen. "Eine solch substantielle Sache wie der Deal gehört ins Gesetz", so Goll in Triberg. Sollte dieser Vorstoß aus Baden-Württemberg tatsächlich umgesetzt werden, droht eine weitere Zuspitzung der Verhältnisse im deutschen Strafrecht.

Ein solcher "Deal" bedeutet, daß gegen einen Angeklagten kein (volles), das heißt durch ein Urteil abgeschlossenes Strafverfahren durchgeführt wird, sondern daß sich die Verfahrensbeteiligten, im wesentlichen also Verteidigung und Staatsanwaltschaft, im Vorwege einigen und daß das Verfahren durch diese Absprache abgekürzt bzw. beendet wird. In aller Regel bzw. der bereits gängigen Praxis bedeutet dies, daß der oder die Angeklagten die ihnen zugelastete Schuld anerkennen und auf dieser Basis im engeren oder weiteren Sinn eine Strafe akzeptieren müssen, von der sie glauben, daß sie glimpflicher ausgefallen wäre als bei einem regulär bis zum Ende durchgeführten Strafprozeß.

Ein solcher "Deal" kann auf keinen Fall unter gleichberechtigten Partner oder auch Gegenspielern ausgehandelt werden, auch wenn es zu den Postulaten des deutschen Strafrechts gehört, grundsätzlich von einer Waffengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung auszugehen. Wenn also ein Staatsanwalt zu einem Strafverteidiger im Vorfeld der eigentlichen Verhandlung sagt, daß dessen Mandant, wenn der Prozeß durchgeführt werden würde, nicht mit einer Strafe von unter drei Jahren davonkommen würde, er ihm aber folgendes Angebot machen könne, dann tritt die dem Konstrukt eines solchen Deals zugrundeliegende fundamentale Schieflage bereits offen zu Tage. Die Ankläger können, da sie die Ankläger sind, mit hohen Strafanträgen ihrerseits drohen, ohne daß die Verteidiger dieser Androhung je etwas Gleichrangiges entgegenzusetzen haben könnten.

Wenngleich Strafverteidiger natürlich wissen, daß ein Staatsanwalt ebensowenig wie sie selbst das zu einem späteren Zeitpunkt womöglich verhängte Urteil kennen und insofern eigentlich gar nicht drohen kann, versteht es sich aufgrund der Tatsache, daß sich der Staat als Ankläger ohnehin in der stärkeren Position befindet und die Anklagebehörden einen weitaus größeren Einfluß auf die angeblich unabhängige Urteilsfindung haben als die Verteidigung, eigentlich von selbst, daß sie bei einem solchen Deal am längeren Hebel sitzen würden. Sie ziehen aus Verfahrensabsprachen, so wie sie derzeit an deutschen Gerichten bereits üblich sind, einen für sie entscheidenden Vorteil: Sie müssen keinen Schuldnachweis mehr erbringen. Sofern kein Geständnis des oder der Angeklagten vorliegt, stellt diese Tatsache die Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden vor mitunter immense Probleme, was in einem demokratischen Rechtsstaat mit einer Strafjustiz, die sich den aus der Verfassung abgeleiteten Verfahrensgrundsätzen verpflichtet sieht, auch gar nicht anders sein dürfte.

Ein solcher Strafprozeß erfordert in aller Regel, also wenn kein Geständnis vorliegt, einen materiellen Schuldnachweis durch Beweismittel, Zeugenaussagen etc. Dabei liegt im klassischen demokratischen Rechtsverständnis die Beweislast vollständig und ausschließlich bei der Anklagebehörde schon allein deshalb, weil aus formallogischen Gründen gar nicht bewiesen werden kann, daß eine Tat nicht begangen wurde. Desweiteren - und es ist schon bezeichnend für die Entdemokratisierung des deutschen Strafrechts, daß daran überhaupt erinnert werden muß - wurde der Grundsatz "in dubio pro reo" (Im Zweifel für den Angeklagten) im deutschen Rechtssystem verankert. Auch dies ist aus der Verfassung unmittelbar abzuleiten, da schon die Grundrechte ein Willkürverbot enthalten. Würden Verurteilungen, die in aller Regel massivste Repressionen wie freiheitsentziehende Maßnahmen für die Angeklagten nach sich ziehen, trotz ungeklärter Faktenlage erfolgen, wären dies Merkmale eines offen totalitären Regimes. Der von Goll vorgebrachte Vorschlag, den Deal auf eine gesetzliche Basis zu stellen (und damit auszuweiten), würde bei seiner Umsetzung bedeuten, daß über das in der Praxis bereits vollzogene Maß hinaus die Axt an solche Grundpfeiler des bundesdeutschen Strafrechtssystems angelegt werden würde.

Goll behauptet, daß solche Verfahrensabsprachen "nicht unanständig" seien, sondern den "legitimen Interessen der Verfahrensbeteiligten" dienten. Dem ist vehement zu widersprechen, denn aus den genannten Gründen liegen die Vorteile eines solchen Konstrukts allein auf der Seite der Ankläger und damit des Staates. Der betroffene Bürger, der sich einem drohenden Strafverfahren ausgesetzt sieht, wird in aller Regel angesichts eines ihm angedrohten größeren Unheils das für ihn mildere bevorzugen. Angst und Erpressung wären die Folge, wo einst zumindest der Anspruch erhoben wurde, der "Wahrheitsfindung" verpflichtet zu sein.

Die zuständigen Staatsanwaltschaften würden ihr ganzes Geschick darauf ausrichten, möglichst glaubwürdige, das heißt angsteinflößende Anklagen aufzubauen, verknüpft mit massiven Strafandrohungen, um dann einen vermeintlichen Ausweg aus dem Dilemma anzubieten in Gestalt einer demgegenüber geringfügigeren "Absprache". Im Interesse der Angeklagten kann ein solcher Deal nicht liegen, zumal die für die Ermittlungs- und Anklagebehörden eigentlich bestehende Verpflichtung, Strafanträge auf der Basis einer zumindest ihrer Ansicht nach beweisfähigen Faktenlage zu stellen, erheblich reduziert werden bzw. wegfallen würde. Von einer Verteidigung im klassischen Sinn kann dann ebenfalls nicht mehr die Rede sein, weil auf materiellrechtlicher Ebene gar nicht mehr argumentiert und gegenargumentiert werden kann. Das Geschäft mit der Angst, sprich die Androhung schlimmster Sanktionen, ersetzt dann den und sei es dem äußeren Anschein nach unternommenen Versuch, den Nachweis einer Straftat zu erbringen.

17. November 2008



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