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BERICHT/019: China - Buddhismus erlebt Aufschwung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. Dezember 2010

China:
Buddhismus erlebt Aufschwung - Gestresste Städter suchen inneren Frieden

Von Mitch Moxley


Peking, 2. Dezember (IPS) - Quan Zhenyuan entdeckte den Buddhismus eigentlich nur durch Zufall. Der Besitzer eines vegetarischen Restaurants in Peking schenkte ihr ein Buch über diese Religion. Die Chinesin war davon so fasziniert, dass sie Buddhistin wurde. Wie sie suchen immer mehr Menschen in chinesischen Städten nach Spiritualität.

"Früher dachte ich, dass der Buddhismus ein Aberglaube sei", bekannte die 32-Jährige. "Seit ich das Buch 'Den Buddhismus erkennen' gelesen habe, denke ich darüber jedoch ganz anders." Die Geschäftsführerin eines Reisebüros in der Hauptstadt erklärte, dass sie gelernt habe, ihre Probleme zu lösen. Auch mit ihren Angestellten und Kunden komme sie jetzt besser zurecht. "Der Buddhismus hat meinen Seelenfrieden wiederhergestellt", sagte sie.

Offiziell ist die Volksrepublik ein laizistisches Land, Religion gilt als reine Privatsache. Seit Regierungschef Deng Xiaoping vor drei Jahrzehnten seine Reformpolitik verkündet hat, haben viele Chinesen das Gefühl, in einem spirituellen Vakuum zu leben. Allen staatlichen Vorgaben zum Trotz erlebt der Buddhismus zurzeit eine Wiedergeburt.

Das Streben nach materiellen Gütern und beruflichem Erfolg füllt viele Menschen nicht mehr aus. Auf der Suche nach einem tieferen Sinn suchen sie Antworten in der Religion. Mit ihrer Hinwendung zum Buddhismus besinnen sich die Chinesen auf eine 2.000-jährige Tradition zurück.

Wie Forscher an der 'East China Normal University' 2007 herausfanden, bekannten sich 33 Prozent von 4.500 Befragten zum Buddhismus. Die Untersuchung wurde in 31 Provinzen und einer autonomen Region durchgeführt.


Religion spricht viele junge Leute an

Der Leiter der Umfrage, Liu Zhongyu, sagte dem Nachrichtendienst 'Phoenix News Media', dass der "Buddhismus die unter Intellektuellen und Jugendlichen am stärksten verbreitete Glaubensrichtung" sei. Wahrscheinlich gebe es im ganzen Land mehr als 300 Millionen praktizierender Buddhisten. Vor zehn Jahre hatte die staatliche Religionsbehörde die Zahl mit etwa 100 Millionen angegeben. Liu erklärte sich das wachsende Interesse am Buddhismus damit, dass die Marktwirtschaft immer weiter an Boden gewinnt und in der Bevölkerung Ängste auslöst.

Die Chinesische Akademie für Sozialwissenschaften erklärt in dem 'Blauen Buch über Chinas Religionen', dass der Buddhismus in der Volksrepublik während der 30-jährigen Reformperiode ein "goldenes Zeitalter' erlebt hat. Auch die Purdue-Universität in den USA kam zu dem Ergebnis, dass das Interesse an der Religion in diesem Zeitraum rapide zugenommen hat.

Historikern zufolge begann sich der Buddhismus im ersten Jahrhundert nach Christi von Indien über die Seidenstraße nach China zu verbreiten. Nachdem die Glaubensrichtung von Kaisern unterstützt wurde, wurden die Lehren rasch im ganzen Land bekannt. Indische Würdenträger wurden eingeladen, um in China buddhistische Philosophie zu lehren.

Selbst der erklärte Religionsgegner Mao Zedong ging nicht soweit, den Buddhismus zu verbieten. Viele Tempel und religiöse Organisationen wurden unter seiner Herrschaft aber unter staatliche Aufsicht gestellt.

Als chinesische Truppen den Aufstand der Tibeter 1959 brutal niederschlugen, stand die von der Regierung kontrollierte Buddhistische Vereinigung Chinas auf der Seite der Regierung in Peking. Während der Kulturrevolution wurden ab Mitte der sechziger Jahre zahlreiche buddhistische Stätten verwüstet. Erst nach Maos Tod 1976 nahmen die Schikanen gegen Gläubige allmählich ab.


Vom Seelenfrieden zu Weisheit und Glück

Inzwischen gibt die Religion vielen Menschen neue Hoffnung. "Der Buddhismus zeigt mir eine ganz neue Welt. Er ist wie ein Licht, das mich in meinem Leben geleitet", meinte 'Eddie', der sich wie viele Leute in den Dreißigern die Sinnfrage stellt.

Nach Ansicht von Duan Yuming, Religionswissenschaftler an der traditionsreichen Sichuan-Universität in Chengdu, sind allerdings längst nicht alle am Buddhismus Interessierten echte Buddhisten. Viele praktizierten diese Religion nur, um inneren Frieden zu finden, sagte er im Gespräch mit IPS. Dies sei aber auch schon ein Schritt in die richtige Richtung.

"Buddhismus ist eine geistige Entwicklung, die zum Glück führt", erklärte Duan. Bei der Meditation erlangten die Gläubigen Einsicht und Weisheit. Die Chinesen hätten es immer eilig, kritisierte er. "Sie können sich nicht einmal mehr entspannen. Die Meditation kann ihnen aber zu einem inneren Gleichgewicht verhelfen."

In den vergangenen Jahrzehnten sind überall in China buddhistische Denkmäler neu aufgestellt oder restauriert worden. Religiöse Stätten verzeichneten einen großen Besucherandrang. Bereits 2006 fand in der Volksrepublik das Weltbuddhisten-Forum statt. Im Jahr darauf wurde der Bergbau auf den heiligen Hügeln verboten.

Tibetische Gebetsfahnen in dem chinesischen Dorf Zhong Lu - Bild: © Mitch Moxley/IPS

Tibetische Gebetsfahnen in dem chinesischen Dorf Zhong Lu
Bild: © Mitch Moxley/IPS

Interesse an Tibet wächst

Das zunehmende Interesse am Buddhismus zeigt auch, dass viele Menschen von Tibet fasziniert sind. Seit einigen Jahren kommen immer mehr Touristen in die Hauptstadt Lhasa. Die meisten Chinesen betrachten Tibet nach wie vor als Teil der Volksrepublik. Vor allem die urbane Bevölkerung hat dabei oftmals romantische Vorstellungen von dem Hochland.

Duan ist der Ansicht, dass die Bevölkerungsmehrheit der Han-Chinesen durch die Auseinandersetzung mit dem Buddhismus größeres Verständnis für die Situation Tibets entwickeln kann. Eine ähnliche Auffassung vertritt der Dalai Lama, der 1959 von China ins indische Exil floh. Seinem Biografen Pico Iyer sagte er: "Wenn in 30 Jahren in Tibet sechs Millionen Tibeter und zehn Millionen chinesische Buddhisten leben, wird irgend etwas in Ordnung sein." (Ende/IPS/ck/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Dezember 2010