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PRESSE/926: Menschheitserlösung aus Japan? (DMW)


Der Mittlere Weg - Nr. 3, September - Dezember 2011
Zeitschrift des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

Menschheitserlösung aus Japan?
Die volksreligösen Bewegungen und der Nichiren-Buddhismus

von Axel Rodeck


Der Buddhismus setzt sich durch

Als im 6. Jh. der (Mahayana-)Buddhismus aus China über Korea nach Japan kam, erwies sich bald seine philosophisch-religiöse und kulturelle Überlegenheit. Denn die Shinto-Religion, auf die er stieß, war eine simple Mischung von Natur- und Seelenkulten, Ahnenverehrung und mythologischen Vorstellungen. Göttliche Wesen oder Geister ("kami") wurden in Schreinen verehrt. Bei Durchführung der Kulte spielte "Reinheit" eine große Rolle. Aus der Religiosität des Shinto ist keine Ethik hervorgegangen und diese Lücke wird dann (neben konfuzianischen) durch buddhistische Lehren geschlossen. Das gilt auch für die Beschäftigung mit Tod und Jenseits, mit denen der heimische Kult nichts zu tun haben wollte und die daher die Domäne des Buddhismus wurden.

Ende des 6. Jh. tritt mit dem Kronprinzen Shotoku Taishi ein kluger und gelehrter Mann in Erscheinung, der den Buddhismus nicht nur als Kami-Kult für den aus der Fremde zugezogenen Buddha ansieht, sondern als eine eigenständige Religion. Shotoku sichert die Vorrangstellung des Buddhismus und bevorzugt dabei das Lotos-Sutra wegen dessen magisch-mystischen Charakters, was sich bis heute auswirkt.

Das Lotos-Sutra heißt mit vollem Namen "Sutra von der Lotosblume des wunderbaren Gesetzes" (Sanskrit: Saddharmapundarika-Sutra, jap.: Myoho-renge-kyo) und gehört zu den wichtigsten Schriften der mahayanischen Literatur. Es wurde in seinem ältesten Teil im 1. Jh. geschrieben und soll die Kernlehre vom Einen Heilsweg für alle Lebewesen und vom alle Grenzen von Zeit und Raum übersteigenden Buddha entfalten. Durch seine erbaulichen Gleichnisse wurde es für die Massenfrömmigkeit Asiens das einflußreichste Werk der Sutra-Literatur. Auf seine Bedeutung für bestimmte Schulen in Japan werden wir noch zu sprechen kommen.

Gegen Ende des 7. Jahrhunderts ist das Nebeneinander religiöser Vorstellungen in Japan selbstverständlich geworden. Es werden erste buddhistische Tempel auf Schreinanlagen zugelassen, denn noch immer betrachtet dasVolk den Buddhismus lediglich als eine eigene Art der Kami-Verehrung. Im 9. Jh. beginnt dann eine Verweltlichung des Buddhismus, der später faktisch zur Staatsreligion wurde. Die Verbindung von Politik und Religion wurde offensichtlich. Denn nur der richtige Vollzug magischer Zeremonien konnte das irdische Glück des Volkes gewährleisten, das von einer Religion erwartet wurde. Die Schwerpunktverlagerung der Religionsausübung ins Magische zeigt sich insbesondere im "Shingon", der japanischen Version des Tantrismus.

Doch ein Niedergang des Buddhismus war nicht aufzuhalten. Die Verfallserscheinungen des Buddhismus führten im 13. Jh. zu Reformbewegungen, die auch der Rettung des Volkes dienen sollten:

a) Der Priester Nichiren kämpfte mit Fanatismus und Prophetenzorn gegen die Not des Volkes und gegen alle anderen buddhistischen Schulen. Dabei glaubte er an die im Titel konzentrierte magische Macht des Lotos-Sutra.

b) Aus China waren die Zen-Schulen Rinzai und Soto gekommen. Erstere wirkte vornehmlich in den oberen Gesellschaftsschichten, letztere machte unter ihrem japanischen Stifter Dogen mit dem Ideal der Weltentsagung Ernst; alleinige Zauberformel (dharani) ist die Zen-Meditation.

c) Die Schule vom "Reinen Land" beruhte auf dem Wunsch, den notleidenden Menschen der Endzeit einen leichten Heilsweg zu öffnen. In ihr schlossen sich die Gläubigen des transzendenten Buddha Amitabha (jap. Amida) zusammen. Shinran war der größte Reformator und verkündete die Heilserwartung durch fremde Hilfe, nämlich bei bedingungslosem Vertrauen in die erlösende Kraft des Buddha Amida.


Modernisierungsbestrebungen der Neuzeit

Im 20. Jh. war der japanische Buddhismus den Problemen der Neuzeit nicht mehr gewachsen, versagte hinsichtlich drängender sozialer Fragen. Ein Beispiel für Mißwirtschaft ist die Vererbung der Tempelbetreuung innerhalb der vornehmen Familien, welche diese wichtige Aufgabe zu einer weltlichen Berufstätigkeit machte.

Das Gesellschafts- und Menschenbild der Neuzeit führte dann in Japan zu einem eher humanistischen Verständnis der Buddha-Religion unter Einbeziehung der Naturwissenschaften und zu einer weitgehenden Entmythologisierung. "Der Buddhismus ist die einzige Weltreligion, die sich den naturwissenschaftlichen Geist anzueignen vermag" (Masunaga Reiho). Allerdings hat die Naturwissenschaft ihre Grenzen und kann z.B. nicht den Glauben der Amida-Buddhisten an eine Wiedergeburt im "Reinen Land" erschüttern.

Nach dem II. Weltkrieg wandten sich Japans BuddhistenWeltproblemen und Diesseitsaufgaben zu, auch wenn die Altbuddhisten die Diesseitsfunktion ihrer Religion abwerten oder leugnen. Man verweist zunehmend auf die Ursachenverknüpfung in gegenseitiger Abhängigkeit und betont die Sozialverpflichtung im Zuge der buddhistischen Erneuerung. Die neue soziale Ausrichtung trotz konservativer Proteste und mancher Überbleibsel aus der feudalistischen Vergangenheit beruht auf harter Selbstkritik der japanischen Buddhisten.

Viele von ihnen sehen gar im Urbuddhismus ihr neues religiöses Ideal. Der Shakyamuni Buddha Gautama war dem vom chinesischen Festland über Korea nach Japan eingezogenen (Mahayana-) Buddhismus immer fremd geblieben und der eigentlich ihm gebührende Platz an der Spitze wurde stets von den großen Patriarchen der jeweiligen Schulen eingenommen.

Das Aufkommen spontaner religiöser Volksbewegungen ist ein Merkmal der japanischen Neuzeit. Die besonders aktiven Nichiren-Schulen erfassten Anfang des vergangenen Jahrhunderts breite Volksschichten, die in Nichiren, der in einer Zeit des Untergangs als einziges Heilmittel die Bekehrung zum wahren Dharma gepredigt hatte, ein Vorbild sahen. Nichiren hatte den Seinen ein diesseitiges Buddha-Land versprochen, welches durch die recht anspruchslose Betätigung des Lotosglaubens erreicht werden könne. Alle zahlenmäßig großen modernen buddhistischen Volksreligionen gehören der Nichiren-Linie an. Schulen im Geiste Nichirens sind:

a) Die Vereinigung Kokuchukai. Sie wurde 1914 gegründet und war ursprünglich dem Zeitgeist entsprechend sehr nationalistisch. Nach dem II. Weltkrieg wurden Menschenglück und Weltfrieden in den Mittelpunkt gesetzt. Der Grundsatz der Trennung von Politik und Religion wird von ihr strikt beachtet.

b) Auch die 1917 gegründete Bewegung Nihonzan Myohonji Daisanga war ursprünglich nationalistisch. Mitten im blutigen Kriegsgeschehen des Pazifikkrieges erfuhr jedoch der damalige Führer der Bewegung, Fujii Nichitatsu, eine innere Wandlung, predigte gegen den Krieg und begründete den Pazifismus der Bewegung.

c) Auch die Reiyukai-Bewegung von 1925 ist eng mit dem Nichiren-Buddhismus verknüpft. Sie widmet sich besonders stark dem Ahnendienst und glaubt, dass hierzu die im Lotos-Sutra aufgezeigten Hinweise dienlich sind.

d) Eine Abzweigung der Reiyukai-Bewegung stellt Rissho Koseikai dar, die sich nach dem Kriege Erziehung und Sozialhilfe widmete. Sie will den mahayanischen Lotosglauben und den urbuddhistischen Heilspfad miteinander vereinbaren.

e) Auf die größte und bedeutendste Volksbewegung Soka-Gakkai gehen wir unten noch ausführlich ein.


Nichiren - ein buddhistischer Prophet

Nichiren wurde 1222 als Sohn armer Fischerleute in eine von Unruhen gepeinigte Welt geboren. Naturkatastrophen, gesellschaftliche Veränderungen und Kriegsgefahren quälten die japanische Bevölkerung. Mit 12 Jahren verließ er sein Elternhaus, studierte in verschiedenen Tempeln den Buddhismus und wurde mit 16 Jahren zum Priester geweiht. Anfang 1253 kam er erstmals zu der entscheidenden Erkenntnis, dass im Titel des Lotos-Sutras die tiefste Lehre des Buddhismus enthalten sei.

Von nun an vertrat Nichiren mit kämpferischem Geist seine Überzeugung vom ausschließlich zur Erleuchtung führenden Kern des Lotos-Sutras und machte sich damit bei der Obrigkeit wie auch bei den heftig angegriffenen anderen Buddhismusschulen recht unbeliebt. Besonders verärgert zeigte er sich über die buddhistischen Konkurrenten vom "Reinen Land", die mit bloßer Anrufung des Namens "Amida" ebenfalls einen wenig komplizierten Heilsweg anboten.

Als ab 1256 etliche Überschwemmungen, Erdbeben und sonstige Heimsuchungen dem Volke große Not gebracht hatten, glaubte Nichiren, die Ursache hierfür in den falschen Lehren der anderen buddhistischen Schulen zu erkennen. Er prophezeite, zusätzlich zu den schon eingetretenen Katastrophen würden noch zwei weitere kommen, eine Invasion aus dem Ausland und interner Bürgerkrieg. Die Obrigkeit war nun die ständigen Mäkeleien Nichirens leid und schickte ihn in die Verbannung auf der Halbinsel Izu, doch 1263 wurde er begnadigt.

Aber der Prophet gab weiterhin keine Ruhe, wurde 1271 erneut verhaftet und auf die Insel Sado deportiert. Als jedoch eine Invasion Japans durch die mongolische Flotte drohte und innerhalb japanischer Adelsfamilien heftige Machtkämpfe ausgebrochen waren, schienen diese Ereignisse die Prophezeiungen Nichirens zu bestätigen und 1274 wurde das Verbannungsedikt aufgehoben. Nichiren zog sich in eine Hütte am Fuß des Berges Minobu zurück und widmete sich seiner Lehre vom "Mystischen Gesetz" bis zu seinem Tod im Jahre 1282.

Nichiren begriff sich als buddhistischen Propheten, der in Hinblick auf die erwartete, von Katastrophen begleitete Endzeit (jap. mappo) das alleinige Heil in der Rezitation eines Sutra-Namens erkannte. Auch sollte Japan, das heilige Land der Götter, die "Weihebühne" (kaidan, auch "Ordinationsplattform") für die Rettung der ganzen Welt sein - es besteht also ein die ganzeWelt umfassender Messianismus. Freilich war Nichiren nicht nur ein religiöser Fanatiker, sondern, insbesondere gegen Ende seines Lebens, ein wohlmeinender Menschenfreund. Schon bald nach seinem Tod rief sein Lieblingsjünger Nikko die erste Spaltung der Bewegung hervor, der dann noch viele folgen sollten.


Die Kernlehren Nichirens

In ihrer Konzentrierung auf den Titel des Lotos-Sutra stellt die Lehre Nichirens eine ungeheuer vereinfachte Form des Buddhismus dar. Demnach ist gemäß dem strikten Kausalgesetz von Ursache undWirkung der Mensch die Summe aller vorangegangenen Taten und durch das Zitieren des heiligen Mantras wird eine wirkungsvolle Ursache gesetzt, die alle negativen Ursachen der Vergangenheit ausgleicht und zum absoluten Glück führt. Das Lebenswerk Nichirens besteht aus der Verkündung folgender Geheimnisse:

a) Go Honzon (wörtlich "geehrter Hauptkultgegenstand" oder "das, was wir zutiefst verehren sollten") nennt man das von Nichiren persönlich verfertigte kultische Mandala (= mystische Zeichnung), welches symbolisch den Gesamtgehalt seiner Religion wiedergeben soll. Das Mandala ist ohne bildliche Darstellungen und besteht ausschließlich aus chinesischen Schriftzeichen in vertikaler Anordnung. Es drückt die absolute Wirklichkeit gemäß der Vision vom "Lotos-Sutra" aus und ist von universaler Wirkmächtigkeit. Die fünf Schriftzeichen in der Mitte enthalten die Anrufung des heiligen Namens "Namu Myoho-Renge-kyo" ("Ehre sei dem Lotos-Sutra vom wunderbaren Gesetz!"). Das Mandala soll von Nichiren seinem Jünger Nikko übergeben worden sein und wird heute im Tempel Daisekiji aufbewahrt.

b) Der heilige Name "Namu Myoho-Renge-kyo" umschließt gemäß Nichiren das ganze Lotos-Sutra und damit die gesamte Buddhalehre. Vor allem aber, so glaubt man, enthält er die Offenbarung des ewigen Buddha als absolute Wirklichkeit - und eben dieser Buddha der Endzeit ist Nichiren! Diese Verabsolutierung Nichirens als Buddha stützt sich auf die Geschichte der Reinkarnation des Bodhisattvas Visishtacaritra im 15. Buch des Lotos-Sutras. Dort heißt es, dass in der anbrechenden Endzeit ausgewählte Botschafter erscheinen werden, die zur Predigt des Lotos-Sutra befähigt sind.

Dadurch, dass die absoluteWirklichkeit konkret im Buddha Nichiren gesehen wird, entsteht die Möglichkeit, ihn anzubeten und ein dialogisches Gebetsbewusstsein mit theistischer Tendenz zu entwickeln. Die Anrufung und unablässige Rezitation des "Großen Namens" - bei Großveranstaltungen in einem gewaltigen Chor! - hat große psychologische Wirkung und tritt an die Stelle der von Nichiren abgelehnten yogischen Meditationspraktiken. Durch die Namensanrufung morgens und abends erfüllt der Gläubige täglich seine Gewinn bringende Pflicht.

Für den sich als Endzeit-Buddha sehenden Nichiren ist das japanische Land Buddhaland und in der Endzeit werden alle Völker nach Japan als Mittelpunkt der Erde wallfahren. Der chauvinistische Charakter dieser Prophetie ist unverkennbar und sie wurde zur Zentralidee eines nationalistischen Nichirenismus. Das versprochene Heil ist weltlicher Natur - und hieraus ergeben sich die sozialpolitischen Aufgaben dieser religiösen Bewegung. Zur Erfüllung der Diesseitsversprechen des Lotos-Sutra fühlen sich die Soka-Gakkai-Gläubigen berufen.


Soka-Gakkai: Eine starke Bewegung

a) Die Anfänge

Mit ihrem fanatischen Glauben an ihre Absolutheit nimmt die auf Nichiren zurückgehende Volksbewegung "Soka-Gakkai" eine besondere Stellung ein.

Ausgangspunkt war der Volksschullehrer Makiguchi (1871 - 1944), der glaubte, bei seinen zunächst rein wissenschaftlichen Studien ein neues, für das Glück der Menschheit bedeutsames Wertesystem gefunden zu haben. 1928 wurde er Mitglied der damals noch unbedeutenden Sekte "Nichiren-Shoshu" und pflegte weiterhin seine auf den Nutzen für den kleinen Mann zugeschnittene Werttheorie, die das Nützliche als Hauptwert für das menschliche Leben zum Gegenstand hatte. In der Gründung einer "Wissenschaftlichen Vereinigung für werteschaffende Erziehung" im Jahre 1937 erfolgte dann eine Wende vom Pädagogischen zum Religiösen, nun trat der Glaube an das Lotos-Sutra gleichberechtigt neben dieWertlehre, überholte diese sogar.

Weil sich die kämpferische Sekte mutig der japanischen Regierung und den von ihr angeforderten Shinto-Riten widersetzte, wurden ihre Führer im Juli 1943 verhaftet. Während Makiguchi 1944 im Gefängnis starb, überlebte sein Jünger Toda die Haft. Dieser, ein ehemaliger weltgewandter Geschäftsmann, hatte sich Makiguchi angeschlossen, folgte ihm ins Gefängnis und entwickelte dort den für die Anhänger Nichirens so typischen Eifer. Als er die Nachricht vom Tode Makiguchis erhielt, gelobte er, den heiligen Namen des Lotos-Sutra zweimillionenmal zu rezitieren und begann auch gleich damit. Wahrscheinlich versetzte ihn die unaufhörliche Namensanrufung in einen ekstatischen Bewusstseinszustand.

Nach dem Kriege führte Toda die immer größer werdende Gesellschaft unter dem Namen "Soka-Gakkai" weiter, das heißt "Wissenschaftliche Vereinigung zum Werteschaffen" (das Wort "Erziehung" wurde also gestrichen). Toda appellierte besonders an die unteren Schichten im Nachkriegsjapan, die trotz Hunger und Arbeitslosigkeit nichts vom Kommunismus wissen wollten, und verkündete als wahres Heilmittel die Religion Nichirens. 1951 wurde Toda "Präsident", wie in Japan die modernen Führer der Volksreligionen genannt werden.

Mit aggressiver Werbung gewann Toda viele Mitglieder und errichtete eine bemerkenswerte horizontal und vertikal gegliederte Organisation. Deren paramilitärischer Aufbau sah vor, dass 15 Soka-Gakkai-Familien eine Zelle bilden, 6 Zellen eine Kompanie, 10 Kompanien eine Ortsgruppe und 30 Ortsgruppen ein von der Zentrale überwachtes Regionalzentrum.

Beim Rekrutieren von Mitgliedern wandte Toda konsequent die von ihm aus dem Lotos-Sutra abgeleitete "Shakubuku"-Methode an (jap. Shakubuku = "Unterwerfung"). Denn das Lotos-Sutra nennt unter dem Gesichtspunkt des "geschickten Mittels" (upaya) zwei unterschiedliche Arten, den Menschen zum Heil zu führen: Einmal die freundliche, tolerante Überzeugungsarbeit, zum anderen aber auch die aggressive Vorgehensweise, die - natürlich allein aus altruistischem Motiv! - den Partner gewaltsam auf den buddhistischen Weg bringt. Nichiren zeigte eine Vorliebe für letztgenannte Methode.

Auch heute macht sich die Soka-Gakkai-Bewegung durch aggressive Werbung unbeliebt, rechtfertigt dies aber mit der Gleichgültigkeit der Massen oder der Religionsverachtung vieler Intellektueller. Der derzeitige "Präsident" Ikeda mahnt allerdings zur Mäßigung und befürwortet unter Einbeziehung westlicher Ideen einen "buddhistischen Humanismus".

1958 starb Toda, sein Nachfolger wurde im Jahre 1960 Präsident Ikeda, der eine Öffnung seiner Bewegung zur gesamten Menschheit hin erstrebt.

Gemäß Soka-Gakkai gibt es keinerlei Beweis für die Erlangung eines Glücks im Jenseits, weswegen alle Anstrengungen auf ein Glücklichsein im Diesseits zu richten sind. Hier ist klar erkennbar, dass sich das Evangelium von der Glückseligkeit auf Erden an die auf der Schattenseite des Daseins lebenden Japaner richtet. Es liegt auf der Hand, dass der Gedanke einer sozialen Erlösung in einer Idealgesellschaft die Religion verlässt und zu Konflikten mit der Politik führt.

b) Religion und Politik

Die Grundlage der Massenbewegung Soka-Gakkai waren (s.o.) zum einen die Werttheorie Makiguchis, zum anderen die Sekte "Nichiren Shoshu", deren Bedeutung nicht verkannt werden darf. Denn die Begegnung und Durchdringung beider Gemeinschaften wird als Basis für die zum Beginn der Endzeit erwartete weltweite Verkündung des "Lotos-Sutra" nach dem Verständnis Nichirens gesehen. Nichirens "Wahre Schule" soll nun über die ganze Erde ausgebreitet werden. Freilich kam es ab 1980 zu heftigem Streit zwischen den beiden Bewegungen und 1991 trennten sie sich wieder voneinander.

Das politisch-religiöse Ideal Nichirens einer "Vereinigung von König und Buddha" beruhte auf altüberlieferten Vorstellungen und begründete das mit dem Einstieg in die Politik (1955) realisierte sozial-politische Engagement der Soka-Gakkai. Entgegen früheren Versprechungen verkündete Präsident Ikeda 1964 die Gründung einer politischen Partei (Komeito), wobei sich grundlegende Probleme bei der Frage einer Vereinbarkeit des Nichiren-Glaubens mit modernen Demokratievorstellungen ergaben. So ließen sich beispielsweise die Forderungen, das "Go Honzon" (s.o.) als Ausdruck der religiösen Einheit Japans ins Parlament einzuführen oder Japan als "Weihebühne" für die erwartete Menschheitserlösung auszugeben, kaum mit der demokratischen Verfassung des Landes vereinbaren (Art. 20). Geschickt wurde daher das völkische Prinzip zu einem weltweiten Universalismus umgestaltet. Es blieb aber das Problem einer Unvereinbarkeit von Politik und Religion: Das von Ikeda formulierte Prinzip "Politik auf der Grundlage der Religion" steht in deutlichem Gegensatz nicht nur zu den Grundsätzen eines laizistischen Staates, sondern auch zur traditionellen, seit der Tokugawa-Periode als Staatsraison erachteten Auffassung, nach der Religion Privatsache ist. Ikeda sah sich daher gezwungen, die von ihm gegründete Komeito-Partei wieder von der Religionsgemeinschaft Soka-Gakkai zu trennen. Dennoch blieb sie ihr politischer Arm.


Der Sprung auf die Weltbühne

Die Expansion des Nichiren-Buddhismus aus seinem Heimatland in die weiteWelt erfolgt unter modernisierten Vorzeichen. Im Jahr 1975 wurde die "Soka-Gakkai International" (SGI) gegründet, eine Organisation, die 1983 von den Vereinten Nationen als Nichtregierungs-Organisation anerkannt wurde und derzeit weltweit über 12 Millionen Mitglieder hat. Sie bezeichnet sich als Gesellschaft für Frieden, Kultur und Erziehung und hat eine Charta erarbeitet, wonach ihr Ziel die friedliche menschliche Koexistenz ist. Zur Erreichung ihrer Ziele gründet die SGI weltweit zahlreiche Einrichtungen für Bildung, Kultur und Friedensforschung. Nach Vorbild des "Club of Rome" werden die Zukunftsfragen unserer Welt behandelt und Lösungen erörtert.

Inzwischen ist die SGI in 192 Ländern vertreten und es erstaunt, dass sie selbst in traditionellen Theravada-Ländern Fuß fassen kann. So findet man sogar tief in Thailand, im nordöstlich zu Laos hin gelegenen Isan, in einem subtropischen Garten eine schmucke, aus erlesenen Materialien errichtete Anlage dieser Bewegung.

Schon 1970 wurde in Deutschland von Emigranten aus Japan die "Soka-Gakkai International Deutschland" (SGI-D) gegründet, die heute ungefähr 5.000 Mitglieder hat. Es handelt sich augenscheinlich um einen sehr aktiven, mehrheitlich wohl aus weiblichen Mitgliedern bestehenden friedlichen Personenkreis. In Bingen steht ein herrschaftliches Zentrum ("Villa Sachsen") für Veranstaltungen zur Verfügung. Gemäß dem japanischen Vorbild besteht eine strenge hierarchische Organisation und straffe Gliederung der lokalen Gruppen. Hauptsache ist das täglich zu betreibende "chanten" von "Nam-Myoho-Renge-kyo", allein oder in der Gruppe.

Die buddhistische Lehrverkündung ist dagegen recht einseitig und konzentriert sich auf die Aussagen Nichirens und seiner Nachfolger, insbesondere des zum Idol erhobenen derzeitigen SGI-Präsidenten Ikeda. Bei ihm handelt es sich um eine charismatische, welterfahrene Persönlichkeit mit großem sozialen Engagement und über 200 akademischen und sonstigen Ehrungen. Die Vielzahl seiner Veröffentlichungen steht der des Dalai Lamas, Thich Nhat Hanhs oder sonstiger buddhistischer Vielschreiber nicht nach.

Kommt also das Heil der Menschheit aus dem (fernen) Osten? Derzeit scheint dort mit Tsunamis, Erdbeben und atomaren Katastrophen eher alles Unheil zu Hause zu sein. Aber vielleicht sorgt das ja für die Endzeitstimmung, die nach einem buddhistischen Erlöser ruft - auch wenn es ein Kravattenträger sein sollte. Halten Sie sich bereit, Herr Ikeda.


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Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
43. Jahrgang, September - Dezember 2011/2555, Nr. 3, Seite 6-12
Herausgeber: Buddhistischer Bund Hannover e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. September 2011