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PRESSE/872: Warum richtiges Verstehen von Begriffen wichtig ist (Buddhistische Monatsblätter)


Buddhistische Monatsblätter Nr. 3/2010, September - Dezember
Vierteljahreszeitschrift der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg e.V.

Warum richtiges Verstehen von Begriffen für rechtes abstraktes und handlungsleitendes Verständnis(*) der buddhistischen Lehre wichtig ist: Beispiel "satipatthana"

Von ArminDao Ketterer


Diese Betrachtung soll für den Umgang mit buddhistischen Texten(**), für ihr abstraktes Verständnis und ggf. für ihre übende Anwendung ein Impuls sein.

Voraussetzung dabei sind Offenheit und Bereitschaft, um des Ergebnisses willen genau hinzuschauen. - Dieser Hinweis mag zunächst provokativ, ja anmaßend klingen, doch wie oft wollen wir wirklich genau wissen, schauen wir wirklich genau hin? Wie wirkt sich das dann aus, wenn wir es tun oder eben nicht tun? - Darum soll es exemplarisch gehen!(***)

Buddhas Lehre ist ein Wegweiser aus der Praxis und für die Praxis und hat nach dessen Aussage nur ein Ziel: das Ende von dukkha, was als Unzulänglichkeit oder Leiden übersetzt wird. Mit dieser Perspektive werden Begriffe, Texte im buddhistischen Sinne verständlich.

In diesem Kontext ist satipatthana im Rahmen der Geistesschulung ein zentraler Begriff in den Lehrreden des Pali-Kanons. Er bezeichnet die stufenweise Läuterung von citta als Vorgang und Anleitung auf dem Weg zur Leidfreiheit,zum Heil, also zu nibbana.

Citta besitzt ebenso wie sati mehrere Dimensionen und Tiefen, wird oft übersetzt mit Herz-Geist, ich versuche es mit Gemütsneigung-Bewusstseinszustand. - Es geht darum, was wie psychisch im Bewusstsein (der Läuterungspraxis zugänglich) ist. - Nibbana ist mit Begrifflichkeiten nicht erfassbar und benennbar, ist das letztlich nicht Sagbare; ich behelfe mich mit Erlöschen von Ego-Anhaftungen - also von Gier, Hass und Verblendung. Was bedeutet das nun konkret und korrekterweise?

Exemplarisch wird anhand von satipatthana gezeigt, wie falsche Bedeutungszuweisung und Übersetzung entsteht und dass bzw. wie wichtig richtiges Verstehen für ein rechtes Verständnis der Lehre ist.(****)

Die gängigste Übersetzung von satipatthana ist "Grundlage für sati". Diese Übersetzung stützt sich auf eine Erklärung, die in den Pali-Kommentaren zu finden ist, welche das Wort satipatthana von sati und dem Begriff patthana ableitet, der "Grundlage" oder "Ursache" bedeutet. Aufgrund dieser kommentariellen Erklärung wird satipatthana zu einer "Grundlage für sati", da patthana derart verstanden wird, dass es sich auf die "Ursache" für das Etablieren von sati bezieht, also auf ihre Objekte.

Ein Problem mit dieser von den Kommentatoren geprägten Perspektive ist, dass an Stelle von sati die Objekte der sati betont werden. Dadurch kann leicht das Mittel mit dem Zweck verwechselt werden, denn wirklich von Bedeutung ist die geistige Haltung der sati-Praxis und nicht deren Objekte.

Das Wort sati ist nicht wirklich übersetzbar, denn "Achtsamkeit" oder "Gegenwärtigsein" können die Dimension und Tiefe der Bedeutung nicht ansatzweise ausdrücken. Achtsamkeit wird meist im Sinne von voll(kommen)er momentaner Aufmerksamkeit gebraucht. Für diese Achtsamkeit ist der Ausdruck "sampajañña" (san + pajañña) besser geeignet, voll(kommen)es bewusstwerdendes Erleben dessen, was im Moment ist und vor sich geht. Sati bedeutet vor allem "Erinnerung" und ist in der buddhistischen Praxis lehr-, also wirklichkeitsgemäß-erinnernde Vergegenwärtigung. Was das qualitativ ist, lässt sich nicht sprachlich benennen, sondern letztlich nur praktisch erfahren. Und in der Praxis wirken sampajañña und sati zusammen, so wie es auch in den Lehrreden (M 10, D 22) steht.

Eine Möglichkeit zur Annäherung an den Begriff besteht darin, den Ausdruck sati beizubehalten und diesen sich dann, da es verschiedene Grade von sati gibt und jeder Grad eine andere Realisierungs-Bedeutung in sich trägt, im Sinnzusammenhang und in praktischer Relevanz jeweils erschließen zu lassen.

Patthana bezieht sich nicht auf sati selbst als Vorgang, sondern auf eine Vorstufe bzw. auf ihre Objekte. Dadurch kann nicht nur leicht das Mittel mit dem Zweck, sondern auch das Mittel oder sogar der Zweck selbst verwechselt werden - mit essentiell unterschiedlichen Auswirkungen in Ansicht, Praxis und Ergebnissen. M.E. ist dies auch bei anderen zentralen Begriffen und Praktiken, so bei den brahmavihara, zu erkennen, was aber an anderer Stelle darzustellen wäre.

Auch vom grammatikalischen Standpunkt aus ist die in den Pali-Kommentaren gegebene Erklärung nicht überzeugend, da die übliche Bildung eines Pali-Kompositums erfordern würde, dass der Anfangskonsonant des Wortes patthana verdoppelt werden müsste. Der sich daraus ergebende Begriff wäre also satippatthana, mit einem doppelten p, statt satipatthana. Ein weiteres Argument gegen die kommentarielle Erklärung ist, dass der Begriff patthana in den frühen Pali-Lehrreden niemals auftaucht, sondern erst im historisch späteren Abhidhamma und den Kommentaren in Erscheinung tritt. Dies macht es ziemlich unwahrscheinlich, dass dieses Wort zum Bilden des Kompositums satipatthana benutzt wurde. In den Lehrreden erscheint sati häufig mit dem Verb upatthahati, was darauf hinweist, dass upatthana die etymologisch korrekte Herleitung wäre.

Dies wird untermauert durch den Sanskrit-Begriff smrtyupasthana, der bestätigt, dass upasthana oder sein Pali-Equivalent upatthana die richtige Wahl für den zweiten Teil des Kompositums ist. Satipatthana von sati + upatthana herzuleiten ist auch grammatikalisch korrekt, da entsprechend der Regeln zur Bildung eines Kompositums entweder der letzte Buchstabe i von sati oder der erste Buchstabe u von upatthana wegfallen kann. Somit wäre das Wort satipatthana also tatsächlich ein mögliches Ergebnis der Kombination von sati mit upatthana. Das Wort upatthana steht für "nahebei platzieren" oder "präsent sein".

Damit würde dann der Begriff satipatthana auf eine besondere Weise des Gegenwärtigseins durch sati hinweisen. Durch satipatthana ist sati "präsent" im Sinne einer dem Hier und Jetzt zugewandten Aufmerksamkeit. Das Wort satipatthana könnte dann also als "Gegenwärtig-sein von sati" übersetzt werden.

Oder mit einer etwas kausaleren Betonung als "Entstehen-Lassen von sati" bzw. als "Platz/Möglichkeit-Lassen für sati".

Die Schwierigkeit der Abgrenzung und des Benutzens der Begriffe Achtsamkeit und Aufmerksamkeit kann hier nur nochmals erwähnt, aber nicht weiter ausgeführt werden. Die korrekte Begriffs-Etymologie und -Übersetzung hat also eine doppelte Relevanz:

Richtiges Verstehen ermöglicht rechte Ansicht, diese rechte Motivation, diese rechte Anstrengung, also angemessene Heran- und Vorgehensweise im Verständnis und in übender Praxis, was zu passgenauen Ergebnissen führen kann.
Durch die Genauigkeit entsteht rechte Lehre und Anleitung und damit auch die Glaubwürdigkeit der buddhistischen Lehre, vom recht verstandenen Endpunkt aus den richtigen und gangbaren Weg zu beschreiben, also tatsächlich wirksames und zielführendes Werkzeug bzw. Hilfsmittel zu sein. Dies wiederum kann mittels richtigen Verstehens rechte Ansicht, Motivation usw. ermöglichen - aus buddhistischer Sicht also einen wirksamen Kreislauf heraus aus Wahn und Leid in Gang setzen und halten. "Vom recht verstandenen Endpunkt aus" bedeutet, nicht nur subjektiv-unzulänglich-verzerrt wahrzunehmen, sondern das Entstehen und Vergehen in ihrer bedingten Soheit, das was wie ist, zu durchschauen, und das Leiden dadurch zu beenden. Zu durchschauen sind die Vorgänge an sich mit ihren Bedingungszusammenhängen; die Mechanismen der Ego-Anhaftungen (also Gier, Hass, Verblendung) aufgrund von Ich/Selbst-Identifikation mit der Wirkung nicht wirklichkeitsgemäßer Wahrnehmung, Verstrickung und erneuter Identifikation, die zu weiteren und stärkeren Anhaftungen usw. führt und so den Fortgang der Daseinserscheinungen, samsaro, am Laufen hält.

Andererseits: Rechtes Verständnis von Lehre und Praxis entsteht nicht nur und ab einer bestimmten Tiefe nicht mehr auf der Ebene der Sinne mittels der Begrifflichkeit, sondern jenseits von Konzeptionalität. So findet auch hier eine Erkenntnis Anwendung, die die Lehre des Erwachten durchzieht: Der mittlere Weg führt zum Ziel, d.h. hier, genau hinzuschauen, ohne daran anzuhaften.

Damit schließt sich der Kreis zum Anfang mit dem Hinweis auf das Erfordernis von Offenheit und Genauigkeit, nun aber auf einer weiteren Stufe mit erweiterter Grundlage und mit veränderter Perspektive, nämlich der der Öffnung einer Spirale nach oben mit innewohnender befreiend-fortschreitender Dynamik.


Anmerkungen:

(*) Rechtes Verständnis meint treffliches Verständnis, abstrakt meint nicht theoretisch, sondern verständnis-praktisch (Eindrücke/Gefühle/Ansichten), und handlungsleitend meint lebens- und übungspraktisch (Absichten/Gedanken/Worte/Taten).

(**) Dies gilt insbesondere für die Lehrreden des Pali-Kanons.

(***) Ausgangspunkt ist die beharrliche Tendenz von uns Menschen, auch in sich buddhistisch nennenden Kreisen, sich mit erworbenen konzeptionellen Ansichten (ditthi) so zu identifizieren (je mühsamer erworben die Ansichten sind, um so stärker das Festhalten daran), dass diese Offenheit und Genauigkeit nicht möglich ist. Mit diesem Text knüpfe ich an meinen Vortrag im Workshop 'Meditation im frühen Buddhismus I' 12.-16.10.2009 an der Universität Hamburg an.

(****) Nachfolgend in kursiver Schrift Textauszüge aus dem Aufsatz "Sati in den Pali Lehrreden" von Dr. Bhikkhu Analayo (BGM 2007).


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Quelle:
Buddhistische Monatsblätter Nr. 3/2010, September - Dezember Seite 30-33
Vierteljahreszeitschrift der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Oktober 2010