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DILJA/185: "Verständigung" im Strafverfahren zu Lasten angeklagter Menschen (SB)


Bundestag berät über Gesetzentwurf zur "Verständigung im Strafverfahren"

Dammbruch im Strafrecht - Strafandrohungen ersetzen den faktischen Schuldnachweis


Am gestrigen Donnerstag beriet der Bundestag in 1. Lesung über einen vom Bundesjustizministerium vorgelegten und am 21. Januar 2009 bereits im Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf, der "Verständigungen im Strafverfahren" auf eine gesetzliche Basis bringen soll. Das Gesetzesvorhaben, das nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf und noch in der laufenden Legislaturperiode vom Bundestag verabschiedet werden soll, enthält einer Pressemitteilung des Bundesjustizministeriums [1] zufolge "klare gesetzliche Vorgaben zu Verfahren, Inhalt und Folgen von Verständigungen", wodurch es "Rechtssicherheit, Transparenz und eine gleichmäßige Rechtsanwendung durch die gerichtliche Praxis" gewährleistet. Schon der Begriff "Verständigung" muß Argwohn hervorrufen und wirkt in diesem Zusammenhang eigentlich vollkommen deplaziert. In einem Strafverfahren stehen sich der Theorie nach mit Staatsanwaltschaft, dem Gericht sowie gegebenenfalls der Verteidigung drei Parteien mehr oder minder diametral gegenüber, und es ist gewiß kein Zufall, daß der oder die Menschen, über die hier "verhandelt" wird, in dieser Aufzählung überhaupt nicht vorkommen.

Der oder die Angeklagte(n) haben sich vor Gericht zu verantworten. Ihnen werden von seiten der Staatsanwaltschaft, einer weisungsgebundenen und keineswegs als eigenständige juristische Instanz konzipierten Behörde Straftaten zur Last gelegt, über deren Wahrheitsgehalt - wiederum dem propagierten Rechtsverständnis zufolge - vor Gericht verhandelt wird. Nach dem Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" darf ein Schuldspruch und damit eine Bestrafung nur erfolgen, wenn die vorgeworfene Tat in der Hauptverhandlung zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte oder ein glaubwürdiges Geständnis vorliegt. So banal, wie sich dies anhört, ist die Realität bundesdeutscher Gerichtsverfahren jedoch nicht. Mit Anklage und dem Gericht als der eigentlichen, von der Verfassung her als unabhängig konzipierten und nur an Gesetz und Verfassung gebundenen Instanz, stehen den Angeklagten zwei Säulen ein und derselben Staatsgewalt gegenüber, deren Interessenausrichtung keineswegs weit auseinanderliegen kann, da selbstverständlich auch die Richterschaft sich kraft ihres Amtes und der ihnen übertragenen Aburteilungskompetenz berufen fühlt, die Interessen des Staates zu wahren.

Die "Waffengleichheit", die angeblich zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung besteht, ist eine Fiktion, die zur Akzeptanz der bundesdeutschen Strafgerichtsbarkeit beitragen soll, jedoch einer realen Basis entbehrt. Da sich der oder die Angeklagten gegenüber dem Staat vor Gericht in einer von vornherein schwächeren Position gegenüberstehen, können auch ihre jeweiligen Interessenvertreter nicht plötzlich auf gleicher Augenhöhe mit - oder vielmehr gegeneinander verhandeln. Der oder die Beschuldigten können ebensowenig wie ihre Vertreter vor Gericht die Gegenseite beschuldigen oder ihr wie auch immer geartete und mit welchen Sanktionen auch immer behaftete Vorwürfe machen. Die Bezichtigungslage ist vollkommen einseitig. Im günstigsten Fall, sprich wenn den Anklägern der geforderte Schuldnachweis vor Gericht nicht in dem Maße gelingt, daß das Gericht die Schuld auch tatsächlich dem oder den Angeklagten zulastet, kann für diese nicht mehr als ein Freispruch herausspringen.

Vor diesem Hintergrund erscheint der Nutzen eines Gesetzes, das erklärtermaßen die "Verständigung" in Strafverfahren regeln will, höchst fragwürdig. Das Bundesjustizministerium führte in seiner Pressemitteilung [1] folgende Argumentationen an, um den von ihm postulierten "Handlungsbedarf" plausibel zu machen:

Die Verständigung in Strafverfahren ist bislang gesetzlich nicht geregelt. Bei dieser Verfahrensweise versuchen das Gericht und die weiteren Verfahrensbeteiligten - vor allem Staatsanwaltschaft, Angeklagter und Verteidigung, aber auch der Nebenkläger - sich über den Verlauf des Verfahrens und über dessen Ausgang zu verständigen. Der Bundesgerichtshof hat solche Absprachen für grundsätzlich zulässig erklärt und vor dem Hintergrund der hohen Belastung der Justiz diese verfahrensökonomische Art der Erledigung als unerlässlich bezeichnet. Auch unter dem Gesichtspunkt des Zeugen- und Opferschutzes sind Verständigungen eine berechtigte Alternative auf dem Weg zu einem gerechten Urteil, wenn auf eine vor allem für das Opfer psychisch belastende Beweisaufnahme verzichtet werden kann. Voraussetzung für die Zulässigkeit von Absprachen ist jedoch, dass die grundlegenden Prinzipien des deutschen Strafprozesses und des materiellen Strafrechts eingehalten werden. Zustandekommen und Ergebnis einer Verständigung müssen sich am Grundsatz des fairen Verfahrens, der Pflicht des Gerichts zur umfassenden Ermittlung der Wahrheit sowie an einer gerechten und schuldangemessenen Strafe orientieren. In seiner Grundsatzentscheidung vom 3. März 2005 hat der Große Strafsenat des Bundesgerichtshofs wesentliche Leitlinien zur Zulässigkeit von Absprachen festgelegt, gleichzeitig jedoch betont, dass die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung erreicht sind.

Begrüßenswert ist hierbei, daß das Wort "Verständigung" durch den Begriff "Absprachen" ersetzt bzw. veranschaulicht wurde. Die Tatsache, daß es solche Absprachen im Strafverfahren bislang zwar gab, jedoch nicht auf gesetzlicher Grundlage, spricht für sich und sollte eigentlich Fragen nach den Gründen aufwerfen. Dem Wort Absprachen haftet völlig zu Recht der Ruch von Kungeleien hinter verschlossenen Türen an, und gerade angesichts des Zumwinkel-Skandals werden viele argwöhnen, daß es hier "Absprachen" jenseits der eigentlichen Hauptverhandlung gegeben haben könnte mit dem Ergebnis, daß sich der ehemalige Postchef freikaufen oder irgendwie sonst zu einem für ihn besonders milden Urteil kommen konnte. Die daran entzündete allgemeine Empörung über die darin gewiß nicht grundlos zu vermutende Ungerechtigkeit gegenüber vielen anderen Angeklagten, die keineswegs imstande sind, vergleichbare Vergünstigungen für sich zu erwirken, scheint eine hochwillkommene Welle zu sein, um ein Gesetzesvorhaben durch den Bundestag zu bringen, durch das die Lage angeklagter Menschen eindeutig verschlechtert wird.

Es droht nun auch in Deutschland eine "Amerikanisierung" des Strafrechts; soll heißen, eine Ausweitung des Bereichs, in dem durch bloße Strafandrohung und zugleich in Aussicht gestellte Vergünstigungen ein Spiel mit Schuld und Unschuld betrieben wird, das für die Betroffenen alles andere als ein Spiel ist. Mehr und mehr kommt es vor Gericht auf das Wohlverhalten der oder des Angeklagten an mit der Folge, daß der tatsächliche Nachweis der ihnen zur Last gelegten Straftat an Relevanz verliert. Strenggenommen dürfte bei der Frage der Schuld - nicht bei der Strafzumessung - das Verhalten des oder der Angeklagten vor Gericht überhaupt keine Rolle spielen, weil es einzig und allein um die Frage gehen müßte: Ist die Tat zu beweisen oder nicht?

Daß der Bundesgerichtshof Absprachen, die überhaupt nicht zu treffen wären, wenn ein den rechtlichen Ansprüchen genügender Schuldnachweis vor Gericht gelänge, grundsätzlich für zulässig erklärt hat, ändert nichts an der Tatsache, daß hier der Boden bereitet wird für eine Strafjustiz, bei der sich angeklagte Menschen unter der Androhung unter Umständen hoher Strafen bereiterklären oder vielmehr gezwungen sehen, mit dem Gericht zu kooperieren. "Verständigung" besagt nichts anderes, als daß der oder die Beschuldigten die Wahl zwischen einem größeren und einem kleineren Übel haben. In den USA ist es bereits gängige Praxis, Angeklagte mit immensen Anklagen, etwa wegen gleich mehrerer Straftaten, weichzukochen und ihnen dann einen Handel anzubieten, bei dem zwei Anklagepunkte fallengelassen werden und die verbliebenen zu einer vergleichsweise kürzeren Haftstrafe zusammengezogen werden, so sie kooperieren - und dies wiederum bedeutet nichts anderes, als daß sie sich selbst für schuldig erklären, um der noch größeren Androhung zu entgehen.

Der Grundgedanke des nun in 1. Lesung im Bundestag verhandelten Gesetzes zur Regelung der "Verständigung" im Strafverfahren wird im Kern auf dasselbe Prinzip von Androhung, Belohnung und Bestrafung hinauslaufen. Dabei ist es schon sehr verräterisch, daß das Bundesjustizministerium - mit Verweis auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes - damit argumentiert, daß "vor dem Hintergrund der hohen Belastung der Justiz diese verfahrensökonomische Art der Erledigung" unerläßlich sei. Wenn es sich so verhalten sollte, daß die Gerichte überlastet sind und der Flut von Strafverfahren nicht mehr Herr werden können, wäre doch die einzig logische Schlußfolgerung, weitere Gerichte einzurichten, bis das Arbeitspensum bewältigt werden kann. Wenn bei einem solchen Gesetzesvorhaben mit einer solchen Sachzwangslogik argumentiert wird, spricht das für sich bzw. gegen das Gesetz.

Dem Entwurf zufolge dürfen nur die Rechtsfolgen, also im wesentlichen das Strafmaß, Gegenstand einer solchen Verständigung sein, nicht jedoch der Schuldspruch selbst. Doch wie soll das überprüft werden können, zumal, wie der Pressemitteilung des Bundesjustizministeriums [1] unter dem Stichwort "Transparenz" zu entnehmen ist, "Gespräche", die außerhalb der Hauptverhandlung geführt werden, durch die eine Verständigung vorbereitet wird", keineswegs ausgeschlossen sind:

Eine Verständigung kann nur in öffentlicher Hauptverhandlung zustande kommen. Dies schließt nicht aus, dass außerhalb der Hauptverhandlung Gespräche geführt werden, durch die eine Verständigung vorbereitet wird. Nach dem Gesetzentwurf ist der Vorsitzende des Gerichts verpflichtet, darüber Transparenz herzustellen, indem er in öffentlicher Hauptverhandlung mitteilt, ob und ggf. mit welchem Inhalt solche Gespräche stattgefunden haben. Um die Geschehnisse bei einer Verständigung umfassend zu dokumentieren, muss das Gericht den wesentlichen Ablauf einschließlich etwaiger Vorgespräche außerhalb der Hauptverhandlung, den Inhalt und das Ergebnis einer Verständigung protokollieren. Damit wird vor allem sichergestellt, dass Absprachen im Revisionsverfahren vollständig überprüft werden können.

Passagen dieser Art sind geeignet, den Verdacht wachzurufen, daß das Ministerium hier mit seinen Darlegungen der zu erwartenden Kritik vorbauen und den Wind aus dem Segeln nehmen wollte. Wer angesichts der Zumwinkel-Affäre nun glaubt, daß mit einem solchen Gesetz derartigen "Mauscheleien" entgegengetreten werden würde, weil fürderhin alles "transparent" gemacht werden müsse, verkennt vollkommen, daß der Anstrich einer Transparenz die umso bessere Tarnung für Absprachen darstellen könnte, die von den Betroffenen als pure Erpressung und Nötigung erlebt werden könnte. Ihnen könnten durch die Androhung noch höherer Strafen Zugeständnisse abgerungen werden, die bis hin zu (falschen) Geständnissen nicht begangener Straftaten reichen könnten, zu denen Menschen sich im Zuge dieses neues Gesetzes und seiner Anwendungspraxis aus Angst vor der noch größeren Keule möglicherweise verleitet sehen.

[1] Zitiert aus: "Bundestag befasst sich mit Gesetzentwurf zur Verständigung in Strafverfahren", Pressemitteilung des Bundesministeriums der Justiz vom 29. Januar 2009, im Schattenblick in RECHT\FAKTEN unter: STRAFRECHT/365: Bundestag befaßt sich mit Entwurf zur Verständigung in Strafverfahren (BMJ)

30. Januar 2009



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