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WIENER GESPRÄCHE/03: Begegnungen am roten Rand Wiens - Teil 3 (SB)


Interview mit Martin Balluch am 11. Juni 2009 in Großmugl

Unter dem Vorwurf, eine kriminelle Organisation gebildet zu haben, wurden am 21. Mai 2008 im Rahmen einer Großaktion der österreichischen Polizei zahlreiche Wohnungen in Wien und an anderen Orten Österreichs auf den Kopf gestellt. Dabei wurden zehn Tierschützer festgenommen und erst nach dreieinhalb Monaten wieder aus der Untersuchungshaft entlassen. Der gegen sie und weitere Aktivisten erhobene Vorwurf der "Bildung einer kriminellen Organisation" nach Paragraph 278 a des österreichischen Strafgesetzbuches basierte auf der Behauptung, eine Zelle der Animal Liberation Front (ALF) gebildet zu haben.

Trotz zahlreicher weiterer Hausdurchsuchungen und Nachstellungen, bei denen alle Register offener, verdeckter und elektronischer Observation gezogen wurden, scheint die Staatsanwaltschaft große Schwierigkeiten zu haben, genügend Beweismaterial zur Eröffnung eines Prozesses zusammenzubekommen. Dennoch müssen 40 Tierschützer fürchten, in einem Verfahren zu Haftstrafen verurteilt zu werden, in dem alle Vorteile auf der Seite des Anklägers liegen, weil er sich mit dem 278 a StGB eines Mittels der Kollektivverdächtigung und Gesinnungskriminalisierung bedient, das seine Entsprechung im bundesdeutschen Organisationstrafrecht nach Paragraph 129 findet. Angesichts der großen Solidarität, die den Tierschützern aus der österreichischen Gesellschaft zuteil wird, sollte nicht vergessen werden, daß in Österreich lebende Migranten besonders stark unter den Repressalien zu leiden haben, die unter dem Vorwand der Bildung krimineller Vereinigungen gegen Menschen ausgeübt werden, die aus ganz anderen Gründen ins Visier der Staatsmacht geraten sind.

Der Schattenblick hatte Gelegenheit, ein Gespräch mit einem der betroffenen Tierschützer zu führen. Der Physiker und Philosph Dr. Martin Balluch setzt sich seit 1985 für Tiere ein und lebt seit 20 Jahren vegan. Seit 1997 kämpft er im Verein gegen Tierfabriken (VGT), dessen Obmann er ist, für die Verbesserung des Tierschutzes und hat dabei einige wichtige Erfolge erzielt. Die gegen ihn, andere Aktivisten und den VGT gerichtete Repression trifft denn auch mittelbar diejenigen Geschöpfe, die keinen Rechtsanspruch auf Unversehrtheit haben und dem Menschen nicht nur als Nahrung dienen, sondern auch zum Objekt grausamer Torturen in Labors, Ställen und Schlachthäusern werden. Das Gespräch fand in dem veganen und vegetarischen Landgasthof Schillinger in Großmugl in der Nähe Wiens statt.

Schattenblick: Wie wir gehört haben, kam es gerade gestern erst wieder zu mehreren Hausdurchsuchungen. Ist das praktisch alltäglich, oder war das für euch eher eine Überraschung?

Martin Balluch: Das war eine Überraschung.

SB: Also wurdet ihr schon länger in Ruhe gelassen?

MB: Ja. Anfangs wurden 23 Hausbesuche gemacht, dann später drei weitere, und jetzt noch einmal drei, das sind 29 insgesamt.

SB: Richten sich diese Aktionen speziell gegen den Verein gegen Tierfabriken (VGT)?

MB: Nein, gegen den Tierschutz allgemein. Die Polizei hat verschiedenste andere Vereine heimgesucht, die Tier-WeGe in der Steiermark und RespekTiere in Salzburg und "Menschen gegen Ausbeutung" in Tirol und alle möglichen. Die letzte Durchsuchung betraf die Wohnungen einer Person sowie die seiner Eltern.

SB: Könnte, da offensichtlich kein Beweismaterial für irgend etwas vorhanden ist, nun die Gefahr bestehen, daß ihr auf irgendeine Weise mit im schlimmsten Fall fingierten oder konstruierten Geschichten belastet werdet?

MB: Nein. Doch die Polizei hat auf jeden Fall einen unglaublich einseitigen Propagandaschrieb verfaßt. Wenn man die Akten liest, dann kann man richtig nachempfinden, wie die Richter von denen beeindruckt werden. Weil sie das einfach derartig entstellen und so bösartig schreiben. Das kann man natürlich immer alles bösartig entstellen. Es ist ja ungeheuerlich, wie die alles verdrehen, zum Teil Sachen dazuerfinden und eben alles noch irgendwie Entlastende weglassen.

SB: Hat das nicht wesentlich mit der Konstruktion des Strafrechtsparagraphen 278 a zu tun?

MB: Daß Propaganda überhaupt relevant ist, ja. Normalerweise müsste man sagen, da war eben eine Straftat, gibt es dafür konkret einen Hinweis, ja oder nein und wenn ja, wie schaut der aus. Bei Paragraph 278 a geht es nur noch um den, so hat mir das die Oberstaatsanwältin wörtlich gesagt, subjektiven Gesamteindruck. Es geht wirklich darum, bei jemandem - jetzt in den Augen eines tendenziell rechtskonservativen Richters - den Eindruck zu erwecken, das ist jemand, der ist gefährlich für die Gesellschaft. Und das reicht.

SB: Der Paragraph 278 a richtet sich gegen kriminelle Vereinigungen im Sinne der organisierten Kriminalität, die erheblichen Einfluß auf Politik und Wirtschaft ausüben wollen. Während dieser Straftatbestand bereits 1993 Gesetz geworden ist, sind die terrorismusrelevanten Paragraphen 278 b,c und d erst nach 2002 verabschiedet worden. In Ländern wie den USA oder Britannien wird schon des längeren auch gegen Tierschützer und Tierrechtsaktivisten mit Antiterrorismusparagraphen vorgegangen. Wie kommt es dazu, daß die Nachstellungen in Österreich noch rigider zu sein scheinen, obwohl die in Anspruch genommene Gesetzeslage nicht so extrem wie in den USA oder Britannien ist?

MB: Das ist eben auch eine entscheidende Auffälligkeit. Wir haben hier in Österreich wahrscheinlich die erfolgreichste Tierschutzbewegung, wir haben nämlich das wahrscheinlich strengste Tierschutzgesetz der Welt. Jetzt holen uns zwar langsam alle ein, aber 2005, als es geschaffen wurde, war es das strengste. Gleichzeitig gab es im internationalen Vergleich nur eine sehr niedrige Zahl von Straftaten, die man potentiell dem Tierschutz zuordnen könnte. Also nicht zu vergleichen zum Beispiel mit Deutschland und viel weniger als selbst in Ländern wie Tschechien oder Rußland oder der Schweiz. Das liegt wahrscheinlich daran, daß der Tierschutz bei uns so erfolgreich war. Da spürt niemand diese Verzweiflung. Das sind ja tendenziell Verzweiflungstaten, stell ich mir vor, eigentlich nicht besonders weit gedachte.

Und in dieser Situation mit im internationalen Vergleich so wenig Straftaten und gleichzeitig dem größten Erfolg haben wir die brutalste Polizeiaktion der Welt. Ich meine, das allein spricht schon Bände. Es ist offensichtlich, daß das mit dem Erfolg zusammenhängt. Wenn man sich den Staatschutzbericht aus dem Jahr 2007 anschaut, der besagt, was im Sinne des Inlandsgeheimdienstes an Verfassungsgefährdendem passiert ist und der vor allem auf soziale Bewegungen abzielt, da haben sich die Straftaten, die man dem Tierschutz zuordnen kann, im Vergleich zum Jahr 2006 halbiert. Also im Jahr 2007, in dem die SoKo (polizeiliche Sonderkommission Pelztier der Bundespolizeidirektion Wien) zu arbeiten begonnen hat, haben sich die Straftaten halbiert und gleichzeitig sind die, so steht es wörtlich drin, legalen Aktivitäten explosionsartig angestiegen. Wir haben plötzlich viel mehr Demonstrationen, Kampagnen und klassische NGO-Arbeit und Aktivitäten und, verhältnismäßig nicht nur für den geringen, den eh schon kleinen Level, nur noch halb so viel Straftaten. Zur gleichen Zeit wird eine Sonderkommission gegründet, das besagt eindeutig, worum es geht - es geht darum, die erfolgreiche Tierschutzbewegung zu behindern, und nicht um die Aufklärung von Straftaten.

SB: Ihr erhaltet relativ viel Unterstützung von etablierten Kräften, von Prominenten und sogar Politikern der SPÖ. Wie macht sich das im Verhältnis zu den Strafverfolgungsbehörden bemerkbar? Gibt es dort überhaupt irgendwelche Reaktionen, oder gleitet das an denen völlig ab? Müssen die Behörden nicht befürchten, daß es zu einem breiteren Protest kommen könnte?

MB: Nein, das haben sie sicher zu befürchten, und ich bin mir auch sicher, daß die Situation ganz eine andere wäre, hätten wir diese Unterstützung nicht. Ich gehe davon aus, daß ich ohne diese Unterstützung und die breite internationale Solidarität immer noch in Untersuchungshaft wäre. Der Plan war, uns zu kriminalisieren, uns in Untersuchungshaft zu stecken und unseren Verein zu zerstören. Die Polizei ist es gewohnt, daß man ihr glaubt, wenn sie so ein Zeug erzählt wie "das sind die Kriminellen" und dann sagen alle "Uuh, mit denen wollen wir nichts zu tun haben". Das ist halt aus verschiedenen Gründen nicht aufgegangen. Wahrscheinlich der wichtigste Grund dafür ist, daß wir sehr viel sehr positive Vorarbeit geleistet haben. Man hat uns gekannt, auch politisch, aber vor allem in der NGO-Szene und im Tierschutz. Deswegen gab es da eine breite Solidarität, die nicht aufzubrechen war, weil die Leute einfach nicht geglaubt haben, daß diese Vorwürfe stimmen. Das Innenministerium hat eine Presseaussendung gemacht, in der steht: Die in Untersuchungshaft sitzenden Personen müssen mit 224 Straftaten in Verbindung gebracht werden, davon acht Brandanschläge und zwei Bombendrohungen. Das ist normalerweise ein vernichtendes Argument.

Ich glaube, das war ein reiner Propagandaclou, das war der Versuch, uns propagandistisch zu vernichten, und der ist zum Glück letztendlich völlig daneben gegangen. Das war sehr harte, klassische Kampagnenarbeit, dieses umzudrehen und abzufangen. Darin allerdings sind wir ziemlich gut, denn wir haben das Tierschutzgesetz auch nicht von ungefähr erreicht. Das war kein Zufall, sondern wir sind einfach geschickt und haben gute Verbindungen und gute Netzwerke, die eben auch in die Politik reichen, um so etwas abzufedern. Wir sind einfach total pragmatische vernünftige Leute, so daß es schwierig ist, uns vorzuwerfen, fundamentalistische Irre zu sein. Wir legen in allen unseren Aktivitäten eine unglaubliche Pragmatik an den Tag, und es kann doch niemand behaupten, daß wir in einer nichtrationalen Weise unsere Argumente vorbringen oder daß wir überzogene Forderungen stellen.

SB: Es ist ja ohnehin ein Problem, daß Menschen mit einem Etikett versehen werden, die sich auf andere Weise, als es die Mehrheit tut, mit Grundfragen wie dem Verhältnis von Mensch und Tier beschäftigen. Sie sprechen in Interviews hauptsächlich vom Tierschutz, aber im Grunde genommen kommen Sie doch aus der Tierrechtsbewegung?

MB: Ja, das hat auch einen guten Grund, warum ich das tue. Die Polizei hat einen Schachzug versucht, indem sie dem positiven Ruf, den der Tierschutz in Österreich hat, dadurch auszuweichen versuchte, daß sie uns sozusagen umbenennen und das Tierschutzetikett nehmen wollte. Deswegen hat sie alles, was mit uns zu tun hat, immer Tierrechte genannt. Das ist sozusagen ein unbelegter Begriff, den man neu definieren kann. Sie haben Veganismus in den Vordergrund gestellt und andauernd versucht zu sagen, Tierrechte ist gleich Veganismus, ist gleich fundamentalistische Irre, ist gleich militanter Aktivismus, ist gleich kriminell, ist gleich ab ins Gefängnis. Und diese Gleichung ist halt für Menschen, die die ersten Worte überhaupt noch nie gehört haben, vielleicht in irgendeiner Form nachvollziehbar. Ich meine, wenn man sagt Tierschutz, Legebatterieverbot, vernünftige Leute ab ins Gefängnis, dann sagen alle "wie bitte, was ist los". Das heißt, unsere Linie muß auf jeden Fall darin bestehen, daß wir das unterstreichen. Das tut mir ideologisch auch nicht weh, denn für mich ist der Weg der Tierschutz und das Ziel die Tierrechte, aber das ist natürlich ein utopisches Ziel in der Zukunft. Ich finde es auch sehr interessant und es bringt auch etwas weiter, darüber zu diskutieren, ich habe eine Dissertation über Tierrechte geschrieben am Institut für Philosophie der Uni Wien und ich finde, daß es ein sehr fruchtbares Thema ist, aber in der Tagespolitik geht es darum nicht.

Wir haben zum Beispiel versucht, für einen Schimpansen Menschenaffenrechte, also Grundrechte zu bekommen. Der Schimpanse wurde von einem Versuchslabor illegal importiert und an der Grenze abgefangen. Wir haben ihn davor in Schutz genommen, daß ihn das Labor trotzdem nimmt, indem es einfach eine Strafe zahlt. Es gab dann gerichtliche Prozesse, und letztendlich ist er in ein Wiener Tierheim gekommen. Nur ist das Tierheim bankrott gegangen, und dann wollten sie ihn verkaufen. Wir haben dann versucht, Grundrechte für ihn zu bekommen, daß er sozusagen sich selbst gehört und nicht verkauft werden kann wie eine Sache. Das ist dann bis zum obersten Gerichtshof gegangen, und es war uns natürlich immer klar, daß das kein geebneter Weg ist und daß man so etwas gleich gewinnt, weil es ist ja irgendwo revolutionär ist. Jetzt sind wir mit diesem Thema am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Ich betrachte das als pragmatischen Schritt bei Schimpansen, die bereits einen Schutz genießen, bei uns jedenfalls, daß sie nicht in Zirkussen genutzt werden dürfen, man darf nicht den mindesten Tierversuch mit ihnen machen, der nicht in ihrem individuellen persönlichen Interesse ist, das ist jetzt sozusagen der nächste Schritt: Grundrecht.

SB: Gilt das nur für Österreich oder europaweit?

MB: Nein, nicht europaweit, das gibt es in ein paar Ländern. In Schweden, in England und in Neuseeland, aber es ist jedenfalls etwas, das sich entwickelt, und für uns war der pragmatische nächste Schritt ein Personenstatus, das heißt, daß man dieses Wesen als Rechtssubjekt anerkennt. Also die Tierrechtsdiskussion hat nicht überhaupt nichts mit der Praxis zu tun, jedoch definitiv nicht, wenn es um Nutztiere geht, da geht es um ganz andere Fragen. Da geht es um die Frage, wie die Tiere gehalten werden, und wenn man dann utopische Diskussionen führt, dann wird man politisch vollkommen irrelevant. Gerade weil wir alles andere als irrelevant sind, weil wir Tierschutzfragen thematisieren, weil wir dort konkret etwas weiterbringen, sind die so auf uns losgegangen. Wir haben ihnen wehgetan, wir haben das weltweit erste und einzige Legebatterieverbot in Österreich durchgesetzt, das alle Käfige betrifft, also auch diese ausgestalteten Käfige, die in Deutschland jetzt der neue Standard werden, die sind auch bei uns verboten. Wir haben alle Supermärkte dazu gebracht, daß sie keine Käfigeier mehr verkaufen. In Österreich kann man seit Anfang dieses Jahres, auch wenn man will, kein Käfigei mehr kaufen, dafür muß man ins Ausland fahren. Das ist ein Erfolg, der denen wahnsinnig wehgetan hat, und von da aufbauend haben sie eben begonnen, auf uns loszugehen. Das ist ein klassischer Tierschutzerfolg, von Rechten ist dabei keine Rede. Dieses Wesen darf nicht im Käfig gehalten werden, es muß in einer Halle leben, wo es sich frei bewegen kann, das macht für die Lebensqualität einen Riesenunterschied, aber mit Rechten hat das nichts zu tun. Trotzdem ist das für uns ein ganz wichtiges Thema.

SB: Also Sie würden schon vermuten, daß die Massivität der Angriffe auf euch von Anbeginn an auf einem klassisch kommerziellen oder ökonomischen Interesse basiert?

MB: Absolut. Und dazu kommt noch eine persönliche Rache von Jägern. Wir haben nämlich in der Jagd nicht besonders viel erreicht, weil die Jagd unglaublich etabliert ist in diesem Land und bis in die mächtigsten Kreise geht. Wenn man zu einer Treibjagd geht, und die gibt es hier sehr häufig, dann trifft man dort den Bürgermeister, den Chef der Polizei, den Bezirksrichter und die ganze Partie, den Bezirkshauptmann. Diese Leute gehen gemeinsam jagen, gegen die kann man zunächst einmal nichts unternehmen, und trotzdem waren wir dort, trotzdem haben wir einiges erreicht. Wir haben zum Beispiel ein neues Gesetz zur Züchtung von Fasanen zustande gebracht, laut dem die Fasane wenigstens eine gewisse Größe haben müssen, daß man ihnen nicht die Schnäbel stutzen darf und solche Kleinigkeiten, aber das hat ihnen wirklich wehgetan. Wenn den Mächtigen ein bißchen auf die Zehen gestiegen wird und sie die Chance haben, dann beginnen sie einen zu zerdrücken. Ich glaube daher, daß das hauptsächlich von der Jagdseite her kommt, aber auch stark von der tierindustriellen Seite. Es hat schon den Geruch einer persönlichen Rache.

SB: Würden Sie sagen, daß es sich um einen Konflikt handelt, in dem man grundsätzlich gegen Aktivisten vorgeht, die sich herausnehmen, von unten etwas zu ändern? Ich kann mir schwer vorstellen, daß es bei der Strafverfolgung wirklich nur um euren Erfolg etwa bei den Legebatterien geht.

MB: Dazu möchte ich einen Satz sagen. Ich bin im Gefängnis von sieben oder acht Abgeordneten der SPÖ und der Grünen besucht worden. Mit einem habe ich länger zusammengearbeitet, der war Tierschutzsprecher der SPÖ, ist dann aufgestiegen zum Budgetsprecher, ist also eine Art Frontbencher. Der hat mir gesagt, daß der Grund, warum die Leute auf uns losgehen, darin besteht, daß wir sozusagen eine Art von Schlüssel gefunden haben, wie man wirklich etwas in der Gesellschaft verändert. Wenn ich diese Palette anschaue, dann ist das wirklich weltweit einzigartig. Ein paar Stichworte: Wir haben ein Pelzfarmverbot, wir haben ein Verbot von Wildtieren im Zirkus, wir haben ein Verbot von Menschenaffenversuchen, und zwar inklusive Gibbons. Nicht den kleinsten Finger darf man diesen Wesen krümmen, um die Menschheit zu retten, das ist einfach verboten. Wir haben Tierschutzombudspersonen, dann haben wir das Käfigverbot von Legehennen, dann haben wir das Käfigverbot von Kaninchen, was ja auch eine Riesenindustrie ist. Es gibt niemanden auf der Welt, der überhaupt probiert hat, ein Käfigverbot für Kaninchen zu erreichen. Wir haben es geschafft, also machen wir irgend etwas richtig.

Wir haben eben eine Methode entwickelt, wie wir die Politik unter Druck setzen können, daß sie solche Schritte auch wirklich geht. Es gibt natürlich eine Reihe von Voraussetzungen, damit das funktioniert, und eine besteht darin, daß die Bevölkerung sensibilisiert wird und auch mitzieht. Aber das reicht natürlich noch nicht, man muß auch eine konfrontative Kampagne fahren, in der das Thema immer weiter eskaliert und es zu einem Konflikt kommt, so daß eine Lösung gefunden werden muß. Gerade bei dem Legebatterieverbot habe ich das sehr intensiv mitbekommen, das war eine knallharte Kampagne, da sind wir gegen die damalige Regierungsfraktion angegangen, das war ein unglaublich tiefgehender Konflikt.

Ich weiß nicht, was für Beispiele ich da nennen kann, aber zum Beispiel wurde mir diese Narbe hier vom Agrarsprecher der ÖVP in Kärnten zugefügt. Er hat mir bei einer Demonstration, die wir angemeldet haben und auf der ich eine Rede gehalten habe, vor Wut ins Gesicht geschlagen. Er ist auf die Bühne gesprungen und hat mir ins Gesicht geschlagen, weil er sich so geärgert hat. Er hatte gerade eine Wahlveranstaltung, und wir haben eine Antiveranstaltung gemacht und erklärt, wer den wählt, wählt Legebatterien. Die Konsequenz war, daß er sehr wütend wurde - und man wird nicht so wütend, wenn einem das gleichgültig ist -, wir waren denen nicht mehr gleichgültig. Der Sprecher oder Vorsitzende des Bauernbundes war in dieser Diskussion. Er war drauf und dran, sozusagen seinen Job zu verlieren, wenn er zustimmt, aber er war so unter Druck, daß er mußte. Wir haben die Partei einfach so unter Druck gesetzt, daß die ihm gesagt haben, "du mußt jetzt einlenken, weil wir bereits drei Wahlen verloren haben, das kann jetzt nicht mehr so weitergehen". Sie haben eingelenkt, aber das haben sie uns nicht vergessen.

Ich habe das erlebt und war an vorderster Front dabei und ich weiß, daß die uns deswegen nachhaltig hassen. Es gibt eine Reihe von Leuten dort, die uns für wirklich gefährlich halten, weil wir Druck entwickeln können. Das Legebatterieverbot waren Primetime News, das waren Headlines, da lastete ein solcher Druck auf denen, wie ich das vorher und nachher nicht erlebt habe, so daß sie etwas tun mußten, was sie einfach nicht wollten. Wenn es einer sozialen Bewegung, einer NGO gelingt, eine Regierung zu etwas zu zwingen, was sie partout nicht will, weil ihre Klientel, die Bauernschaft, dabei ziemlich draufzahlt und eine riesige Änderung machen muß, dann schafft man sich eben Feinde.

SB: Habt ihr es da nur mit Kräften in Österreich zu tun oder würden Sie das auch auf EU-Ebene übertragen?

MB: Nein, ich habe das Gefühl, es geht nur um Österreich. Wir haben zum Beispiel ein Verbot bei den Tiertransporten geschaffen, auch ein irrsinnig vorbildliches Gesetz, laut dem auch internationale Transporte in Österreich nur sechs Stunden durchfahren dürfen. Nur sechs Stunden Transportieren, Punkt, dann müssen sie aufhören. Wenn sie nicht Autobahn fahren, dann dürfen es nur drei Stunden sein, also eine ganz kurze Distanz, 130 oder 260 Kilometer, je nachdem ob sie Bundesstraße oder Autobahn fahren. Also muß jeder Tiertransporter, der in Österreich einreist, auf den nächsten Schlachthof fahren, er kann nicht mehr weiter bis in den Mittleren Osten reisen. Die EU hat dieses Gesetz ausgehebelt, und damals waren wir noch so ohne Selbstvertrauen, daß wir die Sache verloren gegeben haben. Seitdem fahren sie halt, wie sie wollen. Dann haben wir 2002 ein Wildtierverbot im Zirkus bewirkt. Dagegen hat ein deutscher Zirkus auf Dienstleistungsfreiheit in der EU geklagt, er möchte auch in Österreich seine Tiger, Löwen, Elefanten vorführen. Und die EU-Kommission hat ein Verfahren begonnen, und Österreich war schon wieder wankend. Doch diesmal haben wir gesagt "nein, diesmal stellen wir uns auf die Hinterbeine auch in der EU". Wir haben EU-weit mobilisiert, wir haben alle Länder und dort die Tierschutzbewegungen eingebunden, wir haben bei der Kommission alle Möglichkeiten ausgeschöpft, wir haben eine Expertise vornehmen lassen, wir haben Experten bezüglich Wildtieren argumentieren lassen und wir haben gewonnen, die Kommission hat sich zurückgezogen. Das war schon ein erster Schritt, an dem man sieht, daß wir möglicherweise auch EU-weit Auswirkungen haben können.

SB: Das ist interessant, weil die Niederlassungsfreiheit ein ganz wichtiges Thema für die künftige Konstitution der EU ist. Wenn jetzt Leute anfangen, in einzelnen Punkten Einschränkungen zu erwirken, dann könnte ich mir vorstellen, daß das auch Auswirkungen etwa auf das Thema Arbeiterrechte hat. In der Lohnfrage wird ja seit längerem ein Kampf gegen die Niederlassungsfreiheit geführt.

MB: Das läuft ganz parallel. Bei den Pelzfarmen wollten sie einen Pelzfarmer finden, der in Österreich gewerbefrei eine Pelzfarm betreiben will und bei der EU Beschwerde einlegt, aber den haben sie zum Glück nicht gefunden. Das ist wirklich der nackte Konflikt, daß man grundsätzliche marktwirtschaftliche Freiheiten gegenüber aller Ethik durchsetzt oder daß man ethische Grenzen zieht. Dieser Konflikt wird knallhart ausgetragen.

SB: Wenn man etwa bei Tiertransporten in verschiedenen Ländern unterschiedliche Rechte hätte, so wäre das schon eine große Behinderung, also werden sie wahrscheinlich darauf abstellen, ein einheitliches Recht für die ganze EU zu schaffen. Wenn man auf dem Gebiet sehr viele Leute mobilisiert, dann könnte das natürlich zur Folge haben, daß Tierrechtler oder Tierschützer auch als potentielle Feinde dieser Art von Marktordnung betrachtet würden.

MB: Ja, auf jeden Fall. Aber diesen Konflikt haben wir auch innerstaatlich. So enthält die Verfassung eine Gewerbefreiheit und das Recht auf freie Ausübung des Berufs. Wenn wir neue Gesetze schaffen, dann werden diese Rechte eingeklagt. So läuft jetzt gerade eine Verfassungsklage gegen das Legebatterieverbot, die Jäger haben eine Verfassungsklage gegen das Verbot von Teletaktgeräten, also diese Elektroschocks beim Hund, eingereicht. Sie stehen auf dem Standpunkt, daß das eine Tradition sei, die man nicht einschränken dürfe. Das haben wir gewonnen, bei den Legebatterien steht das Ergebnis noch aus, aber ich bin ziemlich zuversichtlich. Wir haben auch bezüglich der Haustiere gewonnen, da haben die Zoohandlungen eine Verfassungsbeschwerde eingeleitet, weil wir erreicht haben, daß Hunde und Katzen nicht mehr in den Geschäften verkauft werden dürfen, weil sie dort im jungen Alter neurotisiert werden. Sie haben eine Klage eingereicht und verloren. Aber die Singvogelfänger haben die Klage zum Verbot der Tradition des Singvogelfangs gewonnen, das hat der Verfassungsgerichtshof ausgehebelt. Dabei ging es natürlich nicht um Gewerbe und Kapitalismus, sondern um Tradition. Tradition steht diesbezüglich noch über dem Tierschutz.

SB: Wenn Sie von "wir" reden, meinen Sie den Verein gegen Tierfabriken oder darüber hinaus auch andere Organisationen?

MB: Auch, ja. Es gibt sehr große Organisationen wie die "Vier Pfoten" bei uns, die zwanzigmal so groß sind wie wir, die spielen also in einer ganz anderen Liga. Aber small is beautiful, und wenn man so groß ist, wird man unbeweglich, wird man Mainstream, kann man nicht mehr aufmüpfig sein, weil man gleich Mitglieder an diesen Mainstream verliert. Wir haben eine Größe, mit der man es sich leisten kann, mit einer gewissen Konfrontation aufzutreten, und wir wollen nicht wirklich größer werden. Aber wir haben sehr viele Partnergruppen quer durch Österreich, wir haben allein als Verein zehn verschiedene Gruppen in neun Städten, und es gibt dazu noch kleinere Vereine, mit denen wir kooperieren. Wir sind dann natürlich sozusagen der Hecht im Teich, weil wir viel größer sind als der Rest, aber wir haben Plenarsitzungen, wir kooperieren und sprechen uns ab, welche Kampagnen wir machen. Wenn wir wirklich wollen, dann können wir ganz Österreich in Bewegung setzen, was den Tierschutz betrifft, mit Ausnahme vielleicht von den eingesessenen Vereinen, die sowieso keine Demos machen, sondern auf einer ganz anderen Ebene aktiv sind.

SB: Aber im Grunde genommen können Sie solche Arbeit gar nicht mehr machen, weil Sie und ihre Mitbetroffenen mit Prozeßarbeit überhäuft werden?

MB: Im Moment ja. Aber im Verein versuchen wir schon, weiter Tierschutzarbeit zu machen. Die anderen Leute widmen sich halt der Tierschutzarbeit und ich der Repression, so teilen wir uns sozusagen auf.

SB: Wie sind die Beziehungen zu linken Gruppen, die im Bereich der Antirepressionsarbeit tätig sind. In Deutschland gibt es ja eine Bewegung, die den Paragraphen 129 a abschaffen will. Unterhaltet ihr entsprechende Kontakte?

MB: O ja, sehr sogar! Ich meine, es gibt in der Linken meiner Erfahrung nach eine gewisse Zögerlichkeit, diese Tierrechtsidee anzunehmen, man interpretiert das relativ rasch, wenn man so will, falsch. Es gilt relativ rasch als eine Beleidigung für Menschen, wenn wir uns zum Beispiel als Gewerkschaft der Tiere bezeichnen, wenn wir sagen, wir wollen arbeitsrechtliche Veränderungen für die Tiere und die wollen das für die Menschen und dann setzt man das gleich. Es wird halt leicht als eine Art von Beleidigung empfunden.

Die Basis dazu ist sicher die Aufklärung. Kurz gesagt ist meine These, daß die Aufklärung, die Gleichheit der Menschen, auf der Abgrenzung zum Tier basiert. Wenn man jetzt diese Art Grenze zum Tier erodiert, dann stellt man in einem gewissen Rahmen die Gleichheit der Menschen in Frage, das ist quasi implizit notwendig, und man muß das wirklich neu diskutieren, und es ist verständlich, daß viele Leute sagen, die Errungenschaften der Aufklärung wollen wir nicht neu diskutieren. Aber wenn das auf dem Rücken der Tiere stattfindet, muß man sich das halt anschauen. Das ist eine offene Diskussion, und deswegen gibt es da potentiell Konflikte. Aber ich muß sagen, wir kommen eigentlich relativ gut aus. Natürlich besteht immer ein potentieller Konflikt zwischen pragmatischer Arbeit, die wirklich reale Veränderungen schaffen soll, und einer sozusagen idealistischen Utopie, Arbeit für die Zukunft, die Tierrechtszukunft. Da kann es natürlich auch Konflikte geben. Wir sind viel weniger ein Debattierclub als jemand, der ganz konkret überlegt, was man potentiell in den nächsten Jahren wirklich verändern kann, wo man ansetzen kann, um eine Änderung zu bewirken. Da theoretisieren wir weniger. Wir sind sehr pragmatisch, und damit stehen wir im Raster der Realität, und da wird man auch schmutzig und da wird man eben auch vielleicht deswegen kritisiert.

SB: Sie sprechen diese Debatte an, das finde ich schon von Interesse. Es ist ja nicht unerheblich, wenn die Frage, bei der es durchaus zu Konflikten inhaltlicher Art kommt, nach der Gleichstellung von Tier und Mensch auf der anderen Seite dazu führt, daß Euthanasiebefürworter irgendwann abwägen und Menschen dann vielleicht den kürzeren ziehen. Speziell bei dem Stichwort Euthanasie findet von ganz anderer Seite her ein irrsinniger Vormarsch statt, was die legale Tötung von Menschen, die nichteinwilligungsfähig sind, betrifft. In den Niederlanden zum Beispiel werden Hunderte bis Tausende gar nicht mehr gefragt, bevor sie vorzeitig ihr Leben aufgeben. Das ist also ein ziemlich empfindliches Thema, aber es findet keine größere Debatte statt. Auf der Seite der Linken ist es auch wieder ein Manko, daß man sich die Frage nach Tierrechten nicht in dem Ausmaß stellt.

MB: Ja, absolut, daß ist sozusagen ein zweischneidiges Schwert. Einerseits sind unsere Argumente sehr parallel zu den klassisch linken Argumenten, weil es eben um unterdrückte Minderheiten, um Randgruppen geht, um Grundrechte für Rechtlose und für Machtlose und so weiter. Auf der anderen Seite, wenn man die Parallelität der Argumente ernst nimmt, setzt man Mensch und Tier in einem gewissen Rahmen gleich und das birgt auch Konflikte. Wenn man zum Beispiel beim Thema Migration Menschen gleichsetzt, dann wäre die Migration von Menschen mit einem Heuschreckenschwarm, der hereinkommt, zu vergleichen. Das ist sofort beleidigend und da sagt man, das kann man nicht vergleichen, das ist ja quasi ein klassisches Argument der Rechten, Migranten mit Heuschrecken zu vergleichen, aber Tierrechtler müssen das in einem gewissen Rahmen sagen, weil Heuschrecken auch Tiere sind, und alle Tiere sind gleich und so weiter. Man sieht schon, daß hier ein Konflikt besteht, der real und der nicht nur erfunden ist und zu dem man sich Gedanken machen muß. Deshalb finde ich gerade in diesem Sinn eine Pragmatik und ein reales Ändern in der Welt und in der Gesellschaft prioritär, weil man, wenn man sich über die pragmatischen realen Veränderungen dorthin bewegt, langsam sieht, wie sich ein reales Szenario entwickeln kann, in dem alle in ihrem Grundrecht respektiert werden, Mensch wie Tier. Wenn man sozusagen voraustheoretisiert und über Heuschrecken und so weiter redet, dann kann man sich irrsinnig leicht verzetteln und zerstreiten und dann redet man über das reale Praktische gar nicht mehr. Das ist für mich ein Grund, das sehr pragmatisch anzugehen und zu sagen, bevor wir jetzt das Heuschreckenproblem lösen, schauen wir erst einmal, wie man in einer Form, die halbwegs realistisch und machbar ist, die Tierausbeutung systematisch reduzieren kann.

SB: Das Thema Antirepression ist ja eigentlich ein schöner Ausgangspunkt für eine erweiterte Zusammenarbeit.

MB: Absolut, ja. Auch in der Antirepressionsarbeit finde ich genau diese Pragmatik. Die Diskrepanz zwischen, wenn man so will, realer und idealistischer Diskussion finde ich hier relevant. Ich betreibe jetzt ganz pragmatische Antirepressionsarbeit in dem Sinn, daß ich prioritär dieses Verfahren beenden will, dann möchte ich, daß der Paragraph entschärft wird, und dann möchte ich da überhaupt nicht stehen bleiben, sondern damit beginnen, daß wir die ganze Flut in die Gegenrichtung bewegen, daß also dieser Überwachungsstaat abgebaut wird und daß diese Polizeimöglichkeiten zurückgenommen werden und so weiter. Also da ist sehr viel auf sehr pragmatische Weise zu tun. Pragmatisch heißt in dem Fall Schritt für Schritt, keine utopischen Dinge, nicht die Gesellschaft irritieren, indem man ihr Sicherheitsbedürfnis belächelt oder daß man sie überhaupt dazu bringt anzunehmen, daß eine Sicherheitsgefahr besteht, sondern einfach Schritt für Schritt jeden Schritt der Öffentlichkeit klarmachen, Druck entwickeln, den Überwachungsstaat zu verändern und systematisch abzubauen.

Die, die diesen pragmatischen Zugang ablehnen, kommen daher und machen Veranstaltungen und sagen, man soll nicht darüber reden, daß man nicht die politischen AktivistInnen einsperren soll, sondern überhaupt niemanden mehr, also Abschaffung aller Gefängnisse. Wenn man von dem Ausgangspunkt, an dem wir stehen, über die Abschaffung aller Gefängnissee redet, dann bleiben wir ein Debattierclub, das redet man irgendwo und das geht an jedem vorbei, weil das vollkommen utopisch ist. Man kann niemals eine Mehrheit dazu bringen zu sagen, daß wir keine Gefängnisse brauchen. Das ist vollkommen utopisch, selbst wenn man das erreichen will, muß man es Schritt für Schritt und mit einem pragmatischen Ansatz machen. Man muß die Öffentlichkeit bewegen, man muß immer schauen, daß man ihre Sympathie hat, man muß ein Gespür entwickeln, ab wann die Sympathie kippen kann, man darf nie über diesen tipping point hinausgehen, man muß die Gegner herausfordern, man muß Medienarbeit machen, so daß sie auf unserer Seite sind und mitziehen, man muß ihnen Themen liefern, daß der Druck langsam steigt und all diese Dinge. Das ist eigentlich eine ganze Wissenschaft, das sollt man eigentlich an der Uni lernen, wie man in eine Demokratie verändernd eingreift. Jedenfalls müssen wir das auch mit der Repression so angehen, statt daß wir über Grundsätze und Utopien debattieren, müssen wir das dort genauso machen, wie wir es im Tierschutz gewohnt sind, Schritt für Schritt der Veränderung. Und ich bin überzeugt davon, daß wir die Menschen bewegen können.

Wenn ich nur schaue, was das Innenministerium in diesem Fall getrieben hat, was die für Aussendungen gemacht haben und was die gegen uns aufgeboten haben, wie sie uns dargestellt haben. Wenn man sich jetzt anschaut, wie die Öffentlichkeit darüber denkt, die eigentlich fast geschlossen auf unserer Seite steht und eigentlich einen ziemlichen Druck auf das Justizministerium entwickelt, das zu beenden, dann sehe ich, daß wir es geschafft haben, das vollkommen umzudrehen. In England oder den USA ist das überhaupt nicht so, dort passiert das genaue Gegenteil. Diese Leute waren überhaupt nicht in der Lage, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren und einen Schutzschild durch die Sympathie der Öffentlichkeit aufzurichten oder die Repressionsgesetze abzuschaffen. Wenn man den typischen Menschen in den USA oder England fragt, die werden sagen "bitte, wir brauchen mehr Repression, denn diese Leute sind zu gefährlich". Diese Propaganda über diese gefährlichen schlummernden Terrorzellen und Tierschutzgruppen und diese wahnsinnigen fundamentalistischen Umweltschutz-Earth-Liberation-Front-Leute - den Leuten ist diese Angst so eingeimpft, daß sie begeistert sind, je mehr Möglichkeiten die Polizei hat, und foltern tut sie auch zur Not, wenn das nötig ist. Wir brauchen Sicherheit, und das muß man ganz anders angehen, statt sich so aufs Tablett setzen und abschießen zu lassen.

SB: Vielleicht hat das auch etwas damit zu tun, daß der ganze sogenannte globale Krieg gegen den Terrorismus ein genuin angloamerikanisches Phänomen ist. Ich habe den Eindruck, daß die Terrorgesetze sowieso von Anfang an viel weiter konzipiert wurden, als daß sie auf irgendwelche Islamisten reduziert werden sollten, und daß der Übergriff auf soziale Bewegungen programmatischer Art ist. Ihr werdet ja nicht mit dem Terrorismusvorwurf konfrontiert, weil ihr als kriminelle Organisation verdächtigt werdet.

MB: Das haben sie irgendwann am Anfang entschieden, aber das war wahrscheinlich knapp. Ich habe natürlich im Internet gelesen und von solchen Leuten gehört, die die Gefahr entweder nicht gesehen oder sich einfach nicht früh genug dagegen gescheit organisiert haben. Und organisieren heißt nicht, daß man sich gegenseitig tröstet, wenn man im Gefängnis sitzt, und das heißt doch nicht, daß man besser aufpasst, wenn man irgendwelche Aktionen macht, das heißt die Öffentlichkeit gewinnen. Es führt überhaupt kein Weg daran vorbei, und es ist in der tollsten Demokratie so, daß, wenn es den Mächtigen gelingt, dich als eine isolierte Gruppe darzustellen, die die Öffentlichkeit gefährdet, dann vernichten sie dich. Wenn man ihnen jetzt dauernd einimpft, daß es eine Migrantenschwemme gibt und immer mehr reinkommen, dann kriegt man immer schärfere Gesetze, das macht ja eine Demokratie, knallhart. Da gibt es nicht das Bedürfnis "Grundrechte sind fundamental zu schützen, Ende", nein, die sagen "Sicherheit geht vor".

Man muß einfach die Menschen dort abholen, wo sie sind, und ihnen die Situation klarmachen. Die ist ja eigenlich genau umgekehrt als im Tierschutzfall. Die Terroristen sind auf der anderen Seite, die terrorisieren jetzt nicht nur die Tiere, die terrorisieren auch uns zum Beispiel. Wenn ich mir anschaue, was wir an Angriffen erlebt haben oder auch die englische Bewegung, da wurde schon eine Reihe von Leuten umgebracht. Zweimal sind Personen von uns angeschossen worden, wir haben einen Haufen von Todesdrohungen erhalten, als wir das Legebatterieverbot erreicht haben, haben die Legebatteriebetreiber mich mit dem Tod bedroht. Die haben jede Menge Klagen erhoben, und nach der Klage hat mir einer gesagt, er habe schon das Gewehr gekauft, mit dem er mich totschießen wird. Da waren zwei Schläger bei uns im Büro, die sind bei uns eingedrungen und haben uns, wenn das nicht aufhört mit den Kampagnen, Schlimmeres angedroht. So etwas haben Tierschützer in Österreich noch nie gemacht, zudem haben sie die besseren Argumente. Wir müssen sagen, "wir sind die, die im Sinne der Gesellschaft arbeiten und bedroht werden". Wir brauchen Schutz, nicht die Polizei mehr Mittel gegen uns. Das ist doch eigentlich logisch und muß doch eigentlich ganz leicht sein, den Menschen zu verklickern. Es gibt ja niemanden in Österreich, der das Gefühl hat, daß Tierschützer gefährlich wären, außer man redet es ihnen ein, denn es gibt keine Fakten, die irgendwen in Angst versetzen müßten. Wer bitte fühlt sich bedroht außer die 17 Legebatteriebetreiber durch ein Legebatterieverbot, das findet eigentlich jeder gut, und daß wir dafür ins Gefängnis kommen, das muß man ihnen erklären, und wenn man es ihnen erklärt, dann sagen sie, "sind die wahnsinnig?".

Man muß ihnen erklären, warum es ein Wahnsinn ist, daß überall Überwachungskameras hingestellt werden, daß eine Überwachungskamera den Sinn hat, im Sinne dieser Terrorismusbekämpfung auffälliges Verhalten zu identifizieren, weil die Idee im Prinzip ist, daß es schlummernde Terrorzellen gibt, die sowieso Selbstmordanschläge verüben, so daß man sie nachher nicht verfolgen kann. Man muß sie also vorher herausfinden, indem man überall Kameras montiert und jeden anschaut und alle, die sich komisch verhalten, als Gefahr für die Gesellschaft rauspflückt. Aber wenn dieser Druck entsteht, daß alle gleich sein müssen, weil man ansonsten auffällt und rausgepflückt wird, dann gehen alle im Gleichschritt. Und wenn alle im Gleichschritt gehen, dann ist das das Ende. Das Dritte Reich ist ja ein klassisches Beispiel, da sind alle im Gleichschritt gegangen, das war das Im-Gleichschritt-gehen per se. Es gibt keine Kultur mehr, es gibt keine Kunst mehr, das lebt davon, daß einer aus dem Gleichschritt raushupft, und es gibt keine politische Entwicklung mehr außer der, daß einer schreit, wohin der Gleichschritt marschiert. Aber wenn kein Chaos herrscht, wenn nicht in alle Richtungen gegangen werden kann, dann gibt es keine politische Entwicklung, das kann man jedem erklären, und dann werden die Leute dafür sein, daß man diese Kameras abbaut, weil es in Wirklichkeit keine Bedrohung gibt, und das muß man bitte machen, ja.

Wir haben dieses Problem, das sieht man, wenn man im Gefängnis sitzt. Im Gefängnis geht es unheimlich arg zu, und die Leute wissen das draußen nicht, weil niemand wagt, zu den Gefangenen zu reden. Die Gefangenen sind einfach eine Randgruppe, wer kann sich für die einsetzen. Aber wenn man den Leuten ganz in Ruhe erklärt, was da läuft, dann kann niemand sagen, daß das gut ist. Und jetzt muß man halt beginnen, den Mut zu fassen, und ich bin überzeugt, daß man auch vom Standpunkt der Randgruppen her ein Verständnis bei den Menschen gewinnt, statt sie aufzuhetzen und ihnen vor diesen Randgruppen Angst zu machen. Man kann ihnen sagen, daß es gut ist, daß es Randgruppen gibt, die anders sind, denn die bewirken ein Legebatterieverbot. Wenn wir alle immer nur Legebatterieeier fressen, würde das immer so weitergehen, und wir sind doch wahnsinnig froh, daß ein paar Leute den Kopf herausgestreckt haben und gesagt haben, wir machen es anders, und die haben etwas riskiert, die sind aufgefallen, und der Staat haut auf sie drein, jetzt kommt her und schützt uns, sonst wird das immer so weiter gehen, wir haben das für euch getan und wir erwarten jetzt euren Schutz, und das versteht jeder Mensch.

SB: Was versucht die Staatsanwaltschaft zur Zeit? Sie haben vorhin erwähnt, daß Sie sehr viele neue Akten bekommen haben, die Sie jetzt studieren müssen. Wenn die Ankläger nichts Konkretes in der Hand haben, läuft der Tatvorwurf wesentlich auf ein Gesinnungsdelikt hinaus?

MB: Absolut ja. In den neuesten Akten haben sie 20 Jahre alte E-Mails von mir herausgesucht und schauen halt, was ich vor 20 Jahren geschrieben habe. Sie wollen mich als gefährlichen Menschen darstellen, der gefährliche Gedanken hat und Gefährliches redet. Das ist bei mir ein bißchen spezifisch, weil sie viele andere verfolgen, ohne daß die irgend etwas Radikales machen. Es gibt Leute, die nie etwas per E-Mail oder sonstwie schreiben, was irgendeinen ideologischen Charakter hat, und denen kann man dann nicht Radikalismus oder ähnliches unterstellen. Denen unterstellt man dann andere Dinge, aber diese Akte ist wahnsinnig aufgebläht, weil versucht wird, alles, was nur irgendwie und irgendwo passiert, kriminell zu interpretieren. Dazu kann ich eine ganze Reihe von Beispielen bringen. Also sozusagen die Highlights des Absurden.

Da gibt es zum Beispiel eine Frau, ein Mädchen, das hat mit 16 Jahren eine E-Mail an eine deutsche Tierschutzgruppe PeTA, das ist eine Tierrechtsgruppe in Stuttgart, geschrieben, sie habe gehört von dem Begriff "ALF" und würde gern mehr darüber erfahren, das findet sie interessant. Diese PeTA hat irgend etwas zurückgeschrieben, aber in Österreich hat die niemand kontaktiert, und sie ist nicht Aktivistin geworden. Allerdings hat die Polizei diese E-Mail bei ihren Ermittlungen gefunden und hat bei dieser Frau vier Jahre später, sie ist jetzt 20, eine Hausdurchsuchung gemacht und ihr den Computer weggenommen. Jetzt gibt es einen Abschlußbericht, laut dem sie wahrscheinlich Mitglied in einer kriminellen Organisation ist, obwohl sie nicht einmal aktiv war.

SB: Das ist ein schönes Beispiel dafür, daß die Aussage "wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten" absolut unzutreffend ist.

MB: Auch das ist wieder so ein Punkt. Die behaupten ja gerne, daß alle, die Computer verschlüsseln, etwas zu verbergen haben. Wir haben verschlüsselte Computer und verschlüsselte E-Mail-Kommunikation und machen daraus den Beweis, daß wir urgefährliche Leute sind. Man kann das allein mit solchen Beispielen jedem Menschen erklären: hätte sie das verschlüsselt geschickt, hätte niemand ihr Haus durchsucht. Sie hat niemandem etwas getan, sie war ein vollkommen normaler, friedlicher Mensch, studiert da, hat halt eine E-Mail irgendwo hingeschickt, um etwas zu erfragen. Hätte sie das verschlüsselt gemacht, hätte man sie in Ruhe gelassen. Offiziell sage ich das jedem jederzeit: verschlüsseln, verschlüsseln, verschlüsseln, alles immer verschlüsseln, weil alles andere bedeutet, sich diesem Terror von diesen Leuten aussetzen. Ich finde, man muß das ganz deutlich machen, also auch ganz offen dazu stehen.

SB: Ich habe hier in einem Text gelesen, daß schon das häufigere Wechseln eines Prepaid-Handys ein konkreter Anlaß ist, Ermittlungen aufzunehmen.

MB: Bei uns war es der Kauf von zehn Wertkartenhandys. Derjenige, bei dem sie gestern die Hausdurchsuchung gemacht haben, hatte im Namen des VGT-Vorstands zehn Wertkartenhandys gekauft. Bei der Telefonüberwachung hat sich herausgestellt, daß er unseren Geschäftsführer beraten hat, mit welchen Verschlüsselungsprogrammen man verschlüsseln kann. Schluß. Diese zwei Dinge waren Anlaß genug, ihn zu überfallen und sein Haus auf den Kopf zu stellen. Also es gibt haufenweise Dinge, die man an diesem Akt sieht, auf was für einer Basis die zu ermitteln anfangen. Ich könnte noch viele Beispiele bringen. Ein Mädchen im Alter von 13 Jahren war bei irgendeiner harmlosen VGT-Aktion und hat dann von irgendwem gehört, daß man filmen geht in irgendeiner Schweinefabrik. Sie hat dann so lang gebettelt, bis sie mitgehen durfte, weil sie das einmal von innen sehen wollte. Das steht auf ihrer Webseite. Und sie ist dann mitgegangen, hat ein krankes Ferkel dadrin gefunden, hat es mitgenommen nach Hause, als Dreizehnjährige, und hat sich dann zehn Jahre um dieses Ferkel gekümmert. Das ist natürlich ein großes Schwein geworden und irgendwann dann gestorben. Das hat sie alles auf ihrer Webseite geschildert, da schreibt sie auch wirklich hinein, "ich habe dieses Schwein sozusagen gestohlen". Nun kommt sie in diese Ermittlungsschiene hinein, die haben ihr Haus beobachtet, haben ihr Telefon abgehört, haben sie observiert, brutal überfallen mit gezogenen Schußwaffen. Jetzt gibt es über sie einen Abschlußbericht, in dem sie als Verdächtige für die kriminelle Organisation bezeichnet wird.

SB: Inwiefern könnten Sie sich vorstellen, daß es bei der Verfolgung von Tierschützern auch um die Ernährungsfrage geht? Dort gibt es ja eine prekäre Entwicklung, die Nahrungsmittel werden teurer, immer mehr Leute hungern. Könnte es nicht auch um die Kontrolle über die Nahrungsmittelproduktion, also auch die Fleischerzeugung, gehen?

MB: Ich glaube nicht, daß sie sich durch die Tierrechtsidee und den Veganismus bedroht fühlen. Wenn man auf Schweinefabrikskonferenzen geht, dann sind denen Veganismus und Vegetarismus eigentlich gleichgültig. Tierschutzgesetze allerdings fürchten sie, aber Vegetarismus ist kein Problem. Ich glaube, wie gesagt, daß das hauptsächlich Jäger waren, die halt ein unglaubliches Selbstbewußtsein haben in diesem Land auch mit diesen beiden Verbänden, die überall ihre Finger drin haben. Die klagen gegen alles und sind in der Lage, mit einem Fingerschnippen Gesetze gegen uns, gegen Jagdstörungen zu erlassen. Es ist bereits im Burgenland und in Niederösterreich gelungen, Gesetze extra gegen unsere Jagdstörungen zu schaffen. Dazu gibt es eine Direktive, daß die Polizei das prioritär behandeln muß. Wenn irgendwer bei einer Jagd erscheint, dann muß die Polizei alles stehen und liegen lassen und dorthin rennen und alle verfolgen. Die letzte Strafe für das Betreten eines Jagdgebietes bei einer Treibjagd betrug pro Person 1200 Euro.

Da merkt man, daß das unheimlich mächtige Leute sind, die sich wahnsinnig darüber ärgern, daß es irgendwer wagen kann, sie bei ihrer traditionellen Tätigkeit zu stören. Ich glaube, die sitzen da oben und sagen, "jetzt wird's Zeit, jetzt haun wir denen mal auf die Finger oder haun die zusammen". Wir wissen, daß der Innenminister ein Jäger war, wir wissen, daß dieser Staatsanwalt ein Jäger ist, wir wissen, daß einer der mächtigsten Menschen in Österreich der Landesjägermeister von Niederösterreich ist. Er ist gleichzeitig in der konservativen Partei sehr mächtig, gleichzeitig bei den Bauern mächtig, weil er Chef des Raiffeisenverbands und der Raiffeisenbanken ist. Er ist auch noch Chef der Uniqua-Versicherung, und jeder weiß, wer sich mit dem anlegt, der kriegt Schwierigkeiten. Ich habe das Gefühl, der steht hinter dem Feldheer und kann es mit einem Fingerschnippen dirigieren, und das hat er in dem Fall gemacht. Der hat einfach gesagt, "Herr Innenminister, jetzt setz eine Sonderkommission ein". Wir kennen E-Mails, aus denen hervorgeht, wie sie zu Anfang über die Gründung der Sonderkommission debattiert haben. Dort sagen sie, "machen wir was gegen den VGT, aber der VGT macht ja nur legale Dinge, na ja dann nehmen wir halt diesen Paragraphen 278 a, da können wir ihn verfolgen, auch wenn wir ihnen nichts nachweisen können". Jedenfalls haben sie eindeutig eine Sonderkommission in Gang gesetzt gegen uns mit dem VGT als Hauptziel, ohne daß sie irgend etwas konkretes Kriminelles im Blickwinkel hatten.

Es gibt eine Reihe von Belegen, aus denen diese Vernichtungsabsicht hervorgeht. So gibt es ein Sitzungsprotokoll - warum das auch immer reingekommen ist, weiß man nicht, entweder es war ein Versehen oder es war jemand, der uns das mitteilen wollte -, aus dem hervorgeht, daß sich die Sonderkommission am 19. Juni letzten Jahres, als ich einen Monat im Gefängnis war, zu dem ausschließlichen Thema getroffen hat, wie man dem VGT noch zusätzlich zu allem schaden kann. Es ist nicht darum gegangen, wie man Kriminelles aufdecken kann, es ist darum gegangen, wie man uns schaden kann. Sie haben sich überlegt, "können wir sie mit Erbschaftssteuer belegen, haben sie vielleicht eine Erbschaft gekriegt, die man ihnen entziehen kann, das ist nichts, dann probieren wir es mit der Gemeinnützigkeit". Dann haben sie gesagt, "jetzt machen wir es so, der Verein verkauft ja T-Shirts, das ist eine Gewinnabsicht, der Verein hat eine Kontrollstelle gegründet, die kontrolliert, ob die Beschriftung der Eier in Supermärkten richtig ist, dafür kriegt er eine Entschädigung, das ist eine Gewinnabsicht, sagen wir, er ist gewinnorientiert und nicht gemeinnützig". Das haben sie in Gang gesetzt, und jetzt ist laufend die Finanzpolizei bei uns, jetzt wieder, und schaut sich zum hundertsten Mal unsere Buchhaltung an mit dem Ziel, uns die Gemeinnützigkeit zu entziehen und uns damit zu vernichten. Jetzt kann mir niemand sagen, es geht hier um etwas Kriminelles. Warum interessiert sich eine Sonderkommission, die eine kriminelle Organisation aufdecken will, dafür, ob wir gemeinnützig sind oder nicht? Ich meine, da braucht man kein weiteres Wort verlieren, es ist vollkommen klar, um was es hier geht. Es gibt eine Reihe von Belegen, die das zeigen, und es gibt eigentlich überhaupt keine Diskussion mehr, das ist hundertprozentig ein rein politischer Prozeß mit der ganz konkreten Absicht, uns zu vernichten: dieser Verein muß entfernt werden. Also dieser Verein muß ihnen sehr auf die Nerven gegangen sein, zumindest irgendwem.

SB: Wer wird alles verdächtigt?

MB: Mittlerweile alle Angestellten bei uns, mit der Ausnahme von einer Person, und eine Reihe von Aktivisten und Aktivistinnen auch von anderen Vereinen.

SB: Wie viele Personen sind das?

MB: 40 insgesamt. Selbst die Sekretärin wird verdächtigt, Mitglied einer kriminellen Organisation zu sein, weil sie die Organisation bei ihren Tätigkeiten im Sekretariat unterstützt hat. Als Beispiel wird angeführt, daß sie angerufen und gebeten wurde, eine Pelzdemo anzumelden. Meldet sie eine Pelzdemo an, unterstützt sie eine kriminelle Organisation. Das Konstrukt ist, sie habe das mit einer legalen Handlung unterstützt, wohlwissend, daß die in Wirklichkeit etwas Illegales machen. Und dann sagen sie, "also wer gegen Pelz demonstriert und gleichzeitig hat irgendwann irgendwer irgendeinem Pelzhändler den Reifen aufgestochen, dann kann man die alle sozusagen in ideologische Sippenhaft nehmen". Einer hat mal gesagt, wir sind der Nährboden für solche aufgestochenen Reifen, aber in Wirklichkeit gibt's die fast überhaupt nicht. Ich meine, die haben eine Reihe von solchen kriminellen Handlungen einfach dazuerfunden, das ist unglaublich. So haben sie eine Brandstiftung einer Jagdhütte erfunden, obwohl laut dem Brandsachverständigen eindeutig geklärt ist, daß der Brand durch die Überhitzung des Ofens ausgelöst wurde. Die Jäger selbst haben gesagt, daß es eine Überhitzung des Ofens war, die Versicherung hat es gesagt, aber sie behandeln es als Tierschutzbrandstiftung. Dann gibt es einen aufgestochenen Reifen an einem Polizeiauto, und sie behaupten, das war der Tierschutz. Der modus operandi, so sagen sie immer, war derjenige, daß der Reifen am Polizeiauto genauso aufgestochen wurde wie der Reifen am Auto des Pelzhändlers. Offenbar gibt es sehr viele verschiedene Methoden, einen Reifen aufzustechen, und das war genau gleich. Und deswegen waren es wahrscheinlich dieselben Leute, und deswegen sind jetzt auch noch aufgestochene Reifen von Polizeiautos Tierschutzvergehen.

SB: Ihr müßt also mit den fiesesten Tricks rechnen.

MB: Die haben Sachen erfunden, daß man es nicht glauben kann. Die haben zum Beispiel erfunden, daß ich zwei Jahre Gefängnisstrafe in England bekommen hätte. Das haben sie einfach absichtlich falsch übersetzt. Ich hatte in einem Zeitungsinterview gesagt, daß ich "mink hunt sabbing" war. Das ist Englisch und heißt "Nerzjagdsabotieren", das ist eine völlig legale Tätigkeit, bei der man mit einem Jagdhorn von einem öffentlichen Weg aus verhindert, daß die mit Hundemeuten Nerze hetzen. Und sie haben das übersetzt mit "Nerzfarmsabotieren", was natürlich das Beschädigen einer Nerzfarm, also etwas Kriminelles, ist. Durch die Bank gibt es solche Dinge, damit die Richter denken, daß wir durchgeknallte Irre sind, die man einsperren muß.

SB: Was ist als nächstes von der Justiz zu erwarten? Kommt es zu einer Anklageerhebung?

MB: Mittlerweile würde ich das als persönliche Niederlage auffassen, wenn es tatsächlich dazu kommt. Weil wir schon so weit sind, wir so viel erreicht und bewegt haben. Ich habe ein urgutes Gefühl, aber man kann sich irren. Schlimmstenfalls werden alle 40 wegen krimineller Organisation angeklagt werden, es kann sich aber auch aus taktischen Gründen auf weniger reduzieren ...

SB: Die Rädelsführer.

MB: ... genau, mich zum Beispiel. Und es kann sein, daß sie 278 a überhaupt fallen lassen und nur versuchen, uns wegen irgendwelcher anderer Sachen anzuklagen. Dabei bliebe bei mir eigentlich nichts übrig, so daß sie eigentlich nur noch zum Schein Anklage erheben könnten, damit sie nicht eingestehen müssen, daß gar nichts gewesen ist. Das wäre mir am allerliebsten, wenn 278 a fällt, das würde ich als einen Riesenerfolg unserer Tätigkeit betrachten.

SB: Herr Balluch, vielen Dank für dieses lange Gespräch und Ihre engagierte Stellungnahme.

Tier und Mensch ... Naturzwang und Gewaltverhältnis

Tier und Mensch ... Naturzwang und Gewaltverhältnis

23. Juni 2009