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PRESSE/922: Fleischlos essen oder nicht? (Buddhismus aktuell)


Buddhismus aktuell, Ausgabe 3/2011
Zeitschrift der Deutschen Buddhistischen Union

Fleischlos essen oder nicht?
Was der Buddha lehrte

Von Paul Köppler


Die buddhistischen Traditionen halten es unterschiedlich mit dem Essen von Fleisch. Schon zu Zeiten Buddhas gab es Verwirrung darüber, was der Buddha dazu lehrte. Aber die Antworten des Buddha sind für den Autor klar und empfehlen uns eine vegetarische Ernährung.


Es ist richtig, dass sich in den überlieferten Reden und Lebensregeln des Buddha kein klares Gebot finden lässt, das den Verzehr von Fleisch verbietet. Das ist nicht verwunderlich, finden sich doch in ethischen Regeln des Buddha für Laien prinzipiell keine Gebote, sondern sogenannte Richtlinien oder Übungen, die uns helfen sollen, in bestimmten Bereichen unseres Lebens achtsamer zu werden und damit karmisch negativ wirkendes Handeln zu vermeiden. Die erste der fünf Richtlinien lautet: "Das Töten und Verletzen von lebenden (genauer: atmenden) Wesen zu vermeiden, diese Übung nehme ich auf mich." Weil uns der Buddha in die eigene Verantwortung stellt, wird das bis heute von vielen Buddhisten leider als Einladung missverstanden, Fleisch zu essen und den buddhistisch Ordinierten anzubieten.


Die Absicht zählt: Leid vermeiden

Wie bei all diesen Richtlinien geht es darum, selbst zu prüfen, was man vermeiden kann, um weniger Leid zu verursachen. Wenn wir solche Richtlinien hören, dann verstehen wir gerne: Du sollst nicht töten und verletzen und wenn du es tust, dann geht es dir schlecht. Als Folge dieses eingeschränkten Verstehens ergeben sich folgende Reaktionen:

- Wir versuchen, diese Regel perfekt einzuhalten. Doch das geht nicht, weil wir als Menschen, um zu überleben, immer in die Gefahr kommen, andere Wesen zu schädigen.

- Wir verurteilen andere und halten sie für schlechte Buddhisten.

- Wir verurteilen uns selbst, wenn wir merken, dass wir gegen die Regel gehandelt haben.

- Wir finden eine Ausrede, die uns ermöglicht, gegen die Regel zu handeln oder sie gänzlich aufzugeben, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Ein Übersetzer der Mittleren Sammlung von Buddhas Reden geht in einem Kommentar so weit zu behaupten: "Fleischessen mit einer subtilen Form des Tötens gleichzusetzen, beruht auf einem falschen Verständnis von Kamma."

Ich denke, dass alle genannten Haltungen nicht den Beifall des Buddha fänden. Der erste Schritt in Bezug auf die Richtlinien sollte darin bestehen, zu überprüfen, ob irgendeine schädigende Absicht vorliegt. Negatives Karma entsteht, wenn ich weiß, dass eine Handlung Leiden hervorbringt, und sie dennoch ausführe. Es ist die Absicht, die zählt. Der zweite Schritt könnte deshalb darin bestehen zu prüfen, ob mein Verhalten Leid verursacht, und wenn ich das bejahe, Wege zu suchen, dieses Leid zu vermeiden. In diesem Sinn ist die Richtung, die uns der Buddha weist, eindeutig. Wer sich bewusst ist, dass das Essen von Fleisch atmende Lebewesen verletzt und tötet, der sollte sich darum bemühen, wo es möglich ist, das Essen von Tieren zu vermeiden.

Dass die Absicht beziehungsweise das Wissen entscheidend für negative Wirkung ist, zeigen zwei Geschichten aus Buddhas Leben. In der ersten geht es um einen blinden, jedoch erwachten Mönch, der in der Nacht vor seiner Hütte die Gehmeditation praktiziert und dabei viele kleine Insekten, die der Wind gebracht hat, mit seinen Schritten tötet. Die anderen Mönche sind darüber aufgebracht, doch der Buddha erklärt ihnen, dass der Mönch ohne Schuld sei, da er von den Auswirkungen seiner Handlung nichts wusste.

Die andere Geschichte berichtet von einem Vogelfänger, der die Tiere äußerst grausam behandelte und als Folge davon wahnsinnig wurde.

Wenn wir etwas prüfen und genau sehen, welches Leid damit verbunden ist, dann fällt es in unsere menschliche Verantwortung, Handlungen, die Leiden erzeugen, zu unterlassen. Stellen wir uns vor, der Buddha würde heute leben. Ich denke, er würde auch dann kein Gebot aussprechen, doch ich könnte mir vorstellen, dass er über die unglaublichen Ausmaße des Leidens, das durch die Massentierhaltung täglich entsteht, sprechen würde. Vielleicht würde er auf die Zusammenhänge zwischen unserem übertriebenen Fleischkonsum, den Umweltschäden und den Folgen für unsere eigene Gesundheit hinweisen. Es wäre möglich, dass er uns unsere Verantwortung aufzeigen und an unsere Einsicht appellieren würde. Vielleicht würde er sogar angesichts der dramatischen Entwicklung bestimmte Richtlinien verbindlicher formulieren oder zumindest klare Empfehlungen aussprechen.

Sollten wir Buddhas Stimme in uns hören, dann dürfen wir nicht vergessen, uns nicht über andere zu erheben, sie zu verurteilen oder fanatisch zu werden. Im Bewusstsein, dass auch wir selbst, wie alle nicht erwachten Wesen, von Gier und Hass bestimmt werden, können wir bescheiden bleiben und unser Bestes versuchen, ohne uns für etwas Besseres zu halten.


Ordensregeln: Spielraum für Interpretationen?

Es gibt jedoch noch einen zweiten, wesentlichen Grund, warum in Bezug auf die Ernährung so unterschiedliche Interpretationen im Buddhismus möglich sind. Das liegt an den Regeln für Mönche und Nonnen. Diese sind weitgehend eindeutig und klar. So gibt es beispielsweise eine Regel, dass Ordinierte zur Unzeit, das heißt nach der Mittagszeit, keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen dürfen. Es gibt allerdings keine Regel die besagt, dass Mönche oder Nonnen kein Fleisch essen dürfen. Im Gegenteil. Es gibt sogar eine Geschichte aus Buddhas Leben von einem rebellierenden Mönch, der unter anderem die vegetarische Ernährung verpflichtend einführend wollte, was jedoch von Buddha abgelehnt wurde. Warum? Die Antwort ist ganz einfach. Die Verpflichtung, nur vegetarische Nahrung zu sich zu nehmen, käme in Konflikt mit einer anderen, für den Buddha wichtigeren Regel. Diese Regel legt fest, dass der Orden ein Bettelorden ist. Mönche und Nonnen dürfen nicht selbst Nahrung erzeugen, kaufen oder zubereiten, sondern sind vollständig auf die Gaben anderer Menschen angewiesen. Man muss sich das so vorstellen. Die Mönche gingen am Vormittag in ein Dorf, stellten sich an eine Tür, hielten, ohne den Geber anzuschauen, ohne ein Wort zu sagen, ihre Bettelschale hin und warteten auf Gaben. Alles war da zu nehmen und wenn die Schale gefüllt war, setzte sich der Mönch an einen einsamen Platz und aß. Das ist eine wichtige spirituelle Praxis und im Sinne dieser Übung ist es für den Empfangenden nicht möglich, Wünsche nach bestimmter Nahrung zu äußern oder auszuwählen. Was gegeben wird, wird genommen. Später wurden der Buddha und seine Mönche auch in Häuser eingeladen, doch auch da bestand der Buddha auf die gleiche Art des Nehmens. Wie wichtig solche Vorschriften für die Praxis waren, sieht man schon daran, dass alle diese kleinen Dinge des täglichen Lebens genau geregelt sind, zum Beispiel wie man die Nahrung annimmt, wann man reden darf und was man mit den Essensresten tun soll.

Diese Spannung zwischen der Regel des Nehmens und der des Enthaltens vom Töten hat auch schon zu Buddhas Zeiten zu Verwirrung, Fragen und Vorwürfen geführt. Es gibt darüber die äußerst aufschlussreiche Rede 55 aus der Mittleren Sammlung (übersetzt von Kay Zumwinkel). Darin stellt der Arzt Jivaka dem Buddha eine Frage, die wir heute ebenso berechtigt stellen könnten. Er fragt, ob es richtig ist, dass der Mönch Gotama "wissentlich Fleisch isst, das für ihn zubereitet wurde, von Tieren, die um seinetwillen getötet wurden."

Darauf gibt der Buddha eine interessante Antwort, die leider in ihrer Konsequenz bis heute von Buddhisten weltweit nicht beachtet wird. Er sagt: "Jivaka, ich sage, dass es drei Fälle gibt, in denen Fleisch nicht gegessen werden sollte: Wenn man sieht, hört oder vermutet, dass das Lebewesen für den Mönch geschlachtet worden ist."

Das ist eigentlich eine klare Aussage, lässt jedoch scheinbar bis heute den verschiedenen Auslegungen jeden Spielraum. In vielen buddhistischen Klöstern ist es heute üblich, dass die Laien täglich Essen mit Fleisch bringen und die Mönche es annehmen. Natürlich kann sich jeder Mönch sagen, dass ja kein Tier extra für ihn geschlachtet wurde. Ich denke, hier wäre es heute angebracht, genauer zu prüfen. Wurde nicht auch für die Mönche geschlachtet, wenn Laien schon mit den Gedanken an eben diese Mönche Fleisch kaufen, zubereiten und bringen? Wäre es da nicht angebracht, zu fragen, ob das Essen für den Mönch extra zubereitet wurde? Läge da nicht wenigstens eine solche Vermutung nahe, die alleine schon zum Ablehnen dieser Nahrung berechtigen würde? Ich denke, die Mönche und Nonnen hätten genügend Mittel, entsprechend den Regeln des Buddha Fleisch abzulehnen.


Verantwortung der Laien

Noch entscheidender ist es jedoch, dass der Buddha in dieser Rede den Ball zurück an die Laien spielt. Er sagt, wenn ein Laie Fleisch für den Buddha oder seine Schüler schlachtet, dann erwirbt er sich damit große Nachteile und nicht etwa Verdienste, wie manche denken. Ich denke, als Laie kann man sich nicht damit aus der Verantwortung entlassen, dass man heute kaum mehr ein Tier selbst schlachtet. Kaufen heißt, dem Schlächter den Auftrag zu geben, immer weiter zu schlachten.

Der Buddha spricht von vielen Nachteilen, die man erfährt, indem das Tier Schmerz und Trauer erlebt und indem man Schüler des Buddha und Erwachte mit "unzulässiger Nahrung" versorgt.

Ich bin der Überzeugung, wer diese Aussage ernst nimmt und sich bemüht, lebende Wesen nicht zu töten, der kann gar nicht auf die Idee kommen, Mönche und Nonnen mit Fleisch zu versorgen.

In dieser aufschlussreichen Rede gibt es noch zwei Hinweise, die für die Ernährung von größter Bedeutung sind, und diese sind geistiger Natur. Wenn ein Mönch oder eine Nonne eingeladen ist, dann sollte er oder sie die Nahrung mit folgender Einstellung zu sich nehmen: "Er denkt nicht: Wie gut, dass jener Haushälter (...) mich mit guter Almosenspeise versorgt. Ach, wenn mich doch ein Haushälter auch künftig mit solch guter Almosenspeise bewirten möchte. So denkt er nicht. Er isst jene Almosenspeise, ohne daran gefesselt zu sein, ohne davon betört zu sein, ohne daran zu hängen, indem er die Gefahr darin erkennt und versteht, wie man ihr entkommt." Auf diese Weise nimmt man eine Nahrung zu sich, ohne irgendein Leid für sich selbst oder für andere zu verursachen.

In keiner Weise an der Nahrung zu hängen, das ist eine Übung der Achtsamkeit, die auch für uns westliche Menschen eine tiefe spirituelle Praxis darstellt.

Der zweite Hinweis befindet sich gleich am Anfang dieser Rede, wodurch seine Wichtigkeit hervorgehoben wird. Da heißt es, dass ein Mönch, der sich seiner Abhängigkeit von einer Dorfgemeinschaft bewusst ist, ehe er zum Betteln geht, alle Menschen in allen Himmelsrichtungen mit einem Herzen, dass von Liebender Güte erfüllt ist, durchdringt. In anderen Reden lehrt der Buddha verschiedene Betrachtungen, die man vor dem Essen durchführen soll, damit man auf eine bewusste und dankbare Weise das Essen zu sich nimmt. In der Rede 53 der Mittleren Sammlung (übersetzt von Kay Zumwinkel) heißt es: "Mit weiser Betrachtung nimmt da ein edler Schüler Nahrung zu sich, weder zum Spaß noch zur Berauschung, noch zum Schmücken, noch zur Verschönerung, sondern nur, um diesen Körper am Leben zu erhalten, ihn zu ernähren, um das Unbehagen (des Hungers) zu beenden und um das heilige Leben zu fördern."

Ich verwende bei meinen Kursen gern folgende fünf Betrachtungen, die auf den Anweisungen des Buddha beruhen:

1. Ich werde diese Mahlzeit achtsam einnehmen und bescheiden sein.

2. Ich danke allen Wesen, die zu diesem Essen beigetragen haben, und sende ihnen meine guten Wünsche.

3. Ich werde diese Nahrung zu mir nehmen, ohne von Gier bestimmt zu werden und ohne Anhaften.

4. Ich werde darauf achten, mich gesund zu ernähren, denn ich bin mir bewusst, dass diese Nahrung dazu dient, mein Leben zu erhalten.

5. So werde ich meine Lebenskraft lange erhalten, um den Weg zur inneren Befreiung vollenden zu können.

Nach dem Essen sollte man erneut die Gelegenheit ergreifen, die Übung der Liebenden Güte zu praktizieren. Einsicht in die Verbundenheit mit allen Wesen, Dankbarkeit und Mitgefühl werden uns jenseits von Richtlinien und Regeln die inneren Werte geben, die uns ermöglichen, solche Nahrung zu uns zu nehmen, die uns und anderen möglichst wenig Leid und viel Freude ohne Anhaften bringt.


Dr. Paul Köppler entdeckte vor über 30 Jahren den Buddhismus für sich. Seither widmet sich der Meditationslehrer (Schüler von Ruth Denison, Godwin, Thich-Nhat-Hanh u. a.) und bekannte Buchautor der Integration buddhistischer Lehren in die westliche Kultur. Er gründete 1984 den Verein "Buddhismus im Westen" und ist Leiter des Waldhauses am Laacher See, eines angesehenen buddhistischen Zentrums.

Weitere Infos unter: www.paul.koeppler.de
www.waldhaus-am-laacher-see.de


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Quelle:
Buddhismus aktuell, Ausgabe 3/2011, S. 42-43
Herausgeberin: Deutsche Buddhistische Union (DBU)
Buddhistische Religionsgemeinschaft e.V.
www.dharma.de
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juli 2011