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PRESSE/622: Tibetische Kunst - Teil 2 (Buddhismus heute)


Buddhismus heute 43 - Sommer 2007
Das Diamantweg-Magazin der Karma-Kagyü-Linie

Goldene Buddhas und farbenprächtige Thangkas (Teil 2)
Tibetische Kunst fasziniert wie nie zuvor

Von Eva Preschern


Tibetische Rollbilder (tib. thangka) hatten ursprünglich zwei Funktionen: Im alten Tibet beherrschten nur der Adel und die Mitglieder der Klostergemeinschaften Schreiben und Lesen. Darum stellten Thangkas unter anderem die buddhistischen Inhalte bildhaft dar zum Beispiel in Form der Lebensgeschichte des historischen Buddhas. Buddhistische Lehrer zogen mit ihren zusammengerollten Thangkas durch ganz Tibet und brachten der Nomadenbevölkerung den Buddhismus näher, indem sie die dargestellten Geschichten nacherzählten.

Vor allem aber dienten Thangkas als Inspiration für Meditierende. In der Meditation identifiziert man sich mit verschiedenen Ausdrucksformen der Erleuchtung, die in jedem Menschen angelegt sind, aber nur durch Meditation verwirklicht werden können. Zu diesem Zweck vergegenwärtigt man so genannte "Buddhaformen": männliche oder weibliche Buddhas in verschiedenen Farben und Körperhaltungen. Thangkas dienen als Stütze um sich die Aspekte der Erleuchtung richtig zu vergegenwärtigen. Damit bieten sie dem Praktizierenden genaue Anleitung und zeigen ihm das in ihm liegende Potential.

Jede Farbe und Form, jede Körperhaltung und jedes Attribut weist auf eine bestimmte Facette der Erleuchtungserfahrung hin, die man in der Meditation verwirklichen möchte. Darum folgt die authentische Thangka-Malerei mit absoluter Genauigkeit detaillierten Beschreibungen, die jahrtausendelang überliefert wurden. (siehe Begleittext zur Ausstellung "Thangkas im Kraftkreis der Buddhas": Seegers, Böhnke, 2002)

Die tibetische Malerei beschränkt sich jedoch nicht nur auf Rollbilder. Kloster und reiche Privathäuser waren mit Wandgemälden geschmückt, die oft große Wandflächen bedeckten. Bemalt waren die Wände der Tempel, die Empfangsräume und Bibliotheken der Klöster, die Wohnräume der Lamas und Festräume in den Adelspalästen und Burgen. (Martin: Die Kunst Tibets, 1977, s. 57 f.)

Die Darstellungen lassen sich in verschiedene Gruppen zusammenfassen (siehe auch Seegers, Böhnke: Raum und Freude, 2003)


Buddhas

Im Mahayana Buddhismus ("Großes Fahrzeug") repräsentiert Buddha stets das zu erreichende Ziel. Die Buddhaschaft ist der Zustand vollkommener Erleuchtung, der gekennzeichnet ist durch Furchtlosigkeit, Freude und Mitgefühl, das heißt die Erkenntnis der offenen, klaren Unbegrenztheit des Geistes. Es gibt drei Arten von Buddhazuständen, die unterschiedlich dargestellt werden: Nirmanakaya-Buddhas, Sambhogakaya-Buddhas und Dharmakaya-Buddhas. Sie repräsentieren für den Meditierenden die drei Zustände der Buddhaschaft: den Ausstrahlungszustand, den Freudenzustand und den Wahrheitszustand. Diese Zustände werden zunächst symbolhaft vergegenwärtigt und schließlich mehr und mehr als die Natur des eigenen Geistes verwirklicht. (siehe Seegers, 2001, S. 44)

Im Nirmanakya (Ausstrahlungszustand) ist der Buddha als historische Person dargestellt. Die Idee dahinter ist, dass ein Buddha aus Mitgefühl in vielen Formen erscheinen kann, um anderen Wesen zu nutzen. Die perfekteste dieser Erscheinungsformen ist der so genannte Ausstrahlungszustand. Der Buddha, auf den wir uns heute beziehen, ist der historische Buddha Shakyamuni (560-478 v. Chr.), der vierte von insgesamt 1000 Buddhas dieses Zeitalters.

"Die 12 Taten des Buddhas" werden oft im Zusammenhang mit den wichtigsten Schritten der Lebensgeschichte Shakyamunis dargestellt. Ebenso gibt es Malereien der "Buddhas der drei Zeiten", in denen die Buddhas der Vergangenheit (Dipamkara oder Mahakashyapa), der Gegenwart (Shakyamuni) und der Zukunft (Maitreya) gezeigt werden. Hier tragen die Buddhas eher schlichte Mönchsroben, haben die "Ushnisha" die kleine Erhebung am Kopf - eines der Zeichen für Erleuchtung - und halten ihre Hände in speziellen Gesten (mudros).

Werden Buddhas in Sambhogakaya-Form (Freudenzustand) dargestellt, dann heißen sie Dhyani-Buddhas. Hier sind Formen gemeint, die aus dem Wahrheitszustand eines Buddhas ausgestrahlt werden und viele besondere Merkmale der Vollkommenheit zeigen. Die Einswerdung mit einem Freudenzustand wird in der Praxis des Diamantwegbuddhismus geübt. Akshobhya (tib. Mikyopa; dt. Der Unerschütterliche), Ratnasambhava (tib. Rinchen Jungden; dt. Der Juwelengeborene), Amitabha (tib. Öpame, dt. Grenzenloses Licht), Amoghasiddhi (tib. Donyodrubpa; dt. Bedeutungsvolle Verwirklichung) und Vairocana (tib. Namparnangdze; dt. Der Strahlende) tragen als Ausdruck ihres freudvollen, erwachten Zustandes kostbare Roben und sind reichlich mit Ornamenten verziert. Jeder Dhyani-Buddha steht in unmittelbarer Verbindung mit einer der fünf Buddhaweisheiten.

Unter Dharmakaya, dem formlosen Wahrheitszustand, versteht man den erleuchteten Geisteszustand, der die Natur aller Dinge erkannt hat. Er ist identisch mit der Raumnatur des Geistes. Hier zeigt sich Buddha nackt und ohne jeden Schmuck, oft in Vereinigung mit seiner Partnerin, als der Adhibuddha (der ursprüngliche Buddha) Samantabhadra (tib. Kun tu sang po; dt. Der Allgute).

Vajradhara (tib. Dorje Chang, dt. Diamanthalter) gehört nach der Neuen Übersetzungsschule ebenfalls zu den Dharmakaya-Buddhas und wird aber wie die friedvollen Yidams mit dem Schmuck des Freudenzustandes dargestellt. (Seegers, Böhnke, 2003, S. 44)

Im System des Diamantwegbuddhismus (Vajrayana) können Buddhas in kraftvoll-schützender oder friedvoller Form erscheinen. Im Bardo Thödröl, Tibetisches Totenbuch, werden 52 kraftvoll-schützende und 48 friedvolle Buddha Aspekte beschrieben.


Bodhisattvas

Unter Bodhisattva versteht man im allgemeinen Sinn einen Praktizierenden des Mahayana, der den Entschluss gefasst hat, zum Nutzen aller fühlenden Wesen die volle Erleuchtung zu erreichen. Im speziellen Sinn - und dieser wird auf Thangkas dargestellt hat er bereits Befreiung vom Leid und damit eine Verwirklichung auf einer der zehn Bodhisattva Stufen erreicht.

Die acht großen Bodhisattvas sind Avalokiteshvara (tib. chen re zig; dt. Liebevolle Augen), Manjushri (tib. jam pal yang; dt. Weisheitsbuddha), Vajrapani (tib. Chan na dorje; dt. Diamant in der Hand), Akashagarbha, Kshitigarbha, Samantabhadra, Maitreya, und Sarvanivarana Vishkambhin. Die ersten drei verkörpern die Gemeinschaft der Praktizierenden und werden oft gemeinsam porträtiert: Liebevolle Augen wird in seiner friedvollen, weißen vierarmigen Form mit Kristallmala, Lotus und wunscherfüllendem Juwel dargestellt. Links von ihm befindet sich Manjushri; er ist von gelber Farbe; als Attribute hält er in der linken Hand ein Schwert und in der rechten einen Weisheits-Text. Rechts von Liebevolle Augen wird Diamant in der Hand abgebildet, er ist meist kraftvoll-schützend, von dunkelblauer Farbe und umgeben von einem Flammenkranz. Obwohl die Bodhisattvas Schüler des historischen Buddhas waren, erscheinen sie hier in ihrem Freudenzustand, damit sie für die Meditation verwendet werden können.


Arhats

Arhats sind Praktizierende, die vollkommene Befreiung aus dem Leid der bedingten Existenz erlangt haben. Sie werden als spirituelle Freunde auf dem Weg gesehen; auf Gemälden repräsentieren sie oft die buddhistische Lehre.

Es gibt etliche Darstellungen von Buddha Shakyamuni, wie er von seinen beiden Hauptschülern, Shariputra und Maudgalyayana flankiert wird. Häufig werden 16 Arhats abgebildet, die versprochen haben, nach Buddhas Tod hier zu bleiben, um die buddhistische Lehre zu schützen und die Gemeinschaft der Praktizierenden zu betreuen. Jeder der Arhats hält sein besonderes Attribut in Händen, das Schutz vor Hindernissen gewährt und spezielle Qualitäten im Geist erweckt.


Yidams (skt. ista devata)

Yidams sind Buddhaaspekte, die als Band zum Geist fungieren und gewöhnliche und außergewöhnliche Fähigkeiten in uns erwecken. Sie sind Sambhogakaya Buddhas und drücken eine besondere Facette unserer Erleuchtungsnatur, sowie die vollkommene Erleuchtung selbst aus. Die wichtigsten Yidams der Kagyü-Linie sind Chakrasamvara (tib. Khor lo dem chog; dt. Höchste Freude) und Vajravarahi (tib. Dor je pha mo; dt. Rote Weisheit). Sehr bekannt sind ebenso die verschiedenen Formen der Tara (tib. Döl ma; dt. Befreierin). Am häufigsten kommt sie in ihrer grünen und weißen Form vor. Sie hat unzählige Ausstrahlungen, die in mindestens drei Varianten (je nach Übertragungslinie) als "21 Taras" dargestellt werden, wobei sich jeweils 20 Taras um den Hauptaspekt Grüne Tara gruppieren.


Lamas und Linienhalter

Historische Personen, die für die Übertragung der buddhistischen Lehre von Bedeutung sind, werden in speziellen hierarchischen Systemen im Bild angeordnet: zum Beispiel im sogenannten Zufluchtsbaum. Über ihnen befinden sich je nach Übertragungslinie oft die sechs bedeutendsten Meister Indiens: Nagarjuna und sein Schüler Aryadeva, Asanga und dessen Bruder Vasubandhu und die großen Philosophen Dignaga und Dharmakirti. In der Kagyü Linie sind es meistens Tilopa und Naropa. Wenn Guru Rinpoche (skt. Padmasambhava) als zentraler Aspekt gezeigt wird, dann ist er oft von seinen acht Ausstrahlungen umgeben.


Khandroma (skt. dakini; dt. Himmelswandlerin)

Dakinis sind weibliche erleuchtete Weisheitswesen, die Inspiration und Schutz geben, sowie perfekte Buddha-Aktivität ausführen. Friedvoll oder kraftvoll schützend stehen sie meist auf einem Bein, das andere ist hochgezogen im freudvollen Tanz. Ihre Weisheit strahlt in Form von funkelnden Flammen aus ihrem Körper heraus und umfängt die gesamte Figur. Oft hält die Dakini eine Schädelschale, gefüllt mit dem Nektar der Befreiung in ihrer linken Hand, in der rechten Hand schwingt sie ein blitzendes Haumesser.


Gönpo (skt. dharmapalas; dt. Schützer)

Die Schützer beseitigen äußere und innere Hindernisse auf dem buddhistischen Entwicklungsweg. Obwohl sie sich kraftvoll-schützend zeigen, sind sie von der Essenz her Mitgefühl und führen zum Wohl der Wesen spontan die vier Arten der Buddha Aktivität aus: befriedende, vermehrende, faszinierende und schützende.

Es gibt drei Arten von Schützern:

1. Die unerleuchteten (oder weltlichen) Energiefelder (tib. jig ten pa) sind meist mit bestimmten Orten verbunden (Lokadevas, örtliche Schützer).

2. Von tantrischen Meistern umgewandelte und zum Schutz der Lehre verpflichtete Stör-Energien. Diese durch Versprechen gebundenen Schützer haben sich im Laufe der Zeit zu Bodhisattvas weiterentwickelt.

3. Weisheitsschützer sind direkte Ausstrahlungen der Buddhas.

Die letzten beiden haben stets ein drittes senkrechtes Auge in der Stirn, wodurch man sie von Dämonendarstellungen unterscheiden kann.

Die von loderndem Weisheitsfeuer umgebenen Schützer sind meist von dunkelblauer bis schwarzer Körperfarbe. Ihre Körperhaltung ist sehr dynamisch und sie schwingen als Attribute oft Haumesser, Schwert oder sonstige Waffen. Der Hauptschützer der Karma Kagyü Linie ist der zweiarmige Mahakala (tib. Ber nag chen; dt. Schwarzer Mantel.) Er beseitigt die Hindernisse, die auf dem Weg zur Erleuchtung aufkommen können. Mahakala erscheint in seinen verschiedenen Ausdrucksformen mit zwei, vier oder sechs Armen.

Die örtlichen Schützer sind oft im Hintergrund der Thangka-Darstellungen abgebildet. In diese Gruppe gehören beispielsweise die Torhüter der vier Richtungen und die Nagas und Yakshas. Nagas leben in und beschützen alle Arten von Gewässer, wie Flüsse, Seen und Meere. Von Yakshas sagt man, dass sie in Wäldern, Bergen und Gebirgen leben.


Die verschiedenen tibetischen Malstile

Die Beibehaltung der ikonometrischen Regeln und ikonographischen Vorgaben ist wichtiger, als die individuelle Kreativität des Künstlers. Freiheit hatte man in zwei Punkten:

1. Beim Einsatz der Farbe. Die Farbe an sich ob der Buddha-Aspekt von blauer, roter oder weißer Farbe ist ist zwar festgelegt, was man aber verändern konnte, war die Farbintensität. Trägt man die Farbpigmente dicht und pastos auf oder gibt man der Farbe mehr Lösungsmittel bei und erzielt somit einen feinen lasierenden Farbton.

2. Spielraum gab es auch bei den Landschaftsdarstellungen, in die die verschiedenen Buddhaaspekte eingebettet wurden. Ist die Landschaft eher zweidimensional oder perspektivisch räumlich gestaltet? Ist der Hintergrund vollgepackt mit Höhlen, Bergen, Wäldern, Bächen oder gibt es freien Raum und Tiefe zwischen den Landschaftselementen? Hier nahmen die Künstler besonders stilistische Elemente aus China, aber auch aus anderen umliegenden Ländern auf und ließen sie in die tibetische Malerei einfließen.

Das buddhistische Kunstschaffen Tibets begann unter der Regierungszeit des Dharmakönigs Songtsen Gampo im 7. Jahrhundert. Als ein Jahrhundert später das Kloster Samye errichtet wurde, entstanden hier die ersten bedeutenden Wandmalereien, die als frühe Zeugnisse tibetischer Kunst bis heute überlebten.

Als im 11. Jahrhundert die Sarma die "Neuen Schulen" entstanden, begannen sich die verschiedenen stilistischen Besonderheiten bereits herauszukristallisieren. Auffallend sind die regional unterschiedlichen künstlerischen Ausdrucksformen, die sich in den neu entstandenen Klöstern West- und Osttibets entwickelten. Stilistische Anregungen erfuhren die Kunstschaffenden Tibets durch die frühen Höhlenmalereien Indiens, die Kunst Kashmirs und Nepals und die für China typische Landschaftsmalerei und Ornamentik.

Um Bildwerke mit der notwendigen Intensität und Kraft herstellen zu können, mussten die Künstler bestimmte technische und rituelle Methoden erlernen. Die Farben wurden meist aus Mineralien hergestellt: zum Beispiel blau aus Lapislazuli, gelb aus Sulfur, grün aus Malachit. Die Leinwände wurden mit größter Sorgfalt vorbereitet und die fertigen Gemälde wurden oftmals in stundenlanger Arbeit mit speziellen Kristallen poliert um ihnen noch zusätzliche Effekte von Licht und Reflexion zu verleihen.

Während des 15. und 16. Jahrhunderts entstanden vier einzigartige Malschulen in Tibet, wobei jede Schule charakteristische Methoden entwickelte. Unter anderem die Farbgestaltung, die Aufteilung von Raum/Form oder die Linienführung führten zu unterschiedlichen Arten von Bildkompositionen, die dem jeweiligen symbolischen Inhalt ihren speziellen Ausdruck verleihen.

1. Die Manri bzw. Menri Schule entstand aus den Arbeiten von Manla Dondrub (ca. 1425-1505) und wurde in weiterer Folge zur Mansar oder Neuen Menri Schule des Choying Gyatso, Ma er des 5. Dalai Lama (ca. 1615-1685).

2. Die Kyenri Schule folgte dem Stil des Jamyang Khyentse Wangchug (ca. 1420-1500).

3. Die Karma Gardri Schule, der "Malstil der Zelte", 2 .Hälfte 16. Jahrhundert

4. Die Drukri Schule, verwandt mit der bhutanesischen Kunst, wurde von dem großen Lama Pema Karpo (1527-1592) begründet.

Das Besondere an der Entwicklung vom Ende des 15, bis zum 16. Jahrhundert ist, dass die unterschiedlichen Kunststile, sei es in der Malerei oder in der Skulptur, nun vollständig ausformuliert waren. All die vielen künstlerischen Einflüsse aus Bengalen, Bihar, Nepal, Kashmir, Khotan und China wurden perfekt in das vorhandene Repertoire der großen Malschulen des 15. Jahrhunderts integriert. Danach kam es nur noch vereinzelt zu stilistischen Abwandlungen: die Hauptschulen behielten mehr oder weniger ihren individuellen Charakter.


Der Künstler Menla und die Menri Tradition

Begründet wurde die Menla-Tradition, die später als Menri-Stil bekannt wurde, von Menthangpa, "den Mann aus Man-thang" (ca. 1425-1505), auch genannt Menthang Chenpo, Menla oder Manthangpa. Er stammte aus dem Ort Man-thang im nördlichen Lhodrak, nahe an der Grenze zu Bhutan. Nach D. Jackson war er wohl um 1430/40 im Nenying Kloster und in Gyantse während der Erweiterung des Kumbum Stupas künstlerisch tätig (Jackson, 16, S. 103). Sein Hauptförderer war der 1. Dalai Lama Gendun Drub (1391-1474). Von ihm wurde er 1458 beauftragt die Wandmalereien im Haupttempel des Klosters Tashi Lhünpo zu gestalten. Er schuf unter anderem wunderschöne Gemälde von Vajradhara (tib. Dorje Chong) umgeben von den 84 Mahasiddhas, bzw. den 12 Taten eines Buddhas und das reine Land der Tara. 1468 fertigte er für dasselbe Kloster eine große Applikationsarbeit mit der Darstellung des Buddhas (ca. 28 x 19 Meter) (Jackson, A History of Tibetan Painting, 1996, S. 117).

Menlas bedeutende Innovation war die erfolgreiche Integration von Elementen aus der chinesischen Landschaftsmalerei, womit er die bis dahin übliche zwei dimensionale Hintergrundgestaltung räumlich auflöste und so seinen eigenen Stil begründete. Seine Idee, der Landschaft mehr Raum zu verleihen, war eine revolutionäre Entwicklung innerhalb der tibetischen Malerei. Dieser spezielle Malstil wurde durch Menlas Sohn und Neffe weitergeführt und darauf basierend entstand unter Chöying Gyatso die "Neue Menri" Schule, die alte Tradition blieb aber gleichzeitig weiterhin bestehen. (Rie, Worlds of Transformation, 1999, S. 61 ff.)
Der Meister Chöying Gyatso und die Neue Menri Schule Chöying Gyatso (ca. 1615-1685) arbeitete ab ca. 1640 hauptsächlich für den 1. Panchen Lama Lobsang Chökyi Gyaltsen im Kloster Tashi Lhünpo und wurde ab ca. 1670 mit der Gestaltung des Potala-Palastes beauftragt. Für Tashi Lhünpo hat er neben den Wandgemälden auch etliche Serien von Thangkas mit Darstellungen von Inkarnationen des Panchen Lama und ebenso des 5. Dalai Lama gefertigt. Anhand dieser Werke lässt sich die Neue Menri-Schule gut analysieren. Basierend auf der Tradition des Menla ist für Chöying Gyatso besonders die lyrische, weiche Linie charakteristisch. Er überfrachtete seine Figuren noch nicht mit Ornamentik. Seine Nachfolger verliehen seinem ursprünglich sehr fein und subtil modulierten Malstil später mehr Dramatik. Die Komposition der Gemälde ist sehr dicht, beinahe überfrachtet. Die zahlreichen Buddhaaspekte und deren Begleitfiguren sind eingebettet in Landschaften und florale Motive.

Dieser Stil wurde besonders in den Hauptklöstern der Gelugpas angewendet. Er verbreitete sich auch in die Mongolei und nach China.

Die Neue Menri Schule, von der es ebenso viele verschiedene Abwandlungen wie Künstler gibt, erblühte besonders im 18. Jahhrhundert. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden zur Regierungszeit des 13. Dalai Lamas in den großen Neue-Menri-Malschulen und rund um das Kloster Tashi Lhünpo in Shigatse wunderschöne Rollbilder hergestellt, die durch die Verwendung von hochwertigsten Farbpigmenten Gemälde von frischen und leuchtenden Farbnuancen hervorzauberten. Die Maler des 19. Jahrhunderts nahmen Menri Elemente auf, behielten aber den für Osttibet typischen Modus bei, der Bild Komposition mehr Raum zu verleihen und Wolken, Wasser und Pflanze in typisch manieristischer Weise darzustellen.


Die Kyenri-Tradition des Meisters Khyentse Wangchuk (ca. 1420-1500)

Nahezu zeitgleich mit dem großen Meister Menla, war Khyentse Wangchuk aus Gonkar, südlich von Lhasa stammend, künstlerisch aktiv. Jackson nennt eine Quelle, in der behauptet wird, dass eigentlich er der erste gewesen sei, der einen exzellenten tibetischen Malstil etabliert hätte (Jackson 1996, S. 139). Da er ebenfalls in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts seine große Schaffensperiode hatte und wie Menla bei dem Maler Dopa Tashi Gyalpo in die Lehre gegangen war, haben sich beide Maltraditionen wohl zur selben Zeit parallel entwickelt.

Seine am besten erhaltenen Werke sind die Wandgemälde im Kloster von Gonkar Dorjedan, wo er ca. von 1464 bis 1465 als fachkundiger Bildhauer und Maler gearbeitet hatte. Die Skulpturen, die er für das Kloster schuf, sind jedoch nicht erhalten geblieben. Er könnte ebenfalls an einigen Wandmalereien des Champaling Stupas gearbeitet haben (Jackson 1996, S. 140). Er war bekannt für seine Übernahme von chinesischen Stilelementen, jedoch hat er diese nicht im gleichen Maß mit der alten tibetischen Maltradition verschmelzen lassen, wie vor ihm Menla. Außerdem war er sehr kundig in der Darstellung tantrischer Buddhaaspekte. Die Tradition des Khyentse Wangschuk war im 17. und 18. Jahrhundert sehr beliebt und es wurde sogar noch bis vor kurzem in diesem Stil gemalt.


Die Maltradition der Karmapa-Zeltlager, der Karma Gadri-Stil, zweite Hälfte 16. Jahrhundert

Nachdem sich die Menri- und Kyenri-Malschulen im 15. Jahrhundert etabliert hatten, folgten etliche Generationen von Künstlern diesen Traditionen, ohne dass es zu wesentlichen Neuerungen kam. Erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts kam es zu bemerkenswerten stillstischen Entwicklungen.

Die Karma Gadri Schule ist bekannt für ihren Ideenreichtum, die naturalistische Wiedergabe von Landschaften und den subtilen Einsatz der Farben, die meist in Pastelltönen gehalten sind. Sie wurde von dem Künstler Namkha Tashi in Osttibet begründet, von dem gesagt wird, er sei eine Ausstrahlung des 8. Karmapa Mikyö Dorje (1507-1554). Der Ausdruck 'Karma' bezieht sich auf die 'Karma Kagyü-Schule' mit ihrem Hauptlehrer Karmapa, der Begriff 'Gadri' bedeutet 'Malstil der Zelte'. Dieser Begriff entstand, weil frühere Karmapas in großen Zeltlagern durch Tibet und die angrenzenden Länder reisten, wobei ein hohes Kulturleben gepflegt wurde. Der frühe Karma Gadri-Stil war vom Ende des 16. Jahrhunderts bis ca. 1730 vorherrschend, der spätere von 1730 bis in unsere Zeit.

Dieser Malstil verbindet eine große Klarheit und Einfachheit des Ausdrucks mit frischer Farbgebung. Die Schlichtheit der Gewänder kontrastiert mit einer reich ausgestatteten Umgebung. Vom Begründer Namkha Tashi wird gesagt, dass er es perfekt verstand, die Figuren im indischen Stil darzustellen, deren Kolorierung und das Spiel von Licht und Schatten, sowie die Landschaftsdarstellungen folgten chinesischen Vorbildern, eingebettet in das, was bisher als "tibetischer Stil" bekannt war. Gemäß tibetischer Quellen (angegeben bei Jackson 1996, S. 171) ist der Gadri-Stil im Vergleich zu den anderen Malschulen Tibets am meisten von chinesischen Elementen (Landschaft und Farbe) beeinflusst worden.

Viele Bilder sind mit Gold ausgemalt und bekommen dadurch eine besondere Strahlkraft. Die Farben werden auf mineralischer oder pflanzlicher Grundlage hergestellt. Oft werden zu Pulver gemahlene Edelsteine und besonders gesegnete Substanzen beigemischt. (Gega Lama 1984, S. 37f.; Jackson 1996, S. 169f.)


Der 10. Karmapa Chöying Dorje und sein Malstil

Chöying Dorje (1604-1674) war der bekannteste Maler innerhalb der Linie der Karmapas und einer der vielseitigsten und eigenwilligsten Künstler Tibets. Kunst zu produzieren war eine der Hauptaktivitäten seines Lebens und er inspirierte seine Schüler unter anderem dadurch maßgeblich. Er begann damit bereits als Kind, schon mit acht Jahren schuf er viele Gemälde und Skulpturen. Sein erster Lehrer war Tulku Tsering, von ihm erlernte er den Menri-Stil. Seine frühen Werke orientierten sich stilistisch an dieser Malschule. In der zweiten Hälfte seines Lebens integrierte er Elemente aus der Kunst Kashmirs und Chinas. Ebenso war er in der Kunst der Karma Gadri-Schule sehr bewandert. (Jackson 1996, S. 247 f.)


Der Stil des Situ Panchen

Im 18. Jahrhundert erfuhr die tibetische Malerei neue Inspiration durch das Werk eines weiteren großartigen Karma Kagyü Meisters, Situ Panchen Chökyi Jungnay (1700-1774) hauptsächlich in der Provinz Kham, Osttibet verbreitet. Situ Panchens Nachfolger führten diese Maltradition fort und somit blieb sie bis ins 19. Jahrhundert lebendig. Einen Einblick in die große Bandbreite und den Variantenreichtum dieses Stiles ermöglicht die große Sammlung in der Rubin Collection, New York.

Situ Panchen war ein bewusst wiedergeborener Lama innerhalb der Karma Kagyü Linie und gründete 1729 das große Kloster Palpung bei Derge in Kham. Er war als Künstler, der nachweislich unzählige Malereien geschaffen hatte, (hauptsächlich Jataka-Geschichten, Arhats und tantrische Hauptaspekte) sehr bekannt und hatte viele Nachfolger.

In den großen Jataka Landschaftsbildern zeigt sich, dass Situ Panchen seine Gemälde konträr zum damals vorherrschenden Neuen-Menri-Stil komponierte.

Situ Panchens Malstil ist geprägt von hellen Farbtönen in kaum wahrnehmbar abgestuften Blau- und Grünnuancen, die eine eigene Stimmung erzeugen. Lichtreflexe, hervorgezaubert durch brillante Farbtupfer, erwecken Architekturelemente und figürliche Darstellungen zum Leben und der Betrachter fühlt sich in die Szenerie hineinversetzt, so als würde er einen weit entfernten Ort durch ein Teleskop betrachten. Details werden fokussiert, der sie umgebende offene Raum vermittelt grenzenlose Freiheit. Diese Darstellungsweise steht im Gegensatz zum zeitgleichen Neuen Menri Stil, wo die Landschaft und der bewegte Wirbel der Buddha-Aspekte den Betrachter gleichsam einhüllt.

Situ Panchen sagte selbst, er sei bezüglich Farbgestaltung und Stimmung der chinesischen Tradition gefolgt. Landschaften, Kleidung, Paläste usw. habe er hingegen so dargestellt, wie er es in Indien gesehen hätte und er hätte dies in einer für die damals in Tibet vorherrschenden Stile untypischen Weise dargestellt.

Diese beiden Malstile (Menri und Situ Panchen) beherrschten das späte 18. und das frühe 19. Jahrhundert, um sich im späten 19. und im 20. Jahrhundert in unterschiedlichen Variationen miteinander zu kombinieren. (Rie, Worlds of Transformation, 1999, S., 63 ff)


Drukri (Drug-ri)- Schule, 16. Jahrhundert

Die Drukri-Schule wurde von dem großen Meister Pema Karpo (1527-1592), dem 4. Gyalwa Drukpa, Oberhaupt der Drikung-Kagyüs, gegründet. Drug-ri ist der Malstil Bhutans und ist eine Kombination der klassisch tibetischen Menri- und Khyenri-Malschulen, vermischt mit einheimischen bhutanesischen Stilelementen.

Die Malschulen Tibets haben sich seit der Invasion Chinas hauptsächlich in Nepal angesiedelt, wo nicht nur für Klöster gearbeitet wird, sondern vor allem für den Handel, der die Touristen mit Billigware versorgt. Ist man auf der Suche nach qualitätsvollen Thangkas, sollte man die Grundregeln der Ikonometie und Ikonographie kennen, sonst gibt man womöglich zu viel Geld für schlechte Qualität aus und kann dann die Thangkas nicht einmal für die Meditation verwenden. Es ist sehr wichtig, dass diese alte Maltradition nicht ausstirbt und vor allem, dass es weiterhin Künstler gibt, die entsprechend geschult und ausgebildet werden. Sie sollten nicht einfach schnell irgendetwas kopieren um damit Geld zu verdienen. Hier sollte man wirkliche Meister unterstützen und auch in die fernere Zukunft denken. Es gibt auch in Europa einige wenige Malschulen, in denen man in klassischer Thangkamalerei ausgebildet werden kann (Informationen dazu haben zum Beispiel Silke Keller (München), Petra Förster (Braunschweig) oder Astrid Schmidhuber (Frankreich).


Quellen
Rober Beer, The Encyclopedia of Tibetan Symbols and Motifs, Boston 1999.
G.-W. Essen, T. T. Thingo, Die Götter des Himalaya. Buddhistische Kunst Tibets. die Sammlung Gerd-Wolfgang Essen, BD 1,2, München 1989.
Gega Lama, Principles of Tibetan Art. Illustrations and explanations of Buddhist iconography and inconometry according to the Karma Gardri School, Antwerpen, 1982.
David Jackson, A History of Tibetan Painting: The great Painters and their Traditions, Wien, 1996.
Heinz E. R. Martin, Die Kunst Tibets, München 1977.
Alexandra Lavizzari-Raeuber, Thangkas. Rollbilder aus dem Himalaya. Kunst und mystische Bedeutung, Köln 1984.
Marylin M. Rhie, Robert A. E. Thurman, Worlds of Transformation, Tibetan Art of Wisdom an Compassion, New York 1999.
Manfred Seegers, Tanja Böhnke, Thangkas im Kraftkreis der Buddhas, Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung, Hamburg 2002.
Manfred Seeger, Wissen über Meditation. Sichtweise und Meditation im Diamantweg-Buddhismus, Sulzberg 2004.
Guiseppe Tucci, Tibetan Painted Scrolls, Kyoto 1980 (Rom 1948)

Eva Preschern hat in Graz Kunstgeschichte studiert und die Magisterarbeit dem Thema Stupas gewidmet. Sie lebt und arbeitet in Hamburg.
eva.preschern@gmx.net


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Quelle:
Buddhismus heute 43, Sommer 2007, Seite 60-65
Herausgeber:
Buddhistischer Dachverband Diamantweg der Karma Kagyü
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. August 2007