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PRESSE/693: Buddhistische Impressionen in Thailand (DMW)


Der Mittlere Weg - Nr. 2, Mai - August 2008
Zeitschrift des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

Buddhistische Impressionen in Thailand
- Reise durch das "Land der Freien" -

Von Manfred Schwabedal


Die erste Reise in den südost-asiatischen Raum führte mich vor vielen Jahren nach Sri Lanka. Damals ist jedoch mein Interesse an dem Buddhismus nur sehr oberflächlich ausgeprägt gewesen, so dass der Blick mehr gerichtet war auf die tropische Schönheit dieser Insel und weniger auf die sehr lange und tief verwurzelte buddhistische Tradition.

Nach langer Abstinenz bezüglich des asiatischen Raumes brach ich im zurückliegenden Jahr zu einer mehrwöchigen Reise nach Thailand auf Diesmal sollte sich jedoch mein Interesse nicht nur bei der sinnlichen Exotik des Landes verweilen, sondern sich zumindest mit gleicher Gewichtigkeit und Achtsamkeit auch auf buddhistisch-spirituellen Gegebenheiten richten.

Thailand wird im Allgemeinen mit vielen positiven Attributen belegt: Land des Lächelns, Land der Tempel, exotischstes Land Asiens, tropisches Urlaubsparadies usw. Die großzügige Natur bildet die wesentliche Grundlage für einen überwiegend sorglosen, entspannten Lebensstil, der das Lächeln durchaus leicht macht. Hinzu kommt der Buddhismus, der bekanntlich Friede, Mitgefühl, Demut und Geduld lehrt.

Thailand (= Land der Freien), das 1932 seinen bisherigen Namen Siam ablegte, ist mit 513.000 qkm fast eineinhalbmal so groß wie die Bundesrepublik und in seiner Nord-Südausdehnung 1.770 km lang, was der Strecke von Hamburg bis nach Palermo/Sizilien entspricht. Es leben dort ca. 65 Mio Einwohner, davon 10 Mio in der 1782 gegründeten Hauptstadt Bangkok. 80% der Bevölkerung gehören den Thai-Völkern (vermutlich aus Südchina stammend) an. Die zweitgrößte Gruppe sind chinesischer Abstammung, gefolgt von Malaien. Von der Religionszugehörigkeit sind 95% Buddhisten und 4% Muslime, die überwiegend in dem von politisch-religiösen Unruhen geprägten Süden des Landes leben.

Meine schwärmerische Begeisterung für die Schönheit dieses Landes möchte ich nicht weiter vertiefen. Den Blick will ich vielmehr auf die religiöse Seite eines Landes konzentrieren, wo sich der Buddhismus staatstragend und -prägend in langer Tradition entwickelt hat. Drei Hauptquellen haben die Entwicklung des Buddhismus in Thailand beeinflusst, und zwar:

der aus Sri Lanka kommende Theravada-Buddhismus mit teilweise erheblichen und lokalen Abwandlungen,
 
der aus Kambodscha während der Sukhothai-Epoche (13.-14.Jh.) kommende vedische Brahmanismus,
 
der in den alten Volksreligionen tief verwurzelte Geisterglaube.

Die Ankunft des Buddhismus in Thailand lässt sich nicht exakt bestimmen. Archäologische Zeugnisse und schriftliche Überlieferungen aus dem 13. Jahrhundert erwähnen jedoch bereits die Anwesenheit buddhistischer Mönche der Theravada-Schule am königlichen Hof sowie buddhistische Tempel in den Provinzen. Der heutige Süden Thailands kam allerdings bereits im 8. Jahrhundert mit der Mahayana-Tradition in Berührung. Die ersten Jahrhunderte der buddhistischen Geschichte Thailands sind in zwei bedeutenden Pali-Chroniken aus dem Ende des 15. und des beginnenden 16. Jahrhunderts festgehalten.

Ein starker Einfluss ging vom Reich der Khmer aus. Das in Angkor (im heutigen Kambodscha) angesiedelte Königreich dehnt seine Herrschaft zeitweise auf Thailand aus. Da am Hofe von Angkor der Mahayana-Buddhismus neben dem Hinduismus gepflegt wurde, existierten beide Strömungen auch am königlichen Hof von Sukhothai /Thailand nebeneinander. Die Mahayana-Schule dominierte lange Zeit über die Theravada-Tradition. 1361 wurde der ceylonesische Mönch Sumana an den Hof von Sukhothai entsandt, wo er den Theravada-Buddhismus lehrte, der schließlich unter König Rama Khamheng (1280) im ganzen Königreich übernommen wurde.

Der Buddhismus kam nicht als reine Philosophie nach Thailand. Er hat sich, wie auch in anderen Ländern, kulturspezifisch angepasst. Hinduistische Traditionen wurden ebenso übernommen wie vor allem die animistischen Traditionen (z.B. Geisterglaube) der früheren Thai-Völker. Der animistische Einfluss, in Verbindung mit einer esoterischen Form des Buddhismus, war besonders stark in der Zeit von König Taksin (1768-1781), der sich selbst zum Buddha ernannt hatte. Erst die 1782 gegründete Chakri-Dynastie (die bis zum jetzigen König Bhumipol verläuft) kehrte wieder zum orthodoxen Theravada-Buddhismus zurück. Die Könige von Thailand verstanden und verstehen sich als die gerechten Führer, ein Konzept, das auf den zehn Regeln für Könige beruht, wie sie von Buddha gelehrt wurden. Wenn auch mit der 1932 vollzogenen Abschaffung der absoluten Monarchie das Rollenverständnis neu definiert wurde, ist der König auch heute noch der Patron des sangha; damit bleibt die Beziehung zwischen Thron und sangha, Politik und Buddhismus unverändert eng.

Die Abhängigkeit der sangha vom staatlichen Wohlwollen und den - von der urbanen Bürokratie zu vergebenen - materiellen Pfründen hat, so wird berichtet, zu einer komfortablen Beharrlichkeit geführt. Die buddhistische Hierarchie - und leider auch die Klöster - sind teilweise im Ritual erstarrt und damit auch blind geworden gegenüber den sozialen Nöten breiterer Bevölkerungsteile und den Konflikten, welche die Modernisierung und Globalisierung in die thailändische Gesellschaft getragen hat. Doch mehr und mehr Mönche, vor allem in den Provinzen, sind sich bewusst geworden, dass sie zu einem neuen Rollenverständnis gegenüber den Laien finden müssen, wenn der Buddhismus mehr zu sein beansprucht als eine kulturelle Kulisse. Daraus hat sich ein noch in der Entwicklung befindlicher Reformbuddhismus mit herausragenden Persönlichkeiten (z.B. Buddhasasa Bhikkhu) herausgeschält.

Soweit der kurze historische Rückblick. Was fiel mir an speziellen Dingen während meiner Rundreise auf? Bin ich doch angereist in der - wenn auch etwas diffusen - Erwartung, dort einen vom reinen Theravada stark geprägten und auch in breiten Bevölkerungskreisen praktizierten Buddhismus vorzufinden. Doch zu meiner Überraschung traf ich auf ein Gemenge, gespeist aus unterschiedlichen Wurzeln der geschichtlichen und religiös-spirituellen Entwicklung. Über einige Eindrücke möchte ich beispielhaft berichten:

• Durchgängig präsent zeigt sich der 1927 geborene König Bhumipol. Seine Allgegenwärtigkeit als Integrationsfigur mit fast göttlichem Status offenbart sich u.a. nicht nur in riesigen Straßentransparenten, sondern auch in Fotos, die in allen öffentlichen Gebäuden, Geschäften, Restaurants bis hin in der kleinsten Hütte zu finden sind. Der offizielle Name des Königs ist Rama IX.; er versteht sich als Inkarnation von Vishnu (!). Nanu, dachte ich, was macht Vishnu als Weltbewahrer und Teil der Triade höchster hinduistischer Gottheiten auf dem Königsthron? Aber es geht auf dieser wunderlichen Linie weiter. Auf fast jedem Bildnis von Rama IX ist auch Garuda als persönliches Emblem des thailändischen Königs zu sehen. Garuda jedoch stammt aus der indisch-hinduistischen Mythologie als schlangentötendes halb mensch-, halb adlergestaltiges Reittier von Vishnu. Sein Widerpart ist die Schlange Naga, die das Böse verkörpert. Sowohl Garuda als auch Naga sind als stark stilisierte Elemente häufig in der thailändischen Tempelarchitektur wiederzufinden. Nach meinen Recherchen lassen sich möglicherweise bezüglich Garuda gewisse Verbindungen zum tibetischen Buddhismus herstellen, wo z.B. dieses mythologische Wesen auch als Reittier des Dhyana-Buddha Amoghashiddi (im Norden thronend) dient.

• Thailand ist ein Land der Tempel und Klöster. Auf 30.000 werden diese Anlagen geschätzt, die als Wat bezeichnet werden. Wie die Klöster des europäischen Mittelalters sind auch die thailändischen Wats Stätten der Zuflucht und inneren Einkehr, Schulen, Kranken- und Waisenhäuser. Die rd. 300.000 Mönche sind an ihren leuchtend orangefarbenen, gelegentlich auch erdbraunen Roben zu erkennen. Es entspricht der thailändischen Tradition, dass jeder Mann in seinem Leben einmal Mönch zu werden hat, um damit vor allem für seine Eltern, aber auch für sich selbst "Verdienste" für das nächste Leben zu erwerben. In früherer Zeit dauert diese Mönchsperiode zumindest drei Monate und umfasste den Zeitraum der Regenzeit. Heute wird das, sicherlich auch bedingt durch die moderne Arbeitswelt, nicht mehr so genau genommen. Es bestehen auch Bemühungen, eine Bhikkhuni-Tradition, wie u.a. bereits in Sri Lanka, zu gründen. Diese Intentionen stoßen jedoch überwiegend noch auf wenig Wohlwollen bei den etablierten Mönchsorden. Zunehmende Bedeutung gewinnen die auf 300 geschätzten Waldklöster, die durch räumliche Abgeschiedenheit und spirituelle Angebote einen attraktiven Anlaufpunkt auch für Sinnsuchende aus westlichen Kulturkreisen bieten.

Sehenswerte Ziele für die Besichtigung von Wats gibt es in Thailand reichlich. Hierzu gehört beispielhaft in Bangkok der Wat Phra Kaeo mit dem Königspalast. Dort befindet sich auch der sog. Smaragd-Buddha (er besteht nicht aus dem Edelstein, sondern aus grünlich schimmernder Jade), der das Nationalheiligtum Thailands ist. Nicht versäumen sollte man bei einer Rundreise auch die imposanten historischen Städte wie z.B. Ayuthaya und Sukhothai, die als liebevoll gepflegte Ruinen einen nachhaltigen Eindruck von der geschichtlichen und religiösen Vergangenheit und Größe des Landes auf den Besucher hinterlassen.

• Bei der Ankunft in unserem Hotel in Bangkok fielen mir einige Besonderheiten auf Am Parkplatz stand ein Geisterhäuschen, wie es sich an fast jedem Haus in Thailand befindet. Hier wird dem weitverbreiteten Animismus gehuldigt, der auch dem Hinduismus innewohnt. Durch Opfergaben sollen die bösen Geister (insbesondere Verstorbene, denen die Wiedergeburt und damit ein wesentlicher Schritt zum Nirwana versperrt ist) täglich neu besänftigt werden. Daneben stand auf einem Sockel Brahma mit seinen vier gekrönten Häuptern, die sich jeweils in eine der vier Himmelsrichtungen wendeten, als Symbol des Allwissenden, Allsehenden und Begründer des Universums. In der Hotelhalle saß als Gegenpart in Meditationshaltung der Buddha. Die Wand der Rezeption stellte reliefartig modelliert eine Geschichte aus dem hinduistischen Epos Ramayana dar, wo der Held Rama, verbündet mit dem Affengott Hanuman, gegen den Dämonenkönig Ravana kämpft, der Ramas Ehefrau Sita entführt hatte. Donnerwetter, was man als spirituelle Aufmerksamkeit auf so relativ kleinem Raum vereinigen kann!

Da man nirgends vor bösen Geistern sichern sein kann, trägt der Thailänder zur Abwehr vorsorglich auch noch Amulette bzw. verziert seinen Körper durch entsprechende Tätowierungen. Hochverehrt in allen Bevölkerungsschichten wird auch Ganesha, der dickbäuchige und elefantenköpfige Sohn des Hindugottes Shiva. Ganesha wird insbesondere dann angebetet, wenn jemand Glück ihr den Weg oder eine Unternehmung braucht; er verkörpert Weisheit und Intelligenz.

• In Thailand hat sich während der Sukhothai-Zeit eine besondere Art der Buddhadarstellung entwickelt, die auch heute noch vorherrschend anzutreffen ist. Hier hält man sich an Beschreibungen göttlicher oder gottähnlicher Wesen, wie sie von indischen Poeten benutzt wurden: ovaler Kopf, geschwungene Augenbrauen, eine Adlernase, Kinn "wie der Kern einer Mango", Arme "wie der Rüssel eines Elefanten" usw. Eine weitere dortige Besonderheit ist es, den Buddha grazil stehend oder schreitend mit symbolischen Handhaltungen (Mudras) darstellen.

Wie steht es nun mit dem religiösen Tiefgang der Thailänder im täglichen Leben? Für mich als Reisender und Außenstehender erschließt sich zwangsläufig nur ein Teil der Wirklichkeit. Ich möchte daher meine nachstehenden Ausführungen als subjektive Betrachtung verstanden sehen. Es liegt mir fern, religiöse Gefühle von Menschen aus einem anderen Kulturkreis zu verletzen.

Aus den, wenn auch begrenzten, Gesprächen mit deutschsprechenden Thailändern hatte ich den Eindruck, dass die Kenntnis vom Dharma unter Laien sehr eingeschränkt ist. Vorherrschend ist ein durch das Hineingeborensein in diese Gesellschaft ausgeprägtes Urvertrauen in einen Glauben, der bereits von Eltern, Großeltern und Urahnen so gehandhabt wurde. Das intellektuelle Durchdringen steht, wie es im westlichen Kulturkreis zu finden ist, nicht im Vordergrund. Die die Tempelanlagen besuchenden Thailänder sind zweifelsohne davon überzeugt, dass wahrhaftig und inbrünstig vollzogene Opferhandlungen den gewünschten Lohn bringen. Vertrauen und Hingabe stehen also im Mittelpunkt der Praxis. Das Heilige und das Profane stehen bekanntlich in allen Religionen dicht beieinander. An den Tempelanlagen herrscht vielfach Jahrmarktstimmung; Devotionalienhändler haben hier ihre Stände aufgebaut und bieten einvernehmlich alles an, was buddhistischen, hinduistischen und animistischen Traditionen entspricht. Erlöse statt Erlösung scheinen hier im Vordergrund zu stehen. In diesem Zusammenhang ist auch auf den Artikel "Rituale im Buddhismus" im Heft 1/2007 des "Mittleren Weges" hinzuweisen, wo der Buddhismusexperte H.W. Schumann auf die in der Religionswissenschaft als "Vorhofreligion" bezeichneten Bräuche hinweist. Junge Leute sieht man in den Tempelanlagen teils andächtig, teils kichernd, telefonierend und oberflächlich. Sie machen nicht den Eindruck, auf dem Weg der Weltüberwindung zu sein, sondern etwas mehr in Richtung Weltverliebtheit. Altere Personen verharren jedoch oft in tiefer Andächtigkeit. Ein formalisierter Ritus führt jedoch bekanntlich die Gefahr einer unreflektierten Konditionierung in sich. Es ist in Thailand wie im Westen: Wer möchte wirklich an den eigenen Tod denken und buddhistische Praxis (Dharma) in seinem Leben die Priorität einräumen?


Mit dieser etwas kritischen Abschlussbetrachtung möchte ich meinen Reisebericht durch das "Land der Freien" beenden. Es konnte wahrlich nur ein Streifzug sein. Ich kann nur empfehlen: Reisen Sie selbst hin, es lohnt sich in jeder Beziehung!


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Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
40. Jahrgang, Mai - August 2008/2552, Nr. 2, Seite 15-18
Herausgeber: Buddhistischer Bund Hannover e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2008