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DILJA/215: Straftatslose Inhaftierung nach Jugendstrafrecht vom BGH abgesegnet (SB)


Nachträgliche Sicherungsverwahrung des Jugendstrafrechts abgesegnet

Bundesgerichtshof erklärt die prognosegestützte Inhaftierung auch junger Menschen für recht- und verfassungsmäßig


Sicherungsverwahrung - hinter diesem juristischen Begriff verbirgt sich eine Realität im bundesdeutschen Justizwesen, die die Kernbehauptungen einer rechtsstaatlich-demokratischen Strafjustiz auf den Kopf zu stellen imstande ist, weil sie eine verdachtsgestützte Inhaftierung von Menschen ermöglicht, denen die von Dritten erstellte Prognose, daß sie eine Straftat begehen könnten, ein Leben hinter Gittern erbringt. Die Sicherungsverwahrung [1] ist keine Strafe, sondern gilt, juristisch gesprochen, als "Maßregel der Besserung und Sicherung", wie es auch in Paragraph 7 des Jugendgerichtsgesetzes zu der am 8. Juli 2008 per Gesetz einfügten Vorschrift in Abs. 2 Nr. 1 heißt, derzufolge die im Erwachsenenstrafrecht bereits bestehende Sicherungsverwahrung auf das Jugendstrafrecht und damit auf Jugendliche im Alter zwischen 14 und 18 bzw. Heranwachsende im Alter zwischen 18 und 21 Jahren ausgeweitet wurde.

Auf dieser gesetzlichen Grundlage hatte das Landgericht Regensburg in einem am 22. Juni 2009 ergangenen Urteil die Verhängung der nachträglichen Sicherungsverwahrung gegen einen im Jahre 1999 wegen Mordes zu einer zehnjährigen Jugendstrafe Verurteilten angeordnet. Der nach dem Jugendstrafrecht verurteilte Täter hatte als 19jähriger eine 31jährige Frau in der Absicht, sie zu vergewaltigen, überfallen und getötet. Nachdem der heute 32jährige am 17. Juli 2008 seine zehnjährige Gefängnisstrafe vollständig abgebüßt hatte, war er in einstweilige Sicherungsverwahrung genommen worden, die nach dem Landgerichtsurteil vom darauffolgenden Jahr nach Paragraph 7 Abs. 2 JGG in eine nachträgliche Sicherungsverwahrung übergeführt worden war. Gegen diese Entscheidung hatte der somit über die Zeitdauer des gegen ihn verhängten Strafurteils hinaus Inhaftierte Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt, die jedoch mit der am Dienstag gefällten Entscheidung als unbegründet abgewiesen wurde.

Der 2009 vom Landgericht Regensburg getroffenen Entscheidung hatten Einschätzungen von Sachverständigen zugrundegelegen, denen zufolge bei dem Verurteilten eine "multiple Störung der Sexualpräferenz mit einer sadistischen Komponente und eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung" vorgelegen habe. Desweiteren war ihm eine Neigung zu sexuellen Gewaltfantasien attestiert worden, die er seit dem 15. Lebensjahr gehabt und die zu seiner schweren Straftat geführt hätte. Da er diese Fantasien immer noch nicht überwunden habe, war das Landgericht zu der Feststellung gekommen, daß er "mit hoher Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit nach seiner Entlassung aus dem Vollzug weitere schwere Straftaten der in Paragraph 7 Abs. 2 Nr. 1 JGG bezeichneten Art, namentlich sexuelle Gewaltdelikte bis hin zum Sexualmord, begehen wird". [2]

Tatsächlich wird in dieser Vorschrift für die Verhängung der nachträglichen Sicherungsverwahrung unter anderem verlangt, daß "vor Ende des Vollzugs dieser Jugendstrafe Tatsachen erkennbar" sind, "die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen" [2]. Gelten gutachterlich unterstellte Gewaltfantasien als Tatsachen im Sinne dieser Vorschrift? Die Sicherungsverwahrung, ein Nadelöhr im bundesdeutschen Strafrechtssystem, weil an dieser Stelle ohne Tatvorwurf und Schuldnachweis die Möglichkeit einer weiteren Straftatbegehung zu einer zeitlich unbefristeten Inhaftierung führen kann, wurde in jüngster Vergangenheit aufrechterhalten und sogar noch ausgebaut ungeachtet der begründeten Einwände auch von Rechtsexperten und Sachverständigen, die die generelle Unverhersagbarkeit menschlichen Verhaltens anführten, um einem solch eklatanten Eingriff in die grundgesetzlich geschützten Persönlichkeitsrechte einen Riegel vorzuschieben.

Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger sprach anläßlich der jetzigen Entscheidung des Bundesgerichtshofs in einer Presseerklärung ihres Ministeriums [3] von der Sicherungsverwahrung als dem "schärfsten Schwert", dem allerletzten Mittel in Extremfällen. Wir bewegen uns, so die Ministerin, in einem "rechtspolitisch hochsensiblen Bereich". Bei allem Bemühen, ein gewisses Einfühlungsvermögen für die eklatante Frage, ob hier nicht ein Verfassungsbruch zementiert wird, da eine für die Betroffenen unabsehbare und straftatlose Dauerinhaftierung durch die Hintertür Einzug ins Strafrecht hält, an den Tag zu legen, gibt die Ministerin der vorgebrachten Sachzwangslogik nach. Der "unverzichtbare Schutz der Allgemeinheit vor besonders gefährlichen Straftätern" wird von ihr akzeptiert und bestätigt, so als könne es die Einlösung eines solchen Versprechens überhaupt geben, und in Relation gestellt zu dem "absoluten Ausnahmecharakter eines Freiheitsentzuges nach voll verbüßter Strafe", mit dem der Schutzanspruch der Allgemeinheit "zum Ausgleich gebracht werden" müsse. In ihren weiteren Ausführungen unternimmt die Bundesjustizministerin den per se unerfüllbaren Versuch, den Leitgedanken des Jugendstrafrechts, nämlich von gesellschaftlich determinierten Sozialisationsdefiziten auszugehen, die nicht zuletzt auch in der Strafhaft aufgehoben werden sollen, mit der Verdachtsinhaftierung, genannt "Sicherungsverwahrung", in Einklang zu bringen [3]:

Gerade im Jugendstrafrecht, das vom Erziehungsgedanken geprägt ist, und bei jungen Menschen ist ein Höchstmaß an rechtsstaatlichem Fingerspitzengefühl unverzichtbar. Dabei bedürfen besonders die Probleme der Prognosesicherheit bei jungen Menschen einer eingehenden Prüfung. Wir brauchen eine rechtsstaatlich wasserdichte Lösung, bei der die Sicherungsverwahrung unter Berücksichtigung des notwendigen Schutzes der Bevölkerung ihren Ausnahmecharakter behält und auf allerschwerste Fälle beschränkt bleibt.

Dabei schließen sich die Worte "Prognose" und "Sicherheit" aus. Laut Duden ist unter "Prognose" die Vorhersage einer zukünftigen Entwicklung auf Grund kritischer Beurteilungen des Gegenwärtigen zu verstehen. Sie kann ihrer Funktion nach nur spekulativ sein und ist deshalb vollkommen ungeeignet, um in einem demokratischen Rechtsstaat schwerste Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte wie etwa die Inhaftierung zu rechtfertigen. Daß das Willkürinstrument der Sicherungsverwahrung, obwohl vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kritisiert, in der Bundesrepublik Deutschland immer mehr an Substanz und Anwendung findet und finden kann, stellt einen Gradmesser dar für eine gesellschaftliche Gesamtentwicklung, bei der die Freiheitsrechte der Bürger immer mehr und immer weitergehend geopfert werden auf dem Altar einer Polizeistaatslogik, für die es nach rechtstaatlichen Kriterien keine Existenzberechtigung geben dürfte.

Anmerkungen

[1] Siehe zum Thema "Sicherungsverwahrung" im Schattenblick -> Infopool -> RECHT -> MEINUNGEN:
DILJA/152: Auf ewig "Knacki"? Sicherungsverwahrung gegen Jugendliche
DILJA/167: Knast ohne Straftat bald auch gegen junge Menschen (SB)
DILJA/209: "Sicherungsverwahrung" - Präventivhaft von Straßburger Gericht gerügt (SB)

[2] Juraforum-News 10.03.2010, Jugendstrafrecht: Nachträgliche Anordnung der Unterbringung in Sicherungsverwahrung,
http://www.juraforum.de/forum/printthread.php?t=313009

[3] Bundesjustizministerin: Sicherungsverwahrung erfordert Fingerspitzengefühl, Pressemitteilung des Bundesjustizministeriums vom 9.3.2010,
http://www.bmj.bund.de/enid/0,57c27b636f6e5f6964092d0936353831093a095f7472636964092d0936353739/Pressestelle/Pressemitteilungen_58.html

10. März 2010



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