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PRESSE/816: Krisen und die Verantwortung des Einzelnen (Zenshin)


ZENSHIN - Zeitschrift für Zenbuddhismus, Nr. 2/09

Krisen und die Verantwortung des Einzelnen

Von Dorin Genpo Zenji


Krisen treten nicht nur auf der persönlichen Ebene auf, sondern auch in Gruppen, seien es Familien, Vereine oder Gemeinschaften oder Nationen. Der Buddhismus betont das Verhalten des einzelnen. Allerdings kommt bei vielen angesichts nationaler oder internationaler Krisen das Gefühl auf, dass sie den Auswirkungen dieser Krisen, die auch immer den einzelnen betreffen, hilflos ausgeliefert sind und auf dieser Ebene keinen Einfluss nehmen können. Häufig hört man, dass der einfache Bürger ohnehin nichts bewirken könne und man sich mit den Vorgaben und Ergebnissen innen- und außenpolitischer Politik abfinden müsse. Religion, so heißt es oft, betreffe den Einzelnen und habe folglich nur mit dem privaten Leben zu tun. Was die da oben machen, sei nicht zu beeinflussen und habe letztlich auch nichts mit dem Menschen auf der Straße zu tun. Doch der Buddhismus lehrt, dass alles zusammenhängt. Was auf internationaler oder nationaler Ebene geschieht, hat immer auch Auswirkungen auf den Einzelnen. Das Verhalten des Einzelnen kann umgekehrt auch auf die internationale Ereignisse Einfluss nehmen. Ein Beispiel, das noch nicht so lange her ist und dessen Folgen uns noch ganz nahe sind, sind die Anschläge des 11. Septembers 2001. Die Auswirkungen betrafen natürlich die internationale Politik, beeinflusste aber auch das politische Klima so, dass es jeden im Westen berührte. An diesem Beispiel soll deshalb im folgenden der Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Einzelnen und der nationalen Gemeinschaft aus buddhistischer Sicht dargestellt werden.

Aus westlicher Sicht stellt sich dieses Attentat als Angriff auf zentrale Symbole amerikanischer und auch allgemeiner westlicher Zivilisation und Macht dar und löste in der westlichen Welt eine Krise aus, wie sie sie so zuvor nicht erlebt hat. Vor allem für die Vereinigten Staaten bedeutete dies neben dem Schrecken über die Toten und die Zerstörung ein Angriff, mit dem sie so nicht gerechnet hatten. Sie fühlten sich verwundbarer als je zuvor und dieses Gefühl übertrug sich auf die anderen westlichen Nationen, die sich der gleichen Bedrohung gegenüber sahen. Eine Zeit lang rechnete jeder ständig mit neuen Anschlägen und jeder Mensch arabischen Aussehens schien suspekt. Die Mittel, die eingesetzt wurden und werden, um diese Krise zu überwinden, umfassen militärische Maßnahmen, aber auch verstärkte polizeiliche und geheimdienstliche Überwachungen. Allmählich scheint sich wieder Ruhe einzustellen und für niemanden scheint sich mehr die Notwendigkeit zu stellen, über dieses Problem weiter nachzudenken.

Eine Krise mit hektischem Aktionismus wurde durch die fanatischen Mörder durchaus ausgelöst, doch richtete sich das Augenmerk der Politiker und der Öffentlichkeit fast ausschließlich auf die Prävention künftiger Attentate und auf die Bestrafung der Drahtzieher. Wenig Beachtung fand dabei die Suche nach den Ursachen. Statt den eigenen Anteil am Geschehen einzugestehen und die Quelle für Hass und Unfrieden zu suchen und zu beseitigen, wurden, beim Versuch eine Lösung der Krise herbeizuführen, nur die Symptome angegangen und mit gleichen Mitteln zurückgeschlagen.

Wir sollten uns jedoch alle fragen: Was treibt Menschen an, die so etwas, wie wir meinen, Sinnloses und Grausames tun und dabei vor nichts zurückschrecken? Die keinen anderen Ausweg sehen, keine andere Antwort finden, als ihr eigenes Leben, das Leben anderer Menschen und deren Hab und Gut zu zerstören. Alles hat einen Grund: Von nichts kommt nichts. Für alles gibt es Ursachen und Bedingungen und wir sollten die Vergangenheit - die Weltgeschichte - befragen und endlich daran gehen aus der Vergangenheit zu lernen. Wir sollten aus den zurückliegenden Ereignissen der Menschheitsgeschichte und auch aus unserem eigenen Verhalten Rückschlüsse ziehen und die gleichen Fehler nicht laufend wiederholen. Es ist sehr traurig, wenn sogar Politiker den Verlauf der Weltgeschichte, die Geschichte ihres eigenen Landes oder Erdteils, nicht kennen. Wie soll es zu Frieden auf Erden kommen?

Warum läuft alles so ab, obwohl jedes fühlende Wesen nach Glück und Wohlergehen strebt?

Wir Menschen sind alle in Egoismus und Dualismus verfangen und teilen laufend in Gut und Böse ein, ich und die anderen, ich und die Umwelt. Hier bin ich und dort ist Gott. Wir halten uns für die Guten und die anderen für die Bösen. Wir halten unsere eigene Kultur, Religion, Politik, unser Wirtschaftssystem, unsere Lebensweise und vieles mehr für das Beste und alles andere betrachten wir als unterlegen. Wir wollen immer Sieger sein und produzieren deshalb laufend Verlierer. Solange wir deshalb nicht erkennen, dass wir mit den althergebrachten Gewohnheiten und Verhaltensmustern nicht mehr weiter kommen, werden wir weder für uns selbst noch für unsere Mitwelt Frieden und Leidfreiheit erreichen können. So lange es Wesen gibt, die unter der Arroganz und Rücksichtslosigkeit der Menschen zu leiden haben, so lange es Verlierer gibt, so lange es Ungerechtigkeit gibt, so lange es Ausbeutung gibt, so lange mit Waffen und Krieg Geld verdient werden kann, so lange werden wir keinen Frieden und keine Sicherheit haben, weder auf dieser Erde, noch sonst wo im Universum.

Wo sollen wir also anfangen? Die Antwort des Buddhismus darauf ist ganz klar. Bei uns selbst! Es nützt nichts, wenn man immer nur auf die anderen zeigt und sagt, dass diese sich ändern sollen. Wir müssen bei uns selbst beginnen. Jeder einzelne bei sich. Prinz Siddharta, der vor ca. 2500 Jahren in Indien zum Buddha erwachte, hat es vorgelebt und einen für jeden Menschen gangbaren Weg aufgezeigt, der zur Einsicht in die Wirklichkeit und damit zur Auflösung des Leidens bereits in diesem Dasein führt. Die Unterteilung in das Böse an sich und das Gute an sich, das sich gerade in der Rhetorik nordamerikanischer Politiker so oft findet, beruht auf dem christlichen Gedankengut und entspricht nicht der buddhistischen Sichtweise. Keiner ist böse an sich, jeder hat jederzeit die Möglichkeit sein Verhalten zu ändern. Die Unterscheidung ist im Buddhismus zwischen heilsamen und unheilsamen Verhalten. Jeder kann jederzeit entscheiden, ob er zum Wohle oder zum Schaden anderer Wesen handeln möchte, und die Grundlage dabei ist, dass kein Wesen minderwertig und grundlegend böse ist. Viele der Prämissen, die sich gerade im Umgang des Westens mit fremden Nationen, aber auch im Umgang einzelner mit entsprechenden Personenkreisen finden, sind aus buddhistischer Sicht nicht haltbar. Die Unterscheidung in schwarz - weiß, gut - böse macht das Urteilen und das Handeln jedoch einfacher, da die Verhältnisse zwischen Opfer, Täter und Richter ganz klar scheinen. Der Ansatz des Buddhismus erfordert, dass jeder sich mehr Mühe gibt und sich nicht auf diese einfachen (Vor-)Urteile verlässt.

Auf dieser Welt gibt es immer noch Mord und Totschlag, Terror, Hungersnot und noch viele andere unheilsame Zustände. Zwar gibt es viele Menschen, denen das alles nicht gefällt und sie möchten die Welt besser machen, doch wollen sie dies nur in ihrem Sinne, nach ihrem eigenen Verständnis und zu ihrem eigenen Vorteil tun. Sie agieren im Außen und meistens erst im nachhinein. Ihr eigenes Handeln sehen und stellen sie außerhalb jeder Kritik. Viele solcher Menschen treten anderen Menschen und Lebewesen laufend auf die Füße und finden nichts Schlimmes dabei. Werden sie jedoch selbst einmal getreten, dann beschwören sie gleich den Weltuntergang herauf. Wie sieht es aber in unserer Welt aus? Bisher wird in fast allen Bereichen nur an den Symptomen herumgedoktert. Die Ursachen für das Leiden, unter anderem für Armut, Hunger, Terror und Krieg werden nicht angegangen. Vor allem dann, wenn es um die scheinbaren Vorteile der Besitzenden und Mächtigen dieser Welt geht. Der Buddha lehrt, dass das Leiden auf dieser Welt großteils von der Gier, dem Hass und der Dummheit und Verblendung der Menschen verursacht wird. Der Mensch ist jedoch in seinen Illusionen verfangen und will die Triebkräfte in seinem Inneren nicht wahrhaben. Wenn Negatives geschieht, gibt er gerne dem personifizierten Bösen Schuld und verlegt damit die Verantwortung nach Außen, statt sie bei sich selber zu suchen. Wenn der Mensch nur in seinen Wünschen und Vorstellungen verhaftet ist, kann er die Wirklichkeit nicht erkennen. Er sieht die Dinge nicht so, wie sie sind, und verhält sich zerstörerisch.

Was ist aber die Wirklichkeit? Da haben die Menschen und ihre Systeme verschiedene Ansichten. Eines steht jedoch fest. Jeder wünscht sich die Wirklichkeit so, wie er sie für sich am günstigsten und geeignetsten hält. Entsprechen die Tatsachen infolge nicht den Wünschen der Menschen, leiden sie an diesem Umstand. Der Mensch will nicht wahrhaben, dass er, wie alles in unserem Dasein, in unserem Universum, ein abhängig existierendes Teilchen ist, das vergänglich und seit anfangsloser Zeit der fortlaufenden Veränderung unterworfen ist. Er möchte nicht wahrhaben, dass es nichts gibt, das aus sich selbst heraus und unabhängig (ohne Ursache) existiert. Alles ist mit allem verbunden und voneinander abhängig.

Alles, was wir uns wünschen, alles, was wir für uns haben wollen, hat mit unserer Gier zu tun und alles, was wir ablehnen, beruht auf unserem Hass. Es wäre darum für jeden einzelnen sehr hilfreich, wenn er sich selbst anschaut, sich auf den Grund geht, sich selbst und seine Vorstellungen von sich und der Welt ernsthaft in Frage stellt. Wenn wir in uns Gier, Hass und Unwissenheit entdecken, dann stehen wir vor der Wahl. Wir können uns entscheiden, ob uns unser Innenleben gefällt und wir es im alten Zustand belassen, so wie es ist, oder ob wir da etwas zum Positiven verändern wollen.

Wenn sich ein Volk, eine Rasse, eine Religion, ein Staat als etwas besseres betrachtet und sich über andere erhebt, gibt es Unfrieden. Wenn sich ein Mensch für etwas besseres hält als andere Menschen, wenn er auf andere herabsieht, sie ausbeutet, ungerecht behandelt und unterdrückt, wird dieses Verhalten zwangsläufig Konflikte heraufbeschwören. Wer sich über andere erhebt, produziert zwangsläufig Verlierer, oben und unten, gut und böse. Gibt es Sieger, dann gibt es Verlierer. Fühlt sich der Verlierer ungerecht behandelt und in seiner Würde verletzt, sinnt er auf Revanche. Dann kann es nie Frieden geben. Lässt der Sieger dem Unterlegenen keinen Ausweg, keine Perspektive für ein menschenwürdiges Leben, kann es zur Katastrophe kommen. Gier, Hass und Dummheit spielen in der Menschheitsgeschichte eine Dauerhauptrolle. Das Interesse von einigen Menschen ist es, Dinge zu produzieren, die viel Geld bringen, weil sie anderen Menschen schaden. Die Mächtigen und Reichen wollen an der Macht bleiben und deshalb unterstützen und fördern sie alles, das ihrem Ansinnen und Vorhaben entgegenkommt. Dazu gehört unter anderem auch die Produktion von Waffen aller Art. Um dies auch dem Volk oder dem gemeinen Menschen, der eigentlich nichts davon hat, außer dass er es ist, der für seine Mächtigen und Reichen immer den Kopf hinhalten muss, schmackhaft zu machen, werden Ängste geschürt, Nationalbewusstsein und Patriotismus werden missbraucht und Feindbilder werden geschaffen. Statt die Ursachen für Probleme bei sich selber zu suchen, werden die Kritik und der Unmut nach außen auf andere gelenkt. Was für den einzelnen gilt, gilt auch für Nationen. Statt im inneren und im eigenen Verhalten zu schauen, werden auch auf nationaler Ebene die Fehler bei den anderen gesucht.

Wenn wir uns unserer selbst bewusst sind, wenn wir wissen, wie es um uns steht, dann erkennen wir, dass jeder für sich entscheiden kann, ob er heilsam oder unheilsam handeln möchte. Himmel und Hölle sind nicht irgendwo da draußen, sondern befinden sich in unseren Herzen. ES , die Buddha-Natur, kann man nicht mit den körperlichen Augen sehen. Wir können ES jedoch mit unserem Herzen sehen, da Es inwendig in uns gegenwärtig ist und heilsam wirkt, wenn wir es nur wollen. Haben wir Es in uns gefunden und in unserem Denken und Handeln wirksam werden lassen, befreien wir uns von den negativen Tendenzen. Alle Religionen sagen dies. Es ist deshalb notwendig, dass wir aufrichtig mit uns selbst in Berührung kommen möchten. Es ist wichtig die Unwichtigkeit dieses negativen Egos, das unser Denken und Handeln bestimmen möchte, zu erfahren, zu erkennen und es dann loszulassen. Wir können die Wirksamkeit dieses unerschöpflichen Potentials erleben und für uns und unsere Mitwelt benutzen. Dann haben wir keine Angst mehr und engen unsere heilsame Energie nicht mehr ein durch destruktive Konditionen. Wir werden erkennen, dass wir uns durch die richtige Sichtweise zum Positiven verändern können. Wir bleiben nicht bei der Feststellung stehen: die Welt ist schlecht und der Einzelne kann da nichts machen. Wir werden feststellen, dass wir, dass jeder einzelne diese Welt ist. Wer bis zum Ende seiner persönlichen Möglichkeiten - seiner Eigenkraft - gegangen ist, wird feststellen können, dass etwas wirksam wird, das genau in dem Augenblick beginnt uns zu erfüllen und zu tragen, wenn wir uns selbst aufgegeben haben.


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Quelle:
ZENSHIN - Zeitschrift für Zenbuddhismus, Nr. 2/09, S. 11-13
Herausgeberin: Hakuin Zen Gemeinschaft Deutschland e.V. (HZG)
Burggasse 15, 86424 Dinkelscherben
Redaktion: Nanshu Susanne Fendler / Bunsetsu Michael Schön
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E-Mail: s-fendler@t-online.de / schoen-bio@gmx.de
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ZENSHIN erscheint halbjährlich.
Einzelheft 7,50 Euro inklusive Versand


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Januar 2010