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DILJA/201: Die drohende Hinrichtung Mumia Abu-Jamals ist ein Angriff gegen links (SB)


Steht der langvorbereitete Justizmord an Mumia Abu-Jamal kurz bevor?

Ein deutsches Nachrichtenmagazin versucht, die europäische Haltung gegen die Todesstrafe aufzuweichen


Mumia Abu-Jamal sagt, er hat den Polizisten Daniel Faulkner, der am 9. Dezember 1981 in Philadelphia starb, nicht erschossen. Die Ankläger der Stadt jedoch und mit ihnen eine verschworene Gemeinschaft, die den politisch streitbaren US-Bürger liebend gern tot sehen würde, vertreten die gegenteilige Auffassung und wollen nach 28 Jahren, die der weltweit wohl populärste Todesstrafenkandidat seitdem in Haft bzw. der Todeszelle verbringen mußte, nun die Hinrichtung. Alle bisherigen Versuche der Verteidiger, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erzwingen, nur um eine juristisch tragfähige Möglichkeit zu schaffen, die zahllosen kriminologischen Widersprüche und Verfassungsbrüche sowie die vielen, vielen Hinweise und Anzeichen auf massivste Zeugenbeeinflussungen und -einschüchterungen zu klären, sind gescheitert. Seit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes der USA vom 6. April dieses Jahres ist definitiv ausgeschlossen, daß der "Fall" Mumia Abu-Jamal jemals wieder vor einem US-Gericht verhandelt werden kann.

Die einzige Entscheidung, die die US-Justiz in diesem Fall noch fällen wird, und das womöglich in naher Zukunft, ist die, ob über das Strafmaß - Todesstrafe oder lebenslänglich - neu verhandelt werden muß oder ob das 1982 verhängte Todesurteil sofort vollstreckt werden kann. Mit anderen Worten: Vor dem Mumia Abu-Jamal drohenden Justizmord steht juristisch gesehen nur noch eine hauchdünne Hürde in Gestalt einer letzten Entscheidung des höchsten US-Gerichts, das bereits die Neuverhandlung mit Erfolg verhindert hat. Die letzten beiden Hinrichtungstermine konnten 1995 und 1999 nicht zuletzt dank einer internationalen Mobilisierung und weltweiten Protestbewegung gestoppt werden. Damals war im Unterschied zu heute der Instanzenweg noch nicht bis zum Letzten ausgeschöpft; und so stellen die zu erwartenden weltweiten Proteste den einzigen Schutz dar, der Mumia Abu-Jamal vor der Ermordung durch die US-Justiz gegebenenfalls noch bewahren könnte.

Die Todesstrafe, die in den USA, dem wohl engsten Verbündeten der EU-Staaten, in vielen Bundesstaaten nach wie vor verhängt und vollstreckt wird, stellt eine völlige Unvereinbarkeit mit den Normen und Wertvorstellungen dar, die das "alte Europa" für sich beansprucht und mit denen die EU ihre eigenen Weltmachtsambitionen unter anderem zu begründen sucht. Der krasse Widerspruch, mit einer Weltmacht, die das in Europa als unangreifbar postulierte Recht auf Leben durch staatlich lizensierten Mord, sprich die Todesstrafe, systematisch aufs Gröbste verletzt, in engster Tuchfühlung zu stehen, ohne dies auch nur der Erwähnung für wert zu befinden, findet seine Fortsetzung in einer Medienberichterstattung, die gleichermaßen mit den Wölfen heult. Nicht von ungefähr werden die Proteste gegen die Todesstrafe im allgemeinen und die drohende Hinrichtung bzw. fortgesetzte Inhaftierung Mumia Abu-Jamals in Europa von einer kritischen Öffentlichkeit geleistet, die durchaus auch Regierungsstellen in Erklärungsnöte zu bringen imstande ist.

Die juristischen Implikationen dieses "Falles" sind von seiten der Todesstrafengegner und Mumia-Unterstützer so mannigfaltig dokumentiert und veröffentlicht worden, daß für jeden Interessierten umfangreiche Werke zur Verfügung zu stehen, um sich mit den Einzelheiten dieser nahezu unglaublichen Geschichte vertraut zu machen [1]. Wer glaubt, hier stünde Aussage gegen Aussage, die These von der Schuld würde auf gleicher Augenhöhe wie die der Unschuld vertreten werden können, irrt jedoch in einem entscheidenden Punkt: Der Justizapparat der USA wehrt sich in allen Instanzen und mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln dagegen, die Argumente der Gegner wie Befürworter überhaupt noch einmal in einer öffentlichen Verhandlung vor Gericht zur Sprache bringen zu lassen. Wenn Mumia Abu-Jamal den Polizistenmord begangen hätte, für den er hingerichtet werden soll, warum besteht dann unter den Anhängern der Mordthese eine so große Angst, die ganze Geschichte noch einmal ganz von vorne aufzurollen? Für diese Haltung gibt es selbstverständlich handfeste Gründe.

Da zu erwarten stünde, daß es zu einer Protestwelle gegen die Hinrichtung Abu-Jamals, sollte ein neuer Termin festgesetzt werden, insbesondere auch in den europäischen Staaten kommen würde, scheint das Nachrichtenmagezin "Der Spiegel" die Auffassung zu vertreten, propagandistische Vorarbeit leisten zu wollen, um etwaigen Protesten im Vorwege den Wind aus den Segeln zu nehmen und für die Tötung des weltweit bekannten afroamerikanischen Journalisten eine gewisse Akzeptanz zu schaffen. So veröffentlichte "Der Spiegel" am 24. August einen Artikel seiner Washington-Korrespondentin Cordula Meyer [2], der mit folgenden, die Hinrichtung quasi vorwegnehmenden Worten eingeleitet wurde:

Der als Polizistenmörder verurteilte schwarze Autor Mumia Abu-Jamal ist der berühmteste Todeskandidat der Welt. Linke verehren ihn, die Witwe Maureen Faulkner aber kämpft für ihre Wahrheit. Nun sieht es so aus, als würde sie gewinnen.

Linke stehen demnach gegen eine einsame und verzweifelte Witwe... Den Begriff "Linke" verwendet die Spiegel-Korrespondentin mit Bedacht, um ein spezifisches Bild von all den Menschen zu zeichnen, die sich dem drohenden Justizmord an Mumia Abu-Jamal widersetzen oder dies noch tun könnten, sollte der Oberste Gerichtshof der USA, der seine Arbeit nach den Gerichtsferien am 29. September wieder aufgenommen hat und der am 9. April den umfangreich begründeten Antrag auf eine Neuverhandlung mit den knappen Worten "Antrag abgelehnt" verhindert hat, es ebenso schnell ablehnen, daß vor einem Gericht in Philadelphia über das Strafmaß - wohlbemerkt nur über das Strafmaß, also die Frage: Todesstrafe oder lebenslänglich - neu verhandelt werden muß. Sollte dieser "worst case" eintreten, könnte Ed Rendell, der jetzige Gouverneur von Pennsylvania und frühere Bürgermeister von Philadelphia, der als Staatsanwalt selbst gegen Abu-Jamal ermittelt hat, sofort einen Hinrichtungstermin ansetzen.

Meyers Artikel beruht auf einem nahezu einfältigen und in journalistischer Hinsicht die Autorin wie auch den "Spiegel" bloßstellenden Ansatz. Die darin aufgestellten Behauptungen stimmen im Kern mit einem in den USA herausgebrachten Machwerk "Murdered by Mumia" (von Mumia ermordet) überein, in dem durch Lügen, Auslassungen und Verdrehungen auf dem Feld veröffentlichter und "gemachter" Meinungen das Terrain für den Justizmord an Mumia Abu-Jamal bereitet werden soll. Zur Widerlegung und Klarstellung der angeblich in diesem Buch vorgebrachten Argumente sei an dieser Stelle auf die höchst empfehlenswerte Arbeit des US-amerikanischen Partisan Defense Committee (PDC), einer Schwesterorganisation des Komitees für soziale Verteidigung (KfsV), hingewiesen, deren deutsche Übersetzung unter dem Titel "Murdered by Mumia: Grosse Lüge im Dienste des staatlichen Lynchmords" ins Internet gestellt wurde [3].

Die Spiegel-Korrespondentin stellt in ihrem Artikel die Behauptung auf, Abu-Jamals Verurteilung sei aufgrund "unwiderlegbarer Fakten" erfolgt, wobei sie sich auf einen anderen Journalisten beruft ganz so, als könnte dies die Plausibilität ihrer These erhöhen [2]:

Der schwarze Kolumnist Chuck Stone, Kommentator der "Philadelphia Daily News", schrieb nach dem Urteil, Abu-Jamal habe gegen drei Dinge ankämpfen müssen: "1. er ist schwarz, 2. die Justiz ist voreingenommen, 3. er hat keinen Millionär als Vater." Aber nicht deswegen sei er schuldig gesprochen worden, so Stone. "Was den talentierten ehemaligen Journalisten überführte, war eine Fülle unwiderlegbarer Fakten."

Noch einmal: Wenn es tatsächlich eine "Fülle unwiderlegbarer Fakten" gäbe, warum wehrt sich die amerikanische Justiz durch alle Instanzen und Bundesgerichte hindurch bis zum Obersten Gerichtshof gegen deren Neuverhandlung? Dafür gibt es nur eine einzige plausible Erklärung: Die Tatsachen, Indizien, Beweise, Zeugenaussagen oder auch -widerrufe, die in einem solchen Verfahren unweigerlich an die Öffentlichkeit gelangen würden, müssen ein solches politisches Potential zum Nachteil der Stadt Philadelphia und ihrer Polizei, des Bundesstaates Pennsylvania oder auch der USA insgesamt in sich tragen, daß dies den Entscheidungsträgern in den entsprechenden Gremien einen Justizmord wert zu sein scheint.

Vor diesem Hintergrund jenseits der Justiz, die sich in diesem Fall schlicht verweigert, in die "Beweisaufnahme" einzusteigen, um die zahlreichen Falschinformationen, Verdrehungen, Entstellungen und Auslassungen, die in einschlägigen Medien zirkulieren, die die Justizmordkampagne propagandistisch begleiten, ist eine unverzichtbare Arbeit, um die politischen Zusammenhänge offenzulegen und nachzuweisen. Sie reicht jedoch beileibe nicht aus, weil auf Seiten derer, die auf die Hinrichtung eines politisch höchst unliebsamen Journalisten und Aktivisten hinarbeiten, selbstverständlich kein Informationsdefizit besteht. Cordula Meyer und mit ihr der "Spiegel" haben sich nun schon vor Wochen aufgemacht, die Solidaritätsbewegung für Mumia Abu-Jamal, die in ihrem Kampf selbstverständlich die Todesstrafe als solche bekämpft und nicht nur das Leben, sondern auch die Freilassung Abu-Jamals erreichen will, auf leisen Sohlen zu diskreditieren. So wird, was zunächst durchaus positiv in bezug auf Mumia Abu-Jamal aufgefaßt werden könnte, über diesen folgendes gesagt [2]:

Mumia Abu-Jamal ist der berühmteste Todeskandidat der Welt. Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu besuchte ihn im Gefängnis, der Schriftsteller Salman Rushdie setzt sich für ihn ein, auch Oscar-Gewinnerin Susan Sarandon. In Paris ist er Ehrenbürger.

Mit anderen Worten: Unter seinen Unterstützern befinden sich Menschen, die auch in den Zentren der sogenannten Internationalen Gemeinschaft einen moralisch denkbar guten Ruf genießen und schwerlich als was-auch-immer diskreditiert werden können. Deshalb muß, so zumindest lautet die zwischenzeilige Botschaft der Spiegel-Korrespondentin, ihr Standpunkt noch lange nicht ernstgenommen werden, schließlich können sich auch integre Persönlichkeiten einmal irren - vielleicht, weil sie die (angeblich) "unwiderlegbaren Fakten" nicht kennen? In der weiteren journalistischen Wühlarbeit wird die "globale Linke" aufs Korn genommen, die, man möge es ihr nachsehen, nun einmal einen Faible für Idole, Wunschfiguren und Teddybären hat [2]:

Mumia ist eine globale Marke. Es gibt sogar Teddybären mit seinem Konterfei. Er gilt für die globale Linke als Symbol, sein Foto mit dem strahlenden Lachen ist eine Ikone wie das Bild von Che Guevara, millionenfach gedruckt auf T-Shirts und Protestplakaten.

Er eignet sich als Galionsfigur für Protestbewegungen gegen die Todesstrafe, gegen Rassismus, gegen Unrecht im US-Justizsystem, gegen Globalisierung, gegen alles, was Linke weltweit an Amerika hassen. Ein politischer Gefangener, ein schwarzer Aktivist, der Amerikas Rassismus anprangerte und dem die Polizei deswegen einen Mord an einem Polizisten anhängte - diese Geschichte glauben viele. Die Wahrheit aber verschwindet hinter der Legende.

Die "Linke", noch dazu "weltweit", wird entweder ein wenig lächerlich gemacht oder in den Ruch gestellt, die "Geschichte" von dem Mumia Abu-Jamal von der Polizei angehängten Mord zu glauben, weil sie ohnehin "Amerika hassen". Eine ernsthafte Diskussion dieser Anwürfe und Plattheiten erübrigt sich, da dies noch einer Aufwertung dessen gleichkäme, was der Spiegel mit diesem Artikel loszutreten versucht hat. Unverkennbar ist gleichwohl das Bestreben, einen inhaltlichen Kontext zwischen dem 1982 für einen Polizistenmord - zu dem ein anderer Mann bereits vor zehn Jahren in einer eidesstattlichen Erklärung ein volles Geständnis [4] abgelegt hat, ohne daß dies je zu offiziellen Ermittlungen geführt hätte - zum Tode verurteilten Mumia Abu-Jamal und der kritischen Öffentlichkeit innerhalb der USA wie auch weltweit herzustellen. Ihre Proteste haben 1995 und 1999 die seinerzeit bereits angesetzten Hinrichtungen (mit) verhindert.

Sollte es bei dem nun, wie zu befürchten steht, kurz bevorstehenden erneuten Versuch, die Hinrichtung, gegen die es bei einer abschlägigen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zu der Frage, ob über das Strafmaß neu verhandelt werden müsse, keine Berufungsmöglichkeit mehr gibt, durchzusetzen, abermals zu massiven weltweiten Protesten kommen, könnten diese eine Schwelle überschreiten, ab der "der Fall Mumia Abu-Jamal" durchaus auch für die Obama-Administration relevant werden könnte, weil schon an dieser Stelle das um die Person des neuen Amtsinhabers herum so sorgfältig aufgebaute Gutmenschen-Image und Versprechen auf einen Wandel von was-auch-immer zu was-auch-immer ins Wanken geraten könnte. Massive öffentliche Proteste insbesondere in den europäischen NATO-Partnerstaaten, von denen die USA eine noch stärkere Beteiligung am Afghanistan-Krieg verlangen, könnten deren Regierungen dazu verleiten - und sei es, um vor der eigenen Bevölkerung ihre Menschenrechts-Gesichter zu wahren -, in Washington um einen Hinrichtungsaufschub für Mumia Abu-Jamal oder gar eine gerichtliche Überprüfung seines Falles zu bitten.

Kurzum: Aus Sicht derer, die in den USA den Justizmord an dem ihnen so verhaßten Journalisten durchsetzen wollen, kann es nur von Vorteil sein, wenn im "alten Europa" der mediale Nährboden nicht unbedingt für eine Akzeptanz der Hinrichtung, aber doch für eine so indifferente Haltung geschaffen wird, daß nennenswerte Störmanöver aus dieser Richtung ausbleiben und die aufflammenden Proteste mühelos kanalisiert und ausgesessen werden können. In diesem Zusammenhang wäre die Saat dessen, was die Spiegel-Kolumnistin mit ihrem Machwerk "Die Feuer der Hölle" vorzubereiten suchte, erst voll und ganz aufgegangen. Meyer läßt die Witwe des erschossenen Polizisten, Maureen Faulkner, die entscheidenden Worte sagen, mit denen die stramme Haltung der Europäer gegen die Todesstrafe und somit auch gegen die Hinrichtung Mumia Abu-Jamals, aufgeweicht werden soll [2]:

Maureen Faulkner sagt, sie würde nicht feiern, wenn Abu-Jamal jetzt hingerichtet würde. "Ich bin keine rachsüchtige Person. Ich würde beten. Es wäre ein Ende." Will sie, dass er stirbt? "Sonst würde ich immer denken, dass er doch noch freikommt", antwortet sie. Darum geht es ihr. Dass Hinrichtungen inhuman sind, dass kein demokratischer Staat die Todesstrafe vollstrecken sollte, diese Argumente kennt sie, aber für sie klingt das sehr fremd, eine europäische Einstellung eben.

"Eine europäische Einstellung eben" - mehr nicht. Wer wollte der Witwe eines ermordeten Polizisten, diese Schlußfolgerung scheint die Autorin nahelegen zu wollen, eine solche Haltung verdenken? Hier tun sich nicht etwa nur Abgründe auf, weil plötzlich greifbar wird, wie dünn die angeblich so felsenfest errichteten Barrieren gegen Folter und staatlich legitimiertes Töten auch in Europa tatsächlich sind - was die sogenannte Folterdiskussion in Deutschland bereits deutlich gemacht hat. Es steht zu befürchten, daß der Spiegel-Artikel die womöglich kurz bevorstehende Hinrichtung Mumia Abu-Jamals nicht nur, wenn auch indirekt, gutheißt, sondern daß er gezielt und absichtlich plaziert wurde, um in einem zeitlich genau durchdachten Rahmen der Mobilisierung der Unterstützer und Hinrichtungsgegner entgegenzuwirken.

Zum Schluß des Artikels werden "Humanisten" und "Pazifisten" eines Rassismus mit umgekehrten Vorzeichen bezichtigt, weil sie Mumia (dessen Schuld, wie von Meyer behauptet, durch unwiderlegbare Fakten bewiesen sei) als Helden verehren, während das Mordopfer "nur ein weißer Polizist im rassistischen Amerika" gewesen sei [2]:

Ende März ehrte die Berliner Akademie der Künste den Todeskandidaten mit einer großen Solidaritätsveranstaltung. Auf dem Podium saßen Robert Bryan, der ehemalige FDP-Innenminister Gerhart Baum und Günter Wallraff. Bryan sprach über Rassismus. Baum sagte, die Menschenwürde werde mit Füßen getreten. Wallraff sagte, dass es auch um Abu-Jamals Botschaft gehe, die eines "Humanisten" und "Pazifisten".

Mumia ist der Held. Und Danny Faulkner war nur ein weißer Polizist im rassistischen Amerika.

In einem Interview, in dem der deutsche Gewerkschafter Rolf Becker über seinen kürzlichen Besuch im Todesstrakt des Staatsgefängnisses Greene in Pennsylvania und sein dort mit Mumia Abu-Jamal geführtes Gespräch berichtete [5], ging es unter anderem auch um den besagten Spiegel-Artikel. Auf die Frage, ob Mumia schon von diesem Artikel, in dem "die Propaganda der Staatsanwaltschaft und der rechten Polizeibruderschaft Fraternal Order of Police (FOP) übernommen wurde", gewußt habe, erklärte Becker:

Dieser Artikel bestimmte den größten Teil unseres Gesprächs. Mumia zeigte sich zutiefst verletzt, vor allem angewidert. Monatelang hatte die Autorin Cordula Meyer, Spiegel-Korrespondentin in Washington, bei ihm und seinem Anwalt um Vertrauen für ihre vorgeschoben redlichen Absichten geworben. Er fühlte sich betrogen und geschädigt. Er verwies als eine der ersten Folgen auf einen Kommentar der US-Zeitung Philadelphia Daily News, in dem drei Tage nach Erscheinen des Spiegel begrüßt wurde, auch das größte und wichtigste Printorgan Europas vertrete jetzt die Meinung, er sei schuldig. Unausgesprochene, aber damit nahegelegte Konsequenz: Vollstreckung des Todesurteils. Die Schreibtischtäter werden ihre Hände in Unschuld waschen.

Es mag dahingestellt bleiben, ob bzw. inwiefern es sich bei dem Spiegel tatsächlich um "das größte und wichtigste Printorgan Europas" handelt. Doch unabhängig davon, für wie wichtig dieses ob seiner Staatsschutzkontakte durchaus auch schlechtgelittene Presseorgan von wem auch immer gehalten werden mag, trifft die Einschätzung Beckers, hier werde, wenn auch zwischen den Zeilen, der Vollstreckung des Todesurteils das Wort geredet, auf jeden Fall zu. Becker zufolge begreift Mumia Abu-Jamal diesen Hetzartikel als "entscheidenden Beitrag zu der noch ausstehenden Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA als letzter Instanz, bei der es für ihn unausweichlich um Leben und Tod geht" [5]. Der Spiegel allerdings wird mit den Nachteilen leben müssen, die ihm daraus erwachsen, sich als propagandistisches Anhängsel einer US-Elitenpolitik zu erkennen gegeben zu haben, die hierzulande ganz unabhängig von der Frage, welcher Präsident gerade im Weißen Haus residiert, nicht unbedingt auf große Gegenliebe stößt.

Derlei Überlegungen sind allerdings vollkommen irrelevant angesichts der derzeit wie nie zuvor zugespitzten Frage, ob die maßgeblichen Kreise derer, die Mumia Abu-Jamal lieber vorgestern als gestern tot gesehen hätten, es wagen werden und wagen können, sich diesen Wunsch zu erfüllen wohlwissend, daß sich sehr viele Menschen in den USA, aber auch in vielen anderen Staaten der Welt mit diesem Todeskandidaten identifizieren, weil sie seinen politischen Kampf als den ihren begreifen und folglich auch den massivsten und grausamsten Angriff, den ein Staat auf einen einzelnen Menschen nur durchführen kann, nämlich dessen Hinrichtung, als einen Angriff auf sich begreifen und entsprechend handeln werden. Die drohende Hinrichtung Mumia Abu-Jamals als ein schreiendes Unrecht zu geißeln, was sie fraglos wäre, wird nicht ausreichen, um sein Leben zu retten, geschweige denn seine Freilassung zu bewirken, zumal sich gerade in seinem Fall so exemplarisch und in allen juristischen Details nachweisbar wie selten erwiesen hat, daß das Recht allen gegenteiligen Behauptungen und Versprechungen zum Trotz nichts anderes ist als die Keule in der Hand des Stärkeren.

Anmerkungen

[1] Siehe beispielsweise im Schattenblick unter RECHT\MEINUNGEN:
DILJA/161: Justiz heißt Herrschaft - der Fall Mumia Abu-Jamal (1) (SB)
Teil 1: Die Anhörung in Philadelphia vom 16. Mai 2007
DILJA/162: Justiz heißt Herrschaft - der Fall Mumia Abu-Jamal (2) (SB)
Teil 2: Der Hintergrund - der schwarze Widerstand in den USA
DILJA/163: Justiz heißt Herrschaft - der Fall Mumia Abu-Jamal (3) (SB)
Teil 3: Der Tag, an dem Mumia Abu-Jamal fast getötet wurde
DILJA/164: Justiz heißt Herrschaft - der Fall Mumia Abu-Jamal (4) (SB)
Teil 4: Die offizielle Tatversion und ihre Widersprüche
DILJA/165: Justiz heißt Herrschaft - der Fall Mumia Abu-Jamal (5) (SB)
Teil 5: Ein Mordgeständnis, von dem Polizei und Justiz nichts wissen wollen
DILJA/178: Lebensgefahr - Mumia Abu-Jamals Hauptanwalt schlägt Alarm (SB)
DILJA/180: Mit oder gegen Obama um das Leben Mumia Abu-Jamals kämpfen (SB)
DILJA/189: Drohender Justizmord an Mumia Abu-Jamal - Wiederaufnahmeantrag abgeschmettert (SB)
DILJA/190: Mumia Abu-Jamal - US-Justiz längst zur Hinrichtung entschlossen (SB)


[2] Die Feuer der Hölle, von Cordula Meyer, 24.08.2009, DER SPIEGEL 35/2009,
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,645083,00.html

[3] Murdered by Mumia: Große Lüge im Dienste des staatlichen Lynchmords. Mumia ist unschuldig! Freiheit jetzt! PDC-Faktenblatt, 31. Dezember 2007,
www.partisandefense.org/pubs/deutsch/faktenblatt1231.html

[4] free mumia - Dokumente, Analysen, Hintergrundberichte, Archiv 92 / Kampagne Mumia Abu-Jamal (Hg.), Atlantik Verlag, 1. Auflage März 2002, ISBN 3-926529-61-X, S. 63

[5] "Draußen fast nur Weiße, im Gefängnis meist Afroamerikaner", Gespräch mit Rolf Becker. Über einen Besuch bei dem US-Publizisten Mumia Abu-Jamal im Todestrakt des Staatsgefängnisses Greene in Pennsylvania/USA, Interview von Jürgen Heiser, junge Welt vom 10. Oktober 2009

14. Oktober 2009



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