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PRESSE/969: Buddhas Heilungs-Weg sehen, verstehen, gehen (Buddhistische Monatsblätter)


Buddhistische Monatsblätter Nr. 2/2013, Mai - August
Vierteljahreszeitschrift der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg e.V.

Buddhas Heilungs-Weg sehen, verstehen, gehen
brahmavihara: gemütserhellend-befreiende Wirk-Qualitäten

von ArminDao Ketterer



A. Ausgangslage

Menschliches Streben ist grundsätzlich darauf gerichtet, Angenehmes zu suchen und Unangenehmes zu vermeiden.

Dies geschieht nach dem kammam-Gesetz von Ursache und Wirkung, wobei die aufgrund gemütsbewegter Empfindsamkeits-Eindruck-Reaktion aus der Motivlage (ceto) hervorgehende Absicht (cetana) das Handeln in Gedanke, Wort und Tat und somit die Folgen bestimmt:
unheilsamem Wirken folgt dunkle, vom Menschentum abwärts bis zum Höllischen führende Wirkung;
unheilsam-heilsam gemischtem folgt dunkel-hell gemischte, zum Verbleiben im Menschentum führende;
heilsamem folgt helle, vom Menschentum aufwärts ins Göttliche führende;
weder-unheilsam-noch-heilsamem Wirken folgt weder-dunkel-noch-helle, also zum Aufhören des Wirkens führende Wirkung;
letzteres durch die passende Absicht, von den drei ersten Wirkweisen und Wirkungen zu lassen (pahanam).

Wirken führt nicht zwangsläufig zu einer diesem genau entsprechenden Wirkung, weil es kein eindimensionaler Ablauf ist: Wirken ist bereits gewirkte Wirkung, die dieses Wirken hervorbringt und wiederum Wirkung wird usw. - Eine fortlaufende Verkettung! Ob, wann und wie empfindsam Gewirktes als gereifte Wirkung empfindend erlebt wird oder nicht, hängt von mehreren wechsel-wirkend günstigen oder ungünstigen Bedingungszusammenhängen bei Zustand und Qualität des Gemütshaushalts ab. Mit geschult entwickelten heilsamen, hellen Gemütsqualitäten als selbst wirksamer Faktor gibt es einen brahmisch-nicht-sinn(eswelt)lichen Lebenswandel und die Möglichkeit zum weisheitlichen Erkennen der endgültigen Leidensbeendigung (brahmacariyam, der "heilige Wandel" zum befreiten, unverletzlichen, heilen Gemüt). Denn, kurz gesagt, je gereinigter das Gemüt, desto neben hellerer auch weniger Wirkung, umso weniger neues Wirken und daraus weniger Wirkung usw. bis mit der vollen Gemüts-Freiheit beides nicht mehr besteht. So hört die fortlaufend an den leidvollen Daseinskreislauf (samsaro) bindende und belastende Wirk-Kette auf. - Ausgangs- und auch Endpunkt von Buddhas Lehre!

Ein nicht belehrter (assutava) vielmals wiedergeborener Weltling (puthujjano) sieht und erkennt diese Mechanismen und Zusammenhänge nicht; er beachtet die Edlen und Aufrechten nicht, ist in ihrer Lehre (dhammo) nicht bewandert (akovida) und angeleitet (avinita). Er erkennt nicht wirklichkeits- und gesetzesgemäß, welche Dinge wertgeschätzt und betrieben und welche Dinge nicht wertgeschätzt und nicht betrieben werden sollten. So werden aus Unerfahrenheit und Unwissenheit die heilsamen und unheilsamen Verhaltensweisen und ihre entsprechenden Wirkungen verwechselt. Dadurch nimmt Unerwünschtes und Belastendes (dukkham) zu, und Erwünschtes und Behagliches (sukham) nimmt ab. Dies ist so, wenn und solange das immer eigennützig selbst-bezogene (atta) Ergreifen und Festhalten von Sinnestätigkeiten als Sinnesgenuss angesehen, bejaht, angestrebt und als besseres Wohl empfunden wird statt deren Aufhören durch gemütserhellend-befreiend geübtes Lassen.

Damit diese unzutreffende Bewertung von Falschem als richtig und deren unangenehmen Folgen korrigiert wird, ist das Zusammenwirken passender Geistes- und Gemüts-Qualitäten erforderlich. Diese finden wir teilweise als Ergebnis heilsamen früheren Wirkens (kusalo kamma-vipako) in uns vor, teilweise müssen sie entwickelt werden. - Um diese Qualitäten verstehen und entwickeln zu können, sind in Buddhas Lehre auch die sich fortschreitend bedingenden geeigneten Vorgehensweisen dargelegt. Eine zentrale ist die immer wieder gründlich-grundlegende Geistestätigkeits-Ausrichtung (yoniso manasikaro) auf das genaue Bedenken (vitakko) und Nachdenken (vicaro) über das Wirklichkeits- und Gesetzesgemäße.

Grundsätzlich und letztlich geht es um die zunehmende Loslösung von egozentrisch-egoistischen Anschauungen und Angewöhnungen mittels

  • wirklichkeitsgemäßem Sehen des Nicht-Ewigen (aniccam), Leidvollen (dukkham), nichteigenen Nichtselbst (anatta) der Daseinsteilbereiche (khandha) und
  • Einüben heilsamer Wahrnehmungen, Einstellungen, Eigenschaften und Umgangsweisen bis diese tragen und schließ lich aufhören können.

Am Anfang und als Fundament stehen, nicht überraschend, grundlegende und vorbereitende Übungen von Respekt, Rücksicht, Eintracht, Anstand. Damit wird das innere und äußere Leben befriedeter und beruhigter und die Eigenschaft der Schulungsbereitschaft (sekham dhammam) ausgebildet, welche weitere wechsel-wirkende Übungsschritte und Fortschrittsfolgen bedingt.

Hierzu zählen dann auch die brahmavihara - entsprechend Zustand und Qualität unserer Gemütsneigung (cittam).


B. Kennzeichnung und Einordnung

Der Begriff brahmavihara heißt Verweilungs-Orte bzw. -Zustände Brahmas, der allen Richtungen zugewandte vier-köpfige und vier-armige Gott. Es sind also göttlich-helle jenseits der Sinnesbereiche, auch Unermesslich(keit)en (appamañña) bzw. Strahlungen (pharanani) genannt. - Bei Erläuterungen und Praxisanleitungen werden die einzelnen Gemütsqualitäten metta, karuna, mudita und upekkha in Lehrreden genannt. Der Begriff brahmavihara taucht nur sehr vereinzelt (brahma viharo, brahmametam viharamidhamahu) auf und nicht direkt als Oberbegriff; als solcher im Kommentar Weg der Reinheit/Visuddhi-Maggo des Ehrw. Buddhaghosa hat er prägende Bedeutung erlangt und wird deshalb hier benutzt.

Mit der Namensübersetzung sind die brahmavihara-Qualitäten und -Charakteristika übergeordnet benannt, jedoch noch nicht konkret und nachvollziehbar beschrieben.

Dies soll hier erfolgen.

Es werden vier brahmavihara unterschieden:

  1. metta, die gemütsbesänftigt-gefällige Freund(schaft)lichkeit (siehe mitto, der Freund/auch liebende Güte oder nicht-sinnliche Liebe genannt). Wirkt auf der sinn(eswelt)lich konzeptionell-konstruierten Begegnungsebene als gemütsreinigend-befreiende Schutzübung (dazu im Kapitel "C. Vorgehens- und Wirkweise") mit wohlwollender Zuneigung gegen ärgerliches Übelwollen, wird vom "nahen Feind" Anhänglichkeit gefährdet;
  2. karuna, die gemütsbefriedet-wohltuende Anteilnahme (Mitgefühl). Wirkt weltlich als Schutzübung mit zugewandtem Kümmern gegen unbarmherzige Angriffslust, wird vom Kummer (Mitleid) gefährdet;
  3. mudita, das gemütsgestillt-hochstimmende Gönnen (Mitfreude). Wirkt weltlich als Schutzübung mit heiterer Neidlosigkeit gegen missmutige Unzufriedenheit, wird von der Vergnügtheit gefährdet;
  4. upekkha, das gemütsunbewegt-unbeteiligte Hinsehen (Gleichmut). Wirkt weltlich als Schutzübung mit nichtunterscheidendem Gleichmaß gegen die Extreme Zu- und Abneigung, wird von der Gleichgültigkeit gefährdet.

Aus kammischer Perspektive sind die brahmavihara heilsame, Wohl bringende Früchte und ihre Praxis ist weiteres heilsames Wirken, dem immer hellere und geringere Wirkung folgt. Dabei gilt: Je besser die Grundlagen und Vorübungen, desto heilsamer und heller, und falls mit Rechter Anschauung (sammaditthi) ausgestattet, wird weisheitlich erkennend fortschreitende Gemüts-Befreiung und Leidens-Beendigung erreicht.

Ein anschauliches Beispiel für eine gut gemeinte, jedoch auf erschüttert-beunruhigt-unausgeglichener Gemütsverfassung mit falscher Anschauung beruhende Absicht ist das Mitleid, welches das sinn(eswelt)liche Mitgefühl mit unheilsamen Folgen gefährdet und "in die Grube" führt:

Wenn ich Mitleid empfinde und denke, überidentifiziere ich mich unangemessen und leide mit. In meiner Betroffenheit und Verstrickung fehlen mir Abstand, Ruhe und Klarheit im Fühlen und Denken, somit treffe ich irrtümlich die falsche Entscheidung und springe quasi zur/zum Leidenden in die Grube, in der diese/r steckt. So ist niemandem geholfen, sondern da wir beide in der Grube gefangen bleiben, verschlechtert sich durch Wechselwirkungen mein und unser Zustand weiter, Unerwünschtes und Belastendes nehmen immer mehr zu, und Erwünschtes und Behagliches nehmen ab (s. Kapitel "A. Ausgangslage").

Bei sinn(eswelt)lichem Begegnungs-Mitgefühl besteht hingegen eine weniger betroffene Gemütsverfassung mit Zuwendung, und durch wirklichkeitsgemäßeres Spüren, Wahrnehmen und Beurteilen werden der Überblick und das Maß passender erlangt. So wird die eigene Lage und die der/des Anderen wieder wirklichkeitsgemäßer gespürt, wahrgenommen, beurteilt und so darauf reagiert. Dies ermöglicht ein für alle angenehmeres Erleben und angemesseneres Verhalten.

Mitleid schafft als "naher Feind" unerkannt Leid und verstrickt uns so immer mehr in den leidvollen Daseinskreislauf (samsaro); während sinn(eswelt)liches Mitgefühl Hand in Hand mit immer weisheitlicherer Erkenntnis weiter die fesselnde Verwicklung (gantha) vermindert und zu befreiender Entwicklung (bhavana) führt.


C. Vorgehens- und Wirkweise

Bei der Frage, wie die brahmavihara zu üben sind, entstehen insbesondere diese Folge-Fragen:
Wird die Übung gleich und direkt mit ihnen begonnen?
Werden an einzelne oder Gruppen von Wesen kammisch wirksam heilsame Wünsche übermittelt?

Interpretationen von Buddhas Lehre könnten dies nahe legen, und sie sind deshalb relevant, weil sie großen Einfluss auf die Vorstellung von den brahmavihara und wie sie zu üben sind erlangt haben.

So steht im Standard-Kommentar Weg der Reinheit/Visuddhi-Maggo des Ehrw. Buddhaghosa (in der Übersetzung des Ehrw. Ñanatiloka):

"Der der Übung beflissene Anhänger, der von den unmittelbar nach den zehn Betrachtungsübungen [das sechsfache Gedenken von an den Erwachten (buddhanussati) bis zu an die Gottheiten (devatanussati) und vier weitere von an den Tod (maranassati) bis zu an die Stille (upasamanussati)] aufgezählten vier Göttlichen Verweilungszuständen die Güte zu entfalten wünscht, beseitige zunächst die äußeren Hindernisse. (...) Darauf beginne er mit der Entfaltung der Güte, um den Geist von dem als unsegenbringend erkannten Hasse zu befreien und ihn in Langmut zu festigen, dessen Segnungen er erkannt hat. Der diese Übung Unternehmende nun soll zunächst die Einteilung der Personen kennen und wissen, zu welchen Personen er zuerst die Güte zu entfalten hat, und zu welcher nicht. Die Güte nämlich darf man anfangs nicht zu vier Arten von Personen entfalten: zu einer unlieben Person, zu einem sehr lieben Freunde, zu einer gleichgültigen Person, zu einem Feinde. Zu einer bestimmten Person des anderen Geschlechts darf man die Güte nicht entfalten, hinsichtlich eines Toten aber soll man diese Übung überhaupt nicht entfalten.
Zu allererst aber hat man zu sich selber immer wieder die Güte zu entfalten: 'Möge ich glücklich sein, frei von Leiden!', oder: 'Möge ich frei sein von Haß, Bedrückung und Beklemmung, möge ich mein Leben glücklich verbringen!'
Widerspricht das nun aber nicht in diesem Falle den folgenden Aussprüchen, in denen doch gar nichts von einer Entfaltung der Güte gegen sich selber gesagt wird? [Es folgen danach Text-Zitate aus dem Paci-Kanon mit Leidfreiheits- und Glück-Wünschen an alle Wesen.] Nein, das widerspricht dem Obigen nicht. Diese Worte nämlich werden mit Rücksicht auf die Volle Stufe gebraucht, jene aber mit Beziehung auf das Ich als Zeugen." (Vis. IX. 1.)
"Bei allen göttlichen Verweilungszuständen bildet der 'im Wunsch zum Handeln sich äußernde Wille' den Anfang, die Zurückdrängung der Hemmungen usw. die Mitte, die Volle Sammlung aber das Ende. Ein oder mehrere Wesen, im Sinne von konventioneller Bezeichnung, bilden ihre Vorstellungsobjekte. Bei Erreichung der Angrenzenden und Vollen Sammlung findet eine Ausweitung des Objektes statt. Dabei ist dies die Art und Weise der Ausweitung: Gleichwie der geschickte Landmann das zu pflügende Feld zuerst abteilt und dann pflügt, so auch beschränke man sich zuerst auf eine einzige Behausung und entfalte die Güte zu den dort wohnenden Wesen, in der Weise: 'Mögen die Wesen in dieser Behausung, frei sein von Hass usw.!' Hat man darauf seinen Geist weich und geschmeidig gemacht, so umfasse man zwei Behausungen und dann, der Reihe nach, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun und zehn Behausungen, dann eine Straße, ein halbes Dorf, ein ganzes Dorf, eine Gegend, ein Land, eine Himmelsrichtung. Und indem man so eine Weltsphäre oder ein noch größeres Gebiet umfasse, entfalte man die Güte zu den jedes Mal dort lebenden Wesen. In derselben Weise sind das Mitleid und die übrigen Göttlichen Verweilungszustände zu entfalten. Dies ist die Methode, wie man das Vorstellungsobjekt ausweitet."
(Vis. IX. 5.)

Buddhaghosa empfiehlt nicht Anfängern, sondern erst Übungserfahrenen mit der Entfaltung von metta zu beginnen. Er verneint somit die eingangs dieses Kapitels gestellte diesbezügliche erste Frage. Das stimmt zwar grundsätzlich mit der stufenweisen Schulungsanleitung in den Lehrreden überein, aber nicht mit den dort als Voraussetzung von metta genannten Erfahrungsstufen (wird nachfolgend für alle brahmavihara begründet und die lehrgemäß vorausgesetzten Erfahrungsstufen danach genannt).

Buddhaghosa bejaht die zweite Frage nach der Übung mittels heilsamer Wünsche an einzelne oder Gruppen von Wesen. Er unterteilt die Entfaltung der brahmavihara in die drei Stufen Anfang, Mitte und Ende. Auf diesen bilden ein oder mehrere, konventionell als solche bezeichnete, Wesen ihre Vorstellungsobjekte. Das stimmt mit den, auch von ihm zitierten, Lehrreden, die nicht selektiv gute Wünsche für alle Wesen nennen, nicht überein. Daraufhin stellt er die Adressierung an sich selbst infrage, und zwar nur diese, nicht aber die an ausgewählte andere Wesen. Er verneint den aus seiner Sicht durch die Selbst-Adressierung entstandenen Widerspruch zur Lehre mit dem Hinweis auf unterschiedliche Ebenen der Übung: auf die in der Lehre genannte volle Entfaltungsstufe ohne Ich-Bezug und auf seine noch ich-bezogene Entfaltungsstufe.

Hierzu zwei Anmerkungen:

1. Wird dieser Argumentation gefolgt, so wäre die Annahme und "Beseitigung" eines Widerspruchs überflüssig, da "alle Wesen" auch den Absender, sich selbst, als Adressaten mit einschließt und so gar kein Widerspruch entstanden wäre.

2. Wird dieser Argumentation nicht gefolgt, so sind die von Buddhaghosa im zitierten Kontext erwähnten Gemütsqualitäten paritta genannte sinn(eswelt)liche Schutzübungen auf der selektiv personalisierten Begegnungsebene. Sie können sich auf ein oder mehrere Wesen als Vorstellungsobjekte richten und positive, helle Wirkungen entfalten, sich dabei vor der Gefährdung durch die "nahen Feinde" hütend, wie im Kapitel "B. Kennzeichnung und Einordnung" ausgeführt. Sie sind jedoch noch nicht jenseits der Sinne göttliche brahmavihara. Als solche werden sie gerade deshalb unermessliche Strahlungen genannt, weil sie anderen Bedingungen, Charakteristika und Qualitäten als die individuell oder kollektiv personalisierten unterliegen. So gesehen kann auch Buddhaghosas gemachte Unterscheidung zwischen "voller Entfaltungsstufe" und "ich-bezogener Entfaltungsstufe" zumindest missverständlich sein, da bis zur weisheitlich erkannten völligen Gemütsfreiheit noch keine völlige Ich-Freiheit verwirklicht ist, wenn auch, wie bereits betont, ab dem "Wendepunkt" ungehemmten Gemütes unter anderen, nämlich nicht-sinn(eswelt)lichen (Entfaltungs-)Stufen und Bedingungen: Da Eigner und Erben des Wirkens, folgt dieses dem als eigenes Selbst Identifizierten nach, solange und soweit gemütsbewegte Empfindsamkeits-Eindruck-Reaktionen entstehen - je gereinigter, desto hell-angenehmer-feinere jenseits der Sinneswelt. Auch deshalb geht es beim Üben, solange Ich, d.h. Eigenes, erlebt wird, immer um die eigene Veränderung, um die eigene fortschreitende Gemüts-Reinigung und Gemüts-Freiheit. Dabei ist es wichtig, gut geleitet (saddhammo) immer gründlicher zu untersuchen (yoniso manasikaro) und besser weisheitlich zu erkennen (pañña), auf welcher Stufe und unter welchen Bedingungen:

  • wie kamma-gemäß aufgrund welcher gemütsbewegter Empfindsamkeits-Eindruck-Reaktion welche Motivlage mit welcher Absicht und daraus welches Handeln hervorgeht, und
  • ob und wie mit tatsächlich guter Absicht welches helle Wirken unter welchen Bedingungen mit welcher wie hellen Wirkung folgt bis nichts mehr folgt. - Relevant ist dabei der Grad der Ich-Ablösung mit dem oben genannten "Wendepunkt" des Freiwerdens von sinn(eswelt)lich gemüts-hemmenden Wirkkräften. Dabei entstehen immer hellere Gemütsqualitäten von der Freude bis zur Gemütseinigung, und auf dieser Basis die göttlichen brahmavihara; mit diesen wird heilsam-hell weiter gewirkt als ein nicht-sinn(eswelt)licher gemüts-befreiender Prozess.

Dies erschließt sich im Studium der Lehrreden und in der daran orientierten Praxis und wird nachfolgend aufgezeigt:

In der Lehre finden wir den Weg der Gemüts-Befreiung als einen das innere und äußere Leben befriedenden und beruhigenden, einen vom Belastenden zum Leichterwerden, von der Viel(fach)heit zur Ein(fach)heit, vom Festhalten zum Loslassen, kurz: der Entsagung (nekkhammam), zunächst der Sinneswelt, dann jedem Werden.


Buddha kennt den Weg zur Brahma-Sphäre und hat ihn wie folgt dargelegt:

Zunächst Vertrauen (saddha) in den voll Erwachten und dass er das vollkommen geläuterte, abgeklärte Asketentum dargelegt hat. Damit nun die Einsicht in die Belastung und das Gefangensein durch weltliches Hausleben mit dessen Reizen und Verpflichtungen. Dadurch das Abwenden davon zugunsten eines bedürfnislos(er)en ungebunden(er)en Asketenlebens. - Zustand und Qualität der Gemütsneigung, Tiefe der Einsicht und die Möglichkeit zum Erhalt des Körpers bestimmen mit, ob und wie dies sofort oder allmählich umgesetzt wird.

Dieser heilsame Reinheits-Wandel ermöglicht - je nach Intensität der Entsagung und weiteren Geistes- und Gemüts-Qualitäten als Ergebnisse heilsamen früheren Wirkens - unterschiedlich gut und weitreichend, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: weiter heilsam wirkend rein zu leben, also die erweiterte Tugend zu pflegen, die Sinnestore zu bewachen, klar erkennend zu handeln, zufrieden zu sein.

Wie ist man tüchtig in Tugend? - Über die 5, 8, ja die 10 heilsamen Verhaltensweisen hinaus sind eine Vielzahl weiterer loslassend-asketischer Tugenden zu üben, so zum Beispiel keine Sämereien und Pflanzungen anzulegen, Diener und Dienerinnen und Haustiere, Haus und Feld nicht anzunehmen, Botschaften, Sendungen, Aufträge nicht zu übernehmen, von Kauf und Verkauf, sich von Bestechung, Täuschung und Niedertracht fernzuhalten. Derart tüchtig die Tugendregel einhaltend, wird inneres fleckenloses Glück empfunden und so gut gerüstet droht keine Gefährdung.

Wie bewacht man die Sinnestore? - Mit der Übung, das Denken zu überwachen, wird verhindert, dass Begierde, Missmut, böse und schlechte Gedanken einen überwältigen, und dadurch wird, über die Tätigkeit der 5 Sinnesbegehrstränge (pañca kamaguna) hinaus, keine weitere Neigung und Absicht gefasst. Derart die Zügelung der Sinnesdränge erfüllend, wird inneres ungetrübtes Glück empfunden.

Wie ist man klar erkennend gewappnet? - Mit klarem Erkennen körperlichen Handelns: klar erkennend beim Ankommen und Weggehen, beim Hinblicken und Wegblicken, klar erkennend sich recken und strecken, die lebensnotwendigen Bedarfsgegenstände (z.B. Kleidung) tragen, essen, trinken, kauen, schmecken, Kot und Harn entleeren, klar erkennend gehen, stehen, sitzen, einschlafen, aufwachen, sprechen und schweigen.

Wie ist man zufrieden? - Zufrieden mit der den Körper bedeckenden Kleidung, mit der das Leben erhaltenden Speise, mit den Bedarfsgegenständen gehend wohin man auch geht, das ist Zufriedenheit.

Diese vier Übungen erfolgreich praktizierend und beibehaltend wird die Schulung fortgesetzt und an einem abgelegen ruhigen Ort Einsicht eingeübt: die fünf Hemmungen (pañca nivarana) werden verworfen, so wird ungehemmten Gemütes verweilt und damit wird das Gemüt weiter von den Hemmungen gereinigt.

Mit durchdringendem Ansehen (samanupassato) der (momentan oder dauerhafter) beseitigten Hemmungen entsteht Freude (pamojjam), mit Freude heitere Verzückung (piti), mit heiterer Verzückung wird der (Empfindungs-)-Körper gestillt (kayo passambhati), mit gestilltem (Empfindungs-)Körper Wohlbehagen empfunden (sukham vedeti), mit Wohlempfinden wird die Gemütsneigung geeinigt (cittam samadhiyati). Das Gemüt ist nun frei von sinn(eswelt)lich Unheilsamem und damit hell, stark, geschmeidig und fest. Mit diesen weitreichend geschulten und gereinigten Geist-Gemüts-Qualitäten tritt man in verschiedene überweltlich-höhere Wohl-Zustände ein. Dazu gehören die nicht-sinn(eswelt)lichen brahmavihara:

Zunächst in einzelne, dann in alle Richtungen, überall, all-umfassend, die ganze weite Welt mit metta-erfülltem Gemütszustand umfangreich, erhaben, unermesslich, zugeneigt und nicht übelwollend-verletzend durchstrahlt habend, verweilt man. Nachdem man metta so entfaltet hat, erkennt man dies weisheitlich, sowie, dass die Gemütsneigung (cittam) früher beschränkt und unentfaltet war, nun aber unbeschränkt und gut entfaltet wurde und dass durch die nun entstandene Gemütsfreiheit kein begrenzt-messbares sinn(eswelt)liches Wirken bestehen oder übrig bleibt.

Dies ist der Weg zur Gemeinschaft mit Brahma.
Danach der gleiche Vorgang mit karuna, mudita und upekkha.


Wie wird brahmavihara-mäßige Gemüts-Freiheit entfaltet, was ist ihre Frucht, ihre höchste Wirkung?

Mit metta erfüllt, lässt man die 7 vollständigen Erwachenskomponenten (sambojjhangani) entstehen, auf Abgeschiedenheit, Entreizung und Aufhören gestützt, die in Loslassen übergehen. - Nach verschiedenen Übungen zur Überwindung der Widerwärtigkeits- und Nicht-Widerwärtigkeits-Identifizierung (sañña, wird auch mit Wahrnehmung übersetzt), wenn man anstrebt (akankhati): 'Von Widerwärtigem (patikulañca) und Nicht-Widerwärtigem (appatikulañca) frei geworden, sollte ich gleichmütig verweilen, gewahr(werd)end (sato) und klar erkennend (sampajano)', dann verweilt man gleichmütig, gewahr(werd)end und klar erkennend. Die loslassende Be-Freiung (vimokkham) angenehm-hellen Glanzes (subham, auch: Schönheit) erlangt habend, verweilt man darin. Metta-mäßige Gemüts-Freiheit führt höchstens zu angenehm-hellem Glanz, falls ein weisheitlich Erkennender nicht zu weitergehender Freiheit durchdringt.

Mit karuna erfüllt, lässt man die 7 vollständigen Erwachenskomponenten entstehen, die in Loslassen übergehen. - Nachdem man die Gestalt-Identifizierungen (rupasaññanam) überschritten, die Gegenwendung gegen Identifizierungen (patighasaññanam) zum Verschwinden gebracht, sich auf die Viel(fach)heits-Identifizierungen (nanattasaññanam) nicht geistig ausgerichtet (amanasikara) hat, erfasst man 'Unbegrenzer Raum (ananto akaso)'; den Bereich des unbegrenzten Raumes (akasanañcayatanam) erlangt habend, verweilt man darin. Karuna-mäßige Gemüts-Freiheit führt höchstens zum Bereich des unbegrenzten Raumes, falls ein weisheitlich Erkennender nicht zu weitergehender Freiheit durchdringt.

Mit mudita erfüllt, lässt man die 7 vollständigen Erwachenskomponenten entstehen, die in Loslassen übergehen. - Nachdem man den Bereich des unbegrenzten Raumes überschritten hat, erfasst man 'Unbegrenzter (Wohl-) Erkennens-Suchlauf (anantam viññanam)'; den Bereich des (unbegrenzten) Erkennens-Suchlaufes (viññanañcayatanam) erlangt habend, verweilt man darin. Mudita-mäßige Gemüts-Freiheit führt höchstens zum Bereich des (unbegrenzten) Erkennens-Suchlaufes, falls ein weisheitlich Erkennender nicht zu weitergehender Freiheit durchdringt.

Mit upekkha erfüllt, lässt man die 7 vollständigen Erwachenskomponenten entstehen, die in Loslassen übergehen. - Nachdem man den Bereich des Erkennens-Suchlaufes überschritten hat, erfasst man 'Da ist nicht etwas (natthi kiñci)'; den Bereich der Nichtetwasheit (akiñcaññayatanam) erlangt habend, verweilt man darin. Upekkha-mäßige Gemüts-Freiheit führt höchstens zum Bereich der Nichtetwasheit, falls ein weisheitlich Erkennender nicht zu weitergehender Freiheit durchdringt.

Die gut geübt entfalteten brahmavihara wirken gemütsbefreiend, und wenn dadurch kein unheilsames Wirken mehr verübt wird, wird sich früher verübtes noch hier in diesem Leben auswirken und es holt einen davon kein Leiden später mehr ein. Auf diese Weise führt jeder brahmaviharo gemäß der jeweiligen Entfaltungs- und Wirk-Möglichkeit bis zur Nichtwiederkehr (anagamita), also endgültig hinaus aus dem sinnesweltlichen Dasein; dies, falls ein weisheitlich Erkennender nicht hier schon zu weitergehender Freiheit, also einem jetzt völligen Heilwerden mit Beendigen (arahattam) des samsarischen Weiterwanderns, durchdringt.

Dieses Endziel wird mit folgender Schulungskombination verwirklicht:

Sobald die wohltuende Gemütsneigung (cittam) in einem standfest und gut verankert ist und keine (sinn(eswelt)lich) schlechten und unheilsamen Eigenschaften (dhamma) sie mehr erfassen, ab dann soll die metta-mäßig hervorgebrachte Gemüts-Freiheit (cetovimutti) angemessen und häufig übend entfaltet werden.

Sobald dann diese metta-mäßige Gemüts-Einigungs-Qualität (samadhi) entfaltet und gut geübt ist, ab dann soll diese Gemüts-Einigung mit und ohne Bedenken bzw. Nachdenken, mit und frei von Verzückung, hochgestimmt und unbewegt-unbeteiligt hinsehend, also in den vier weltabgewandten Entrückungs-Zuständen (jhanani), entfaltet werden.

In den Entrückungen (jhanani) wird im ersten jhanam der (Empfindungs-) Körper durchtränkt und gesättigt mit aus Abgeschiedenheit entstandener Verzückung und Wohlbehagen (vivekajena piti-sukhena), im zweiten mit aus Einigung entstandener Verzückung und Wohlbehagen (samadhijena piti-sukhena), im dritten mit verzückungslos entstandenem Wohlbehagen (nippitikena sukhena) und im vierten wird der (Empfindungs-)Körper durchtränkt und gesättigt mit aus Reinigung entstandenem gereinigtem Gemütszustand (parisuddhena cetasa pariyodatena).

Danach der gleiche Vorgang mit karuna, mudita und upekkha.

Sobald diese Gemüts-Einigung entfaltet und gut geübt ist, ab dann ist nach dem Beseitigen von weltlicher Gier und Kummer (abhijjhadomanassam) gewahr(werd)end (satima), klar erkennend (sampajano) und unermüdlich (atapi) das durchdringende Ansehen (anupassato) der vier das Gewahr(werd)en voranbringenden Praxisfelder (satipatthana) einzuüben, - abwechselnd mit den sich jeweils anschließenden Gemüts-Einigungs-Entfaltungen in den vier weltabgewandten Entrückungs-Zuständen, - bis man versteht (pajanati), es gibt aus diesem Identifizierbaren (saññagata) ein Entkommen (nissaranam), wodurch die Gemütsneigung von Begehrenseinflüssen (kamasava), Werdenseinflüssen (bhavasava), Unwissenseinflüssen (avijjasava) frei wird (vimuccati). So befreit, entsteht das weisheitliche Erkennen (ñanam) dieser Freiheit, nämlich dass die Wiedergeburt versiegt, der "heilige Wandel" vollbracht, alles Erforderliche getan ist und es nach dieser Existenz keine weitere mehr gibt.


D. Zusammenfassend kann von den brahmavihara gesagt werden:

Aus heilsam-hellem Wirken der Reinigung des Gemüts entsteht als helle Wirkung die Reinigung von den Gemütshemmungen und damit die Gemüts-Einigung (samadhi). Wird dies weisheitlich aufgrund Rechter Anschauung (sammaditthi) immer wieder erkannt, so werden bei der jeweils spezifisch loslassenden Be-Freiung (vimokkham) zur Gemüts-Freiheit (ceto-vimutti) im Gemüts-Einigungsabschnitt (samadhikkhandam) des Edlen achtfältigen Weges (ariyo atthangiko maggo) verschiedene sinneswelt-abgewandt-höhere befreiende Wohl-Zustände entfaltet.

Dazu gehören die nicht-sinn(eswelt)lichen brahmavihara mit göttlichen Qualitäten und Charakteristika geläuterter Erhabenheit, unbefleckter Rein-heit und reinigend-erhellender Befreiungs-Wirkung. Entfaltet lassen sie sinn(eswelt)lich Gewirktes ohne Wirkung, wechsel-wirkend systemisch-systematisch mit folgenden weiteren höheren Wohl-Zuständen und Übungen verschränkt bzw. verbunden:

  • Mit jedem brahmaviharo lässt man jeweils die voll entfalteten Erwachenskomponenten (sambojjhangani) entstehen und übt weiter;
  • dadurch erlangt man je brahmaviharo unterschiedliche Reichweiten von Gemüts-Freiheit, weisheitlich erkennend noch weitergehende Freiheit;
  • dabei führt jeder brahmaviharo zur Nichtwiederkehr (anagamita);
  • mit dem Einbeziehen der satipatthana-Erkennens-Übungen, abwechselnd mit der weiteren Gemüts-Einigungs-Entfaltung in den weltabgewandten Entrückungs-Zuständen (jhanani), kann das völlige Heilwerden mit Beendigen (arahattam) des samsarischen Weiterwanderns erlangt werden.

suppatipanno / ujuppatipanno / ñayappatipanno / samicippatipanno bhagavato savakasangho


Lehrreden-Quellen des Pali-Kanons (Auswahl):

A III.101 Der Salzklumpen - Gewirkte Wirkung/Tikanipatapali (10) 5. Lonakapallavaggo 9. Lonakapalla-suttam

A.V.21 Respektlos zum ersten - Stufenweise bedingter Fortschritt
I/3.1. Pathama-agarava-suttam und A.V.22 Respektlos z. zweiten - S.b. Fortschritt II/3.2. Dutiya-agarava-suttam

A VIII.63 Zusammengefasst - Fortschreitende Gemüts-Einigung/Atthakadinipatapali (7) 2. Bhumicalavaggo 3. Samkhitta-suttam

A X.208 Körpergewirkt - Mit kammam-Überwindung zum dukkham-Aufhören/Dasakanipatapali (21) 1. Karajakayavaggo 9. Karajakaya-suttam

D 2 Frucht des Asketentums/Silakkhandhavaggapali 2. Samaññaphala-suttam

D 13 Dreifach herausgefunden wissend/Silakkhandhavaggapali 13. Tevijja-suttam

D 33 Zusammen-/Übereinkunft/Pathikavaggapali 10. Sangiti-suttam

M 7 Über die Kleidung - Befleckung versus Reinheit/Mulapannasapali

1. Mulapariyayavaggo 7. Vattha-suttam

M 57 Asketische Hundenachahmübung/Majjhimapannasapali 1. Gahapativaggo 7. Kukkuravatika-suttam

S 22.55. Ein feierlicher Ausspruch/Khandhavaggo 1.6.3. Udana-suttam

S 46.54. Mit Freund(schaft)lichkeit verbunden/Mahavaggo 2.6.4. Mettasahagata-suttam

Sn 1.8. Freund(schaft)lichkeit/Khuddak anik aye Suttanipatapali 1.8. Metta-suttam

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Quelle:
Buddhistische Monatsblätter Nr. 2/2013, Mai - August 2013, Seite 30-42
Vierteljahreszeitschrift der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juli 2013