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GESCHICHTEN AUS DEM WIDERSTAND/009: Krieg der Bäume - ein globaler Kampf ... (SB)


Grafik: © 2017 by Schattenblick

... im Überall und Nirgendwo

Hambacher Forst am 21. Februar 2017

Die Luft gehört denen, die sie atmen

Warum gehören denn die Seen nicht denen, die darin baden?
Warum gehören denn die Wälder nicht denen, die darin spazieren gehen?
(...)
Warum gehört denn die Welt nicht denen, die in ihr leben?

Floh de Cologne - Rockoper Profitgeier (1971)


Beleuchteter Bagger vom Waldesrand aus - Foto: © 2017 by Schattenblick

Räder müssen rollen ... für welchen Sieg?
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Auch nachts ist es im Tagebau niemals ruhig. Auf das Licht der Sonne ist die Braunkohleförderung nicht angewiesen. Die Räder müssen rollen, denn die Kraftwerke können nicht einfach heruntergefahren werden, also wird die Nacht in der Grube mit flutlichtartiger Beleuchtung zum Tage gemacht. Permanent schlagen die Bagger die Zähne der 18 Schaufeln, die auf einem rotierenden Schaufelrad sitzen und bei jeder Umdrehung über 100 Kubikmeter Erdreich aufnehmen, in den Boden der rheinischen Landschaft. 12.000 Tonnen Gewicht bewegen sich, wenn die größten Landfahrzeuge der Welt ihren Standort in der Grube verändern. Um die Schaufelräder in Betrieb zu halten, die am Tag bis zu 240.000 Kubikmeter Erdreich abbaggern, werden zwischen 0,25 und 0,4 Kilowattstunden Strom pro Kubikmeter verbraucht. Für den Transport des Abraums und der Braunkohle sorgt eine weit ausgreifende Infrastruktur aus Förderbändern, Verladeeinrichtungen, Kohlebahn und Fahrzeugen aller Art, um Kraftwerke zu beschicken, die mit einem Wirkungsgrad von maximal 40 Prozent einen Großteil der bei der Verbrennung der Braunkohle freigesetzten Abwärme im Dampf der Kühltürme entsorgen.

So ist der Braunkohletagebau nicht nur ein Produzent von Strom, sondern auch ein Ort des Verbrauches erheblicher Mengen fossiler Energie. Die meisten Fahrzeuge und Geräte, die seinen Betrieb gewährleisten, werden mit konventionellen Verbrennungsmotoren betrieben, das gilt auch für die große Flotte an Sicherheitsfahrzeugen und das Räumgerät, das Ortschaften und Baumbestände plattmacht. Der in dieser ländlichen Region entfachte Brand treibt eine Gesellschaft an, die beim Pro-Kopf-Bedarf zu den führenden Stromverbrauchern der Welt zählt und sich schon bei der Umwandlung fossiler Brennstoffe in Strom Verluste von 60 bis 70 Prozent der Primärenergie leistet. Wofür die Elektrizität im Endeffekt auch immer benutzt wird, so ist schon die Welt permanenter Verfügbarkeit von Strom Teil des Problems einer Naturzerstörung, die als Klimawandel nur deshalb besondere Aufmerksamkeit erhält, weil durch die Aufheizung der Atmosphäre die Existenz des Gesamtsystems in Frage gestellt ist.


Abgeholzte Bäume, Holzstapel, Baumstämme - Fotos: © 2017 by Schattenblick Abgeholzte Bäume, Holzstapel, Baumstämme - Fotos: © 2017 by Schattenblick Abgeholzte Bäume, Holzstapel, Baumstämme - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Tristesse "Schöner Wohnen"
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Dem Kohlebrand ein Leben schonenden und umsichtigen Verbrauchs entgegenzuhalten, wie im besetzten Hambacher Forst praktiziert, ist für sich gesehen bereits eine Form des politischen Kampfes. Wie überall auf der Welt, wo die archaische Lebensweise indigener Bevölkerungen einer industriellen Produktionsweise weichen muß, deren Verträglichkeit für das menschliche und nichtmenschliche Leben längst widerlegt ist, stehen auch diese Aktivistinnen und Aktivisten den Maschinen auf ganz physische Weise im Weg. Daß sie hierzulande nicht einfach gewaltsam vertrieben oder gar ermordet werden, heißt nicht, daß ihr Widerstand gegen die Welt des Extraktivismus und Kapitalismus weniger ernstgenommen werden sollte. Sie stehen ebenso für die Rechte der Landbevölkerung im Globalen Süden ein, die sich dem Hunger der großen Maschine nach fossilen und mineralischen Rohstoffen widersetzen, wie diese ihr Leben für den Erhalt einer Natur riskieren, ohne die auch in Westeuropa der Teller leer und der Ofen kalt bliebe.

Von daher reicht die Front des Antikohlewiderstands weit über die deutschen Braunkohlereviere und die Seehäfen, in denen Steinkohle aus Lateinamerika für deutsche Kraftwerke angeliefert wird, hinaus überall dorthin, wo sich Menschen gegen die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen durch eine Produktivität stellen, an der sie selbst am wenigsten teilhaben. Das Fantasma technophiler Fortschrittsapologeten von der angeblich immateriellen Produktionsweise informationstechnischer Systeme ist nur das i-Tüpfelchen auf der Arroganz westeuropäischer und nordamerikanischer Metropolengesellschaften, sich der basalen Lebensweise haushoch überlegen zu fühlen, die Milliarden Menschen auch im 21. Jahrhundert täglich vor das Problem stellt, genügend sauberes Trinkwasser und vollwertiges Essen zu bekommen, nicht frieren zu müssen und im Krankheitsfall angemessen versorgt zu werden.


Baumstümpfe, Rodungsgerät, Security-Fahrzeug - Fotos: © 2017 by Schattenblick Baumstümpfe, Rodungsgerät, Security-Fahrzeug - Fotos: © 2017 by Schattenblick Baumstümpfe, Rodungsgerät, Security-Fahrzeug - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Baumeister für Waldruinen
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So ist das Rheinische Braunkohlerevier auch deshalb eine Reise wert, um sich einmal vor Augen zu führen, daß die Schaufensterauslagen in taghell erleuchteten Einkaufszentren das Ergebnis eines warenproduzierenden Systems sind, das die permanente Steigerung seiner Produktivität um seiner selbst willen und nicht die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen, die in ihm und von ihm leben, betreibt. Akzeptanz für die Verwandlung der Erde in den Brennstoff industrieller Güterproduktion und urbaner Reproduktion zu schaffen, ohne räumliche Distanz zwischen umweltzerstörenden Tagebauen und gesellschaftlichem Normalbetrieb herzustellen, wäre zumindest konfliktträchtig. Das Rheinische Braunkohlerevier ist ein Beispiel für die Praxis der territorialen Segregation, die Schäden und Verluste der metropolitanen Lebensweise dorthin auszulagern, wo sozialer Widerstand leichter beherrschbar erscheint.

Was auf der globalen Skala im Nord-Süd-Verhältnis als imperialistische Landnahme hervortritt und für die Augen der Nutznießer privilegierten Konsums in der ganzen Brutalität der niemals beendeten Phase ursprünglicher Akkumulation systematisch unsichtbar gemacht wird, findet seine Entsprechung in der sozialräumlichen Parzellierung der Bundesrepublik. Urbane Zentren extravaganten Konsums und postindustrieller Arbeit, HighTech-Cluster und periphere Industrieparks, von allem Wildwuchs bereinigte Flächen agroindustrieller Bewirtschaftung, unwirtliche Brachen abgewickelter Produktionsanlagen und Regionen extraktivistischer Rohstoffförderung erzeugen ganz unterschiedliche Lebenswelten, deren Subjekte häufig kaum etwas davon wissen oder gar wissen wollen, was nur wenige Kilometer von ihnen entfernt geschieht. Der sozialen Atomisierung der Gesellschaft entspricht ihre räumliche Disparität vor allem in ihrer herrschaftsstrategischen wie betriebswirtschaftlichen Optimierung.


Panorama des Hambacher Loches - Fotos: © 2017 by Schattenblick Panorama des Hambacher Loches - Fotos: © 2017 by Schattenblick Panorama des Hambacher Loches - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Aus der Tiefe der Grube ...
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Mit öffentlichen Verkehrsmitteln von den umliegenden Städten leicht erreichbare Tagebaue wie das Hambacher Loch sind auch als Prototypen einer Produktionsweise, die in anderen Teilen der Welt noch gigantischere Proportionen annehmen, von Erkenntniswert. Die Landschaften und Wasservorkommen stark schädigende Extraktion der Teersande im Westen Kanadas betrifft ein Gebiet von der Größe Großbritanniens. In der Bayan-Obo-Mine in der chinesischen Inneren Mongolei fördern 6000 Arbeiterinnen und Arbeiter auf einer Fläche von 60 Quadratkilometern in einer Tiefe von bis zu 1000 Metern Erze und Seltene Erden. Für die Förderung einer Tonne mineralischen Rohstoffes fallen bis zu 12.000 Kubikmeter hochgiftige Abgase, 75 Kubikmeter säurehaltiges Abwasser und eine Tonne radioaktiver Abfall an. [1] Australien gewinnt mehr als die Hälfte des im Land verbrauchten Stroms aus Kohle und ist zudem der größte Exporteur dieses Energierohstoffes. Rund 35 meist im Tagebau produzierende Minen haben ganze Regionen zu Lasten dort lebender Aborigines in Mondlandschaften verwandelt, Australien leistet sich den größten Ausstoß an Treibhausgasen pro Kopf der Bevölkerung weltweit, und das Great Barrier Reef, das größte noch lebende Korallenriff der Welt, ist in seiner Existenz durch den Ausbau eines nahegelegenen Kohlehafens akut bedroht.

Dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten bedarf einer globalen Perspektive des Widerstandes, demgegenüber nationale Bedenken etwa um die Jobs der Kohlekumpel allemal nachrangig sind. Angesichts des massiven Entwicklungsvorsprungs gegenüber den Ländern des Südens, den die Bundesrepublik auch der Belastung des Klimas mit Treibhausgasen zu verdanken hat, müssen solche Probleme aus der Kasse der Verschmutzer beglichen werden, anstatt mit dem Argument des Arbeitsplatzverlustes noch bis 2045, 2030 oder auch nur 2025 Kohle zu verfeuern [2].


Reh auf verwaister Autobahn - Foto: © 2017 by Schattenblick

Nach dem Verkehrsinfarkt ...
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Wanderer, kommst du in den Hambacher Forst ...

Nur ein kleiner Streifen Wald trennt die besetzte Wiese noch von dem immer weiter vorrückenden Tagebau Hambach. Wer auf dem Gras ruht, kann die Erschütterungen spüren, die die Umwälzung der Erde aussendet, und das kreischende Crescendo metallischer Laute, die immer wieder aus der Grube schallen, gemahnen an die Schmerzensschreie des zu fremdnütziger Verwertung in Maschinenform gebannten Lebens. Ein nur kurzer Fußweg führt an die Rodungskante des Waldes, wo den Bäumen die Galgenfrist eines letzten Sommers vor ihrem Tod in der nächsten Rodungssaison gewährt wird. Das planmäßige Abholzen wird flankiert von studentischen Hilfskräften, die die RWE auferlegten Naturschutzmaßnahmen umsetzen, indem die Nistplätze geschützter Arten markiert und zu ihrer Umsiedlung vorbereitet werden. Artenschutz als Feigenblatt systematischer Naturzerstörung - wer heute Biologe werden will, darf nicht wählerisch sein, wenn es um die Sicherung von Karrierechancen geht.

Querfeldein in Richtung Grube gehen ist nur möglich bis zu den vielen Verbotsschildern, die das Gelände als Teil des Tagebaubetriebes ausweisen. Doch auch vor der Sicherheitszone, die an die Stelle des vernichteten Waldes getreten ist, erhalten Wanderer einen intensiven Eindruck davon, was die Transformation einer Kulturlandschaft zur Produktionsstätte jener energetischen Ressource bedeutet, zu deren Sicherung längst Kriege in aller Welt geführt werden. So auch hier, möchte man beim Gang durch das Schlachtfeld niedergestreckter Bäume meinen, die ihrerseits zu Geld gemacht werden, wie die zu großen Stapeln aufgetürmten Stämme belegen. Der begehrte Rohstoff Holz hat längst seine eigene Ökonomie großmaßstäblicher Entwaldung in den Expansionszonen westeuropäischer Geldeliten hervorgebracht. Werden in Polen, Rumänien und Bulgarien die letzten urtümlichen Baumbestände gerodet, um hierzulande die natürliche Anmutung aus ihrem Holz gefertigter Wohnlandschaften zu unterstützen oder gar in Form von Scheiten und Pellets zu deren Beheizung verwendet zu werden, dann triumphiert "Schöner Wohnen" über den DIY-Primat der Aktivistinnen und Aktivisten, die ihre Kompostklos und Baumhäuser vorzugsweise aus Palettenholz oder anderen Resten unumkehrbaren Verbrauchs fertigen.


Ende der alten Autobahn, Blick auf beide Spuren, Rehe - Fotos: © 2017 by Schattenblick Ende der alten Autobahn, Blick auf beide Spuren, Rehe - Fotos: © 2017 by Schattenblick Ende der alten Autobahn, Blick auf beide Spuren, Rehe - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Geisterfahrt ...
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Was könnte die Bedeutung der Braunkohle für die Bundesrepublik besser ins Bild setzen als die Verlegung einer Bundesautobahn für das Erweiterungsgebiet der Grube Hambach? Selbst der Automobilismus, allem Widersinn seiner Raumforderung und Ressourcenverschwendung zum Trotz liebster Fetisch einer Gesellschaft, die die scheinbare Freiheit des mechanisch und logistisch hochgradig fremddeterminierten Individualverkehres gegen den Mut zur Freiheit vom Arbeitszwang der Kapitalverwertung eingetauscht hat, muß weichen, wenn die Bagger kommen. Ein halbes Jahrhundert lang donnerten die Autos zwischen Aachen und Köln durch den Hambacher Forst, doch die Verkehrswende sieht dort ganz anders aus, als sich die Kritiker dieser Form von Mobilität hätten wünschen können. Die statt dessen am Rand der Ortschaft Buir entstandene Verkehrstrasse zeichnet sich durch eine drastische Erhöhung des Lärm- und Abgasaufkommens aus, wozu sich bei Erfüllung der geplanten Ausweitung des Tagebaus noch der Lärm und die Feinstäube aus der Grube gesellen werden.


Wall am Ende der alten Autobahn - Foto: © 2017 by Schattenblick

... in den fossilistischen Abgrund
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Weiter am westlichen Rand des Tagebaus entlang stößt der Wanderer auf eine Aussichtsplattform, von der aus sich ein Blick in die von morgendlichem Dunst verhangene Grube werfen läßt. Um auf ihrer Sohle das sogenannte schwarze Gold zu fördern, wird im weiten Umkreis das Grundwasser abgepumpt, was den vordringlichen Eindruck, daß das Öffnen der Erde eine Wüste eigener Art hervorbringt, erklärt. Feuer und Wasser vertragen sich bekanntlich nicht, doch das Scheiden von beidem in großräumlicher Dimension kommt einer Verletzung der Erde gleich, die die Lebensfeindlichkeit dieser Form des fossilen Geoengineering erkennen läßt.


Warnhinweise, Gedenkort - Fotos: © 2017 by Schattenblick Warnhinweise, Gedenkort - Fotos: © 2017 by Schattenblick Warnhinweise, Gedenkort - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Von Warnungen und Verboten umstellt
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Nicht nur der Aussichtspunkt ist videoüberwacht - der ganze Randbereich der Grube gleicht einer Hochsicherheitszone. Überall patrouillieren die weißen Pickups der Securities, so wird das von privaten Sicherheitsfirmen gestellte Wachpersonal im Wald genannt, das den Wanderer mit mißtrauischen Blicken beäugt. Hier Freundlichkeit vorzuschützen wäre gänzlich vergebens. Die Männer, und um solche handelt es sich bei diesem Personal ausschließlich, sind darauf geeicht, Ortsfremde als potentielle Bedrohung zu handhaben. Ob einheimische Spaziergänger angesichts dessen an dem kleinen Gedenkort, wo eine Bank am Kreuz zum Niederlassen einlädt, Trost finden, darf bezweifelt werden. Auch die lokale Bevölkerung ist im Zweifelsfall ein Fremdkörper, dessen Umsiedlung sicherlich weniger schmerzhaft ist als die nackte Gewalt, mit denen indigene Bevölkerungen vertrieben werden, wenn ihre Lebenswirklichkeit vom Energiehunger fremder Interessen okkupiert wird. Ihr bleibt nicht verborgen, daß der einzelne Mensch, wenn er diesen Interessen nicht dienstbar gemacht werden kann, ein ausschließliches Befriedungs- und Entsorgungsproblem darstellt.

Diese Landschaft ist in permanenter Bewegung, das fällt an dem ortsfesten Aussichtspunkt, von dem aus sich gut sehen läßt, wie der Wald auf breiter Front abgebaggert wird, besonders auf. Gerade weil das Szenario in seinem technischen Ablauf immer gleich wirkt, sind verbliebene Ortsmarken wie die verlassene Autobahn, die über sie führenden Landstraßen oder die Reste ehemaliger Ortschaften wichtig, um sich überhaupt orientieren zu können. Der Tagebau ist kein Lebensraum für Mensch noch Tier, er ist Tatort eines industriellen Eingriffs, wo das Navigieren per GPS-Signal zuverlässiger ist als jede konventionelle Orientierung.

Menschenleer ist die Gegend an diesem naßkalten Februarmorgen, so daß die beiden in einem Kleinwagen mit Blickrichtung auf die Wiese sitzenden Männer unschwer als Zivilpolizisten zu erkennen sind. An diesem Tag werden im Vorfeld des Waldes Rodungsarbeiten vollzogen, zu denen die Bearbeitung des Wurzelwerks im Boden zählt. Doch nicht nur das: Am östlichen Rand des Hambacher Forstes werden quasi in letzter Minute noch Bäume gefällt, abgeschirmt von mehreren Mannschaftswagen der Polizei. Zu allem Überfluß rücken die Beamten auch noch mit schwerem Räumgerät an, um die von der Waldbesetzung auf den Wegen errichteten Barrikaden zu beseitigen.


Barrikade, Polizisten, Räumgerät - Fotos: © 2017 by Schattenblick Barrikade, Polizisten, Räumgerät - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Räumkommando
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Waldweg vor und nach Barrikadenräumung - Fotos: © 2017 by Schattenblick Waldweg vor und nach Barrikadenräumung - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Ordnung muß sein ...
Fotos: © 2017 by Schattenblick

Was für die Aktivistinnen und Aktivisten Momente höchster Anspannung bedeutet, da sie nicht wissen, ob es nicht auch zur Räumung ihrer Baumhäuser kommt, erweist sich als eine zwei Stunden währende Aktion, in der auf zwei Hauptachsen der von RWE zwecks Befahrbarkeit verbreiterten Waldwege nicht nur Barrikaden geräumt, sondern auch Wegweiser und Bauwerke der Waldbesetzung zerstört werden. Der große Aufwand, mit dem hier im Rahmen einer letztlich symbolischen Aktion die Ordnung des RWE-Staates wiederhergestellt wird, verdeutlicht noch einmal das völlige Mißverhältnis, mit dem der zivile Widerstand von der Staatsmacht herausgefordert wird. Daß diese unter gegebenen Bedingungen am längeren Hebel sitzt, ist auch den Besetzerinnen und Besetzern klar. Das kann für sie jedoch kein Grund sein, klein beizugeben, so daß als erstes nach dem Abrücken der Polizei die Barrikaden wieder aufgebaut werden.


Überdachte Bank mit Schild - Fotos: © 2017 by Schattenblick Überdachte Bank mit Schild - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Vorher ...
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Zerstörtes Schaubild - Foto: © 2017 by Schattenblick

... nachher
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Die Welt all derer, die sich widersetzen, ist unsichtbar

Wem gehört die Welt? Die Eigentumsfrage ist zentral für alle Belange welcher Form von Vergesellschaftung auch immer. Der weltweite Widerstand gegen die kapitalistische Landnahme, die über den Reichtum der Natur hinaus längst nach dem Menschen selbst greift und ihn auf ganz physische Weise in fremdnützigen Wert setzt, hat im Hambacher Forst seit fünf Jahren einen Fokus gefunden, in dem auf der Höhe der Zeit an die lange Tradition sozialökologischer Kämpfe in der Bundesrepublik und darüber hinaus angeknüpft und weitergedacht wird. Gerade weil er unverträglich ist mit einem gesellschaftlichen Frieden, der Naturressourcen und Lebewesen aller Art in seinen Betriebsstoff zu verwandeln sucht, wird er selbst von potentiell Gleichgesinnten mißtrauisch beäugt.


Schilder an Hecke und Gedenkort - Fotos: © 2017 by Schattenblick Schilder an Hecke und Gedenkort - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Orientierung für Wanderer am "Jesus Point" ...
Fotos: © 2017 by Schattenblick


Niedergerissener Schilderbaum - Foto: © 2017 by Schattenblick

Wo bitte geht's nach Mordor?
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Abreisender Polizist mit Schild 'Mordor' - Foto: © 2017 by Hambacher Forst

Ein Wegweiser als Trophäe
Foto: © 2017 by Hambacher Forst

Wenn zum Beispiel im durchaus instruktiven Kohleatlas, im Juni 2015 von der Heinrich-Böll-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem BUND herausgegeben [3], im Kapitel über die Proteste gegen die Kohleförderung und -verstromung zwar die Menschenkette im Erweiterungsgebiet des Tagebaus Garzweiler im April 2015 Erwähnung findet, aber kein Wort über die damals bereits drei Jahre währende Besetzung des Hambacher Forstes fällt, mutet das nicht wie ein beliebiges Versäumnis an. So namen- und gesichtslos die vielen Aktivistinnen und Aktivisten geblieben sind, die im Laufe der Jahre für die Fortdauer dieser höchst effizienten Form von Widerstand gesorgt haben, so sichtbar ist das Zeichen, das sie gesetzt haben. Indem sie demonstrieren, daß ihnen gesellschaftlicher Erfolg und persönliche Anerkennung nichts bedeuten, erteilen sie auch der auf Profilierungssucht und Karrierestreben basierenden Eigentumsordnung eine Absage.

Im sozialdarwinistischen Wettbewerb auf den erschöpften Leibern derjenigen voranzukommen, die auf der Strecke niemals zureichender Leistungsanforderungen bleiben, verheißt nichts anderes als selbst aus dem übervollen Kelch schmerzhafter Ohnmacht eingeschenkt zu bekommen. Demgegenüber für all diejenigen einzutreten, die ebenfalls keine Stimme und kein Gesicht haben, die nicht einmal ignoriert werden, weil der Spiegel angstgetriebener Reputationsnot und neofeudalen Distinktionsstrebens sie nicht reflektiert, ist Ausdruck einer Position, die ihre Stärke und Haltbarkeit gerade daraus zieht, daß es ihr um die Sache selbst geht. Und die betrifft die Luft, das Wasser, Pflanzen, Bäume, nichtmenschliche und menschliche Tiere ...


Bild von Hängebrücke auf Baum befestigt - Foto: 2017 by Schattenblick

Foto: 2017 by Schattenblick


Fußnote:


[1] https://earthobservatory.nasa.gov/IOTD/view.php?id=77723&src=eoa-iotd

[2] http://www.akweb.de//ak_s/ak624/22.htm

[3] https://www.boell.de/de/2015/06/02/kohleatlas


Beiträge zum Widerstand im Rheinischen Braunkohlerevier im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → REDAKTION → REPORT:

GESCHICHTEN AUS DEM WIDERSTAND/001: Krieg der Bäume - Kohlebrand verschlingt das Land ... (SB)
GESCHICHTEN AUS DEM WIDERSTAND/002: Krieg der Bäume - Menschenketten, Waldbesetzer und Besucher ... (SB)
GESCHICHTEN AUS DEM WIDERSTAND/003: Krieg der Bäume - Demo, Stimmen und Proteste ...    O-Töne (SB)
GESCHICHTEN AUS DEM WIDERSTAND/004: Krieg der Bäume - Knüppeldick und ohne Grund ...    Todde Kemmerich im Gespräch (SB)
GESCHICHTEN AUS DEM WIDERSTAND/005: Krieg der Bäume - Keinesfalls nur Verweigerung ... (SB)
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GESCHICHTEN AUS DEM WIDERSTAND/007: Krieg der Bäume - das Wagnis entschiedener Lebensführung ...    Aktivistin Nura im Gespräch (SB)
GESCHICHTEN AUS DEM WIDERSTAND/008: Krieg der Bäume - Richtungswechsel ...    Aktivist Tim im Gespräch (SB)


31. März 2017


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