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PRESSE/912: Die Leiber Buddhas - der Dharmakaya (DMW)


Der Mittlere Weg - Nr. 2, Mai - August 2011
Zeitschrift des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

Die Leiber Buddhas - der Dharmakaya

Von Axel Rodeck


Entwicklung der Leerheitslehre

a) Gegen Ende der vedischen Zeit vor 2.600 Jahren gingen die Upanishaden ("Geheimlehren") von der Existenz einer Seele aus, welche den Tod überdauert und sich immer wieder inkarniert. Der Buddha widersprach jedoch der upanishadischen Behauptung einer unsterblichen Seele mit großem Nachdruck. Denn nur, wenn es keine unsterbliche, d.h. ewige Seele gibt, kann der Mensch die stets mit Leiden verbundene Individualität abwerfen und die Befreiung aus dem Wiedergeburtenkreislauf erreichen. Schon in der Predigt von Benares zu Beginn seiner Lehrtätigkeit hatte der Buddha deshalb dargelegt, daß in den als "Skandhas" bezeichneten Konstituenten, welche die empirische Persönlichkeit ausmachen - nämlich Körper, Empfindung, Wahrnehmung, Geistesregungen und Bewusstsein - keine den Tod überdauernde Seele (Pali: atta) vorhanden ist. Er versah deshalb das Wort "Atta" mit dem Negationspräfix "an-" und lehrte das "Anatta", die Nichtseelenhaftigkeit/Ichlosigkeit der Person. Die Anatta-Lehre ist für den Buddha Gautama ein zentrales Thema, dem er sich während der ganzen 45 Jahre seiner Lehrtätigkeit widmete.

Freilich lässt sich niemand gerne sagen, er habe keine Seele. Der Buddha ersetzte deshalb in seinen späteren Lehrreden das abschreckende Wort "anatta" (wtl. "seelenlos"; d.h. ohne eine den Tod überdauernde Seele) durch den milderen Ausdruck "sunya" ("leer"). Anatta und sunya sind im Buddhismus gleichbedeutende Ausdrücke und synonym zu gebrauchen. Leere Personen sind wesensgleich, aber nicht miteinander identisch. Der erste Schritt zur Leerheitsphilosophie des Mahayana war damit getan.

b) Der Mahayana-Buddhismus - rund 500 Jahre jünger als der ursprüngliche oder Theravada-Buddhismus - glaubte die Lehre des Buddha in dessen Sinn fortzusetzen, indem er statt des Adjektivs "leer" das Substantiv "Leerheit" verwendete. Wenn alle Personen und Dinge "leer" sind, kann man auch sagen, es sei alles "Leerheit" (sunyata). Während die adjektivische Ausdrucksweise "leer" jedes Objekt für sich bezeichnet, impliziert das Substantiv "Leerheit" eine zwischen den Objekten bestehende Identität: Die Leerheit wird damit zum Identitätsband nicht nur zwischen Personen, sondern auch zwischen Personen und dem Heilsziel Nirvana. Die Feststellung, dass alles Leerheit ist, definiert die Leerheit zudem als letzteWirklichkeit, als das Absolute (tattva). Damit besitzen alle Wesen die Erlöstheit selber (das Nirvana), sie sind also im Grunde bereits erlöst und haben Buddhaheit, d.h. jedes Wesen ist ein latenter Buddha. Ein realer, d.h. für die und in der Welt wirkender Buddha, wird man durch das "Erwachen" (bodhi).

Die Leerheit ist demnach die verbindende Klammer zwischen Welt und Nirvana und das allem immanente Absolute. Theravada-Anhänger halten allerdings die mahayanische Erhebung der Leerheit zum Absoluten (tattva) für einen Fehlschluß, besonders, wenn die Leerheit noch mit Buddhaheit und Erlösung identifiziert wird. Etwas weniger abstrakt erscheint das Absolute, wenn es als Wesenskern der Buddhas aufgefasst wird, als "Dharma-Leib" (dharmakaya) oder "Buddhanatur" (buddhasvabhava). Eine solche Auffassung ergibt sich aus der Dreileiber-(trikaya-)Lehre.


Die Drei-Leiber-Lehre

Wie die Buddhisten schon früh erkannt hatten, findet sich im real existierenden Buddha Gautama eine Kombination von "Dharmas" (= nicht mehr reduzierbare Daseinsfaktoren, vergleichbar den "Atomen") und dem "Dharma" alsWeltgesetz des Seins. Denn er ist zum einen ein flüchtiger, aus fließenden Dharmas zusammengesetzter profaner Körper, zum anderen aber auch das impersonale metaphysische Dharma-Prinzip, welches den Körper sozusagen als materielle Basis hat. Er ist die "fleischgewordene Lehre", eine Wesenskategorie für sich ("tathagata").

Es lag auf der Hand, dass irgendwann in der Entwicklungsgeschichte des Buddhismus die Überlieferung von dem historischen Lehrer (dem Buddha Siddhartha Gautama), die Auffassung von überirdischen (lokottara) Buddhas, die nur vollendeten Frommen sichtbar werden, und schließlich die Idee vom absoluten Dharmakaya, der zugleich immanenten und transzendentenWirklichkeit undWahrheit, harmonisiert werden mussten. So entstand im 1./2. Jh.n.Chr. in der Buddhismusschule der Vijnanavadins das System der Drei Leiber (trikaya), welches eine Dreierstaffelung nach Realitätsgraden enthielt.

Zunächst den karmisch bedingten materiellen Leib. Sodann, da der Buddha natürlich in gesteigertem Maß die allen Heiligen zugeschriebenen Wunderkräfte besitzt, den durch die Anwendung magischer Kräfte heraufbeschwörbaren Leib, und schließlich den Dharma-Leib. Hieraus entwickelte sich dann die mahayanische Dreileiber-Lehre, welche die Überlieferung vom historischen Buddha, die Auffassungen von einem überirdisch-transzendenten Buddha und die philosophische Idee einer absoluten Buddhaheit harmonisierte. Die Dreileiber-Lehre, die in einem wiedererstarkenden hinduistischen Umfeld die Wünsche der Gläubigen nach übernatürlichen Gestalten zu befriedigen vermochte, legt drei Aspekte Buddhas fest:

1. Auf der unteren Stufe ist es (neben einigen wenigen anderen Buddhas dieses Weltzeitalters) der historische Raja-Sohn Buddha Gautama mit seinem irdischen, grobstofflichen Körper (nirmanakaya). Er ist wie jeder Mensch Alter, Krankheit und Tod unterworfen.

2. Über dem irdischen Buddha steht auf der mittleren Stufe eine Vielzahl von feinstofflichen, transzendenten Buddhas, von denen die grobstofflichen Buddhas erst durch Emanation (Hervorbringung) erzeugt werden. In ihren "Körpern der Wonne" (sambhogakaya) genießen sie als nicht mit den Sinnesorganen wahrnehmbare, nur spirituell erfahrbare Wesen die Früchte ihrer angesammelten Verdienste. Es handelt sich hier um die Übernahme vishnuitischer Emanationsgedanken, wonach aus einem transzendenten Hochgott bestimmte Gestalten hervorgehen können.

3. Diese transzendenten Buddhas wiederum sind auf die höchste Erscheinungsform Buddhas als "Körper der Lehre" (dharmakaya, das Wort dharma hat den Doppelsinn von "Wahrheit" und "Lehre") zurückzuführen, hier auf der höchsten Stufe trägt der Buddha gottähnliche Züge. Der Dharmakaya ist der Wesenskern aller Buddhas und existiert durch alle Zeiten. Der Dharmakaya ist das mitWorten nicht zu beschreibende Höchste, das überpersönliche Absolute, die dualitätsfreie transzendente Wahrheit und Wirklichkeit. Er ist ewig, unwandelbar und allgegenwärtig und seinWirken endet niemals. Er ist die Leerheit, die alles bedingt, und damit das Absolute, an dem jeder, wissentlich oder unwissentlich, teilhat - die Essenz des Universums.

(Der Dharmakaya deckt sich mit Vorstellungen des Abendlandes, wonach alle Dinge innerhalb einer als "Natur" bezeichneten Ganzheit existieren.)


Viele Buddhas

Der Dharmakaya lässt sich nicht mit Worten erfassen, er ist ohne jegliches Kennzeichen, das eine Beschreibung möglich machen könnte. Dennoch fand, wie wir sehen werden, die menschliche Sehnsucht nach Vergöttlichung Wege, ihn zu personifizieren und ihm einen Kult zu verschaffen.

Der historische Buddha Gautama hatte erklärt, dass es bereits vor ihm voll erwachte Buddhas gegeben habe, dass aber nie mehrere Buddhas gleichzeitig in der Welt auftreten würden. Jeder Buddha sei einer bestimmten Zeitperiode zugeordnet. Waren deshalb die Hinayana-Buddhisten noch überzeugt, dass es zwar im Ablauf der Geschichte, niemals aber gleichzeitig, etliche Buddhas gegeben habe, so empfanden die Mahayana-Buddhisten dies als Mangel, weil ein Buddha allein dem umfangreichen Leiden in der Welt nicht abhelfen könne. Sie vertraten die These vom gleichzeitigen Auftreten mehrerer, letztlich unendlich vieler Buddhas.

Betont wurde der Gedanke der Gleichzeitigkeit, indem man vier von fünf besonders herausgehobenen Buddhas eine Raumgegend zuordnete, insbesondere den Amithaba als Buddha eines im Westen gelegenen Paradieses benannte. Entsprechend wurden der Buddha Amoghasiddhi einem nördlichen, der Buddha Akshobhya einem östlichen und der Buddha Ratnasambhava einem südlichen Weltquartier zugeordnet. Im Zentrum der vier Himmelsrichtungen steht, fünftens, der nur in unserer leidhaften Saha-Welt tätige historische Buddha Gautama, der "Shakyamuni" (der Weise aus der Shakya-Familie). Aus "Buddhas der Zeit" waren so "Buddhas der Raumgegenden" geworden. Mit (Wieder-)Geburt in einem Buddha-Land erhofften sich nun die Gläubigen, von hier aus das eigentliche Heilsziel, das Nirvana, erreichen zu können.

Mit der Festlegung auf die Glück verheißenden vier Buddhas der Raumquartiere im 3. Jh.n.Chr. verkümmerte das Interesse an dem bisherigen Zentral-Buddha Shakyamuni, dem historischen Buddha. Denn da er in unsererWelt der Erscheinungen nur ein unreines, leidbehaftetes Buddhaland, nicht aber ein transzendentes Paradies verwaltet, rückte er in der Wertschätzung der Gläubigen in den Hintergrund, wurde fast vergessen. Es geschah dann ausgerechnet im fernen Tibet, dass dem Zentralbuddha wieder Geltung verschafft wurde, wenn auch unter anderem Namen.

Das älteste Buch des Tantra-Buddhismus, das "Tantra der Geheimversammlung" (Guhyasamaja-Tantra, 5. Jh.n.Chr.), enthält die Aussage, dass die vier Buddhas der Raumgegenden aus der tiefen Meditation (samadhi) eines gewissen Buddha Maha-Vairocana hervorgegangen seien, der deshalb auch als "Vater der vier Raumbuddhas" bezeichnet wird. Bei ihm handelt es sich um niemanden anders als den Transzendenten Buddha Shakyamuni. Zwar werden alle fünf transzendenten Buddhas als identisch mit dem Absoluten angesehen, Vairocana ist aber noch ein Stückchen höher das personifizierte Absolute. Im 8. Jh. wird Vairocana zum "Ur-Buddha" (Adibuddha) erklärt.

Vairocana/Adibuddha war somit auf die höchste Ebene des Dharmakaya, des Absoluten aufgerückt und zu dessen Personifizierung geworden. In seiner Gestalt wurde nun zur Freude der Gläubigen das Absolute bildnerisch darstellbar und konnte als Kultbild verehrt werden. Der eigentlich völlig unbeschreibbare Dharmakaya hatte nun Hände und Füße, eine menschliche Gestalt bekommen.


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Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
43. Jahrgang, Mai - August 2011/2555, Nr. 2, Seite 15-17
Herausgeber: Buddhistischer Bund Hannover e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Mai 2011