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BERICHT/020: Etwas Erleuchtung kann nicht schaden (welt der frau)


welt der frau 11/13 - Die österreichische Frauenzeitschrift seit 1946

Etwas Erleuchtung kann nicht schaden

Von Maria Harmer



Marina Jahn, Vizepräsidentin der Österreichischen Buddhistischen Religionsgemeinschaft, kam fast zufällig zu ihrem Glauben. Seit nunmehr 30 Jahren lebt sie danach und hat sich als Lehrerin auch für die Vermittlung von Buddhismus an Kinder eingesetzt.


Mitten im Herzen von Wien, 1. Bezirk, zwischen Geschäftslokalen, Touristenströmen und starkem Verkehr, führt bei der Adresse "Fleischmarkt 16" ein winziges Gässchen in einen stillen Innenhof. Rechts hinten liegt eine kleine Buchhandlung, davor ein vegetarisches Restaurant, die Tür daneben führt hinauf zum Buddhistischen Zentrum.

In den Räumen der ÖBR (der Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft), wo auf dem Holzparkett unzählige Sitzpolster herumliegen, finden jeden letzten Donnerstag im Monat Kleinkinder-Nachmittage statt. Das Angebot ist einzigartig in ganz Österreich.

Mira und Albin sind zwei der fünf Kinder, die zu Beginn den Buddha-Altar mit Blumen schmücken und mithilfe der Großen die Räucherstäbchen anzünden. Gemeinsam mit der Gruppenleiterin sowie den anderen Kindern und deren Müttern singen sie das Lied vom "wunderbaren Augenblick" und üben leichte Meditationstechniken und Atemübungen. Nach einer Stunde lässt die Konzentration der Kleinen nach. Zeit, die Kerzen auf dem Buddha-Altar auszublasen und vor dem Nach-Hause-Gehen noch gemeinsam ein paar Rosinen zu naschen.


Nur ein bisschen abschalten

"Fahrrad, Fußball, Spiegelei. Peter lernt meditieren", so heißt ein Kinderbuch, das Marina Jahn geschrieben hat. Die Autorin sitzt im Büro ganz in der Nähe des Raumes, in dem die Kleinkinder-Nachmittage stattfinden. Die 66-Jährige ist seit 2006 ehrenamtliche Vizepräsidentin der ÖBR. Ihre eigenen drei Kinder waren im Kindergartenalter, als die gebürtige Wienerin in den Jahren 1979/80 nach der Handelsschule und ihrer Ausbildung zur Balletttänzerin erstmals mit dem Buddhismus in Berührung kam. Meditieren, nur ein bisschen Zeit für sich selber haben, wollte die erschöpfte Mutter damals. "Mein Mann hat mich einmal in der Woche hierher zum Fleischmarkt zum Meditieren geschickt und gemeint, dass ich danach nicht mehr so hysterisch wäre und er sich immer auf Dienstage freue, weil es mir dann besser ginge."

Der Buddhismus selbst, dessen Geschichte mehr als 2.500 Jahre, bis in die Tage des Fürsten Siddharta Gautama am Fuße des Himalaja im heutigen Indien, zurückreicht, und der derzeit mit weltweit etwa 230 bis 500 Millionen AnhängerInnen nach dem Christentum, dem Islam und dem Hinduismus die viertgrößte Religion der Erde ist, interessierte Marina Jahn in jener Zeit nicht besonders. "Damals wollte ich gar nichts mit dem Buddhismus und der mir fremden Tradition zu tun haben, sondern einfach nur ein bisschen abschalten können. Ich habe das Wort 'Buddha' gehört und mir gedacht, ich höre einfach fest weg - habe aber aufgehorcht, als unser damaliger Lehrer gesagt hat, dass es bei ihnen keinen Gott gebe und auch nicht Schuld und Sünde, sondern Ursache und Wirkung."


Religion ohne Gott

Denn der Buddhismus ist eine Religion ohne Gotteskonzept und ohne Dogmen, keine Glaubens-, sondern eine Erkenntnisreligion. "Nichts soll einfach geglaubt und ungeprüft vom Einzelnen übernommen werden. Ich muss schauen, ob es für mich stimmt", erklärt Jahn.

Der Kern der Lehre des Buddha lässt sich - sehr vereinfacht - in etwa so zusammenfassen: Alle irdische Existenz ist von Begierden geleitet, die in letzter Konsequenz auf Leiden hinauslaufen. Was immer man an irdischen Dingen erhofft, wird früher oder später zu Schmerz und Enttäuschung führen. Nur die Einsicht in die Wahrheit des Buddha (die "Erleuchtung") führt zur Befreiung von Leid.

"Wir beten nicht, wir praktizieren", präzisiert Jan und spielt mit einer kleinen silbernen Buddha-Plakette, die an einer schmalen Kette um ihren Hals hängt.

1984 wurde Marina Jahn Buddhistin. Wie das funktioniert? Es gibt keine "Taufe" oder institutionalisierte Aufnahme. Es reicht ein stilles oder vor ZeugInnen abgegebenes Bekenntnis, dass man - so der Fachausdruck - "Zuflucht nimmt" zu den sogenannten "drei Juwelen": zu Buddha, Dharma und Sangha, d. h. zu Buddha selbst, zur Lehre sowie der Gemeinschaft der BuddhistInnen. BuddhistIn ist, wer die Lehren Buddhas studiert und ihnen folgt. Wer sich dazu verpflichtet, nicht zu töten nicht zu stehlen, nicht zu lügen, keinen Alkohol zu trinken und sexuelles Fehlverhalten zu vermeiden. Zumindest aber muss sie oder er sich bemühen, anderen Lebewesen keinen Schaden zuzufügen. Die Achtung und der Respekt vor allen fühlenden Wesen ist wichtig - und dazu gehören auch, in Abstufung nach den Menschen und Tieren, die Pflanzen.


Österreich war Vorreiter

"Definitionen widersprechen dem Buddhismus", lacht Marina Jahn. Denn bezeichnend sei die Vielfalt seiner äußeren Erscheinungsformen. "Der Buddhismus ist keine einheitliche Religion, sondern hat sehr unterschiedliche Ausprägungen. Er hat sich den jeweiligen kulturellen Bedingungen angepasst, und so haben sich im Lauf der Zeit mehrere und unterschiedliche Richtungen entwickelt."

Schon vor 30 Jahren wurde der Buddhismus in Österreich offiziell vom Staat als Religionsgemeinschaft anerkannt. Bundeskanzler war damals Bruno Kreisky, Fred Sinowatz der zuständige Minister. Österreich war 1983 damit eines der ersten Länder in Europa, in anderen Ländern wie Deutschland und der Schweiz wurde dieser Status bis heute nicht gewährt.

"Das war damals ein großes Glück und eine große Freude!", sagt Jahn. "Wir waren früher ja eigentlich wie eine Sekte und stehen jetzt gegenüber dem Staat und der Öffentlichkeit ganz anders da und genießen das sehr!"

Die staatliche Anerkennung inkludiert neben dem Recht auf öffentliche Religionsausübung unter anderem auch religiösen Beistand in Krankenhäusern, das Recht auf die Errichtung konfessioneller Schulen sowie die Möglichkeit des Religionsunterrichtes.

Doch auch als die rechtliche Basis geschaffen war, dauerte die Umsetzung der Ziele. Erst mit dem Schuljahr 1993/94 begann in Österreich der Religionsunterricht für buddhistische SchülerInnen. "Ein europaweit diskutiertes Novum", sagt Marina Jahn. Sie wurde damals als eine der ersten LehrerInnen angefragt und sagte nach einer längeren Nachdenkpause zu.

"Zuerst konnte ich mir das gar nicht vorstellen - aber so bin ich halt. Dann hat es mir riesig Spaß gemacht!" Jahrelang unterrichtete die Gründerin der buddhistischen Frauengruppe dann von der Vorschule bis zur Oberstufe Kinder mit verschiedensten traditionellen Hintergründen und aus unterschiedlichen Ländern wie der Mongolei, Tibet, Japan und aus Österreich selbst. Teilweise stammten die Kinder aus religiös gemischten Ehen, teilweise wurden sie von ihren nicht buddhistischen Eltern in den buddhistischen Religionsunterricht geschickt, um meditieren zu lernen, ihre Konzentrationsfähigkeit zu steigern und bessere Leistungen zu erzielen. "Ich habe auch in einer katholischen Klosterschule unterrichtet, und eine Nonne hat mir strahlend erzählt, dass sie auch Yoga macht", erinnert sich Jahn.


Buddha in der Krippe

Rund 20.000 BuddhistInnen gibt es derzeit in Österreich, und sie gehören unterschiedlichen Traditionen und Richtungen an, die alle unter dem Dach der ÖBR vertreten sind. Der buddhistische Religionsunterricht wird jetzt schülerzahlenbedingt in der Grundstufe wie auch in der Oberstufe meist als schulstufen- bzw. schulübergreifender Unterricht geführt. Zwei Fachinspektoren sowie 15 buddhistische ReligionslehrerInnen gibt es derzeit in Österreich. Sie werden vom Stadtschulrat bzw. den Landesschulräten bezahlt. "Wir suchen immer neue und bilden zusätzliche Kräfte aus", sagt Jahn, die zwar schon seit Jahren nicht mehr selbst unterrichtet, dafür aber als Vizepräsidentin der ÖBR und als Regionalverantwortliche für den mittleren und südlichen Teil des Burgenlandes fungiert.

Gemeinsam mit ihrem Mann, der auch Buddhist geworden ist, verbringt Jahn ihre Wochenenden in der Ortschaft Karl im mittelburgenländischen Bezirk Oberpullendorf. Dort, in einem alten Bauernhaus, hat das Ehepaar im ehemaligen kleinen Kuhstall ihres alten Bauernhauses einen buddhistischen Tempel eingerichtet. "Es gab in der Gegend kein Angebot in dieser Richtung, aber Menschen, die sich darüber gefreut haben!" Die Jahns haben die Tränke, die in die Längswand eingemauert ist, mit Sand gefüllt und Buddha-Statuen, Kerzen und anderes hineingestellt und die Wände mit Zeichen und Symbolen aus den verschiedensten Traditionen dekoriert.

"Unser Tempel ist überkonfessionell", sagt Jahn. "Die Menschen, die hier zusammenkommen, gehören unterschiedlichen Traditionen an. Wir Buddhisten im Burgenland treffen einander etwa einmal im Monat; wir sind eine kleine, aber feine Gruppe". So kommt man in dem ehemaligen Kuhstall zusammen, der jetzt "Saddharma", "die edle Lehre des Buddha", genannt wird. Einige in der Gruppe sind ehemalige WienerInnen, die sich im Burgenland niedergelassen haben, andere sind BurgenländerInnen, die lange in Wien arbeiteten.

Jahn: "Die Menschen sind froh, Gleichgesinnte zu treffen, miteinander zu meditieren und sich auszutauschen." Zweck der Meditation sei, negative Eigenschaften wie Gier, Stolz und Eifersucht abzubauen und positive Eigenschaften wie Geduld, Wertschätzung anderer, Zufriedenheit und Mitgefühl aufzubauen. "Aber in der kalten Jahreszeit ist es schwierig, sich bei der Meditation zu konzentrieren, weil der Raum nicht geheizt ist", sagt sie und freut sich über die Heizung und das Kinderlachen im Buddhistischen Zentrum am Wiener Fleischmarkt.

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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift. Seit 1946.
November 2013, Seite 26-27
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Dezember 2013