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EDITORIAL/117: Wildgänse rauschen durch die Nacht (SB)



Wochendruckausgabe 117 der Elektronischen Zeitung Schattenblick zum 26.01.2019


Aufgeschlagene Schattenblick-Zeitung in den Händen eines Lesers - Foto: © 2013 by Schattenblick

Foto: © 2013 by Schattenblick

Wildgänse rauschen durch die Nacht

Wildgänse rauschen durch die Nacht (*)
(von Walter Flex (1887-1917)

Wildgänse rauschen durch die Nacht
Mit schrillem Schrei nach Norden -
Unstäte Fahrt! Habt acht, habt acht!
Die Welt ist voller Morden.

Fahrt durch die nachtdurchwogte Welt
Graureisige Geschwader!
Fahlhelle zuckt, und Schlachtruf gellt,
Weit wallt und wogt der Hader.

Rausch' zu, fahr' zu, du graues Heer!
Rauscht zu, fahrt zu nach Norden!
Fahrt ihr nach Süden übers Meer -
Was ist aus uns geworden!

Wir sind wie ihr ein graues Heer
Und fahr'n in Kaisers Namen,
Und fahr'n wir ohne Wiederkehr,
Rauscht uns im Herbst ein Amen!

Dem Dichter dieser zum Volkslied gerierten Verse wird nicht zuletzt wegen seiner national geprägten Herkunft und seiner entsprechend übrigen Werke im wesentlichen ein romantisch verklärtes Verhältnis zum Krieg und seinem sinnentleerten Grauen zugesprochen und unterstellt. Der lyrische Balladenstil und die herrschenden Ausdrucksweisen des Autors Walter Flex wie seine Bücher und Texte legen scheinbar eine solche Bemusterung dieses Liedes in den Projektor des Betrachters.

Mit seinen Versen habe ich stets nur Wehmut, Traurigkeit und Klage verbinden können und sehe mich bei größter Mühe bis heute nicht dazu veranlaßt, gegenteilig zu empfinden. Deshalb drängt sich mir zumindest die folgende Frage auf: Wie kann die Beschreibung einer Kriegssituation, selbst in romantisch-lyrischem und althergebrachtem Ausdruck, und besonders von einem unmittelbar betroffenen Beobachter und Soldaten anders bewertet werden, denn als Antikriegslyrik? Hier stellt sich doch immer nur der Leser zum Gedruckten und nicht umgekehrt. Schlimmstenfalls könnte dieses Lied auf den Begriff eines klagenden Fatalismus reduziert werden.

Ihre Schattenblick-Redaktion

(*) http://gutenberg.spiegel.de/buch/der-wanderer-zwischen-beiden-welten-1--5535/1
aus: Walter Flex, Der Wanderer zwischen beiden Welten, Erstveröffentlichung 1917, C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung, München ca. 1940


25. Januar 2019


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