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GESCHICHTEN AUS DEM WIDERSTAND/011: Krieg der Bäume - ein Christ steht zu seinen Freunden ...    Kurt Claßen im Gespräch (SB)



Grafik: © 2017 by Schattenblick

Interview in Buir am 22. Februar 2017

Kurt Claßen ist als freiberuflicher Steuerberater in der zur Stadt Kerpen gehörigen Ortschaft Buir tätig. Obwohl bislang mit dem Versuch, die Verlegung eines Teilstücks der Bundesautobahn A 4 an den Ortsrand von Buir auf dem Klageweg zu verhindern, nicht erfolgreich, versucht er weiterhin, gegen die geplante Erweiterung des Braunkohletagebaus Hambach bis nach Buir auf rechtlichem Wege vorzugehen. Als Besitzer einer unmittelbar am tagebaubedrohten Hambacher Forst gelegenen Wiese hat er zudem maßgeblichen Anteil am Widerstand der dort lebenden Aktivistinnen und Aktivisten.

Der Schattenblick fragte Kurt Claßen nach den Beweggründen, die ihn zu diesem außerordentlichen, im besten Sinne bürgerlichen und zivilgesellschaftlichen Engagement gegen die Zerstörung des Waldes und der Kulturlandschaft der Region durch den Tagebaubetreiber RWE veranlassen. Radio Corax hat zudem ein aktuelles Interview [1] mit Kurt Claßen geführt, in dem es um jüngste Entwicklungen im Zusammenhang mit seiner Klage gegen die Erweiterung des Tagebaus geht.


Im Gespräch - Foto: © 2017 by Schattenblick

Kurt Claßen
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Kurt, du bist Eigentümer der Wiese am Wald, auf der die sogenannte Wiesenbesetzung stattfindet. Wie ist es für dich, daß auf deiner Wiese ein inzwischen berühmtes Protestcamp angesiedelt ist?

Kurt Claßen (KC): Berühmt? Es hat schon einen gewissen Bekanntheitsgrad, und die Aktivisten haben ziemlich freie Hand auf dem Grundstück, es gibt keine festen Regelungen. Die betreiben ihr Geschäft, ich betreibe mein Geschäft, das ist mehr oder weniger auch eine gewisse Arbeitsteilung. Eine Standardformulierung heißt immer, ich würde die Aktivsten dulden.

Als die Besetzung begann, hatte ich die Idee, nur das gleiche zu tun, was RWE gemacht hat. RWE hatte die Aktivisten zuvor auch über mehr als neun Monate im Wald geduldet. Ich dachte, was RWE erlaubt ist, ist mir auch erlaubt, das kann ich auch machen, das ist unproblematisch, und habe dann zugelassen, daß die Wiese von den Aktivisten benutzt wird. Der Hintergrund war, daß die Tunnelbesetzung [2] auf recht spektakuläre Weise gewaltsam beendet worden war. Mir ging es an sich darum, dass der Widerstand fortgesetzt wurde. Ich hatte schon während der Waldbesetzung versucht, das Augenmerk auf die Wiese zu lenken, aber hatte da noch kein Gehör gefunden, der Wald war ja noch besetzt.

SB: Woraus speist sich dein persönliches Engagement in dieser Angelegenheit?

KC: Ausgangspunkt ist die Verlegung der A4 gewesen, ich hatte dagegen geklagt. Die Bevollmächtigte hatte ihr Mandat einen Monat vor der mündlichen Verhandlung niedergelegt, man wollte dieses Verfahren für 1500 Euro abwickeln. Das Mandat wurde niedergelegt, ich stand ohne Anwalt da und musste einen neuen Anwalt besorgen, das ist recht teuer geworden, 250 Euro pro Stunde plus Umsatzsteuer habe ich bezahlen müssen. Ich hatte zusammen mit meinem Vater und meinem Bruder geklagt. Die Kosten insgesamt - Anwaltskosten, Gerichtskosten usw. - betrugen etwa 35.000 Euro. Die Klage ist dann abgewiesen worden im Nachhinein aus verständlichen Gründen, denn ich hatte kein Grundstück auf der Trasse der Autobahn, war infolge dessen nicht unmittelbar Betroffener. Die Abweisung der Klage hat mich ziemlich geärgert.

SB: Was waren die hauptsächlichen Gründe dafür, die Verlegung der Autobahn A 4 an den Ortsrand von Buir zu verhindern?

KC: Es ging um die Lärm- und Abgasbelastung, aber auch darum, dass der naheliegende Erbwald, ein Teil des Hambacher Forstes, nur noch auf Umwegen zu erreichen war, die bestehende Brücke über die Eisenbahnlinie wurde nicht mehr über die Autobahn weitergeführt. Die Autobahnverlegung sollte erfolgen, wie es im Wortlaut der Genehmigung hieß, "tagebaubedingt". Der Tagebau sollte der Grund dafür sein, dass die Autobahn verlegt werden sollte. Doch es stellte sich mir die Frage: Ist der Tagebau überhaupt notwendig? Da ist mir eigentlich die Problematik des Tagebaus erst so recht zu Bewusstsein gekommen. Wie wichtig ist der Tagebau? Muss der wirklich dort betrieben werden, an dieser Stelle? Wie wichtig ist er für die Stromversorgung, in NRW, in Deutschland, in Europa? So gibt es im sogenannten Rheinischen Braunkohlerevier in erheblichem Umfang Stromexporte nach Frankreich, in die Niederlande, teilweise nach Belgien und neuerdings auch nach Österreich, ein beachtlicher Teil der Kohle wird zu Briketts oder zu Braunkohlenstaub unter anderem für eine Papierfabrik in Zülpich verarbeitet, von RWE als "Veredelung von Kohle" bezeichnet ... und dafür sollte mir die Autobahn vor die Nase gesetzt werden?

Dass der Hambacher Fort abgeholzt wurde, hat mich ohnehin gewaltig geärgert. Zur Zeit der Waldbesetzung habe ich dorthin noch meine Streifzüge mit dem Hund gemacht, von hier in Buir aus über Morschenich zu Fuß auf die andere Seite der Autobahn, dann zum Camp und dann wieder zurück. Weit ausgedehntere Streifzüge von rund 20 bis 25 Kilometer hatte ich noch unternommen, bevor der Tagebau kam. Der Hambacher Forst war einmal so groß - ich erinnere mich noch genau an diesen sonnigen Samstagnachmittag - hatte ich mich sogar einmal darin verlaufen und bin stundenlang im Wald umhergeirrt, ohne eine Menschenseele zu treffen. Das alles sollte dann von heute auf morgen nicht mehr möglich sein.

Schon als Kind bin ich fast jeden Sonntag mit dem Fahrrad an der Wiese vorbei gekommen, wo es einen Graben gibt, über den mittlerweile eine Brücke führt. Mein Vater vorneweg und ich mit meinen kurzen Beinen hinterher. Ich hatte ein kleines Zweirädchen für Kinder, ich war vielleicht vier oder fünf Jahre, dann ging es darum, dass man den Graben runterfuhr, auf der anderen Seite wieder hoch, man musste Schwung nehmen, das war ein gewisses Wagnis, auch eine kleine Mutprobe. Das alles stand nun zur Disposition.

SB: Kannst du dich an die Zeit erinnern, wo der Hambacher Forst noch unangetastet war, bevor der Tagebau begann?

KC: Ja, der Hambacher Forst ist seinerzeit insgesamt 85 Quadratkilometer groß gewesen. Die Zahlen, die ansonsten genannt werden, sind nicht zutreffend. Am Geografischen Seminar in Köln hat jemand eine Diplomarbeit über den Hambacher Forst geschrieben, der Verfasser ist auch hier gewesen, hat mich interviewt und mir dann das Ergebnis zur Verfügung gestellt. In diesem Zusammenhang ist ermittelt worden, dass die Fläche des Hambacher Forstes ursprünglich ziemlich genau 85 Quadratkilometer betrug. Man kann das in etwa abschätzen, in Süd-Nord-Richtung von hier in Buir bis nach Elsdorf sind es etwa zehneinhalb Kilometer Luftlinie und acht Kilometer in West-Ost-Richtung. Der Hambacher Forst ist teilweise auch ausgefranst, ein Stück steht noch in der Nähe des ehemaligen Ortes Hambach, westlich der Sophienhöhe, da gibt es den gleichen alten Baumbestand wie hier. Ein weiteres Stück des alten Hambacher Forstes steht noch auf der anderen Seite des Tagebauloches, bei Elsdorf, da gibt es einen ganz kleinen Streifen in der Nähe der Aussichtsplattform von RWE, wo man diesen alten Baumbestand noch bewundern kann.

Wenn man damals an einer Waldführung teilgenommen hätte und an dem äußersten westlichen Punkt des heute noch bestehenden Hambacher Forstes angelangt wäre, hätte man eine Eisenbahnlinie sehen können, die quer durch das Gebiet des heutigen Tagebaus nach Elsdorf und weiter nach Neuss führte. Es gab dort ein Forsthaus mit einer großen Liegenschaft, mit Wiese, Pferden, ich meine sogar Kühe, das war eines der damals beliebten Sonntagsausflugsziele in der Region.

Ich kann mich sogar noch an die Zeit erinnern, als Braunkohle unter Tage abgebaut wurde. Zusammen mit den Müttern und Kindern der Nachbarschaft sind wir damals zu Fuß dorthin gezogen, unterwegs gab es Sauerampfer zu essen, der wuchs auf einem Grasweg, der heute noch existiert, nun aber mit Kies belegt ist. Ich habe sogar noch ein Bild im Kopf von Sand und dem Bau der Autobahn. Ich bin mit meinem Vater bei der Brücke über der Autobahn in Morschenich gewesen, als dort die Bauarbeiten im Gange waren.

Da, wo jetzt der Secu-Punkt ist, war es in unserer Jugend immer eine große Überwindung, mit den Fahrrädern den Berg hoch über die Autobahnbrücke zu fahren, auf der anderen Seite dann wieder hinunter durch den Nachbarort Etzweiler nach Elsdorf zum Freibad mit seiner noch heute existierenden Attraktion, einem 10-Meter-Sprungturm. Bei der Tankstelle in Etzweiler war eine Sammelstelle für Maiglöckchenblätter, die für die Arzneimittelherstellung verwendet wurden. Die wurden damals in großen Säcken gesammelt. Heute würde man das aus Naturschutzgründen nicht mehr machen, eben so wenig wie der noch länger zurückliegende Verkauf von Maiglöckchen aus dem Hambacher Forst an den Hauptbahnhöfen in Köln und Aachen.

SB: Wirst du hier von der Bevölkerung dafür kritisiert, dass du mit deiner Wiese so verfährst, wie du es tust?

Der Zuspruch überwiegt. Beim Edeka-Markt bin ich vor kurzem von einer mir unbekannten Frau angesprochen worden, die sprach mir Mut zu. Es gibt auch einen ehemaligen Mitarbeiter von RWE, der wohnt hier in der Nachbarschaft, der sagt, aus Loyalität zu seinem ehemaligen Arbeitgeber wolle er sich dazu nicht äußern, das kann man verstehen und muss dies akzeptieren. Vor einigen Wochen bin ich zu meiner großen Überraschung von jemandem angesprochen worden, der eine Unterschriftenaktion gegen die Aktivsten unternehmen wollte oder unternommen hatte, davon habe ich weiter nichts mehr gehört. Das war wohl eine ganz große Ausnahme.

Neben Sympathiebekundungen für die Aktivisten auf der Wiese gibt es auch praktizierte Solidarität hier. Der Holzmichel zum Beispiel, der versorgt die Wiese regelmäßig mit Lebensmitteln und Material. Ich kenne ihn persönlich von Kindesbeinen an, ein ehemaliger Schreinergeselle hier aus dem Ort, der aus einfachsten Verhältnissen kommt und bei der Wiese als der Holzmichel bekannt ist. Der ehemalige Pastor von Buir hat die Wiese wiederholt besucht. Der Hausarzt hier in Buir hat seinerzeit persönlich mit angepackt, um beim Bau die Hütten der ersten Waldbesetzung zu helfen. Ein Nachbar hat den Aktivisten Baumaterial und Farbe überlassen, gelegentlich wurde mir aus der Nachbarschaft Kleidung und - von meinem Vater - Schuhe für die Aktivisten übergeben. Manche fühlen sich aber auch ohnmächtig und sagen, gegen RWE und den Staat kann man sowieso nichts machen.

Das ist auch eine Schwäche meiner Argumentationslinie gegen die Verlegung der Autobahn, die ich wohl noch einmal ändern muss. Kaum jemand glaubt noch daran, dass die Autobahn noch einmal zurückverlegt wird. Obwohl, wenn man praktisch denkt, die Autobahnrückverlegung kostet 200 Millionen, RWE macht jetzt sogar 5,7 Milliarden Verlust, 1,4 Milliarden waren es 2015. Wenn man die Verluste einspart durch den Tagebau, dann kann man damit wohl ganz locker auch Abfindungen an die ausgeschiedenen Mitarbeiter zahlen, die sich dann einen guten Tag und damit zugleich um die Umwelt verdient machen könnten. Das ist auch nicht teurer, als wenn man 1,4 Milliarden Verluste oder mehr jedes Jahr macht.

SB: Die Zwangsläufigkeit der Erweiterung des Tagebaus, bei der immer auch mit Jobs argumentiert wird, rechnet sich deiner Ansicht nach also nicht einmal ökonomisch?

KC: Der Tagebau ist für NRW gar nicht notwendig. Es werden hier 178,8 Terrawatt-Stunden Strom aus Braunkohle erzeugt, 138,8 werden in NRW benötigt. Das ist eine Überproduktion von 40 Terrawatt-Stunden. Aus dem Tagebau Hambach kommen nach meinen Berechnungen 17 bis 19 Terrawatt-Stunden, sehr kompliziert und nur auf Umwegen errechnet, RWE mauert hier bis an die gesetzlich gerade noch zulässige Grenze. Wenn der Strom aus dem Tagebau Hambach komplett wegfällt, ist immer noch eine Überproduktion an Strom vorhanden, ein Strom-Notstand für NRW würde nicht entstehen. Der Strom wird auch teilweise exportiert, für die Stromversorgung in Frankreich sind RWE und auch das Land NRW aber nicht zuständig. Es müssen hier auch notwendigerweise keine Tagebaue genehmigt und betrieben werden, damit die Niederlande Strom daraus bekommen, die sind für ihre Stromversorgung selbst verantwortlich. Das geht sogar noch weiter, denn NRW ist auch nicht dafür verantwortlich dafür, dass Bayern oder andere Bundesländer hinreichend mit Strom versorgt werden. Dafür muss NRW keine Tagebaue betreiben. Das dient nicht dem Wohl von NRW, das dient dem Wohl von Bayern, Österreich, Frankreich, Niederlande. Das ergibt sich auch aus dem Garzweiler-Urteil. Da wird etwa konstatiert, dass ein Braunkohlentagebau in NRW vorrangig (im Wortlaut des Verfassungsgerichts: "primär") nur zur Stromversorgung in NRW dienen, ansonsten nicht zugelassen werden darf.

SB: Michael Zobel hat auf der Rote-Linie-Aktion erklärt, dass ein Teil der dort gesammelten Spenden auch an deine Adresse gehen. Welche Verluste erleidest du durch dein Engagement?

KC: Michael Zobel hat einen Teil der bei ihm eingegangenen Spenden an mich weitergeleitet. Der ganz weit überwiegende Teil der Spenden kommt allerdings von anderer Seite.

Über alle Jahre bin ich sehr stark in Vorleistung getreten. Über die möglichen Kosten der notwendigen Verfahren habe ich mir nicht allzu viele Gedanken gemacht, es musste ja irgendwie weitergehen. Aufgewacht, richtiger aufgeschreckt bin ich dann allerdings, als das Verwaltungsgericht Aachen den Streitwert für die Klage gegen den Tagebau Hambach (3. Rahmenbetriebsplan Hambach) auf 30.000 Euro festgesetzt hatte. Die aufgrund dessen zu erwartenden Gerichts- und Anwaltskosten beliefen sich auf deutlich mehr als 8.000 Euro. Hinzu kamen dann noch mehrere tausend Euro für Fachanwälte für Berg- und Verwaltungsrecht. Da wurde mir bewusst, dass ich insgesamt "überzogen" hatte.

Ohne die Spenden wäre ich am Ende gewesen. Als die Spendenaktion anlief, waren es grob aus der Erinnerung geschätzt um die 15.000 Euro, mit denen ich für Gerichts- und Anwaltskosten in Vorleistung getreten war. Mittlerweile sind noch weit mehr Kosten entstanden, einen genauen Überblick habe ich zurzeit noch nicht. Es hat auch den Anschein, als ob ich trotz des ganz beachtlichen Spendenaufkommens wieder in Vorleistung getreten sein könnte.

SB: Ist es richtig, dass die Verknüpfung zwischen deiner Klage gegen den 3. Rahmenbetriebsplan und deiner Eigentümerschaft der Wiese nicht zwingend ist?

KC: Nein, das stimmt nicht. Das Eigentum an der Wiese gewährt Nachbarschaftsrechte, die durch das Grundgesetz geschützt sing. Wollte RWE in der Nachbarschaft der Wiese ein Atomkraftwerk oder eine Chemiefabrik errichten, hätte ich schon ein gewaltiges Wörtchen mitzureden. RWE aber will mehr. RWE will nicht nur in der Nachbarschaft der Wiese einen Tagebau betreiben, RWE will das komplette Eigentum an der Wiese. Da Verletzung dieses Eigentumsrechtes drohte, war die Klage gegen den 3. Rahmenbetriebsplan Hambach zwingend zuzulassen.

SB: Auf der Wiese, so wurde mir erzählt, wirst du als Chef tituliert.

KC: Das ist völliger Quatsch, ich lasse die machen, die haben völlig freie Hand, die brauchen auch keine Genehmigung, wo sie welche Bauten in welcher Form errichten wollen, wie der Weg läuft, welche Aktivitäten da entwickelt werden. Ich nehme da die gleiche Position ein wie RWE damals. RWE hat sich auch nicht eingemischt, hat die einfach gewähren lassen, Laissez-faire, nur mit dem Unterschied, dass das Bauamt bei RWE diese Geschichte geduldet hat und bei mir wird sie nicht geduldet.

SB: Wie ist es grundsätzlich um das Baurecht auf der Wiese bestellt?

KC: Bei der Wiese handelt es sich um Außengebiet. Wo Außengebiet ist, sind landwirtschaftliche Grundstücke erlaubt. Bauten sind generell nach der Landesbauordnung nur da erlaubt, wo ein Gebiet als Bebauungsgebiet ausgewiesen ist. Dieses Gebiet ist nicht als Bebauungsgebiet ausgewiesen, so dass Bauten dort grundsätzlich unzulässig sind. Kurioserweise gelten Wohnwagen und Zelte auch als bauliche Anlage, weil sie aus ihrer eigenen Schwere heraus auf dem Boden ruhen, so etwa lautet nach der Rechtsprechung das Argument dafür, dass sie mit festen Bauten gleichgesetzt werden und man dagegen auch nicht ohne weiteres angehen kann.

Es gibt im Außenbereich sogenannte Sonderrechte, Privilegierungen. Wenn dort ein landwirtschaftlicher Betrieb unterhalten wird, können dort auch Gebäude errichtet werden. Wenn man von der Wiese nach Westen schaut, gibt es dort einen Bauernhof, der demnächst beseitigt wird. Das ist ein Aussiedlerhof, das ist zulässig. Es gibt auch den Flughafen, dessen Bau als zulässig angesehen wurde. Es gibt ein Kieswerk mit baulichen Anlagen, auch da gibt es Ausnahmeregelungen, die nach dem Baugesetzbuch im Außenbereich zugelassen, privilegiert sind.

Bauliche Anlagen für Versammlungen sind nach dem Baugesetzbuch im Außenbereich nicht zugelassen, nicht privilegiert, haben kein Sonderrecht, das aus dem Baugesetzbuch abgeleitet werden kann. Das Sonderrecht für bauliche Anlagen für Versammlungen erwächst quasi aus dem Versammlungsrecht, das die Errichtung von baulichen Anlagen aus Anlass von Versammlungen privilegiert, so könnte man das in etwa sehen, stark vereinfachend.

SB: Dann handelt es sich also vor allem um eine politische Argumentation?

KC: Nein, auch und eher rechtlich, jedenfalls ist dies auch vom Oberverwaltungsgericht in Münster aufgegriffen worden. Da geht es darum, wo das Übergewicht dieser Versammlung liegt. Ist die Wiese - überspitzt - eher eine Obdachlosenanstalt, wo es günstige Unterkünfte gibt, oder ist es eine Versammlung im Sinne des Grundgesetzes? Dazu meint das Oberverwaltungsgericht, die Gesichtspunkte, die für eine Versammlung sprechen, seien von ganz untergeordneter Bedeutung. Eine Versammlung setze voraus, dass man einen bestimmten Zweck verfolgt, der müsste auf die Meinungsbildung ausgerichtet sein.

Dazu ist im Verfahren ausführlich vorgetragen worden, vom Gericht aber so gut wie völlig außer Betracht gelassen worden. Nach der Rechtsprechung müssten die Bauten auf der Wiese in einer "funktionalen Beziehung zu der Versammlung" stehen, das wäre hier nicht gegeben. Man hätte festgestellt, dass es da eine Anarchistenflagge gäbe, man hätte auch Waffen gefunden. Da ging es nicht nur um die Zwillen, im Urteil ist auch von Golfbällen die Rede, davon habe ich vorher überhaupt nichts gehört oder gelesen. Bei der Razzia hätte man Golfbälle gefunden, diese könnten als Waffen verwendet werden. Die Anarchistenflagge hätte ja mit dem Tagebau nichts zu tun, eine aberwitzige Argumentation, eine Provokation sondergleichen, aber gegen eine derart falsche Rechtsanwendung ist - systembedingt - ein Rechtsmittel nicht gegeben.

SB: Wie siehst du deine Zukunft? Wie weit geht dein Engagement in Anbetracht der vielen Rechtsprobleme, die es dir eingebracht hat, der ganzen Aufwendungen, die du dafür bereitstellen musst, der seelischen Belastung?

KC: Ja, ich schlafe schon seit Jahren schlecht und wache fast jede Nacht auf, weil mich irgendein Problem bewegt. Ich bin auch auf die Wiese angewiesen. Ich bin ziemlich sicher, wenn ich mich jetzt von heute auf morgen zurückziehen würde, wenn von heute auf morgen die Wiese nicht mehr bestehen würde, wenn ich die Verfahren nicht mehr weiterführen würde, dann müsste ich mit steuerlichen Repressalien in einem Ausmaß und in einer Form rechnen, wie man es sich ansonsten nur in totalitär-diktatorischen Staaten vorstellen kann. Von einem Parallelfall aus dem Widerstand gegen den Braunkohlentagebau ist mir bekannt, dass man mit dieser Person ziemlich übel umgegangen ist, wohl bis zur Androhung eines Haftbefehles.

SB: Wie kann sich ein Mensch überhaupt dagegen behaupten, ihn vollständig in Reaktion auf Dinge zu bringen, denen er schon aus Gründen mangelnder physischer Kraft kaum gerecht werden kann?

KC: Ja gut, wenn man in verzweifelter Situation ist, muss man kämpfen.

SB: Auf der Wiese leben Menschen, die mit dieser Form von Legalität eher nichts zu tun haben möchten und ganz anders leben wollen. Du bist jemand, der sich in dieses Gestrüpp von Paragraphen und Institutionen hineinbegibt, weil du deinen Lebensunterhalt damit bestreitest, aber auch aus Gründen persönlicher Betroffenheit. Welche Schlussfolgerungen ziehst du über die rein rechtliche Materie hinaus ganz persönlich aus dieser Situation?

KC: So wie bisher darf es nicht weitergehen! Change System!

SB: Kannst du dir aus den Erfahrungen, die du über die Jahre im Kampf um den Hambacher Forst und gegen die Verlegung der A 4 gemacht hast, heraus nicht vorstellen, wie Menschen zu der Auffassung gelangen, nichts mit diesem System, mit dieser Staatlichkeit zu tun haben zu wollen?

KC: Das kann ich mir nur allzu gut vorstellen, auch wenn diese Einstellung in starkem Maße idealistisch geprägt ist.

SB: Kurt, vielen Dank für das Gespräch.


Autobahn, Zuggleise, Straßenquerung darüber - Fotos: © 2017 by Schattenblick Autobahn, Zuggleise, Straßenquerung darüber - Fotos: © 2017 by Schattenblick Autobahn, Zuggleise, Straßenquerung darüber - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Mehrdimensionaler Durchgangsverkehr am Ortsrand von Buir
Fotos: © 2017 by Schattenblick


Verkehrswege von der darüberliegenden Brücke aus gesehen - Fotos: © 2017 by Schattenblick Verkehrswege von der darüberliegenden Brücke aus gesehen - Fotos: © 2017 by Schattenblick Verkehrswege von der darüberliegenden Brücke aus gesehen - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Verkehrstrasse für Bundes- und S-Bahn, Auto- und Kohlebahn
Fotos: © 2017 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] http://www.freie-radios.net/82303

[2] https://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0137.html


Beiträge zum Widerstand im Rheinischen Braunkohlerevier im Schattenblick unter:
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5. April 2017


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