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GESCHICHTEN AUS DEM WIDERSTAND/010: Krieg der Bäume - der alte Kampf im steten Wandel ...    Peter Illert im Gespräch (SB)


Grafik: © 2017 by Schattenblick


Interview im Hambacher Forst am 22. Februar 2017

Peter Illert ist seit Jahrzehnten in sozialökologischen Bewegungen aktiv. Im Hambacher Forst beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen, in denen er die Waldbesetzung im Licht seiner eigenen Geschichte des Widerstands gegen die Erweiterung des Frankfurter Flughafens, der bis heute andauert [1], kommentiert.


Im Hambacher Forst - Foto: © 2017 by Schattenblick

Peter Illert
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Peter, was ist für dich an der Aktionsform der Waldbesetzung wesentlich?

Peter Illert (PI): Die Waldbesetzung soll anpolitisieren. Das kann ungeheuer prägen. Unter Umständen kannst du Menschen für ein ganzes Leben gewinnen. Das hier ist einer der wenigen Plätze, wo die gesellschaftliche Konfrontation sinnlich erfahrbar ist. Normalerweise wird versucht, so etwas mit Mediation, Einkaufen, Einbinden abzustoppen. Das Camp gibt es allerdings nur aufgrund einflußreicher Unterstützung. Man ist zwar nicht unbedingt für das Camp, aber glaubt, daß RWE ein Gegengewicht braucht.

SB: Geht diese Unterstützung deiner Ansicht nach von NGOs wie dem BUND aus?

PI: Nicht nur. Ich denke, dazu gehören auch höhere Kreise. Die haben natürlich die Hand drauf, um das nicht eskalieren zu lassen. Man hatte schon so viele Maßgaben wie Gefahrenabwehr und so weiter, die für eine Räumung ausgereicht hätten, und hat es doch nicht gemacht. Natürlich sind auch Grundrechtsfragen und Bürgerrechte insbesondere auf der besetzten Wiese im Spiel. Ohne die Wiese würde auch die Waldbesetzung nicht mehr laufen.

SB: Daß die Wiese noch als Ort des Widerstands existiert, ist ja auch ihrem Besitzer Kurt Claßen zu verdanken.

PI: Der natürlich gegen die Autobahn kämpft. Ich war schon 2012 bei den ersten Besetzungen hier zugegen. Da wurde es Kurt Claßen einfach zuviel. Als geräumt wurde, haben sie auch die lokale Bevölkerung sehr rüde behandelt: "Hier ist ein Gefahrenbereich, und ihr müßt hier verschwinden." Als die Leute auf der Straße kampiert haben, hat er damals spontan die Wiese als Ausweichquartier zur Verfügung gestellt. Sie wollten sie dann gleich räumen und haben ihn auf seinem eigenen Grund verhaftet. Kurt Claßen ist natürlich ungeheuer im Clinch und wird jetzt auch finanziell ruiniert. Er wird aber von der BI gestützt, und es gibt auch Überlegungen, wie man das auffangen kann.

SB: Michael Zobel hat am Sonntag auf der Rote-Linie-Aktion erklärt, daß die dort gesammelten Spenden auch für Herrn Claßen gedacht sind.

PI: Das ist auch gut so, denn ohne ihn wäre der Wald längst geräumt worden. Wenn du zivilen Ungehorsam machen willst, brauchst du legale Unterstützung.

SB: Kannst du einmal in Sicht auf deine eigene Geschichte des Widerstandes gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens erklären, inwiefern du Parallelen zum Widerstand im Hambacher Forst ziehen würdest?

PI: Die Situation um den Flughafenausbau war ähnlich zugespitzt. Es war ausprozessiert, dann war Sofortvollzug, und wir haben uns damals zusammen mit den Umlieger-Gemeinden quergestellt. Dort waren vor allem die Bürgerschaften und Stadtparlamente, das Handwerk und die Wirtschaft aktiv. Im Grunde, so sehe ich es heute, war es der Abwehrkampf einer mittelständischen Ortskultur, die das auch tragen konnte. Mir ist später klargeworden, daß wir das ohne sie nicht hätten durchführen können. Damals habe ich das noch nicht so gesehen. Wir waren halt die Fighter, wir haben das Hüttendorf errichtet und darin gewohnt, mit ähnlichen inneren Auseinandersetzungen wie hier, auch was die Gewaltdiskussion betrifft, wobei ich damals strikt gewaltfrei war.

SB: Das war das Hüttendorf Anfang der 80er Jahre?

PI: Das war das Hüttendorf im Flörsheimer Wald 1980 und 1981. 2008 und 2009 gab es im Kelsterbacher Wald eine weitere Besetzung, die ein bißchen der Vorläufer vom Hambacher Forst war. Nach der Räumung sind damals viele hierhergekommen. Ich habe hier einen Freund getroffen, mit dem ich 2008 im Kelsterbacher Waldcamp war. Er war damals noch nicht einmal 20. Jetzt ist er zu einem einwöchigen Besuch hier. Einer unserer gemeinsamen Freunde aus Kelsterbacher Zeiten hat die Hambacher Besetzung mit aufgebaut und vor allem strategisch durchgeplant. Er meinte schon 2012, man müsse den Wald wieder und wieder besetzen, wenn geräumt würde, so daß das wirkungslos oder sogar kontraproduktiv für die Räumer würde. Er hing stark an den internationalen Konzepten des "Klimaschutzes von unten", wie sie bei Klimacamps in England, Schottland und Australien entwickelt und umgesetzt wurden.

Das Kelsterbacher Camp wurde vor allem von Leuten organisiert, die bei Genfeldbesetzungen aktiv waren. Da die Versuche abgebrochen wurden, waren die Leute praktisch arbeitslos. Dann wurde das Camp mit Unterstützung von Robin Wood eingerichtet. Beteiligt waren auch die Umlieger-Gemeinden. Ohne die wäre das nicht möglich gewesen. Heute ist jedoch eine politische Wende erfolgt. Die damaligen Bürgermeister wurden fast alle abgewählt. Heute wäre die Grundlage für diese Unterstützung nicht mehr vorhanden. Das schwindet immer mehr.

SB: Ist das deiner Ansicht nach ein altersbedingter Generationenwechsel oder auch ein gesamtgesellschaftlicher Trend?

PI: Ich erkläre mir das ein bißchen so, daß sich die Milieus, im guten wie im schlechten, auflösen, die das weitgehend getragen haben. Heute gibt es zum Beispiel immer weniger Vereine, und die ländlichen Gebiete verlieren ihre Eigenständigkeit. Buir wehrt sich schon noch ein Stück, die sitzen auch auf der besten Kohle.

Damals beim Widerstand gegen die Startbahn West hatten wir diese Auseinandersetzungen mit dem Staat, es hieß ja auch "Staat-Bahn-West" bei uns. Wir haben gemeint, wir könnten das mit Massenaktionen stoppen und hätten es auch fast geschafft. Wobei es auch dabei große innere Widersprüche gab. Bis heute flammt der Streit immer wieder auf, wer das verbockt hat. Vermutlich wäre die Startbahn West trotzdem gebaut worden. Die SPD wurde damals inhaltlich richtig demontiert, so wurde das auch mit Bundesunterstützung durchgezogen. Die Bundesregierung war der Ansicht, wenn Hessen kippt, dann kippen wir mit. Das war halt die große Politik. Wir haben später gemerkt, daß es eine Ebene darüber gibt, wo wir nicht mitreden können. Wir haben uns statt dessen mit der Polizei gekloppt. Seitdem habe ich gelernt, das nicht persönlich zu nehmen, auch bei den Auseinandersetzungen hier. Der einzelne Polizist macht das in begrenztem Maße freiwillig, obwohl er natürlich den Job werfen könnte. Ich habe auch gelernt, sich immer auf eine Seite zu stellen. Es ist ganz schwer, dazwischen zu pendeln.

SB: Meinst du, daß Parteilichkeit eine Voraussetzung ist, um so einen Kampf überhaupt führen zu können?

PI: Ja, hier sind auch einige Besetzer mit einigen Sachen nicht einverstanden. Einige Leute haben ein militantes Konzept. Dagegen werden Abwägungen geltend gemacht, bei denen ethische Gründe angeführt werden oder die Frage gestellt wird, ob das nicht Unterstützung kostet. Doch dann siehst du, daß gerade die militanten Aktionen letztlich Aufmerksamkeit erzeugen wie etwa das Auto, das auf dem Kopf lag und häufig angeklickt wurde. Natürlich bekommst du teilweise auch Unterstützung, die du gar nicht willst, wo ich der Meinung bin, das das nicht nachhaltig ist. Ich war auch in Mutlangen bei den Protesten gegen die Stationierung der Pershing-II-Raketen und bin nach wie vor der Meinung, daß du nie ein Mittel wählen solltest, das dir deine Ziele verbauen könnte.

SB: Meinst du, wenn man im ethischen Sinne Gewalt ablehnt, dann sollte man auch keine derartigen Mittel benutzen?

PI: Ja. Ich würde sagen, wenn du jemanden verkloppst, mußt du damit rechnen, selber verkloppt zu werden. Du kannst ja auch militant gewaltlos sein. Um so mehr Disziplin mußt du haben. Wir hatten Demos, die wirklich gefährlich waren. So kamen Leute vom Anfang der Demo und schmissen mit Steinen nach hinten auf die Polizei, die hinter uns hergelaufen ist. Solche Sachen gehen halt nicht. Oder auch die Anwendung von Sabotage. Du mußt immer daran denken, keine Folgen zu verursachen, die du nicht willst. Wenn Leute offen über die Frage radikaler Militanz reden, dann kann man sich damit auseinandersetzen, aber so dumme Sachen ...

Das ist auch ein gutes Stück Theater, das kannst du als Jugendlicher machen. Ich könnte nicht mehr mit der Haßmaske herumlaufen. Das wäre unglaubwürdig. Weil ich andere Möglichkeiten habe. Es gibt Situationen, in denen Leute, die keine Gewalt ausüben, trotzdem gewalttätiger sind. So haben zum Beispiel in Mutlangen am Zaun Leute demonstriert, die sich schrecklich über die US-Soldaten aufgeregt haben. Dann stellte sich heraus, daß sie aus München kamen und bei Siemens angestellt waren. Wir haben gesagt, was ihr macht, ist vom Strukturellen her viel schlimmer als das, was der kleine GI macht. Weil ihr die Wahl hättet, das nicht zu machen.

SB: War damals noch Wehrpflicht in den USA?

PI: Nein. Aber es waren ganz viele in der Army, die ihre Alimente nicht gezahlt haben oder Schulden hatten. So sehe ich das hier auch ein wenig. Es geht auch um die Leute, die hier wohnen. Die Besetzer werden vermutlich hier wieder weggehen. Das wollen vielleicht auch die Leute, die hier wohnen, aber sie müssen dennoch mit den Folgen klarkommen. Man muß sie gewinnen, aber das hat sich auch ganz schön gedreht in den Jahren. Diese Zähigkeit der Besetzer wird respektiert. Daß ist nicht nur "Schöner wohnen".

Das ging uns teilweise im Kelsterbacher Wald und im Hüttendorf gegen die Startbahn West auch so. Wir wurden daran gemessen, wie wir mit dem Wald umgegangen sind. Das hat eine gewisse ausgleichende Gerechtigkeit, deswegen konnte es auch nicht so abheben. Das Hüttendorf ist im Grunde an seinen eigenen Problemen kaputtgegangen. Wir waren nicht in der Lage, uns zu organisieren. Auch wegen Drogengeschichten. Es kamen viele, die Hilfe brauchten und sie auch eingefordert haben. So eine Gruppe kann nur eine bestimmte Anzahl von Leuten mit schweren Problemen tragen, das ist hier nicht anders, wie dementsprechende Auseinandersetzungen belegen. Hier sind viele in die Baumhäuser gezogen, weil es einfach mehr Privatsphäre gibt. Die Baumbesetzungen sind zunehmend autonomer von der Wiese geworden, haben eigene Unterstützungssysteme und zudem ein höheres Sozialprestige. Nur auf der Wiese zu sein wäre nicht gutgegangen. So eng aufeinander zu hocken ist ein extrem stressiges Leben. Ich möchte es nicht mehr machen.

SB: Steht der Widerstand im Hambacher Forst in deinen Augen in der Tradition der Bewegung gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens?

PI: Für jede Generation gibt es bestimmte Schlüsselauseinandersetzungen. Wir haben das Riesenproblem, daß der Frankfurter Flughafen ständig wächst, und wir haben auch das Klimathema, aber das ist sinnlich nicht so wahrnehmbar. Ich glaube, daß der Kampf gegen die Braunkohle gewonnen werden kann. Selbst wenn der Wald nicht gerettet werden sollte, hat der Widerstand für viele Leute hier mehrere Zwecke. Wir schützen uns, unsere Einstellung, den Wald und auch diese Erde, indem wir verhindern wollen, daß die Braunkohle herausgeholt wird.

Beim Kampf gegen die Startbahn West ging es damals um den Wald. Es war einer der ersten einer bestimmten Form von ökonomisch-ökologischen Konflikten, und der Hambacher Forst ist womöglich einer der letzten auch in der Art, wie sie ausgetragen werden. Die meisten modernen Konflikte sind komplexer und nicht so einfach ins "Gut-Böse"-Schema zu fassen. Zu Startbahn-West-Bauzeiten flogen nur die Reichen, heute nutzen alle Schichten das Flugzeug, wenn auch nicht im globalen Maßstab.

Unser großes Vorbild war Gorleben. Die Hütte, an der ich mitgebaut hatte, war ein Eins-zu-Eins-Nachbau einer Hütte in Gorleben. Der Kampf gegen den Bau eines AKW in Wyhl war ungeheuer prägend. In Walldorf hatten wir zum einen die Waldenser, die reformierte Tradition, und die DKP, die Kommunisten aus Mörfelden. Das war eine Kombination, an der die Polizei schwer zu knacken hatte, wir im Hüttendorf natürlich auch. Wir mochten beide nicht besonders. Die Kommunisten haben immer etwas von "Massenlinie" und "keine Drogen" gesagt, und die Kirchenleute haben dieses Aufreizende, daß den Haß vieler Jugendlicher auf die Eltern provoziert.

SB: Meinst du, daß die Geschichte dieser Bewegung noch einmal geschrieben werden müßte?

PI: Nein, eigentlich nicht. Wichtig ist, daß die Leute es weitergeben und weitererzählen, da sehe ich auch meine Rolle. Die Erfahrungen, die gemacht werden, muß jeder wieder neu machen. Du kannst nicht sagen, das hat nicht geklappt, das wird bei euch auch nicht klappen. Das kann ganz anders sein. Außerdem ändern sich die gesellschaftlichen Bedingungen ständig. Damals waren es fast alles Studierende oder Leute zwischen Schule und Lehre. Heute ist es fast wie früher in der DDR, wo es immer hieß, daß die Studierenden die angepaßteste Gruppe der Bevölkerung sind, weil sie sofort relegiert wurden, wenn sie nur den Mund aufmachten. Heute bist du, wenn du studierst, so sehr eingebunden, daß du so etwas wie hier einfach nicht mehr machen kannst. Ein Widerspruch bestand auch darin, daß unser Widerstand fast schon staatlich alimentiert war. Es war die Zeit der Punkbewegung, als ganz viele Jugendliche aus ganz miesen Verhältnissen ausgebrochen sind. Die hast du heute auch nicht mehr, die sind eher bei den Rechten.

SB: Peter, vielen Dank für das Gespräch.


Andachtsort mit Hecken und Bank - Foto: © 2017 by Schattenblick

Begegnung am "Jesus Point" am Morgen nach der Barrikadenräumung
Foto: © 2017 by Schattenblick


Fußnote:

[1] http://waldbesetzung.blogsport.de


Beiträge zum Widerstand im Rheinischen Braunkohlerevier im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → REDAKTION → REPORT:

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3. April 2017


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