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TINKER/001: Frankreich - Neues Bandengesetz führt Bestrafung unterstellter Absichten ein (SB)


Das französische Gesetz gegen Banden ist anwendbar auf jede Art von Versammlung

Erstes Strafverfahren gegen zwei Jugendliche


Laut einer afp-Meldung [1] hat am Montag dieser Woche vor dem Versailler Strafgericht einer der ersten Prozesse auf Grundlage des im Februar verabschiedeten französischen "Anti-Banden-Gesetzes" stattgefunden. Gegen die zwei angeklagten 19jährigen wurde eine Haftstrafe von drei Monaten auf Bewährung beantragt, weil ihnen der Vorwurf gemacht wird, die Teilnahme an einer Schlägerei zwischen zwei Jugendbanden beabsichtigt zu haben. Das Urteil wird für den 31. Mai erwartet.

Die Beschuldigten waren am 3. April auf einem von mehreren Bahnhöfen im Département Yvelines (Pariser Großraum) aufgegriffen worden, von denen aus Jugendliche mit dem Zug in das Pariser Geschäftsviertel La Défense mit der Absicht unterwegs gewesen sein sollen, sich einen Schlagabtausch mit einer rivalisierenden Bande zu liefern. Beide Angeklagte bestreiten eine Beteiligung. Während der eine, in dessen Schuh man ein 7 cm langes Taschenmesser fand, das er als "Erinnerungsstück" bezeichnet, bestätigt, eine SMS mit einer Ankündigung erhalten zu haben, jedoch aussagt, er habe lediglich als Zuschauer nach La Défense fahren wollen, meinte der zweite, der einräumte, sein Gesicht unter einer Kapuze versteckt zu haben, "weil Polizei in der Gegend war", er habe mit der ganzen Sache nichts zu tun.

Der Anwalt der beiden Angeklagten kritisierte das der Anklage zugrundeliegende Gesetz, weil es ein sehr grobes Raster bilde und die Absicht als Delikt bestrafe. Und wenn auch der eine oder andere Fakt vielleicht nicht für seine Klienten spreche, gebe es demgegenüber nicht genügend Hinweise, um sicher sagen zu können, daß sie vorgehabt hätten, sich an der Schlägerei zu beteiligen.

Die beiden Jugendlichen wurden aufgrund einer ihnen unterstellten Absicht festgenommen und angeklagt, ohne daß nach traditionellem Rechtsverständnis, demzufolge eine strafbare Handlung nur als Straftat bestraft werden kann, wenn sie auch begangen wurde, überhaupt ein Delikt vorlag. Das neue Anti-Banden-Gesetz in Frankreich bricht von Grund auf mit diesem Rechtsverständnis und verschafft den Strafverfolgungsbehörden einen kaum zu ermessenden Spielraum. Mit diesem Gesetz wird eine Straftat namens "Banden-" oder "Gruppenmitgliedschaft" kreiert, was eine Verurteilung ohne die nachweisbare persönliche Begehung einer konkreten Straftat erlaubt. Der Begriff der Mitgliedschaft wird zudem auf jede, sogar spontan entstandene Versammlung oder Gruppenbildung ausgedehnt. So genügt es, "daß eine Person wissentlich, und wenn es auch nur vorübergehend ist, Teil an einer Gruppe hat in Verbindung mit der Vorbereitung (...) von vorsätzlicher Gewalt gegen Personen oder von Zerstörung und Beschädigung von Eigentum"[1], um sie zu einem Jahr Gefängnis sowie einer Geldstrafe von 15.000 Euro zu verurteilen. Unter dem Vorwand, gewalttätige Banden eindämmen zu wollen und gegen Hooliganismus einzuschreiten, kann hier jede auch noch so vage oder vermutete Zugehörigkeit zu einer Gruppe zum Delikt werden.

Dieses Gesetz ermöglicht es den französischen Strafverfolgungsbehörden, gezielt gegen die ansonsten schwer faßbare Kultur der Jugendbanden oder -gruppen in den französischen Vorstädten präventiv vorzugehen, ohne daß eine weitere tatsächliche Straftat vorliegt. Banden werden von vornherein als gewaltgenerierende Gebilde eingestuft, es genügt der Verweis auf eine mögliche Zugehörigkeit und auf eine damit unterstellte Absicht. Die Straftat ist bereits begangen, ohne daß der auf diese Weise neu geschaffene Delinquent überhaupt zur Gewalt übergegangen ist. Es handelt sich hier zum einen um Präventivhaft und zum anderen um eine Form der "Gruppenhaft", die mit den hierzulande bestehenden Organisationsdelikten (§§ 129, 129a, 129b) verwandt ist, und bei der auch schon die bloße Zugehörigkeit zu einer solchen Gruppe als Straftat bewertet wird.

Laut der Präsentation der Anti-Banden-Pläne durch Innenminister Brice Hortefeux am 3. März vor den Beamten des Polizeikommissariats in Clichy-la-Garenne [2], gilt über die strafbare Zugehörigheit zu einer gewaltbereiten Gruppe hinaus ein verschärftes Vermummungsverbot und das Verbot, Waffen mit sich zu führen. Was als Waffe anzusehen ist, unterliegt dabei einer recht weiten Auslegung. Das unberechtigte Betreten eines Schulgebäudes kann mit einem Jahr Gefängnis und 7.500 Euro bestraft werden. Das Tragen einer Waffe unterliegt einer Strafandrohung von drei Jahren Gefängnis und 45.000 Euro. Gewalt gegen den Lehrkörper führt zu einer Verschärfung der Strafen. Ein Stadionverbot kann bereits nach einem einzigen Zwischenfall ausgesprochen werden, und das Nichtbefolgen dieses Verbots ist mit einem Jahr Gefängnis und einer Geldstrafe von 3.750 Euro belegt. Das Mitführen oder der Gebrauch von Gegenständen in einem Stadion, die als Waffe in Frage kommen, wird mit drei Jahren Haft und 15.000 Euro bestraft. Nach Ansicht des französischen Innenministers ist "die öffentliche Bekanntmachung dieses Gesetzes ein wirklicher juristischer Vorstoß zur Zerschlagung der Banden".

Zu den Antibandenplänen im weiteren Sinne gehören zudem kleine ortsansässige Einheiten zur Informationsbeschaffung und juristischen Ermittlung, der Einsatz privater Ordnungshüter in Form bewaffneter Milizen, die an Staates Stelle agieren, eine Datenbank, die bereits seit Oktober vergangenen Jahres unterhalten wird, in der alle Gruppen und als gewaltbereit eingestufte Personen erfaßt werden, eine spezielle Polizeieinheit, die seit September existiert, sowie eine breitere Videoüberwachung.

Die oben erwähnte Gruppenhaftung oder auch Möglichkeit der präventiven Kollektivbestrafung läßt sich durch die im Anti-Banden-Gesetz erweiterte Definition der Gruppe nahezu beliebig einsetzen. Der Gesetzgeber heiligt damit repressive Maßnahmen gegen jegliches Vorhaben, sich an einer wie auch immer beschaffenen Gruppe oder Versammlung zu beteiligen, weil immer die Drohung, persönlich für wen auch immer haftbar gemacht zu werden, wie ein dunkler Schatten über jedem einzelnen schwebt.[3]

Anläßlich der Banlieue-Problematik ist es dem französischen Staat gelungen, ein neues allgemeines Sicherheitsgesetz zu schaffen. Man kann kaum von einem Zufall ausgehen, daß dieses Gesetz eine Rechtsgrundlage bietet, präventiv gegen jede An- oder Versammlung von Menschen im weitesten Sinne vorzugehen, die im Rahmen einer präventiven Aufstandsbekämpfung höchst funktional ist. Überdies steht zu erwarten, daß im Rahmen der Harmonisierung der EU-Gesetzgebung dieses Konzept auch auf die anderen EU-Mitgliedstaaten, so auch die Bundesrepublik ausgeweitet würde. Nicht zuletzt aufgrund der besonderen Geschichte Deutschlands wäre hierzulande eine kritische Öffentlichkeit aufgerufen, auf die immensen Gefahren hinzuweisen, die in einer solchen Ausweitung kollektiver und präventiver Strafverfolgung lägen.

[1] "Loi anti-bandes: trois mois de prison avec sursis requis contre deux jeunes" - Libération vom 17.05.2010 (afp-Meldung)
http://www.liberation.fr/societe/0101636000-loi-anti-bandes-trois-mois-de-prison-avec-sursis-requis-contre-deux-jeunes

[2] "Présentation du plan anti-bandes" - Französisches Innenministerium, 14.04.2010
http://www.interieur.gouv.fr/sections/a_la_une/toute_l_actualite/securite-interieure/plan-anti-bandes - Zugriff 18.05.2010

[3] "D'une loi anti-casseurs défunte à une loi anti-bandes conforme à la Constitution la résurrection ...", von Vincent Nioré
Gazette du Palais - Mittwoch, 31. März, Donnerstag, 1. April 2010, www.gazette-du-palais.com
http://www.niore-avocats.fr/documents/loi_anti_bandes_conforme_constitution.pdf - Zugriff 18.05.2010

20. Mai 2010