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PRESSE/920: Die Rhetorik des indischen Buddhismus (DMW)


Der Mittlere Weg - Nr. 2, Mai - August 2011
Zeitschrift des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

Die Rhetorik des indischen Buddhismus

Von Willfred Hartig


Der nachfolgende Text ist ein Ausschnitt aus der Baccalaureus-Dissertation des Verfassers "Das Prinzip Kommunikation, Vorentwurf zu einer Kommunikationsontologie" von 2004 und zugleich eine Vorabzusammenfassung seines Projektes der "Wiederherstellung der indo-buddhistischen Rhetorik", die im nächsten Heft DMW beschrieben werden soll. Dort wird er u.a. den Nachweis führen, dass es neben der griechisch-römischen Rhetorik des Westens auch eine indo-buddhistische des Ostens gibt. Der Verfasser ist sowohl Buddhistischer Grundlagenforscher als auch Rhetoriklehrer. (s. dazu auch seinen vorherigen Aufsatz in Heft 3/2010, im Schattenblick zu finden unter: www.schattenblick.de -> Infopool -> Religion -> Buddhismus -> PRESSE/897: Rede- und Gesprächskommunikation in Süd-Asien/Ost-Asien und Indo-Buddhismus (DMW))


In Nordost-Indien bemühte sich schon sehr früh niemand anders als Siddhattha Gotama Buddha (nach von H. Bechert revidiertem Zeitansatz: ca. 440-360 v.d.Zw.), mit Abstand Indiens größter Denker und Heilslehrer, - im diametralen Gegensatz zu den unmenschlichen "Feuer-und-Schwert-Missionen" der Glaubensreligionen - für seine missionarische Bewegung möglichst eindeutig ausgewogene Kommunikations-Leitlinien fest zu legen, an die, mit dem Ordensgründer als Vorbild, sich die streitlosen und friedfertigen Boten der Buddha-Lehre in ihrer "Wort-und-Schrift-Mission" halten konnten. Darum sollen die Sprech-Aussagen des Buddha selber und seiner Mönchsgefolgschaft sein: "Angenehm im Stimmklang, wohl gesetzt im Redevollzug, von feinem Ausdruck, ohne Steckenbleiber, von deutlicher Aussprache, geeignet zur Verständlichmachung der Sinn-Aussage" (MN 95, 167 u. ö.).

Etwa ein Dutzend mal findet diese Standardformel im indo-buddhistischen "Kanon der Lehrvorträge und Lehrgespräche" (suttanta) Erwähnung. Bisweilen treten noch folgende Kriterien hinzu: "durchdringend und ungekünstelt" (SN XXI, 280), "sachbezogen, nicht beziehungslos" (AN V, 167,196), "reich an Sinngehalt, mit Aufweisungen zum rechten Zeitpunkt, klar umrissen, zur Sache" (DN 30, 2,27; MN27, 180, u. ö.). An dieser geradezu fundamentalen Auflistung rhetorischer Kriterien erkennen wir ohne weiteres, wie sehr der Buddha auf die Einhaltung des Gleichgewichts von Darlegungsoder Vortragsweise ("Wie") und Aussage-Inhalt oder -Sinn ("Was") achtet. Davon zeugen einerseits Wörter wie Stimmklang, Ausdruck, Aussprache, Sprechfluss, andererseits Wörter wie Wohlgesetztheit des Aufbaus, Verständlichmachung der Sinn-Aussage, Sinngehaltsreichtum, Sachbezogenheit.

Was den Beobachter allerdings überraschen mag, ist das scheinbar völlige Fehlen der nonverbalen Komponente (Aussehen. Gestik, Mimik) innerhalb der Vortragsweise ("Wie"). Dies ließe sich zum einen daraus erklären, dass angesichts jahrtausendelangen Nicht-Vorhandenseins von Verstärkeranlagen der Buddha bei größeren Versammlungen ganz besonderen Wert auf die Stimmbildung seiner Mönche zur Übermittlung der Heils-Aussage legen musste als einzigem Weg, an die Zuhörer heranzukommen; zum andern daraus, dass angesichts der Dialekt-Vielfalt in Nord-Indien der Buddha vor allem darüber wachen musste, dass seine Boten der Lehre sich einer allgemein verständlichen Kommunikations- und Verkehrssprache bedienten, die für die verschiedenartigen Bewohner des Ganges-Beckens und der angrenzenden Gebiete einigermaßen verstehbar war. Dass die Inder und indischen Buddhisten (ähnlich wie Griechen und Römer) dennoch ein gestenfreudiges Volk waren, davon kündet unwiderlegbar die Ikonografie der Buddhastatuen mit ihrer eindrucksvollen Vielzahl von Handgebärden (mudra) und ihren Bedeutungen. (s. dazu den Beitrag des Verf. in Heft 3/2010 DMW)

Einmal jedoch braucht der Buddha eine ganz überraschende Formulierung zur Charakteristik der Lehrübermittlung: Sie solle "wortwörtlich und vollsinngetreu" (MN 32, 213) erfolgen. Was haben beide Wörter zu bedeuten? Das erste bedeutet eigentlich soviel wie "buchstabengetreu". Da jedoch zu Buddhas Lebzeiten und auch noch Jahrhunderte danach seine Lehre leider nicht aufgezeichnet wurde, kann es sich hier also nur um deren wortgenaues, wortwörtliches Überliefern handeln. Das zweite Wort jedoch gibt Rätsel auf. Es heißt auf Pali "kevala-paripunnam", auf Samskrit "kevala-paripurnam". Die Begriffe des "kevala" und "kaivalya" (All-einig, Einziges, Vollkommenheit, Ganzheit, Fülle, Heil) ebenso wie des "pari-purnam" (erfüllt, vollfüllt) weisen direkt zurück auf Buddhas denkerische Herkunft aus dem früh-upanischadischen Denken. Hier wird die Erfüllung des Voll-Sinnes, m. a. W. die Gesamt-Aussage, d. h. die zusammengehörige Ganzheit von Wie und Was und damit auch von verbaler und nonverbaler Kommunikation beschworen. Das ist die Krönung buddhistischer Kommunikation. Das "kevala-paripurnam" ist das indische Gegenstück zu Heideggers Begriff der >Wesung<.

Nun folgt eine gezielte Abmahnung Buddhas an die Adresse der Schnell-Redner, in der es u. a. heißt: "Man rede hastlos, nicht hastig, ... denn zusammenhanglos und unverständlich ist der Hastig-Redner" (M N 139, 234). Wir erkennen hieran ganz besonders, welche hohe Bedeutung der Buddha in der Kommunikation der Sprechd. h. Übertragungs-Geschwindigkeit beimisst. Er wendet sich mit großer Entschiedenheit gegen die Unart des Schnell-Redens. Denn wie soll der Sinngehalt vermittelt werden? Wie soll die Zuhörerschaft ein klares Verständnis der Buddha-Botschaft und ihrer Wahrheit je entfalten können, wenn die zu hohe Sprechgeschwindigkeit (+ aufmodulierte Botschaft) der Vortragsweise seitens des Senders keine Rücksicht auf die ungeübte Auffassungsgabe und langsamere Verstehensgeschwindigkeit der Empfänger nimmt? Hier muss ein vernünftiges Gleichgewicht zwischen Wie and Was hergestellt werden. Doch an sich selbst legt der Buddha noch strengere Maßstäbe, wenn er sein eigenes Sprecherprofil umreißt:

"Acht Merkmale eignen der Vortragsweise aus dem Munde des Meisters Gotama: Sie ist klar artikuliert und verständlich, angenehm und hörer-freundlich, voll tönend (sonor) und nicht brüchig, tiefgründig und tragend. Wenn Meister Gotama zu einer Versammlung spricht und sich mit der Stimme verständlich macht, dann dringt seine Stimme nicht über die Versammlungsrunde hinaus" (MN 91, 140).

Anders gesagt, sie ist weit tragend, aber nicht überschrien. Jedoch auch hier wird deutlich, wie vielWert bei sich selber der Buddha legt auf die Ausgewogenheit von eindringlicher Vortragsweise (Wie, lautliche Darstellung, Laut-Gestalt) und von der bei ihm damit aufs Engste verbundenen Sinn-Aussage (Was, Sinn-Gehalt, vgl. hörer-freundlich, verständlich, tiefgründig).

So entwickelt der Buddha auf Grund dieser Kriterien eine wahrhaft erstaunliche vierfache Sprechertypologie: "Vier Sprecher gibt es, meine Mönche. Und welche vier? Es gibt einen Sprecher (1), der sowohl die Laut-Gestalt als auch den Sinn-Gehalt nicht meistert. Es gibt einen Sprecher (2). der die Laut-Gestalt nicht meistert, wohl aber den Sinn-Gehalt. Es gibt einen Sprecher (3), der den Sinn-Gehalt nicht meistert, wohl aber die Laut-Gestalt. Es gibt einen Sprecher (4), der sowohl die LautGestalt als auch den Sinn-Gehalt meistert (AN IV, 139). Im Pali-Text lautete die vom Verf. korrigierte Sprecher-Reihenfolge ursprünglich zwar (3), (2), (1), (4). Durch diese Umstellung sehen wir jedoch noch schärfer, wie die Darlegung vom völligen Ungleichgewicht über ein teilweise gestörtes zum völligen kommunikativen Gleichgewicht übergeht.

Auch fällt auf, dass insbesondere in den Fällen (1) und (4) die Laut-Gestalt in der Reihenfolge vor dem Sinn-Gehalt rangiert. Ist das nicht ein immanenter Nachweis für den zutiefst rhetorischen Charakter der Pali-Sprache? Aber ist es nicht zugleich genial, wie der Buddha anhand dieses Dualismus von Darstellung (Wie) und Aussage-Sinn (Was) zu einer professionellen Typenlehre vordringt? Dabei liegt jene bewundernswerte, glasklare Aufstellung immerhin schon 2.400 Jahre zurück. Doch an den Kriterien hat sich seither nichts geändert. Dieses unablässige Ringen um den optimalen Redner/Sprecher müssen wir hier einmal gebührend würdigen!

Abschließend noch eine kommunikative Selbsteinschätzung des Buddha, von ihm vorgetragen vor seiner Mönchsgemeinde: "Wie der Wegvollender redet, ihr Mönche, so handelt er auch, und wie der Wegvollender handelt, so redet er auch; also handelt er so, wie er redet und redet so, wie er handelt. Deshalb heißt er der Weg-Vollender (tatha-gato)" (It.112). Dies ist der Übergang von der Rede zur Tat genau so, wie es der achtstufige buddhistische Heilsweg erfordert. Mit diesem Wort verwirklicht S. G. Buddha im fernen Nord-Indien bereits 300 Jahre früher als M. T. Cicero das Ideal des vollendeten Redners (orator perfectus) und des "Ins-Werk-Setzers der Wahrheit" (actor veritatis), von dem der Römer sprach, aber nur träumen konnte. Es mutet uns auch an wie die kühne Vorwegnahme des englischen Ausspruchs "Practise what you preach, and preach what you practise!". Dieses Buddha-Zitat ist darum mehr als erstaunlich und sollte weltweites Aufsehen und Nachdenken erregen.

Als Zeugnis dafür, dass diese Gleichgewichtslehre bis weit in die nachklassische Zeit Indiens bestand, bezeugt folgendes Sanskrit-Gedicht des Lyrikers Hrsikesa:

Wenn jene glückliche Verbindung
von Klang und Inhalt
den Kenner mit Befriedigung erfüllt,
dann ist dies wahre Poesie.


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Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
43. Jahrgang, Mai - August 2011/2555, Nr. 2, Seite 18-20
Herausgeber: Buddhistischer Bund Hannover e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2011