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PRESSE/839: Die Lehre des Buddha vor dem religiösen Hintergrund seiner Zeit (DMW)


Der Mittlere Weg - Nr. 2, Mai - August 2010
Zeitschrift des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

Die Lehre des Buddha vor dem religiösen Hintergrund seiner Zeit

Von Uwe Kickstein


Der heutige Mensch lernt die buddhistische Lehre in ihren verschiedenen Ausformungen kennen. Theravada, Mahayana (Zen, Reine Land-Schule, Madyamika, Yogacara u.a.) Tibetischer Buddhismus (Vajrayana, Tantrayana, Mantrayana).

Die jeweiligen Schulen und Richtungen haben ihre eigenen Schriften. Die Schriften - Lehrgrundlagen - der jeweils anderen Ausformung werden zum Teil wohlwollend gesehen, jedoch in ihren Inhalten weitgehend ignoriert.

Gemeinsam sind allen Richtungen die Vier Edlen Wahrheiten mit dem in der vierten Wahrheit erklärten achtgliedrigen (astha anga) Pfad.

Andere Aspekte der Lehre wie Karma und Wiedergeburt, Achtsamkeit und Sammlung, "leer und Leerheit" (shunya und Shunyata), das Bodhisattvaideal haben eigene Akzente, tauchen in dem jeweiligen Fahrzeug gar nicht auf oder werden anders interpretiert.

Hinzu kommt eine Kommentarliteratur (abhidhamma und andere), welche, Jahrhunderte nach Buddhas Tod entstanden, den Anspruch erhebt, die Lehre richtig zu interpretieren, zu erklären. Erschwerend wirkt, dass auch Buddhisten selten über den Tellerrand der eigenen Lehre schauen und in Überzeugung der Richtigkeit und Authentizität der in den Sutras und der Kommentarliteratur wiedergegebenen Lehre alle anderweitigen Forschungsergebnisse von Indologen und Archäologen häufig ignorieren oder durch eine Brille sehen, die bestimmte Sachverhalte einfach ausfiltert. Es ist diese Brille des "die Schriften des Palikanon bzw. des Maha- und Vajrayana sind Buddhas Wort, sind also "wahr" oder damals "so gesagt" worden. Die im Palikanon schon gegebene Einschränkung zu Beginn vieler Sutras: "so habe ich es gehört" könnte zumindest den Blick dafür öffnen, dass die historischen Texte durch einen "menschlichen Filter" gegangen sind.

Buddha selbst hat zumindest im Palikanon zu solch einer
Herangehensweise an eine Lehre klare Worte gefunden:

»(...) Zur Seite sitzend, sprachen nun die Kálámer aus Kesaputta zum Erhabenen also:

"Es kommen da, o Herr, einige Asketen und Brahmanen nach Kesaputta; die lassen bloß ihren eigenen Glauben leuchten und glänzen, den Glauben anderer aber beschimpfen, schmähen, verachten und verwerfen sie. Wieder andere Asketen und Brahmanen kommen nach Kesaputta, und auch diese lassen bloß ihren eigenen Glauben leuchten und glänzen, den Glauben anderer aber beschimpfen, schmähen, verachten und verwerfen sie. Da sind wir denn, o Herr, im Unklaren, sind im Zweifel, wer wohl von diesen Asketen und Brahmanen Wahres, und wer Falsches lehrt."

Recht habt ihr, Kálámer, daß ihr da im Unklaren seid und Zweifel hegt. In einer Sache, bei der man wirklich im Unklaren sein kann, ist euch Zweifel aufgestiegen.

Geht Kálámer, nicht nach Hörensagen, nicht nach Überlieferungen, nicht nach Tagesmeinungen, nicht nach der Autorität heiliger Schriften, nicht nach bloßen Vernunftgründen und logischen Schlüssen, nicht nach erdachten Theorien und bevorzugten Meinungen, nicht nach dem Eindruck persönlicher Vorzüge, nicht nach der Autorität eines Meisters!

Wenn ihr aber, Kálámer, selber erkennt: "Diese Dinge sind heilsam, sind untadelig, werden von Verständigen gepriesen, und, wenn ausgeführt und unternommen, führen sie zu Segen und Wohl", dann möget ihr sie euch zu eigen machen.«
(aus: "Lehrrede an die Kalamer", Anguttara Nikaya, Angereihte Sammlung, III, 66)

Überprüfen, selbst erfahren und so das Heilsame oder Unheilsame eines Lebensweges, einer Lehre, zu erkennen - dazu hatte Buddha auch in Bezug auf seine eigene Lehre aufgefordert.

Und das bedeutet, dass jeder, der den Weg geht, wie ihn Buddha lehrte, aufgefordert wurde, seine Richtigkeit oder Falschheit, das Heilsame oder Unheilsame zu ergründen.

2500 Jahre nach Buddhas Tod darf man sich auch fragen: Welche Veränderungen in der Wiedergabe der Lehr-Sutren, der Kommentarliteratur hat es in dieser Zeit gegeben?

Da die Lehre über Jahrhunderte nur mündlich weitergegeben wurde, dann schriftlich fixiert und in verschiedene Sprachen übersetzt - von Menschen mit all ihren Vorlieben, ihrem mehr oder weniger ausgeprägtem Verständnis für die Lehrinhalte - ist es eher unwahrscheinlich, dass sich die ursprüngliche Lehre in allen Lehrreden wiederspiegelt. So verwundert es nicht, wenn Übersetzter wie z.B. Kurt Schmidt in der Mittleren Sammlung Widersprüchliches oder in späteren Jahrhunderten Hinzugefügtes - anhand von Sprach- und Wortstammanalyse (Etymologie) - entdecken.

Warum also nicht versuchen, den Menschen Siddharta Gautama, den späteren Erwachten (sanskrit: Buddha), in seinem wahrscheinlichen - von Indologen und Archäologen erforschten und noch zu erforschendem Umfeld - zu betrachten.

Dabei insbesondere die möglichen Einflüsse auf das Kind Siddharta betrachten, in einer Kultur, die spirituell von den Ritualen der Brahmanen, von Rishis (Sehern), von ihre Lehren verkündenden Wanderasketen, den Lehrgeprächen des Vedanata (darunter auch die Upanishaden, sankr. upa = nahe, ni = nieder, shad = sitzen) geprägt wurde.

Es könnte vielleicht hilfreich sein, um die Lehrreden des Palikanon, Intentionen und Formulierungen, besser zu verstehen.

Zur Zeit Buddhas war die indo-arische Völkerwanderung, die Einwanderung von Volksstämmen aus dem nördlichen persisch-afghanischen Raum in das Gangesgebiet und in das Indus-Stromland weitgehend abgeschlossen. Begonnen hatte diese Einwanderung etwa 1500 Jahre vor Chr.. Die Indo-Arier brachten ihre Stammesstrukturen (drei der späteren vier Kasten) und ihr magisch-mythologisches Weltbild mit nach Indien. Inwieweit die vorhandenen Kulte der hier bislang lebenden drawidischen dunkelhäutigen Bevölkerung assimiliert wurden, wird weiterhin erforscht. Funde der älteren drawidischen Indus-Strom-Kultur (Fundstätten bei Mohenjo Daro und Harappa deuten daraufhin, dass es in dieser Kultur Versenkungspraktiken (Meditation) gegeben hat. Hingegen gibt es in den alten Textrezitationen der indo-arischen Einwanderer keine Erklärungen zu Sammlungs- und Versenkungspraktiken.

Zur Zeit des Aufwachsens des Kindes Siddharta Gautama gab es also eine gefestigte Gesellschaftstruktur mit vier Kasten (Varnas = Farben). Drei Kasten waren schon bei den indo-arischen Einwanderen/Eroberern vorhanden; die vierte Kaste bestand zunächst aus der drawidischen, meist dunkelhäutigen Urbevölkerung, welche nach der Herrschaftsübernahme durch die Indo-Arier zu Shudras (Knechten und Dienern) wurden und die Kastenfarbe (Varna) "schwarz" erhielten. Alle Kasten haben sich bis in die heutige Zeit Indiens erhalten, wenn auch in weitere Unterkasten aufgeteilt. Zu den untersten Kasten gehören auch die Unberührbaren (Parias).

Die drei indo-arischen Kasten zur Zeit Buddhas waren

die Kshatriya (Varna: rot) - die weltliche herrschende Schicht der Fürsten, Könige, Krieger - vergleichbar dem europäischen Rittertum, Adel,
die Brahmanen (Varna: weiß) - Priester, Gelehrte, Vollzieher der vedischen Opferrituale und
die Vaishya (Varna: gelb) - Händler, Handwerker, landwirtschaftliche Grundbesitzer, wenn diese nicht Kshatryas waren.

Wobei die Brahmanen allgemein als oberste Kaste anerkannt waren, auch wenn sie der Kaste der Fürsten, Könige und Krieger nur beratend zur Seite standen. Die Einführung und Belehrung der oberen drei Kastenangehörigen in die drei Veden (den heiligen, zu dieser Zeit nur mündlich weitergegebenen, Rezitationen) oblag den Brahmanen. Die untere Kaste der Shudras wurde dagegen als unwürdig befunden, den Veda zu hören. Siddharta Gautama gehörte als Fürstensohn aus dem Stamm der Shakya zur Kaste der Kshatrya. Wir können vermuten, dass er daher intensiv von Brahmanen über die Veden unterrichtet wurde. So heißt es auch vom Buddha im Palikanon immer wieder: "... ist Kenner der drei Veden ..."

Der Rig-(Vers) Veda besteht überwiegend aus 10 Liederkreisen mit 1024 Hymnen in Versen, welche von den Priestern beim Opferzeremonial rezitiert und gesungen wurden. Zu damaliger Zeit gab es Schlachtopfer: (Roß-, Rind, Ziegen-Opfer). Die Götter wurden mit dem Somatrank (göttlicher Rausch- und Kraft-Trank) eingeladen. Das Feueropfer (agnihotra) - zu Voll- und Neumond vollzogen - war (und ist) Hauptritual der Brahmanen. In heutiger Zeit sind die Opfergaben aus pflanzlichen Bestandteilen.

Agni (das Feuer, der Gott des Feuers) ist der Überbringer der Opfergaben an die Götter (Indra, Vayu, Mitra, Soma, Varuna u.a.). Die Entstehung der Welt, des Menschen, der Wesen, der Gestirne (Sonne Mond), Naturkräfte wie Blitz und Feuer, die Luft werden Göttern (z.B. Indra, Agni und Varuna) zuerkannt. Die Naturerscheinungen waren Kräfte dieser Götter, die Gestirne sichtbarer Ausdruck von Göttern. Die Hilfe der Götter wurde in den Opferritualen erbeten. Nur die Kaste der Brahmanen war dazu bestimmt das Opferritual durchzuführen - und erst das genaue Einhalten der in den Veden beschriebenen Rituale, das genaue Rezitieren der Opfermantren und Preisungsgesänge, mit denen die Taten der Götter besungen wurden, die richtige Aussprache und die richtige Zubereitung des berauschenden Soma-Trankes, konnte diese Hilfe der Götter erbringen.

Im Sama-(Gesang)Veda sind überwiegend Verse des Rig-Veda in anderer Anordnung und modifiziert für das Chanten während der Opferzeremonie enthalten.

Im Yajur-(Opferspruch-Mantra)Veda sind Opfersprüche für den Adhvaryu, einer der Priester im vedischen Opferritual, gesammelt. Auch diese Opfersprüche sind weitgehend aus dem Rig-Veda mit Zusätzen versehen. Den Yajur-Veda gibt es in zwei Textfassungen: den weißen (shukla) und schwarzen (krishna) Yajur-Veda.

Den Veden zugeordnet sind die zeitlich späteren Schichten der Brahmanas (überwiegend Ritualtexte), Aranyakas (Waldtexte) und Upanishaden (die z.T. aus den Waldtexten hervorgingen)

Der Vollständigkeit halber sei hier noch der Atharva-Veda genannt. Dieser vierte Veda hatte zu Zeiten Buddhas noch nicht den Status eines Veda. In ihm gibt es sehr alte Textschichten (z.B. der Vratya-Gemeinschaften, welche laut J.W. Hauer bereits schon eine Art des Yoga praktizierten) aber auch Texte, die nach Buddhas Zeit, aber noch vor Chr. entstanden sind. Atharvan bedeutet Feuerpriester. Im Atharva-Veda - er besteht aus 20 Büchern mit etwa 6000 Versen in 731 Hymnen - gibt es Heilzauberriten, magische Formeln gegen Feinde, Liebeszauber, aber auch erstmals Erklärungen zur Yoga-Praxis (siehe Hauer: "Der Yoga - Ein indischer Weg zum Selbst")

Die soeben kurz dargestellte Opferthematik (die Heils- und Hilfeerwartung aus Ritualen) in den drei Veden hatte der spätere Buddha als Behinderungen auf dem Weg zur Befreiung von Gier und Hass benannt und in mehreren Gesprächen mit Brahmanen Tieropfer als Aberglaube dargelegt. Und auch der Verzicht auf "Rauschmittel" in den Silas, den buddhistischen Ethikregeln, dürfte einen seiner Ursprünge in der Verherrlichung des "göttlichen Soma-Rausches" während vedischer Zeremonien haben. Liest man den Rigveda, so stellt man fest, daß die Berauschung und Kräftigung durch den Somatrank grundlegend für die Opfer-Zeremonien waren. Die Asuras/Devas Agni, Indra und Varuna wurden regelrecht zur Berauschung mit dem Somatrank eingeladen.

Es gibt mehrere Sanskrit-Pflanzennamen, die den Begriff "Soma" enthalten. So heißt die Weinraute Somalata, und der Strauch "Desmodium gangeticum" wird Saumya (d. h. reich an Somasaft) genannt. In seinen Wurzeln findet sich unter anderem das Halluzinogen Dimethyltryptamin. Bislang gab es aber noch keine eindeutige Identifizierung der Soma-Pflanze.

So wird auch angenommen, daß es sich bei "Soma" um den Oberbegriff mehrerer zubereiteter Pflanzen (zusammen mit Milch und Mehl) handelt. Eine Gärung mit zusätzlicher alkoholischer Wirkung ist auch wahrscheinlich.

Für die halluzinogene Wirkung des Soma sprechen auch einige Beschreibungen im Rig-Veda, z.B.: "Wir haben das Soma getrunken; wir sind unsterblich geworden, wir haben das Licht gesehen; wir haben die Götter gefunden." (Rig-Veda VIII,48)


*


Die Verse des Rig-Veda

Es folgen Zitate aus dem Rig-Veda, um den mythologischen, magischen und animistischen Charakter dieses ältesten Veda darzulegen. (Erläuterungen dazu von mir sind in Klammern gesetzt):

1. Liederkreis, 1,14. An alle Götter:

"Mit all diesen Göttern komm, Agni, zu unserem Eifer, zu den Lobreden herbei; um Soma zu trinken, vollziehe die Opferweihe!

Dich haben die Kanva's herbeigerufen; sie preisen deine weisen Gedanken, du redekundiger. Komm, Agni, mit den Göttern!

(...) Für euch werden die ergötzenden, berauschenden Tränke aufgetragen, die Tropfen des Honigtrankes, die in den Gefäßen sitzen.

Dich rufen die Kanva's um Gunst bittend; sie haben das Barhis herumgelegt, Spenden bringend, das Opfer rüstend.

Die schmalzrückigen, durch den bloßen Gedanken geschirrten Fahrrosse, die dich fahren, mögen die Götter zum Somatrunk herfahren.

Die Opferwürdigen, die Wahrheitsmehrer mache beweibt, Agni; gib Ihnen, Schönzungiger, vom Süßtrank zu trinken!

Die Opferwürdigen, die Anzurufenden, die sollen mit deiner Zunge von dem Süßtrank unter Vasatruf trinken, o Agni.

Von der Lichtwelt der Sonne möge der redekundige Hotri alle frühwachen Götter hierher fahren.

So schirr denn, o Gott, deine rötlichen, falben, roten Stuten an den Wagen; mit diesen fahre die Götter hierher!"

(Agni und alle frühwachen Götter werden hier zum Somatrank eingeladen. Einladungen an die Götter zum berauschenden und stärkenden Somatrank durchziehen den ganzen Rig-Veda)


1. Liederkreis, 1,23

... Denn König Varuna hat der Sonne den weiten Weg bereitet, um Ihn zu wandeln. Der Fußlosen hat er Füße gemacht zum Aufsetzen. Und er ist der Lossprecher selbst des ins Herz Getroffenen.

Du hast, o König, hundert, tausend Ärzte. Weit, unergründlich soll deine Gnade sein. Jage weit in die Ferne die Todesgöttin! Auch die getane Sünde nimm von uns!

Jene Sterne, die oben befestigt des Nachts erschienen sind, sie sind am Tag irgendwohin gegangen. Unverletzlich sind Varuna's Gesetze: Des Nachts wandelt Umschau haltend der Mond.

Das erbitte ich, mit beschwörendem Worte freundlich zuredend, das wünscht sich der Opfernde mit seinen Opferspenden: Sei hier ohne Groll, Varuna! Du, dessen Worte weithin gelten, raub uns nicht das Leben!

Wir bitten dir den Groll ab, Varuna, mit Verbeugungen, mit Gebeten, mit Opferspenden. Du, der die Macht hat, einsichtsvoller Asura, König, erlaß uns die getanen Sünden!...

(Varuna wird gebeten, Krankheit und Tod abzuwenden und die getanen Sünden zu erlassen)


1. Liederkreis, 3. Buch, 1,26: An Agni

Denn wenn die Götter ein gutes Opferfeuer haben, so bringen sie auch uns Erwünschtes. Wir glauben ein gutes Opferfeuer zu haben.

So soll zwischen uns beiden, du Unsterblicher, zwischen den Unsterblichen und den Sterblichen, gegenseitig Anerkennung sein.


1. Liederkreis, 3. Buch: An Indra

Wenn wir auch wie Hoffnungslose sind, du bewährter Somatrinker, so mach uns doch Hoffnung auf tausend schmucke Kühe und Rosse, o freigebiger Indra!

Du lippenöffnender Meister der Gewinne, du Kraftbegabter, du hast ja die Machtvollkommenheit; mach uns doch Hoffnung auf tausend schmucke Kühe und Rosse, o freigebiger Indra!

(Häufig wird im Rig-Veda um den Zuwachs an Gütern gebeten, meist sind es Kühe, Rinder und Rosse. Auch wird um guten Samen für die Ernte gebeten. Kennzeichen für eine Gemeinschaft, in der Ackerbau und Viehzucht wichtig für das Überleben waren)


1. Liederkreis, 3. Buch, 1,31: An Agni

Du Agni bist ein Stier, der die Aufzucht mehrt, ruhmbringend wirst du dem, der den Opferlöffel hebt, der die Opferung, den Vasatruf genau kennt, der du im Anfang im Alleinbesitz des Ayu die Stämme zu gewinnen suchst.

Du Agni, hilfst dem in der Freundschaft, im Opfer auf krumme Wege geratenen Mann heraus, du ausgezeichneter, der du im Kampfe um den Tapferen, um den umstrittenen Siegerpreis, in der Schlacht selbst mit Wenigen die Überzahl schlägst.

Du Agni schützest den Mann, der Dichtersold gewährt, nach allen Seiten wie ein fest genähter Panzer. Wer süße Speise vorsetzt, in seiner Wohnung ein gutes Lager bereitet und ein lebendes Tier opfert, der kommt zuoberst im Himmel.

(Agni unterstützt den Tapferen im Kampf der Schlacht. Erstmals der Hinweis auf den Übergang des menschen in den Himmel der Götter bei gutem Vollzug des Opfers)


1. Liederkreis, 1,46. An die Asvin

(...) Das lichtreiche Labsal, das uns über die Finsternis hinwegbringen soll, das gewähret uns, ihr Asvin!

Kommt auf dem Schiff unserer Gedanken, um ans andere Ufer zu gelangen. Schirret euren Wagen an, ihr Asvin!

Euer Ruder ist breiter als der Himmel, euer Wagen steht am Landungsplatz der Flüsse. Mit Kunst wurden die Somatränke angeschirrt.

Am Orte des Himmels sind die Somatropfen, ihr Kanva's, am Orte der Flüsse das Gute.Wohin beabsichtigt ihr eure natürliche Körperform zu legen?

Licht ist der Somapflanze geworden: Die Sonne kommt dem Golde gleich. Mit der Zunge blickte jetzt der Schwarze durch.

Der rechte Weg ist bereitet, um glücklich ans andere Ufer zu gelangen; die Straße des Himmels ist sichtbar geworden.

Der Sänger erwartet gerade diese Gunst der Asvin immer wieder, die im Rausche des Soma hinaushelfen. (...)

(Erste Ausblicke des Menschen auf einen transzendenten Himmel?)


1. Liederkreis, 1,79: An Agni

Bring uns, Agni, Reichtum mit, allesamt besiegenden, begehrenswerten, in allen Kämpfen unüberwindbaren. Bring uns, Agni, durch dein Wohlwollen Reichtum, der lebenslang nährt. Schenk uns Gnade, auf daß wir leben!

(...) Wer uns, Agni, nah und fern bedroht, der soll zu Fall kommen. Sei uns zum Gedeihen!

Tausendäugig, vor allem Volke hervorragend, wehrt Agni die bösen Geister ab. Als preislicher Hotri wird er gefeiert.

(Fürbitte um Reichtum und um Beistand bei Bedrohern, vermutlich andere Stämme, Feinde)


1. Liederkreis - 1,162.: Das Opferroß

Auf vierunddreißig Rippen des göttergesellten Streitrosses trifft das Beil. Richtet die Körperteile unverletzt her, zerleget sie Glied für Glied der Reihe nach ausrufend!

Einer ist der Zerleger des Rosses des Tvastri, zwei sind es, die es halten. So ist das richtige Verhältnis. So viele deiner Körperteile ich nach der Reihenfolge herrichte, so viele Klöße opfere ich ins Feuer.

Nicht soll dich das liebe Leben schmerzen, wenn du eingehst; nicht soll das Beil deinem Körper dauernden Schaden tun. Nicht soll ein gieriger, unerfahrener Zerleger mit dem Hackmesser ausgleitend die zerschnittenen Glieder falsch behandeln.

Wahrlich, nicht stirbst du dabei, nicht nimmst du Schaden. Zu den Göttern gehst du auf gangbaren Wegen. Die beiden Falben, die beiden Schecken sind deine Jochgenossen geworden; das Streitroß ward an die Deichsel des Esels eingestellt.

Schöne Rinder und schöne Rosse, männliche Kinder und allnährenden Besitz soll uns das siegesgewohnte Roß bringen. Schuldlosigkeit soll uns Aditi erwirken. Die Herrschaft soll uns das von Opfergaben begleitete Roß erringen!

(Darstellung eines Tieropfers, um schöne Rinder und Pferde, männliche Kinder und allnährenden Besitz zu erbitten)


7. Liederkreis, 7,104.: An Indra, Soma und andere Götter

... Indra und Soma! Rings um den Bösredenden soll die böse Glut sieden wie ein vom Feuer erhitzter Kochtopf. Setzet dem Feind des heiligen Wortes, dem Aasfresser mit dem bösen Auge, dem Kimidin unerbittliche Feindschaft!

Indra und Soma! Stoßet die Übeltäter in die Grube, in die haltlose Finsternis, auf das auch nicht einer von da wieder herauskomme. Diese eure grimmige Kraft muß zur Bezwingung genügen.

... Indra und Soma! Dieses Lied soll euch rings umfangen wie der Gurt die Streitrosse, das ich euch nach meiner Eingebung als Opfer vorführe. Ermuntert wie Fürsten diese feierlichen Reden!

Gedenket daran; in fliegender Eile erschlaget die Tückebolde, die hinterlistigen Unholde! Indra und Soma, nicht soll es dem Übeltäter gut ergehen, wer uns jemals mit Tücke nachstellt.

Wer mich, der ich schlichten Sinnes wandle, mit unwahren Worten beschuldigt, der werde zunichte wie Wasser, das man mit der Hand faßt, der Sprecher von Nichtigem, o Indra.

Die die schlichte Rede absichtlich verdrehen, oder die das Gute willkürlich schlecht machen, die soll Soma entweder der Schlange preisgeben oder in den Schoß des Verderbens bringen.

Wer uns den Saft der Speise verderben will, den unserer Rosse, Kühe oder unserer Leiber, o Agni, der Schelm, der Dieb, der Diebstahl begeht, soll dahin schwinden, er soll mit Leib und Kindern eingehen!

Der soll um Leib und Kinder kommen; er soll unter alle drei Erdräume versinken. Sein Ansehen soll verdorren, ihr Götter, wer uns am Tag und wer uns bei Nacht zu schädigen sucht!

Für den kundigen Mann ist das leicht zu unterscheiden: das wahre und das falsche Wort widerstreiten einander. Welches von beiden das Wahre, welches das Richtige ist, das begünstigt Soma; das Unwahre bekämpft er. (...)

Als ob ich je falsche Götter gehabt hätte, oder als ob ich nur zum Schein die Götter anerkannt hätte, Agni - was grollst du uns, Jatavedas? Die Falschredenden sollen dem Tode durch dich verfallen.

Noch heute will ich sterben, wenn ich ein Zauberer bin oder wenn ich das Leben eines Menschen verbrannt habe. Und der soll um zehn Söhne kommen, der fälschlich zu mir sagt: du Zauberer.

Wer zu mir, der ich kein Zauberer bin, sagt, du Zauberer, oder welcher Dunkelmann sagt: ich bin unschuldig, den soll Indra mit mächtiger Waffe erschlagen. Tief unter alle Kreatur soll er sinken!

(Drastische Schilderung der Bitte um Vernichtung von Bösredenden, Dieben, von Verderbern der Speisen. Beteuerung, dass man keine falschen Götter habe, kein Zauberer sei. Die das falsch behaupten, sollen um Leib und Kinder kommen, zehn Söhne sollen zu Tode kommen)


10. Liederkreis, 10,117: Lob der Wohltätigkeit

Wahrlich, die Götter haben nicht den Hunger als Todesstrafe verhängt. Auch den Gesättigten kommt irgend eine Todesart an. Und der Reichtum des Freigebigen erschöpft sich nicht, aber der Knauser findet keinen, der sich seiner erbarmt.

Wer selbst Speise hat, aber gegen den Armen, der Speise begehrend, klappernd kommt, sein Herz verhärtet und doch früher sein Freund war, auch der findet keinen, der sich seiner erbarmet.

Der ist ein Gastfreier, der dem Bettler gibt, welcher abgemagert, Speise wünschend kommt. Er steht ihm zu Diensten, wenn er ihn unterwegs anruft, und für die Zukunft erwirbt er sich einen Freund.

(Nur an dieser einen Stelle des Rig-Veda findet sich die Hilfsbereitschaft gegenüber notleidenden Mitmenschen)


10. Liederkreis, 10,129.: Ursprung der Dinge

Weder Nichtsein noch Sein war damals; nicht war der Luftraum noch der Himmel darüber. Was strich hin und her? Wo? In wessen Obhut? Was war das unergründliche tiefe Wasser?

Weder Tod noch Unsterblichkeit war damals; nicht gab es ein Anzeichen von Tag und Nacht. Es atmete nach seinem Eigengesetz ohne Windzug dieses Eine. Irgend ein Anderes als dieses war weiter nicht vorhanden.

Im Anfang war Finsternis in Finsternis versteckt; all dieses war unkenntliche Flut. Das Lebenskräftige, das von der Leere eingeschlossen war, das Eine wurde durch die Macht seines heißen Dranges geboren.

Über dieses kam am Anfang das Liebesverlangen, was des Denkens erster Same war. - Im Herzen forschend machten die Weisen durch Nachdenken das Band des Seins im Nichtsein ausfindig.

Quer hindurch ward ihre Richtschnur gespannt, Gab es denn ein Unten, gab es denn ein Oben? Es waren Besamer, es waren Ausdehnungskräfte da. Unterhalb war der Trieb, oberhalb die Gewährung.

Wer weiß es gewiß, wer kann es hier verkünden, woher sie entstanden, woher diese Schöpfung kam? Die Götter kamen erst nachher durch die Schöpfung dieser Welt. Wer weiß es dann, woraus sie sich entwickelt hat?

Woraus diese Schöpfung sich entwickelt hat, ob er sie gemacht hat oder nicht - der der Aufseher dieser Welt im höchsten Himmel ist, der allein weiß es, es sei denn, daß auch er es nicht weiß.

(Das Unbegreifliche des Universums, seiner Entstehung. Der Versuch einer Beschreibung des Nicht-Erklärbaren)


*


Das Ende der Veden (Vedanta) - Die Upanishaden

Antwort auf Fragen wie "wer bin ich", "warum leide ich", "was ist die Welt", "warum bin ich in der Welt", "was ist der Sinn meines Lebens" konnte der magisch-mythische Veda für viele Suchende zu Buddhas Zeit nicht geben. Doch schon bereits etwa 300 Jahre vor Buddha gab es vermehrt Menschen, die sich diese Fragen stellten. Es begann die Zeit des Vedanta, die Zeit der "Vollendung" oder des "Ende" der Veden.

Es gab also vor Buddhas Zeit die Situation, dass Opferrituale der Veden die innersten Fragen nach dem Seins-Sinn nicht mehr stillen konnten.

So trafen sich sinnsuchende Menschen der unterschiedlichsten Kasten (vermutlich aber überwiegend aus der Kaste der Kshatryas, zu der auch Siddharta Gautama gehörte) in Wäldern, suchten nach dem tieferen Sinn der Veden. Texte wurden gedeutet, dabei die äußere Opferhandlung für einen inneren, seelischen Zusammenhang umgedeutet. Es entstanden die "Waldtexte" (Aranyakas) und aus diesen wiederum gingen ein Teil der Upanishaden hervor. Auch wenn sich ein Teil der Thematik immer noch um das Opferritual bewegte, waren es doch mehr und mehr die Fragen nach dem Seinsgrund der Welt und in welcher Beziehung der Mensch zu diesem Urgrund steht. Die Welt der vedischen Devas (Götter) wurde dabei nur zum Teil verlassen. Die Beziehung von Brahman (das Urmächtige, das sich als Welt hingab, alles trägt und alles ist) zum Einzelbewusstsein (Jiva-Atman) wurde philosophisch erkundet - und durch Sammlung und Versenkung, in der Meditation, erforscht. In den so Suchenden entstand - so wird es jedenfalls in einigen Upanishaden vermittelt - die Erfahrung, dass Brahman und Einzelbewußtsein verschmelzen, wenn der Mensch existenziell (nicht intelektuell) erkennt und erfährt, dass er nicht identisch ist mit seinem Körper, seinen Gefühlen, seinen Willens- und Geistregungen, seinem sinnhaften Bewusstsein. Der Mensch ist Atman. Und Atman und Brahman sind eins. Körper, Lebenskraft (prana) und Sinnenbewusstsein sind die Um- oder Verhüllungen (koshas) des Atman.

Der Prozess, der Weg hin zu dieser Einheits"empfindung" wurde damals - vor und zu Buddhas Zeiten - als Yoga benannt (sanskrit von yuj = anjochen - hier zeigt sich noch der Ursprung des Sanskrit aus einem Volk von Nomaden und Hirten)

Zu Lebzeiten Buddhas waren vermutlich vier bis sechs Upanishaden mündlich weitergegeben worden:
1. Brihadaranyaka, 2. Chandogya, 3. Taittirya, 4. Aitareya, 5. Kaushitaki und 6. Kena.

Aus diesen soll zitiert werden, um zu zeigen, wie sich hier magisches und mythisches Denken mit Sinnfragen der Existenz vermischten:


Beschreibung des Brahman:

»Es ist anders als das Bekannte und als das Unbekannte«, so hörten wir von den Alten, die uns das erklärten. Denn das, was man mittels der Rede nicht nennt, was aber selbst die Rede hervorbringt, das, wisse, ist Brahman; nicht das, was man hier verehrt. Was man mit dem Geist nicht denkt, was aber selbst den Geist denkt, das, wisse, ist Brahman; nicht das, was man hier verehrt. Was man mit dem Auge nicht sieht, wodurch man aber das Auge sieht, das, wisse, ist Brahman; nicht das, was man hier verehrt. Was man mit dem Hören nicht hört, wodurch aber das Hören gehört ist, das, wisse, ist Brahman; nicht das, was man hier verehrt. Was man mit dem Hauch nicht einatmet, durch das aber der Hauch geatmet wird, das, wisse, ist Brahman; nicht das, was man hier verehrt.

Kena - Upanishad (oder Talavakara - Upanishad)


Ohne Wünsche:

Da fragte ihn Kahoda, der Sproß des Kaushitaka: »Yajnavalkya«, sprach er, »das Brahman, das vor Augen liegt, das sich unseren Augen nicht mehr entzieht, das Selbst, das allem innewohnt, erkläre mir.« - »Es ist dein Selbst, das allem innewohnt.« »Was für eins ist das, Yajnavalkya, das allem innewohnt?« »Das, was jenseits von Hunger und Durst, von Kummer, Irrtum, Alter und Tod steht, darin sehen die Brahmanen das Selbst, lassen ab von dem Wunsch nach Kindern, von dem Wunsch nach Besitz, von dem Wunsch nach der Welt und ziehen als Bettler hinaus. Denn der Wunsch nach Söhnen ist ein Wunsch nach Besitz, der Wunsch nach Besitz ist ein wunsch nach der Welt. Wunsch ist beides. Darum soll ein Gelehrter, der Gelehrsamkeit überdrüssig geworden, in Einfalt verharren. Der Einfalt wie der Gelehrsamkeit überdrüssig geworden, wird er ein schweigender Asket. Des Nichtschweigens wie des Schweigens überdrüssig geworden, wird er ein echter Brahman. Auf welche Weise ist er ein Brahman? So wie er ist, dadurch ist er ein solcher. Alles andere ist leidvoll«. Darauf schwieg Kahoda, der Sproß des Kaushitaka.

Bribad-Aranyaka-Upanishad

(Es wird das Ziehen in die Hauslosigkeit beschrieben, so wie es Siddharta Gautama auch tat. Die Wunschlosigkeit als Ideal)

Der Atman:

»Der Kundige weiß sich mit dem Atman eins.« »Darum soll ein dessen Kundiger, müde, sanft, entsagend, geduldig, gläubig geworden, im eigenen Selbst den Atman erblicken. Er sieht einen jeden als das Selbst an, ein jeder wird für ihn zum Selbst, er wird für jeden zum Selbst. Er überwindet alles Übel, nicht überwindet ihn das Übel. Er verbrennt alles Übel, nicht verbrennt ihn das Übel; frei von Übel, Alter, Hunger, Durst wird der Brahmane, der so weiß.

Das ist das große, ungeborene Selbst, das Speise ißt (ein Herr ist) und Güter spendet. Der, welcher dieses große, ungeborene Selbst, das Speise ißt und Güter spendet, kennt, erlangt Güter.

Dieses große, ungeborene Selbst, das frei ist von Alter und Tod, frei von Furcht und unsterblich, ist Brahman. Freiheit von Furcht hast du, Janaka, erreicht.« So sprach Yajnavalkya. (...)

Dieses große, ungeborene Selbst, das frei ist von Alter und Tod, frei von Furcht und unsterblich, ist Brahman. Furchtlos ist Brahman. Das furchtlose Brahman wird, wer so weiß.

Bribad-Aranyaka-Upanishad

»Es ist dein Selbst, das allem innewohnt.« »Was für eins ist das, Yajnavalkya, das allem innewohnt?« »Nicht kannst du den Seher des Sehens sehen, nicht den Hörer des Hörens hören, nicht den Denker des Denkens denken, nicht den Erkenner des Erkennens erkennen. Das ist dein Selbst, das allem innewohnt. Alles andere ist leid voll.« Darauf schwieg Ushasta Cakrayana.

Bribad-Aranyaka-Upanishad


Die Seele des Wunscherfüllten (Karma und Wiedergeburt):

Nun sagt man: »Der Purusha ist Verlangen.« »Wie er wünscht, so will er.Wie er will, so tut er. Wie er tut, so wird er.«

Das besagt der Vers: »Das, woran sein Geist sich hängt, ist das Wesentliche und geht als bezeichnendes Merkmal gemeinsam mit seinem Werk.«

Wenn einer für das Werk, das er hier tut, den Lohn empfangen hat, kehrt er aus jener Welt zu dieser Welt und (neuem) Werk zurück.

Bribad-Aranyaka-Upanishad

(Erste Formulierungen zum Karma und den Tatfolgen. Das Wesentliche einer Tat ist ihre geistige Intention - das was ihr geistig anhängt)


Die Seele des Wunschlosen:

»Das gilt für den von Verlangen (von Wünschen) Erfüllten. Aber hinsichtlich dessen, der kein Verlangen hegt, heißt es: Der, welcher keine Wünsche hegt, welcher frei von Wünschen ist, dessen Wunsch das Selbst ist, dessen Wunsch erfüllt ist, aus dem ziehen die Hauche nicht fort. In ihm vereinigen sie sich. Er ist schon Brahman und geht in Brahman ein. Das sagt der Vers:

»Wenn alle Wünsche schwinden, die in seinem Herzen wohnen, dann wird der Mensch unsterblich. Schon hier erlangt er Brahman.« Wie eine alte, abgeworfene Schlangenhaut auf einem Ameisenhaufen liegt, ebenso liegt der Körper hier da. Der knochenlose, körperlose, erkenntnisreiche Atman ist Brahman, ist die Welt, o Großkönig.« So sprach Yajnavalkya.

Bribad-Aranyaka-Upanishad

(Befreiung, Unsterblichkeit des "Selbst" (Atman) bereits in diesem Leben. In der Wunschlosigkeit erlangt man Brahman. Würde man "für Brahman" "Nirvana" einsetzen, hätte es fast eine Formulierung Buddhas sein können)


Karma-Folgen:

In blinde Finsternis gehen die, die dem Vergehen anhängen; in noch tiefere, scheint es, die, die an dem Werden sich erfreuen".

Asurisch heißen diese Welten, die von blinder Finsternis bedeckt sind. Zu diesen gehen nach dem Tode die Menschen, die ohne Wissen und Weisheit sind.

Das, was wir sind, wir werden dazu. Ist das nicht erkannt, so ist das Verderben groß. Die es erkennen, die werden unsterblich. Aber die anderen verfallen der Pein.

Bribad-Aranyaka-Upanishad

(Folgen des Tuns - Karma. Eingang in die Höllenwelten)


Der zweifache Weg:

»Die, welche diese Kenntnis haben, und jene, die im Walde Glauben und Wahrheit üben, diese gehen in die Flamme ein, aus der Flamme in den Tag, aus dem Tage in die lichte Hälfte des Monats, aus der lichten Hälfte des Monats in die sechs Monate, während denen die Sonne nordwärts geht, aus den Monaten in die Götterwelt, aus der Götterwelt in die Sonne, aus der Sonne in das Blitzfeuer. Daraus naht diesen ein geistiger Mann und bringt sie in die Brahmawelt. Sie wohnen in den Brahmawelten bis in die weitesten Femen. Von dort kehren sie hierher nicht mehr zurück.

Aber die, welche durch Opfer, Freigebigkeit und Askese die Welt gewinnen, diese gehen in den Rauch ein, aus dem Rauch in die Nacht, aus der Nacht in die dunkle Hälfte des Monats, aus der dunklen Hälfte des Monats in die sechs Monate, während denen die Sonne südwärts geht, aus den Monaten in die Manenwelt, aus der Manenwelt in den Mond, sie gelangen in den Mond und werden Speise. Wie den König Soma mit den Worten »Schwill an«, »Nimm ab«, so genießen die Götter diese dort.Wenn das für sie zu Ende ist, so gehen sie in den Äther ein, aus dem Äther in den Wind, aus dem Wind in den Regen, aus dem Regen in die Erde; wenn sie zur Erde gelangt sind, so werden sie Speise. In dieser Weise bleiben sie im Kreislauf.

Aber die, welche diese beiden Wege nicht kennen, diese werden zu Würmern, Vögeln und Insekten aller Art.«

Bribad-Aranyaka-Upanishad

(Die Götterwelt des Rig-Veda existiert weiter und wird Heimstatt für die Verstorbenen, die im Walde Glauben und Wahrheit übten. Die anderen, die durch Opfer, Freigebigkeit und Askese die Welt gewinnen, bleiben im Daseinskreislauf.)


Metaphysik:

»Nur das Seiende, mein Lieber, war hier zu Anbeginn, das Seiende, ganz allein, ohne ein zweites.«

Da sagen nun einige: »Nur das Nichtseiende war hier zu Anbeginn, das Nichtseiende allein, ohne ein zweites. Aus diesem Nichtseienden entstand das Seiende.« »Wie könnte das wohl sein, mein Lieber«, sprach er. »Wie könnte aus dem Nichtseienden das Seiende entstehen? Das Seiende also nur war hier zu Anbeginn, das Seiende allein, ohne ein zweites.

Chandogya - Upanishad

»Wenn saure Milch gequirlt wird, so strebt der feinste Bestandteil davon nach oben und wird Butter. Ganz ebenso strebt von genossener Speise der feinste Bestandteil nach oben und wird zum Denkorgan. Wenn Wasser genossen wird, mein Lieber, so strebt der feinste Bestandteil davon nach oben und wird zum Lebenshauch. Wenn Glut genossen wird, mein Lieber, so strebt der feinste Bestandteil nach oben und wird zur Stimme. Denn aus Speise, mein Lieber, besteht das Denkorgan, aus Wasser der Lebenshauch, aus Glut die Stimme.« »Belehre mich weiter. Ehrwürdiger.« »Ja, mein Lieber«, sagte er.

Chandogya - Upanishad

(Mit unserem heutigen naturwissenschaftlichem Verständnis nicht nachvollziehbar)

»Wenn aber die Seele einen Zweig von ihm verläßt, dann verdorrt er; verläßt sie einen zweiten, so verdorrt er, verläßt sie einen dritten, so verdorrt er; verläßt sie den ganzen (Baum), so verdorrt er ganz. Ganz in derselben Weise, wisse, mein Lieber«, sprach er, »stirbt das, was von der lebenden Seele verlassen ist; nicht stirbt die lebende Seele. Diese feinste Substanz durchzieht das All, das ist das Wahre, das ist das Selbst, das bist du, Shvetaketu.« »Lehre mich noch weiter.« »Ja, mein Lieber«, sprach er.

Chandogya-Upanishad

Nun lautet die Lehre in bezug auf das »Ich«: das Ich ist unten, oben, im Westen, Osten, Süden, Norden: das Ich ist die ganze Welt.

Nun lautet die Lehre in bezug auf das »Selbst«: das Selbst ist unten, ist oben, im Westen, Osten, Süden, Norden. Das Selbst ist die ganze Welt.

Chandogya - Upanishad

(Atman als feine Substanz, das All(es) durchziehend)


Die Brahma-Welt:

Er sprach: »Alle, die aus dieser Welt scheiden, die gehen zum Monde. Durch ihr Leben füllt sich die zunehmende Hälfte, in der abnehmenden Hälfte veranlaßt er ihre Wiedergeburt. Der Mond ist die Pforte des Himmels.Wer ihm zu antworten versteht, den läßt er an sich vorüber. Wer ihm nicht zu antworten vermag, den sendet er, in Regen sich verwandelnd, im Regen zur Erde nieder; als Wurm, Motte, Fisch, Vogel, Löwe, Eber, Schakal, Tiger, Mensch oder sonst etwas wird er hier und da, je nach seinem Tun und Wissen, wiedergeboren.

Kaushitaki - Upanishad

(Mond-Mythos als Pforte zum Himmel - der Brahma-Welt (loka) - oder zur nächsten Wiedergeburt. Wieder taucht Karma - in seinem Aspekt: kausale Folgen des Tuns auf)

... Ihm kommen dort (in der Brahma-Welt) fünfhundert Apsaras entgegen: hundert mit Früchten in der Hand, hundert mit Salben in der Hand, hundert mit Kränzen in der Hand, hundert mit Kleidern in der Hand, hundert mit wohlriechenden Pulvern in der Hand. Sie schmücken ihn mit Brahmans Schmuck. Geschmückt mit dem Schmucke Brahmans geht der Brahmakundige zum Brahman. Er gelangt zum See Ara und überschreitet ihn mit dem Geist (manas); die aber, die nur die Gegenwart kennen, versinken, wenn sie dahin gekommen sind. Er gelangt zu den Yeshtiha genannten Stunden; sie laufen vor ihm davon. Er gelangt zu dem Strom Vijara (»alterlos«); diesen überschreitet er wiederum mit dem Geiste. Alle guten und bösen Taten wirft er dort von sich; angenehme Verwandte nehmen die guten, nicht angenehme die bösen Taten auf sich. Wie ein zu Wagen Dahinfahrender auf die beiden Wagenräder, so blickt er auf Tag und Nacht, blickt er auf gute und böse Taten, auf alle Gegensätze hinab.

Frei von guter, frei von böser Tat naht der Brahmakundige dem Brahman.

Kaushitaki - Upanishad


In den Upanishaden finden sich Aussagen über das Selbst (Atman), über die Folgen guten oder schlechten Handelns, die Entstehung der Welt, die Weltentsagung und Wunschlosigkeit. Aber auch die vedische Götterwelt wird in den älteren Upanishaden weiterhin als real gesehen. Das Eingehen in die "Welt Brahmans" ist zum Teil noch immer eher ein Übergang zu einem himmlischer Ort als daß es als geistiger Zustand beschrieben würde. Es findet sich in den Upanishaden gerade in den Schöpfungs-Mythen vieles, dem heutigen naturwissenschaftlichen Verständnis Widersprechendes.

Doch auch im Palikanon gibt es Geschichten, in denen der Buddha in die Welt der Götter einkehrt, sie belehrt. Oder Götter kommen zum Buddha und bitten um Lehr-Unterweisung. In einer Geschichte wird erzählt, wie der Gott-Dämon Mara den Buddha davon abbringen will, die Lehre weiterzugeben.

Bleibt die Frage: Hatte der Buddha tatsächlich Begegnungen mit Göttern und Dämonen (Devas und Asuras) oder kamen hier wieder spätere Einflüsse des Vedischen in den Buddha-Dharma hinein? Bei aller Vernunft und Klarheit in der Formulierung der Vier Edlen Wahrheiten fällt es mir zumindestens schwer anzunehmen, daß der Buddha an eine vedische Götterwelt glaubte und an Bereiche (loka), in denen diese Götter, ähnlich wie Könige, lebten.

Doch weiter im Vergleich: Lehrinhalte der Upanishaden wie Karma (Taten und die Folgen der Handlungen), Weltentsagung und Wunschlosigkeit finden sich ähnlich auch im Buddha-Dharma.

Die Umschreibungen von Atman/Brahman und dem Nirvana in Bezug auf »das Todlose« in der buddhistischen Lehre sind fast identisch:

"... Das Todlose ist gefunden. Ich unterweise, ich zeige die Lehre. Und wenn ihr gemäß der Unterweisung lebt, so werdet ihr in gar nicht langer Zeit das, um dessentwillen Edelgeborene ganz und gar aus dem Haus in die Hauslosigkeit hinausziehen, dieses unvergleichliche Ziel des Reinheitlebens, schon in diesem Dasein aus euch selber heraus begreifen, verwirklichen und in seinem Besitz (des Todlosen) verweilen." (aus: Majjhima Nikaya 26, III,6)

"Es gibt ein Nichtgeborenes, ein Nichtgewordenes, Nichtgeschaffenes, Nichtaufgebautes. Gäbe es dies nicht, so könnte auch nicht ein Ausweg aus dem Geborenen, Gewordenen, Geschaffenen, Aufgebauten erkannt werden. Da es nun aber ein Nichtgeborenes, Nichtgewordenes, Nichtgeschaffenes, Nichtaufgebautes gibt, deshalb ist ein Ausweg aus dem Geborenen Gewordenen, Geschaffenen, Aufgebauten zu erkennen."
(aus: Udana VIII.3)

Auch im auf den Upanishaden und Samkhya gegründeten frühen Yoga hatte sich ein ethisches Verhalten herausgebildet. Indologen gehen davon aus, dass, obwohl der achtgliedrige Yoga-Pfad erst vermutlich 300 Jahre nach Chr. von dem Yoga-Gelehrten Patanjali in den Yoga-Sutras schriftlich niedergelegt wurde, eine mündliche Weitergabe über Jahrhunderte zuvor geschehen war und Patanjali nur der Zusammenfasser dieser Lehren war. Der Indologe Hauer legt sogar schlüssig dar, wie die Yoga-Sutren in drei zeitlichen Schichten entstanden, wobei sich theistische und atheistische geistige Strömungen innerhalb der Brahmanen und der Anhänger der Samkhya-Philosophie (auf die noch später hingewiesen wird) ergänzten, bzw. ihre Ansicht vom Seinsgrund darlegten.

Die buddhistischen Brahma-vihara werden auch im Yoga genannt:

»Die Verwirklichung von Liebe, Mitleid, Heiterkeit und Gleichmut in bezug auf Freude und Leid, Gutes und Böses (führt zur) Abgeklärtheit des Geistes.« (Yoga-Sutra, I, 33)

Daß der ethische Teil - das erste Glied der Yoga-Weges, die Yamas - noch vor Buddhas Zeit Bestandteil des Yoga-Weges war, ist wahrscheinlich, da schon die Lehre der Jaina diese Ethik (Yamas) vertrat. Bekanntlich war Buddhas Zeitgenosse Mahavira nicht der Begründer des Jaina-Dharma, sondern bereits der 24. von "Furtbereitern" (Tirthankaras) innerhalb der um Jahrhunderte älteren Jaina-Tradition. Von den 24 Tirthankaras werden zwei als historisch verbürgt gesehen: Mahavira und sein Vorgänger Parshavanatha (ca. 350 Jahre vor Mahavira).

Die fünf Yamas des Yoga (und der Jaina-Lehre) sind, kurz benannt: 1. Nichtverletzen, Gewaltlosigkeit in Taten,Worten und Gedanken (ahimsa), 2. Wohlwollen und Wahrhaftigkeit in der Rede (satya), 3. das Nicht-Stehlen (asteya), 4. das Nicht-Ergreifen der Dinge, Nicht-Anhaften, Genügsamkeit (aparigraha), 5. geschlechtliche Enthaltsamkeit (brahmacarya).

Die Ähnlichkeit der yogischen Yamas und buddhistischen Sila ist offensichtlich.

Es ist wahrscheinlich, dass Siddharta Gautama, nachdem er in seiner Kindheits- und Jugendzeit schon in den Veden unterrichtet worden war, dann in seiner Zeit als Asket und Yoga-Übender auch von den ethischen Zügelungen (Yamas) des Yoga-Weges erfuhr. Die drastischen Schilderungen Buddhas zu seiner Askese, insbesondere intensiver Übungen zur Einstellung der Atmung (pranayama - das vierte Glied des Yoga-Weges) legen nahe, dass Buddha vor seiner Erwachung (buddhi) zumindest den ganzen achtgliedrigen Yogapfad kannte oder praktizierte. So waren die vier bzw. acht vom Buddha gelehrten Versenkungsstufen (jhana) auch im Yoga-Weg natürliche Stufen zum Samadhi. Allein die gleiche Wortwahl "pali = jhana, sanskrit = dhyana" und "samadhi" als letzte Stufen des Yoga legen nahe, dass der werdende Buddha zumindest die Yoga-Definition für dhyana und samadhi kannte. Wahrscheinlich ist aber, dass er den Yoga-Weg auch bis zu den diesen letzten Yoga-Gliedern praktizierte.

Buddhismusgelehrte betonen jedoch immer wieder, wie unterschiedlich die Begriffe jhana und samadhi im Yoga und im Buddha-Dharma zu verstehen sind.

Allgemein, so sagen diese Gelehrten, sei es ein geschicktes Mittel des Buddha gewesen, religiöse Begriffe seiner Zeit anders zu definieren als die Brahmanen, ihnen einen anderen, heilsameren Wert mitzugeben. Das mag ja sein, es wird aber wahrscheinlich eine Zeit im Leben des noch unerwachten Siddharta Gautama gegeben haben, wo er die Definition dieser Begriffe nur so verstand, wie sie in der damaligen Yogatradition vorgegeben waren, ihm gelehrt wurden. Zu fragen wäre, ob dann durch die spätere buddhistische Scholastik eine Umdeutung der Begriffe erfolgte oder ob Buddha selbst es bereits anders sah (erfuhr) als die Yoga-Tradition. Tatsächlich durfte ja die yogische Samadhi-Definition als "Aufgehen des Selbst (Atman) in die Weltseele (Brahman)" im buddhistischen Lehrgebäude keinen Bestand haben, da sonst die Lehre vom Nicht-Selbst (anatta, sanskrit = anatman) hätte nicht aufrechterhalten werden können. Gehen wir aber davon aus, dass die Samadhi-Umdeutung vom Buddha selbst herrührt, so kann gesagt werden, dass Buddha die in den Upanishaden erwähnte Erfahrung der Atman-Brahman-Vereinigung nicht gemacht hatte. Andernfalls - wäre die Samadhi-Definitionsumdeutung erst nach Buddhas Tod geschehen - hätte Buddha wahrscheinlich die Einheitserfahrung auf Grund seiner identischen Begriffsverwendung, wie im Yoga, gemacht. Für diese Erfahrung sprechen die Hinweise Buddhas über das Nirvana - das Todlose - als einzig nicht Vergängliches. Die Beschreibung von Atman/Brahman in der Yoga-Tradition ist wortgleich, ebenso Teile des Weges: Die "Nicht-Gier", das "Nicht-Ergreifen", das Abstehen von Gier und Hass (Yamas bzw. Sila).


Buddha und die Samkhya-Philosophie:

Die Heimatstadt Buddhas - Kapilavastu (übersetzt: Ort/Platz des Kapila) - ist nach dem Rishi "Kapila" benannt, welcher der Legende nach der Begründer einer ursprünglichen theistischen Samkhya-Philosophie war und etwa 750 Jahre vor Chr. gelebt haben soll.

Die meisten Indologen gehen davon aus, daß der Samkhya in seinen Anfängen theistisch war und ein transzendentes unsterbliches Geistiges (Purusha/ Atman), wie die Upanishaden, als real ansah. Erst ca. 500 Jahre nach Chr. wurde der Samkhya nicht-theistisch.

Samkhya (sanskrit von sam = zusammen, khya = benennend, erkennend, schauend) bedeutet das Erkennen des Zusammenwirkens von 25 Daseinsfaktoren (Tattvas). Genannt werden:

Purusha (Nur-Geist)
Prakriti (Schöpfungskraft, mit drei Kräften, den "guna")
Buddhi, Ahamkara und Manas (verschiedene Aspekte des Bewußtseins: reine Erkenntnis des "Ich-Bin", Ich/Wille, denkendes, sinnenhaftes Bewußtsein)
Fünf "Elemente" (Maha-Bhuta): Raum (Äther), Feuer (Licht),Winde (Luft),Wasser und Erde
Fünf Sinnesfähigkeiten (buddhindryas): sehen, riechen, schmecken, hören und berühren
Fünf feinste, subtile Sinnesobjekte der Form, des Geruchs, des Klangs, der Berührung, des Gehörs (Tanmatras)
Fünf Tatfähigkeiten (karmendryas): sprechen, greifen, gehen, ausscheiden und zeugen Es liegt nahe, daß Siddharta Gautama vor seiner Erwachung mit Samkhya-Gelehrten zusammen gekommen war. Die Verwendung vieler der 25 Daseinsfaktoren aus dem Samkhya in den Sutren des Palikanon ist augenfällig.

Der historische Buddha - der als Mensch geborene und als Mensch gestorbene Buddha - war, so ist zu vermuten, "ein Kind seiner Zeit". Die religösen Haupströmungen waren ihm bekannt: Er war in den drei Veden und Teilen des Vedanta (den Upanishaden) belehrt worden, hatte den Yoga praktiziert. Hatte Lehren verworfen, Heilsames in den Lehren aufgenommen, Unheilsames abgelegt - sowie er es den Kalamern in einer Lehrrede selbst empfahl.

War Buddha also ein Reformator innerhalb der Spiritualität seiner Zeit?

Zweifellos hatte er das Kastenwesen abgelehnt. Für ihn war ein Brahmane nicht jemand auf Grund seiner Geburt, sondern weil er sich ethisch verhielt, weil er den Weg der Zügelung, des Nicht-Anhaftens ging - erst dann war er Brahmane. Die Lehre des Buddha war schon zu seinen Lebzeiten für alle Kasten zugänglich. Buddha machte keine Unterschiede. Letztendlich stimmte er auch der Aufnahme von Frauen in die Gemeinschaft (den Sangha) zu - in einer Zeit, in der religiöse Riten nur von Männern ausgeführt werden durften und auch der Gang in die Waldeinsamkeit, die Versenkungsübungen, nur den Männern vorbehalten war.

Götter - und Opfer an diese Götter - galten dem Buddha nichts. Der vedische Opferkult ist für ihn hinderlich, unheilsam. Rituale allgemein führen nicht zur Befreiung von Gier und Hass, sind im Gegenteil Bestandteil von Unwissen (Verblendung, Aberglaube), sind Hindernisse.

Spekulationen über die Entstehung der Welt, ihren Fortgang, über die Naturkräfte dieser Welt, seien sie nun von Göttern gewirkt oder nicht, sind für den Buddha nicht sinnvoll - allein die Frage nach der Leidensentstehung und der Auflösung der Leiden, dem Weg zur Auflösung der Leiden, ist sinnvoll.

Bin ich Atman? Gibt es dieses Selbst, dass ich bin? Und ist dieses "ich bin" Teil von etwas "Größerem", kann es sich mit diesem vereinen? Dazu schwieg der Buddha. War Buddha ein Atman-Verneiner? Für die meisten heute lebenden Buddhisten ist es klar: Buddha lehrte, das es Atman - das ewige Selbstsein - nicht gibt, da alles weltliche (samsarische) vergänglich ist, dem Wandel unterworfen.

In seiner Aussage, dass weder der Körper, noch die Empfindungen, Wahrnehmungen, Geistformationen (Samskaras) und das die Welt erkennende Bewusstsein - die Skandhas - Atman sind, stimmt er mit Aussagen in den Upanishaden überein. Die Upanishaden erklären den Atman als transzendent. Für viele heutige Buddhisten der Theravada-Tradition hat der Mensch keinen Anteil am Transzendenten, da er sich nur aus den fünf Skandhas konstituiert.

Was aber ist dann das Nirvana - das Ungeborene, Todlose, Ewige?

Ist die Beantwortung der Frage: "Gibt es Atman oder gibt es Atman nicht" überhaupt wichtig für den buddhistischen Dharma? Oder dient sie nur der damaligen und heutigen Abgrenzung zum Spekulativen in den Upanishaden?

Benötigen die Vier Edlen Wahrheiten mit dem achtfältigen Pfad eine Aussage über den Atman, das "ewige Selbst", um "wahr" zu sein? Ist der achtfältige Pfad nicht mehr gangbar, wenn die philosophische oder metaphysische Entscheidung "ja oder nein" zum Atman getroffen wurde? Ist diese "Entscheidung" nicht nebensächlich? Eher etwas, was als "Zustand" einer meditativen Versenkung - im "Erfahren" des Nirvana, des Todlosen - Bestand oder nicht Bestand haben wird?

Eine Schwierigkeit soll zum Schluß noch erwähnt werden - auch Indologen können irren und Wahrscheinlichkeiten sind eben noch keine Beweise. Gerade die zeitliche Einordnung von überlieferten Texten gestaltet sich für den indischen Raum schwer - auch wegen der langen Zeit mündlicher Überlieferung. Das gilt für buddhistische Schriften genauso wie für die Veden, Upanishaden, den Samkhya, den Yoga und andere Philosophie-Systeme.


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Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
42. Jahrgang, Mai - August 2010/2554, Nr. 2, Seite 15-26
Herausgeber: Buddhistischer Bund Hannover e.V.
Drostestr. 8, 30161 Hannover,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Mai 2010