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DILJA/233: Dragoljub Milanovic, politischer Häftling der NATO in Serbien (SB)


Keine Freiheit für Dragoljub Milanovic

Wegen der Bombardierung des Belgrader Senders RTS durch die NATO sitzt dessen ehemaliger Direktor noch immer in Haft


Wer Recht mit Gerechtigkeit gleichsetzt, ignoriert die im Grunde banal zu nennende Tatsache, daß das Recht stets die (juristische) Waffe in der Hand des Stärkeren ist. Wer dies für eine überzogene Schlußfolgerung hält, könnte die dem entgegenstehende Annahme, daß Recht und Rechtsprechung namentlich in rechtsstaatlichen, demokratischen Staaten nach unverrückbaren Grundprinzipien gesprochen werden würde, am Beispiel des früheren Direktors des Belgrader Fernsehsenders "Radio Television Serbien" (RTS), Dragoljub Milanovic, einer näheren Überprüfung unterziehen. Milanovic ist bis auf den heutigen Tag der einzige Mensch geblieben, der für den Bombenkrieg der NATO im Frühsommer 1999 auf die damalige Bundesrepublik Jugoslawien je strafrechtlich zur Verantwortung gezogen und verurteilt wurde.

Diese Tatsache spricht Bände nicht etwa in Hinsicht auf die ihm zugelastete "Schuld", sondern erhärtet die Einschätzung, daß die beteiligten juristischen Institutionen - zu denen neben den jugoslawischen bzw. serbischen Gerichten auch internationale Gremien wie der Internationale Gerichtshof in Den Haag für die Verfolgung von Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen im ehemaligen Jugoslawien oder auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu zählen sind - politische Instrumente zur Durchsetzung bestimmter Interessen sind. Justiz ist die Fortsetzung von Krieg oder Politik mit anderen, eben juristischen Mitteln. Im Jahre 2002 war Milanovic wegen eines "schweren Angriffs auf die öffentliche Sicherheit" nach Artikel 194, §§ 1 und 2 des damaligen Strafgesetzbuches der Republik Serbien zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden. Ihm war zur Last gelegt worden, den von der NATO in der Nacht vom 22. auf den 23. April 1999 um 2.06 Uhr bombardierten Sender vorher nicht evakuiert und dadurch den Tod der 16 RTS-Mitarbeiter, die durch diesen Angriff ums Leben kamen, verschuldet zu haben.

Nicht die Verantwortlichen des Luftangriffs, die Befehlshaber und/oder ausführenden Piloten, wurden jemals vor Gericht gestellt, sondern ein weiteres potentielles Opfer. Dragoljub Milanovic hätte in dieser Nacht ebenfalls getötet werden können; möglicherweise war er persönlich sogar eines der "Ziele" dieses Raketenangriffs. Seine Frau, die RTS-Redakteurin Ljiljana Milanovic, hatte knapp zwei Monate nach der am 13. Februar 2001 erfolgten Verhaftung ihres Mannes in einem Gespräch mit der jungen Welt auf die Frage - wenn man denn der "ungeheuerlichen Logik" (jw), daß für Mord die Opfer und nicht die Täter die Schuld tragen sollen, einmal folgen wollte -, ob ihr Mann denn gewußt hätte, daß in dieser Nacht ein Angriff erfolgen sollte, geantwortet [1]:

Die Polizei hat vor der Verhaftung meines Mannes 52 Zeugen vernommen. Keiner hat behauptet, an diesem Tag mit dem Angriff gerechnet zu haben. Aber kurz nach dem Besuch von Carla del Ponte, der Chefanklägerin des von den USA und ihren Verbündeten geschaffenen Tribunals in Den Haag, wurde mein Mann von der Polizei zu einem "Gespräch" bestellt, das sich als Vorwand für seine Verhaftung erwies. Tatsächlich hätte auch mein Mann eines der Opfer sein können. Er befand sich zum Zeitpunkt des Angriffs in dem Gebäude, weil er auf das Ergebnis des an diesem Tage stattfindenden Gesprächs unseres Präsidenten Milosevic mit dem russischen Premierminister Tschernomyrdin zu warten hatte. Die Mitarbeiter von CNN, die regelmäßig in dem Gebäude arbeiteten, waren an dem Tag nicht da. Vielleicht haben sie etwas gewußt. Aber mein Mann hätte Selbstmordabsichten haben müssen, um sich wissentlich den NATO-Bomben auszusetzen, mit denen wir Jugoslawen leider ständig rechnen mußten.

Doch Milanovic wurde verurteilt mit der Begründung, er habe eine amtliche Evakuierungsanweisung mißachtet. Dies trifft zwar nicht zu, lieferte jedoch die wenn auch fadenscheinige Handhabe für ein nur politisch zu verstehendes Skandalurteil. Die vermeintliche Evakuierungsanordnung stellte sich als ein bloßer Entwurf heraus, ohne Unterschrift, Stempel und Siegel, und enthielt nicht einmal, wie Frau Milanovic neun Jahre später in einem weiteren jw-Interview klarstellte, einen direkten Evakuierungsbefehl [2]:

Er wurde aufgrund eines Entwurfs verurteilt, den irgend jemand irgendwo ausgedruckt hat - vor Gericht wurde das Papier als "Order 37" präsentiert. Dieser Entwurf trägt weder Stempel noch Siegel, der Verfasser wurde nie identifiziert. Ein Zeuge behauptete in dem Verfahren, das Original sei am 5. Oktober 2000 verbrannt worden, als der vom Westen gesteuerte Mob das RTS-Gebäude in Brand setzte und meinen Mann dabei halbtot schlug.

An der rechtlichen Bewertung, daß es sich bei diesem Raketenangriff der NATO um ein völkerrechtswidriges Kriegsverbrechen gehandelt hat, gibt es eigentlich nichts zu deuteln, da zweifellos Zivilisten angegriffen und getötet wurden. Die Befürworter und Befehlshaber dieses Angriffs sowie des gesamten Luftkrieges gegen Jugoslawien wähnen sich jedoch in einer so sicheren und unangreifbaren Position, daß sie dies nicht nur ignorieren, sondern in aller Offenheit den Angriff auf den Belgrader Sender rechtfertigen. So zum Beispiel der damalige britische Premierminister Tony Blair, der diesen Mord mit den Worten befürwortete: "Es ist sehr, sehr wichtig, daß die Menschen begreifen, daß diese Fernsehstationen Teil des diktatorischen Apparats von Milosevic sind, und daß er diesen Apparat benutzt, um diese ethnischen Säuberungen im Kosovo durchzuführen." [3] Und weiter behauptete Blair, daß es gelte, "seine [Milosevics, Anm. d. SB-Red.] Militärmaschine und den kompletten Apparat dieser Diktatur ins Visier nehmen. Die staatlich kontrollierten Medien sind Teil davon, und ich denke, sie sind ein richtiges und berechtigtes Ziel für uns." [3] George Robertson, damaliger britischer Verteidigungsminister, sekundierte mit den Worten: "Tatsache ist, daß viele dieser Ziele tatsächlich die Köpfe sind, die hinter der Brutalität stecken, die heute im Kosovo herrscht, Teil des Apparats, der den ethnischen Völkermord, der in diesem Teil des früheren Jugoslawiens passiert, antreibt. Solange das so ist, müssen wir diese Ziele angreifen." [3]

Gegenüber der Behauptung, der damalige RTS-Chef Milanovic sei über den bevorstehenden Angriff informiert worden und habe dessenungeachtet den Sender nicht evakuieren lassen, ist die Annahme, daß der amerikanische Nachrichtensender CNN sehr wohl informiert wurde, wesentlich plausibler. Bei den Ermittlungen gegen Milanovic wie auch in dem gegen ihn geführten Prozeß gab es nicht einen der 52 Zeugen, der dessen Mitwisserschaft bestätigen konnte. Eine von amnesty international durchgeführte Untersuchung ergab nach Befragung der zuständigen NATO-Funktionäre sogar, daß keine Warnung an die jugoslawische Regierung oder den Sender erfolgt sei, weil diese den Piloten gefährdet hätte [3]. Denkbar ist sogar, daß dem damaligen Informationsminister Jugoslawiens, Aleksandar Vucic, eine auch für ihn tödliche Falle hätte gestellt werden sollen. So ist einem Bericht der kanadischen Anwältin Tiphaine Dickson [3] folgendes zu entnehmen:

Am 29. Juni 1999 berichtete der britische Journalist Robert Fisk, daß der damalige jugoslawische Informationsminister Aleksandar Vucic per Fax von CNN eine Einladung zur Live-Schaltung für die Larry-King-Show für die Nacht des Bombenangriffs erhalten hatte. Laut Fisk wurde Vucic informiert, daß das Interview um 2.30 Uhr stattfinde und er um zwei Uhr in der Maske erscheinen solle. Vucic sei, so Fisk, dem Angriff um 2.06 Uhr nur entgangen, weil er sich verspätet hatte. Tatsächlich zeigt eine mir vorliegende Kopie des Faxes, daß Vucic um 2.30 Uhr für ein um drei Uhr beginnendes Interview über "die gegenwärtige Situation in der Bundesrepublik Jugoslawien" - im Kontext der NATO-Bombardierung eine rätselhaft vage Formulierung - in den RTS-Studios eintreffen sollte.

Seit einigen Monaten gibt es inzwischen eine von dem österreichischen Schriftsteller Peter Handke und dem französischen Arzt Patrick Barriot initiierte Kampagne für die Freilassung des noch immer inhaftierten Milanovic. In juristischer Hinsicht bestehen, wie die Frau dieses politischen Gefangenen der NATO in serbischer Haft in ihrem jüngsten Interview erklärte, kaum Chancen auf eine Freilassung ihres Mannes [4]:

Das Höhere Gericht in Belgrad hat im September 2010 Dragoljubs Gesuch nach frühzeitiger Haftentlassung zurückgewiesen. Obwohl alle Bedingungen für eine solche in Serbien übliche Vorgehensweise gegeben waren, hatte das Gericht die Entscheidung zunächst lange verschleppt und dann gegen den Antrag entschieden. Also muß Dragoljub die volle Strafe von zehn Jahren absitzen.

Meinem Mann droht jetzt sogar ein zweiter Prozeß. Gerade als er Hafterleichterungen erhielt und am Wochenende Freigang bekam, dienen neue Anschuldigungen - es geht um angebliche Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe von RTS-Dienstwohnungen - als Vorwand, ihm diese Rechte wieder zu entziehen. Meine Befürchtung ist, daß man ihn als politischen Gefangenen behalten will. Schließlich wurde er als Direktor des staatlichen TV stellvertretend für die Regierung von Slobodan Milosevic verurteilt, die sich von den NATO-Staaten nichts vorschreiben lassen wollte.

Anmerkungen

[1] Warum sitzt Ihr Mann in Haft? jW sprach mit Ljiljana Milanovic, der Frau des früheren Direktors des serbischen Radio- und Fernsehsenders RTS, junge Welt, 27.03.2001

[2] "Die Mörder sind ungeschoren davongekommen". Eines der NATO-Opfer wurde verurteilt: Exchef des Belgrader Senders RTS seit acht Jahren im Knast. Gespräch mit Ljiljana Milanovic, Interview: Cathrin Schütz, junge Welt, 23.04.2010, S. 2

[3] NATO nicht belangt. Seit sieben Jahren im Gefängnis: Direktor des serbischen Senders RTS wurde statt Angriffspakt der Prozeß gemacht. Von Tiphaine Dickson, junge Welt, 27.04.2009, S. 7

[4] "Man will ihn als politischen Gefangenen behalten", Internationale Kampagne für die Freilassung des Serben Dragoljub Milanovic - initiiert von Peter Handke. Ein Gespräch mit Ljiljana Milanovic, junge Welt, 10.01.2011, S. 8

11. Januar 2011