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STELLUNGNAHME/051: Aktionsschwarzfahrer vor Gericht - zweiter Verhandlungstag (Projektwerkstatt Saasen)


Projektwerkstatt Saasen - Presseinformation vom 20.04.2018

Donnerstag, 26.4., 13 Uhr in München:
Aktionsschwarzfahrer vor Gericht - zweiter Verhandlungstag

Staatsanwaltschaft kämpft verbissen gegen Freispruch!


Nach der Beweisaufnahme des ersten Verhandlungstages war auch dem Gericht klar: Das war eine Demonstration, keine heimliche Bahnfahrt ohne Ticket. Schließlich waren die fünf Aktivisten am 2. und 3. März 2015 mit mit Megafon, Spruchbändern, Flyern und Schildern am Körper, bundesweiter Presseankündigung und Polizeibegleitung unterwegs. Von Kempten nach München, durch die Stadt, dann weiter Richtung Nürnberg und Frankfurt bis Gießen verlief ihre mehrfach unterbrochene Fahrt, mit der sie für den Nulltarif in Bussen und Bahnen sowie gegen die Kriminalisierung des Schwarzfahrens protestierten.

Die damalige Aktion war bundesweit in den Medien, die Bundespolizei begleitete die Aktivist*innen nicht nur personell, sondern auch mit eigener Pressearbeit. Über drei Jahre später stand der Fall nun vor dem Landgericht München. Der Anfang des ersten, mehrstündigen Verhandlungstages am 11. April verhieß nichts Gutes: Extreme Sicherheitsvorkehrungen, deutlich höher als im parallelen NSU-Prozess, verzögerten den Beginn. Dann durften Verteidiger und Angeklagter nicht nebeneinander sitzen. Das wollten diese nicht auf sich sitzen lassen und forderten einen förmlichen Beschluss. Den wiederum verweigerte das Gericht und im darauffolgenden Streit verlangte der Staatsanwalt den Ausschluss des Verteidigers.

Ganz soweit kam es nicht und schließlich ging es doch um die Sache. Seitens der Verteidigung wurden immer neue Beweise vorgelegt, dass es sich um eine lange geplante, öffentlich beworbene und spektakuläre Demonstration gehandelt hatte - von Heimlichkeit also keine Rede sein könne. Diese sei aber notwendig, um wegen "Erschleichung von Leistungen", so der Titel des § 265a im Strafgesetzbuch, verurteilt zu werden. Der Chef eines der Züge, der als Zeuge gehört wurde, bestätigte etliche dieser Angaben, konnte sich aber nicht mehr an alle Details erinnern oder war auch nicht durchgehend anwesend bei der Aktion. Für das Gericht reichte es. Deutlich gab es zu erkennen, dass es angesichts der Abläufe einen Freispruch aussprechen würde. Das allerdings wollte die Staatsanwaltschaft nicht hinnehmen und bestand auf einem weiteren Verhandlungstag mit weiteren Zeugen - in der Hoffnung, irgendeinen Meter der langen Zugfahrt nachweisen zu können, auf dem die Demonstration pausierte und somit der "Anschein der Ordnungsmäßigkeit" entstanden sei. Dieses Wortungetüm umschreibt seit mehreren Jahren ein gedankliches Konstrukt, mit dem Gerichte Schwarzfahrer*innen unterstellen, bewusst und damit aktiv täuschend genauso aussehen zu wollen wie zahlende Fahrgäste. Das sei in der Sache absurd und würde viele unnötige Verfahren, Verurteilungen und Gefängnisaufenthalte nach sich ziehen, konterte Verteidiger Jörg Bergstedt die verzweifelten Versuche des Staatsanwaltes: "Die Justiz jammert ständig, überlastet zu sein - und verschafft sich den Stress in ihrer Verurteilungswut stets doch selbst." Gleichzeitig überreichten er und der Angeklagte dem Gericht einen dicken Packen Beweisanträge, mit denen sie belegten, durchgängig demonstrativ für Nulltarif und die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens unterwegs gewesen zu sein.

Der zweite Verhandlungstag wird nun als voraussichtlich die Entscheidung bringen: Ist Aktionsschwarzfahren, wie die Aktivist*innen ihre Art der Demonstration in Bussen und Bahnen nennen, straffrei? Am Donnerstag, den 26.4.2018 ab 13 Uhr lohnt also ein Besuch im Landgericht München (Nymphenburger Str. 16, voraussichtlich Raum B170 im 1. Stock).


Hintergründe, Gesetzestexte und -kommentare, Urteile und Studien zum Nulltarif unter:
www.schwarzstrafen.tk

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Quelle:
Projektwerkstatt Saasen
Ludwigstr. 11, 35447 Reiskirchen-Saasen
E-Mail: saasen@projektwerkstatt.de
www.projektwerkstatt.de/saasen


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. April 2018

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