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PRESSE/942: China zwischen Boom und Han San Wei I (DMW)


Der Mittlere Weg - Nr. 2, Mai - August 2012
Zeitschrift des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

China zwischen Boom und HAN SAN WEI I
- oder die Vielfalt der praktizierten Lehren und der Glaubens-Meinungen -

Ein Reisebericht von Reinhard H.G. Fischer




Besuch chinesischer Städte

Zu den boomenden Daten der chinesischen Volkswirtschaft (jährlich mehr als 8% Wachstum!) wird in unseren Medien oft berichtet. Weniger oder gar nichts ist dagegen über soziale und kulturelle Entwicklung zu lesen und zu hören, zumal unsere Medien diese oftmals nur durch die abendländisch gefärbte Brille betrachten bzw. wichtige Determinanten gar nicht erwähnen, so z.B., dass jährlich so viele Kinder geboren werden, wie Deutschland Einwohner hat.

So wollte ich mich wieder einmal vor Ort "schlau machen". Deshalb plante ich für das Jahr 2011 mit meinem chinesischem Freund Jijun (ehemals Lehrer für englische Sprache; nunmehr Sinologiestudent an der Universität Xiamen) meine mehrwöchige Studienreise "in Sachen chinesischen Buddhismus" entlang der Ostküste Chinas, hier vom Norden (Beijing) bis zum Süden (Macau). Die Reisezeit legten wir in die klimatisch angenehmeren Monate September und Oktober. Eine derartige Reise ist nur mit einem solchen Begleiter durchführbar, da z.B. Bus-Fahrer, Taxifahrer, Eisenbahn-Bedienstete usw. kein Englisch sprechen, darüber hinaus sind die Wegweiser und Straßen-Verzeichnisse und Tempelerklärungen nur in Mandarin-Schrift ausgeführt.

Die Besuchs-Städte dieser 10ten privaten Reise (nach berufsbedingten 12maligen geschäftlichen Asienbesuchen in den Jahren zuvor) waren nunmehr: Beijing, Ningbo, Quanzhou, Xiamen, usw.

Beijing (ca. 12 Mill. Einwohner). Von Frankfurt mit der Air-China kommend galt mein erster Besuch zusammen mit meinem Freund Mr. Jijun erneut dem Kloster FA YUAN SI). Das Fa Yuan Si ist auch eine Buddhistische Universität, dort arbeiten mehr als 60 Studenten. Es ergaben sich Gespräche mit einigen Mönchen, die Teilnahme an einer buddhistischen Andachtszeremonie im Freien, danach eine Besichtigung der Renovierungsarbeiten an der historischen hölzernen Bausubstanz (die älter als 500 Jahre ist). Dort steht eine 1900 Jahre alte Buddha-Statue, die älteste Chinas!

Von Beijing reisten wir per Flugzeug nach Ningbo.

Ningbo (ca. 6 Mill. Einwohner) ist eine Hafenstadt. China-Reisende, die vertieft die Chinesische Kultur kennen lernen wollen, sollten es nicht versäumen, die Hafenstädte zu besuchen, denn hier findet man auch die kulturellen Zeugnisse, die sich auf die "Seidenstraßen des Meeres" beziehen, denn hunderte Jahre gab es bis nach Ägypten zu vielen Ländern der südlichen Meere rege kulturelle und geschäftliche Beziehungen (Handel mit Porzellan, Kupfer, Seide usw.).

Unser erstes Besuchsziel in Ningbo war das Tempelkloster Tiantong. Es ist einer der größten Tempel Chinas mit einer riesigen Stupa, die früher, wie alle Stupas, als Aufbewahrungsort der Gebeine der verstorbenen Mönche diente. Im Tiantong Si studierte im 13. Jahrhundert der japanische Mönch DOGEN, der als einer der Väter des ZEN-Buddhismus gilt. Es ist die Schule des Lotus-Sutra (aktiv: 120 Mönche). Da jedes Kloster ein Besucher-Zimmer hat, nutzten wir auch hier die Gelegenheit, mit Master Ven. Yuan Tong (dem Abt) sehr interessante Gespräche betreffend die buddhistischen Richtungen "Mahayana" und "Hinayana" zu führen. Die Anlagen Quita Si und Guo Qing Si (150 Mönche, 60 Novizen) und Xuedou S, sowie der Ashoka Si (benannt nach dem indischen König Ashoka (um 250 v. Chr.), der das dritte Buddhistische Konzil abhielt, wurden ergänzend besucht.

Quanzhou (ca. 8 Mill.Einwohner, Hafenstadt). Von Ningbo nach Quanzhou benutzten wir den Hochgeschwindigkeitszug (er bewältigt mehr als 800 km in rd. 3,5 Std.!). Hier besichtigten wir folgende Klöster: Kaiyuan Si (der Tempel der Lotusblumen, gegr. 688), Cherngtian Si, das Mutterkloster des Cherngtian-Klosters in Taiwan, Master-Master Ven. Zhang Hue (siehe "Der Mittlere Weg" Nr.3/38te Jahrgang), Quings Hui Yan und den Lao Jun Yan Si. Auch interessant sind die Stein-Skulptur des Lao-Tzu, der Mystiker (Sinha-Buddha) und das Gesprächskreis-Denkmal:

K'un-fu-tzu mit Lao-Tzu (beide ca 500 v.Chr.).

Xiamen (ca. 2,6 Mio. Einwohner, Hafenstadt). Von Quanzhou reisten wir mit dem Taxi über "die Dörfer" (hochinteressant!) nach Xiamen, den absoluten Höhepunkt unserer Reise, denn dort befindet sich der NAN PU TOU SI, gegründet in der Tang-Dynasty (Thang Chao, ab ca. 600). Seinerzeit wurde er als Tempel für (den damals männlichen, jetzt weiblichen) Guanyin errichtet. Seit 1981 dient er als buddhistische Schule (Universität) zur Ausbildung von Mönchs-Anwärtern, derzeit aktiv mit mehr als 300 Mönchen. Dort im Einsatz sind: 80 Lehrer (23 Mönche, 33 Nonnen und rund 30 buddhistische Lehrer von außen). Seit 2009 wurden dort 859 Studenten graduiert.

Diesem Mönchskloster angeschlossen ist das Nonnen-Kloster ZI ZHU LIN SI (aktiv mit 254 Nonnen).

In jedem Jahr veranstaltet das Kloster die FO Qi und CHAN QI Zeremonie. Das ist eine Gesangs/Gebets-Zeremonie, die 7 Tage lang täglich wiederholt wird. Zielgruppe sind interessierte Laien. Ergänzend dazu gibt es 5 große Zeremonien, an denen namhafte Persönlichkeiten anderer Klöster, der Stadt, der Provinz, ja sogar aus ganz China teilnehmen.


In einem traditionellen Kloster

Hier der Tagesablauf im Nan Pu Tuo-Si (auch beispielhaft für andere besuchte Klöster):

4.00 h. wird die Morgenglocke geläutet
4:30 h bis 5:30 h. Unterrichtung
6:00 h. Frühstück
6:40 h. Kloster-Reinigung
11:00 h. Mittagessen (mit Geschirrreinigung nach dem Essen durch Novizen)
15:30 h. bis 17:00 Nachmittagsunterricht
17:30 h. Abendessen (mit Geschirrreinigung nach dem Essen durch Novizen)
20:00 h. Trommel und Glocke zur Beendigung allgemeinen Geschehens; jedoch zum weiteren vertieften Studium und Reflektionen aus Tagesgeschehen.
22:00 h. Nachtruhe

Zu einer morgendlichen Meditations-Übung fand ich mich um 8 h. am Meditations-Tempel des Nan Pu Tuo Si ein. Vorausgeschickt sei: Als Ausländer erhält man nur durch Referenzen den mitwirkenden Zugang. Ansonsten begegnet man oftmals "Westlern" mit asiatischer Introvertiertheit und merklicher Distanz in Wort, Gestik und Mimik. Das Meditations-Gebäude ist ein Rundbau mit ca. 14 Meter Durchmesser. Innenseitig, an der Gebäudewand entlang, ist eine durchgehende Sitzbank. Es werden Sitzkissen und Decken bereit gestellt. In der Raummitte (als Insel) steht eine Buddha-Statue. Zu Beginn wird die Eingangstür von innen verschlossen. Absolutes Schweigen wird durch eine Handglocke eingeläutet. Im Lotussitz wird unter anderem das wu-wei (Einkehr in das Ich-Innere, ohne "Aktivitäten") mit Herz-Sutra, sozialer Besinnung, Kreativität und Selbstbesinnung praktiziert. Natürlich gehört dazu auch die Meditation zum achtgliedrigen Pfad und den Sentenzen des avidya (Nichtwissen). Von Mönchen wird der ganze Meditationsvorgang als Kultivierung (Humanisierung) bezeichnet.

Nach ca. 30 Minuten ertönt erneut ein Handglockenschlag. Es beginnt ein flotter ca. 3minütiger Meditations-Rundgang um die Buddha-Statue in zwei Kreisen mit ca. 2 Meter Abstand zueinander. Danach erneute 30minütige Sitz-Meditation und erneuter Meditations-Rundgang wie zuvor. Danach wird die Tür zur Meditationshalle geöffnet: Es wird zu einem kostenlosen vegetarischen Früchte-Frühstück auf dem äußeren Rundgang des Meditations-Tempels geladen.

Die Zeit danach wird oftmals genutzt, indem der Meditations-Zeremonie-Master in seinen Privatraum einlädt, dort dann vertiefende Gespräche in Sachen Meditation, hier zum achtgliedrigen Pfad, bezogen auf das Selbst, bzw. auf Gier, Hass und Verblendung (avidya) und bezogen auf das Ich und den Wandlungen über formelhafte Vorsatzfindungen (auto genos), sowie zu den eigenen Meditations-Erfahrungen oder sonstige Fragen in Sachen Buddhistischer Lehre. Das Ganze wird umrahmt von einer Tee-Zeremonie, die der Meditations-Meister in seinem Privatraum dabei selbst durchführt. Ein Laptop fehlte auch in diesem Privatraum nicht...

Besucher-Fototermine, persönliche Gespräche mit Besuchern, Gläubigen und Mönchen bis zum vegetarischen Mittagessen - alles für eine Spende, am Eingang des Speise-Saales ist eine Spendenbox vorhanden.

Bevor das vegetarische Mittagessen im NAN PU TUO SI beginnt, wird eine Buddhistische Andacht gehalten. Diese entfällt im Nonnenkloster ZI ZHU LIN SI. Je nach Anzahl der Speisenfolge durchgehen Nonnen die Sitzreihen der zu Speisenden. Der Inhalt der Speisen wird zuvor zur Einsicht gezeigt. Sofern man eine angebotene Speise bzw. Speisemenge nicht möchte, zieht man die Speiseschale zurück bzw. man schiebt sie nach vorn zur Einwilligung. Jede Speisengabe - schweigend verzehrt - wird mit der Dankesbezeugung der geschlossenen Hände durch den Speisenden zum Gebenden zum Ausdruck gebracht.

Es besuchten in diesem Jahr 2011 (bis September) ca. 6,7 Millionen Menschen den NAN PU TUO SI.


Religionen in China

Aus den Gesprächen mit Mönchen der Buddhistischen Klöster und deren Besuchern sei folgendes zusammengefasst: Mit Gründung der VR China (mit 53 ethnischen Minderheiten mit eigenen Dialekten, die erhebliche Sprachschwierigkeiten mit sich bringen) wurde konstatiert und in Rechtsform gebunden: China ist ein laizistischer Staat. Wichtig zu wissen: synkretistisch wirken Taoismus, Buddhismus und Konfuzianismus. Sie sind in China ein Glaubensgebäude (Han San Wei I = drei Zimmer/drei in Einem). - Eine Vernunft-Ethik ohne Offenbarung, Mysterium und ohne Ablass-Handel (Beichte usw.), auch eine vom Staat eingetriebene "Glaubens-Steuer" gibt es nicht.

Es werden vom Staat die Glaubens-Meinungen nicht nur toleriert, sondern sogar gefördert. - Seit den 80er Jahren sind Tempel und Klöster wieder verstärkt geöffnet worden und erfreuen sich regen geistlichen Zuspruchs.

Die anerkannten Glaubens-Richtungen ("Religionen"), hier z.B. Han San Wei I: Die Lehre des Gotama Siddhatta, des K'un tzu und des Lao tzu werden vom Staat (neben weiteren) nicht nur toleriert, sondern es wird auch dem "Volksglauben" mit Orakel-Praktik und der Handlesekunst stattgegeben sowie den Praktiken der Buddhisten, dem nicht-mönchischen Daoismus (Streben nach Harmonie) und dem nicht-mönchischen Konfuzianismus freie Hand gelassen. Alle diese erfreuen sich miteinander großer Toleranz und regen Zuspruches als eine "Volks-Religion" (Wing Tsi Chan).

Bei den Gebets-Ritualen der Gläubigen zeigte sich oftmals (durch Gespräche reflektiert) als überwiegende Motivation eine Egozentrik: Glücksversicherungen und Leid-Schutz-Erwartungen dominieren vor Einsicht und Erkennen neuer kluger Haltung und zeigen damit ein Ausweichen vor der Arbeit am Selbst (Ziele gemäß der buddhistisch-taoistischen und konfuzianischen Lehren). - Devotismus (wie in einem anderen Teil des Mutterlandes) zeigte sich mir bei den Ritualen der Gläubigen anlässlich meines Besuches nicht.

Staat, Provinzregierungen und Stadtverwaltungen unterstützen nicht nur finanziell die Klöster und Tempel, sie sind auch oftmals an den Eintrittsgelder-Einnahmen beteiligt. Wohlhabende Einwohner spenden größere Beiträge direkt, so dass Renovationen und Neubauten locker finanziert werden können. Im Gegensatz zu den wohlhabenden Einwohnern, die in der Regel nur zu den terminierten, ritualisierten Feierlichkeiten den Tempel aufsuchen, stellte ich fest, dass sehr viele "weniger gut Betuchte" auch Werktags zu Andachten und Fürbitten und rituellen Handlungen die Tempel aufsuchen; dabei sind überwiegend weibliche Gläubige und nur wenige ältere Männer.

Mit gläubigen Tempelbesuchern sowie mit Mönchen wurde auch das Thema "Dalai-Lama" angesprochen. Ergebnis: Anerkennung seiner offensichtlichen Herz-Güte, jedoch strikte Ablehnung des ihm manchmal aufgebürdeten Status als Heiliger (Buddh.: Arhat), sowie die Hinweise, dass sein Wirken als geistlicher Lehrer (Lama) toleriert wird, nicht jedoch als geistiger Herrscher (Weltliches Oberhaupt = Politiker), denn das sei in China ausschließlich Sache der Regierung der VR. China.

Die Lehren des Konfuzius im derzeitigen System:

Der Staatsrat der VR China initiierte bis 2010 rund 400 Konfuzius-Institute in mehr als 100 Ländern, hauptsächlich jedoch in China selbst. Hintergrund: Die Entscheidungsträger Chinas haben erkannt, dass die Lehren des Konfuzius auch ein geeignetes ethisch-moralisches Instrument moderner Staats- und Betriebswirtschaften in den Aufbau- und Ablauf Organisationen auf dem Weg Chinas zur Weltmacht Nr. 1 sind.


Literatur-Hinweise: - China, Hongkong, Tibet. Nelles-Verlag, ISBN 3-88618795-0
- Max Webers Studie über Konfuzianismus und Taoismus, Suhrkamp Verlag ISBN 3-5 18 28002-3
- Konfuzius im Management (Werte und Weisheit im 21. Jahrhundert) CAMPUS-Verlag, ISBN-10-3-593-37969-0

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Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
44.‍ ‍Jahrgang, Mai - August 2012/2555, Nr. 2, Seite 22-25
Herausgeber: Buddhistischer Bund Hannover e.V.
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Internet: www.buddha-hannover.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Mai 2012