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PRESSE/970: Die Grundlagen des Buddhismus (DMW)


Der Mittlere Weg - Nr. 2, Mai - August 2013
Zeitschrift des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

Die Grundlagen des Buddhismus

von Axel Rodeck




I. Das indische Umfeld und der Buddha



1) Die Upanishaden als Ausgangslage

Jede geistige Entwicklung erfolgt aus den vorgegebenen Umständen heraus. Auch die Wurzeln des Buddhismus reichen tief in frühere Epochen und sein Inhalt ist ohne Berücksichtigung vorangehender historischer, sozialer und philosophischer Geschehnisse nicht erklärbar. Ausgehend von der interkulturellen Begegnung arischer und drawidischer Tradition war vor 3000 Jahren in den Upanishaden (von der Wortwurzel sad = sitzen, d.h. Texte, die man zu den Füßen des Lehrers sitzend hörte) eine Philosophie entstanden, die sich hauptsächlich mit der Frage nach dem tragenden Prinzip des "Ich" befasste, mit dem Erleben des Eigenseins.

a) Der Atman. Die Suche nach dem wahren "Ich" führte zunächst in der Naturphilosophie zur Frage nach dem Träger des Lebens, der anfangs im Wasser, später im Wind und letztlich im Feuer vermutet wurde. Im 9. Jhd.v.Chr. wurde der Gedanke jedoch aufgegeben, den Träger des Lebens im stofflichen Bereich zu suchen. Stattdessen wurde eine metaphysische Konzeption entwickelt, wonach es eine als "Atman" bezeichnete Individualseele gibt, die den Tod des Menschen überdauert und als sein Kern der ständigen Wiedergeburt unterliegt, bis der Mensch die Erlösung gefunden hat, also frei vom Kreislauf der Wiedergeburten geworden ist. Diese Individualseele ist letztlich identisch mit der als "Brahman" bezeichneten Weltseele. (sog. "All-Einheitsmystik")

b) Das Karma. Wenn aber der "Atman" sich immer wieder inkarnierte, so ergab sich die Frage, warum dies unter so unterschiedlichen Bedingungen erfolgte, als Reicher oder Armer, gesund oder behindert, als Mensch, Gott oder Tier. Die Antwort gab die Lehre von Ursache und Wirkung, die Karma-Theorie (Karma = Tat, Handlung), welche gegen Ende der Upanishad-Zeit entstanden war. Mit der Karmalehre wird der alte Schicksalsglaube der Inder abgelöst durch die Vorstellung von einem Zwang zur Wiedergeburt in Abhängigkeit von den Taten und ihrer Vergeltung:

Ausgehend von der Naturbeobachtung, dass eine Wirkung stets auf eine Ursache zurückzuführen ist, müssen auch die Handlungen des Menschen kausale Folgen für ihn haben dergestalt, dass gute Taten zu guten und schlechte Taten zu schlechten Folgen führen. Die feinstofflich gedachte Seelensubstanz wird durch die Taten des Individuums in positiver wie in negativer Hinsicht beeinflusst, und zwar über die gegenwärtige Existenz hinaus. Wenn man somit mit gutem "Karma" in eine gute und mit schlechtem Karma in in eine schlechte Wiedergeburt kommt, so liegt es auf der Hand, dass man n i c h t wiedergeboren (= erlöst) wird, wenn man gar kein Karma mehr ansammelt. Wie dies zu machen sei, wurde dann Buddhas Problemstellung.

c) Weitere Axiome indischen Denkens, die für die Buddhalehre von Bedeutung sind, sollen nur kurz erwähnt werden:

Die Welt ist ein sich selbst organisierendes System, das dem karmischen transpersonalen Weltgesetz (dharma) gehorcht. An einen allmächtigen Schöpfergott wie in den abrahamitischen Religionen glaubt man daher nicht.

Es herrscht die Vorstellung eines zyklischen Weltbildes, wonach sich alles in einem (anfangs- und endlosen) Kreislauf befindet, aus dem der einzelne Mensch jedoch erlöst werden kann. (Die monotheistischen Religionen haben dagegen ein Weltbild mit Anfang und Ende und eine kollektive Erlösung bzw. Verdammnis der Menschen.) Erlösung ist deswegen erforderlich, weil - entgegen der Weltfreudigkeit der vedischen Zeit - nunmehr von einer universalen Leidhaftigkeit des Daseins ausgegangen wird. Hier bahnt sich bereits die spätere buddhistische Unheilsidee an. Die Erlösung kann sowohl durch rationale Erkenntnis als auch durch meditative Erfahrung erfolgen.

Schließlich spielt eine Rolle das Erleben des Daseins unter dem Aspekt von Nichtdauer und Substanzlosigkeit - doch so wie es ist, muß man es hinnehmen. Ein durch zyklisches Denken, eine gewisse Passivität und Egozentrismus charakterisiertes Lebensgefühl hatte dann auch Einfluß auf die großen Asketenbewegungen des 6. vorchristl. Jahrhunderts.


2) Siddhartha Gautama, der Buddha

In Kapilavatthu nahe der heutigen indisch-nepalesischen Grenze war Siddhartha Gautama, der spätere Buddha, als Sohn eines lokalen Rajas groß geworden. Er war behütet und in Wohlstand aufgewachsen in einer Zeit, die neue Ideen und neue spirituelle Bemühungen in einem sich ändernden Umfeld brachte. Die Asketenbewegungen zur Zeit Siddhartha Gautamas waren eine Reaktion gegen den vedisch-brahmanischen Opferkult und seine Entartung. Nachdem er im Alter von 29 Jahren auf der Suche nach einem Heilsweg in die Hauslosigkeit gezogen und zunächst einige Zeit suchend herumgewandert war, begab sich Gautama unter die Mentorschaft eines diesen Reformbewegungen zuzuordnenden Lehrers namens Alara Kalama, der vermutlich Yogi war und tiefgehende Erfahrungen in Meditation besaß. Doch dessen Lehren konnten ihn nicht befriedigen und so wandte er sich einem anderen Lehrer zu, Uddaka Ramaputta, von dem er offenbar in den Lehren der Upanishaden (s.o.) unterrichtet wurde. Jedenfalls kann davon ausgegangen werden, dass ihm Yogatechniken und Philosophie der damaligen Zeit von kompetenten Lehrern vermittelt wurden.

Auch Uddaka Ramaputtas Lehre vermochte Gautama nicht zu überzeugen und so begab er sich, nach insgesamt nicht einmal einem Jahr Unterricht bei seinen Lehrern, in die Waldeseinsamkeit, um dort mittels härtester Askese und Selbstquälerei die Erlösung zu suchen. Zur Empörung seiner Mitasketen gab er dann aber die totale Askese auf, weil er sie als nutzlos erkannte. Vielmehr nahm er nun wieder ausreichend Nahrung zu sich, kam zu Kräften und beschritt den Weg der Kontemplation, des heiteren und unverkrampften Versenkens in sich selbst. Dabei kamen ihm die von Alara Kalama erworbenen Meditationskenntnisse zustatten. Gautama war inzwischen 35 Jahre alt geworden, als ihm im Jahre 528 v.Chr. unter einem Bodhi-Baum sitzend der große Durchbruch gelang, als er erleuchtet und damit zu einem "Buddha" (Erwachten) wurde.

Da seine früheren Lehrer inzwischen gestorben waren, suchte der junge Buddha seine ehemaligen Askesegefährten im Gazellenpark Isipatana bei Benares auf, wo diese gerade weilten. Ihnen erklärte er zunächst, um ihren Ärger über seinen Abbruch der Askese zu zerstreuen, den "Mittleren Weg" zwischen Selbstpeinigung und Sinnesfreuden:

"Diese beiden Extreme, ihr Mönche, sollte ein in die Hauslosigkeit Hinausgezogener nicht verfolgen. Welche beiden? Einerseits Hingabe an Sinnesfreuden; sie ist die Weise des gemeinen Volkes, dörfisch, banausisch, unedel und zwecklos. Andererseits Hingabe an Selbstquälerei; sie ist schmerzhaft, unedel und (gleichfalls) zwecklos. Diese beiden Extreme, ihr Mönche, hat der Erhabene vermieden, denn er hat erkannt, dass es der Mittlere Weg ist, der sehend macht, Wissen erzeugt, zur Beruhigung (der Leidenschaften), höherer Erkenntnis, Erleuchtung und Verlöschen führt."
(Übersetzung hier und folgend von H.W. Schumann)

Sodann vermittelte er ihnen die erleuchtende Erkenntnis, die er in jener Vollmondnacht unter dem Bodhibaum meditierend erlangt hatte und die den Kern seiner Lehre bilden sollte: Die "Vier Edlen Wahrheiten" und der zur Leidensaufhebung führende achtfache Pfad, der als die vierte Wahrheit identisch mit dem vorstehend genannten "Mittleren Weg" ist. Die Bedeutung der von Buddha Gautama verkündeten vier Wahrheiten wird durch das Adjektiv "edel" unterstrichen. Sie sind für alle im Laufe der Zeit entstandenen buddhistischen Richtungen fundamental und bilden den Rahmen des gesamten buddhistischen Systems.


II. Die Vier Edlen Wahrheiten

1) Die Leidhaftigkeit des Daseins

Der Buddha folgt im Aufbau seiner Ausführungen einer der Medizin entlehnten Systematik. Die erste Edle Wahrheit stellt die Diagnose, daß der Mensch leidet, daß alles, aus dem er besteht, leidhaft ist:

"Dies, Mönche, ist die Edle Wahrheit vom Leiden (dukkha): Geburt ist leidhaft, Alter ist leidhaft, Krankheit ist leidhaft, Tod ist leidhaft; Trauer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung sind leidhaft; mit Unliebem vereint, von Liebem getrennt sein ist leidhaft; Begehrtes nicht erlangen ist leidhaft; kurz: Die fünf Skandhas (Elemente, aus denen die empirische Persönlichkeit besteht) sind leidhaft."

Bei vordergründiger Betrachtung wird man dem Buddha sicherlich zustimmen, daß etwa Krankheit und Schmerz leidhaft sind, jedoch einwenden, wieso solche Binsenweisheiten denn als fundamentale Erkenntnisse eines Erleuchteten gefeiert werden. Auch wird man darauf hinweisen, daß das Leben keineswegs nur aus negativen Momenten besteht, sondern auch aus Glück und Freude. Doch Buddhas Analyse geht tiefer. Er ist keineswegs ein weltfremder Pessimist, sondern anerkennt im Gegenteil Glück und Freude als Bestandteile des menschlichen Lebens, denn wäre dem nicht so, würde man ja gar nicht so an ihnen hängen. Doch zum Maßstab wahren Glücks macht der Buddha die Beständigkeit. Keine Freude ist jedoch von Dauer, alles woran wir haften ist vergänglich und führt damit zu Trennung und Leiden. Jedes Glück trägt den Keim des Leides bereits in sich.

Geburt, Alter, Krankheit und Tod sind Eigenheiten des Lebens und Momente des Fließens, des ständigen Anderswerdens. Sie sind ebenso Konsequenz des Zeitablaufs wie Trauer, Jammer, Schmerz und Verzweiflung, die ja aus dem Verlust von geliebten Personen oder Dingen entstehen. Konsequenz räumlicher Verhältnisse sind dann die Vereinigung mit Unliebem und die Trennung von Liebem sowie die Nichterlangung von Begehrtem. All dies führt zu Emotionen wie Haß und Gier, die den Kreislauf der Wiedergeburt in Rotation halten.

Der buddhistische Leidensbegriff geht also weit über den herkömmlichen hinaus und umfaßt alles, was dem Kreislauf von Entstehen und Vergehen unterliegt. Das gilt insbesondere für unsere aus den "Fünf Skandhas" bestehende, in pausenlosem Entstehen und Vergehen stofflicher und immaterieller Vorgänge befindliche Persönlichkeit. Ungeachtet aller Momente flüchtiger Freude ist die menschliche Existenz also ihrem wahren, grundsätzlichen Wesen nach leidhaft.

Sucht man den tieferen Sinn der Aussagen Buddhas in der Ersten Edlen Wahrheit, so stellt man fest, daß die Leidhaftigkeit der Geburt sich nicht nur auf die offenkundig mit jeder Geburt verbundenen Schmerzen bezieht, sondern auf den Vorgang des Geborenwerdens als solchen, den der dauernden Materialisierung. Die Leidhaftigkeit des Todes umfaßt entsprechend nicht nur den einmaligen Augenblick am Ende des Lebens, sondern bezieht sich generell auf Zerfall und Auflösung, auf den dauernden Wechsel der Elemente des Daseins.

Die Annahme einer grundsätzlichen Leidhaftigkeit der menschlichen Existenz ist für den Buddhisten ebenso axiomatisch wie die Vorstellung einer Wiedergeburt entsprechend den ausgeübten Taten.


2.) Der Weg zur Befreiung

a) Die zweite Edle Wahrheit benennt als Ursache des Leidens den "Durst" (Sanskrit "tanha", später auch als "Gier" bezeichnet):

"Dies, Mönche, ist die Edle Wahrheit von der Leidensentstehung: Es ist die Wiedergeburt bewirkende, wohlgefällige, mit Leidenschaft verbundene Gier (tanha), die hier und dort Gefallen findet, nämlich die Gier nach Lust, die Gier nach Werden, die Gier nach Vernichtung."

Der Mensch leidet also an seinem Begehren, dessen Nichterfüllung zu Frustration führt. Die Gier nach Lust mag unter günstigen Umständen dazu führen, daß man sich des Lustobjekts bemächtigen kann, jedoch wegen dessen unvermeidlicher Vergänglichkeit ist das Leiden schon vorprogrammiert. Jeder Gier, auch der erfüllten, wohnt somit das Leiden inne. Die Gier nach Vernichtung bezieht sich auf den Wunsch, nicht mehr existent zu sein. Dies beinhaltet auch das Denken, daß etwas Unangenehmes nicht eintreten möge, womit einem zukünftigen Geschehen bereits Macht über das Denken eingeräumt wird. Die Gier nach Werden schließlich bezieht sich auf das Ergreifen weiterer wiedergeburtlicher Daseinsformen.

Es ist also all diese Gier, die zur Wiedergeburt führt. In späteren Lehrreden stellt Buddha dann der Gier die Unwissenheit (avijja) zur Seite, denn nur wer unwissend ist (= die Edlen Wahrheiten nicht kennt) bleibt Opfer seiner Begierden. Die Leidensfaktoren wurden schließlich zu der Dreiergruppe Gier, Haß und Verblendung systematisiert.

b) Die dritte Edle Wahrheit benennt die Therapie und folgert aus der Ursächlichkeit der Gier für das Leiden, daß zur Heilung die Gier aufgegeben werden muß und an ihre Stelle der Gleichmut treten soll:

"Dies, Mönche, ist die Edle Wahrheit von der Aufhebung des Leidens: Die restlose Aufhebung, Vernichtung, Aufgabe, Verwerfung, das Freigeben und Ablegen eben dieser Gier."

c) Die vierte Edle Wahrheit benennt dann endlich die Medizin, die uns zur Überwindung der Gier helfen kann, nämlich das Beschreiten eines mittleren Weges zwischen Selbstquälerei und Sinnesfreuden, eines aus acht Gliedern bestehenden Pfades ethischer Selbstdisziplinierung: "Dies Mönche, ist die Edle Wahrheit von dem zur Leidensaufhebung führenden Wege, es ist dieser Achtfache Weg, nämlich

1. rechte Ansicht (samma-ditthi)
2. rechter Entschluß (samma-sankappa)
3. rechte Rede (samma-vaca)
4. rechtes Verhalten (samma-kammanta)
5. rechter Lebensunterhalt (samma- ajiva)
6. rechte Anstrengung (samma-vayama)
7. rechte Achtsamkeit (samma-sati)
8. rechte Meditation (samma-samadhi)."

Der Indologe H.W. Schumann fasst diese acht Glieder in den drei Gruppen "Erkenntnis" (Glieder 1 und 2), "Ethik" (Glieder 3 bis 5) und "Meditation" (Glieder 6 bis 8) zusammen. Nach anderer Ansicht empfiehlt sich eine Systematisierung in folgenden fünf Gruppen:

aa. Rechte Ansicht bezieht sich konsequenterweise auf die Einsicht in die Richtigkeit der Vier Edlen Wahrheiten, denn den buddhistischen Heilsweg kann nur beschreiten, wer die Gier als Ursache des Leidens akzeptiert und auch die anderen buddhistischen Axiome wie die tatengesteuerte Wiedergeburt anerkennt.

bb. Auf die rechte Ansicht folgen die drei Begriffe rechter Entschluß (rechte Gesinnung), rechte Rede und rechtes Verhalten, die zusammengehören. Sie erklären sich aus der bereits vorbuddhistischen Einteilung in Gedanken, Worte und Werke. Der Lebenswandel soll also in Gedanken, Worten und Taten so ausgerichtet werden, dass er der Erlösung förderlich ist. Über die Beachtung der Normen weltlichen Rechts hinausgehend gilt es, zu den Mitwesen Mitgefühl (karuna) und Güte (metta) zu entfalten und ihnen mit liebevollem Wohlwollen zu begegnen.

cc. Der rechte Lebensunterhalt bezieht sich auf den Beruf, d.h. der Mensch soll keinem Broterwerb nachgehen, der anderen Wesen ein Leid verursacht, wie etwa der des Schlachters.

dd. Rechte Anstrengung und rechte Achtsamkeit sollen sich auf die vorgenannten Glieder des Pfades richten, um Fehler bei deren Anwendung zu vermeiden. Der Heilssucher soll alle seine Tätigkeiten und inneren Abläufe ins volle Licht seines Bewusstseins heben, damit er seinen flatterhaften Geist unter Kontrolle bringen kann.

- Mit "rechter Anstrengung" als erster der Meditationstechniken werden "die Sinnestore bewacht", um keine unheilsamen Geistesinhalte aufkommen zu lassen. Denn jeder Kontakt unserer Sinnesorgane mit den Dingen der Welt kann zu Gier, Hass oder Verwirrung führen.

- "Rechte Achtsamkeit" besteht darin, den Körper, die Empfindungen, den Geist und die Geistobjekte emotionsfrei und vollbewusst zu beobachten und sie sich als vergänglich (anicca), leidhaft (dukkha) und ohne Seele (anatta) klar zu machen. Wie dies zu geschehen hat, insbesondere die Atembetrachtung (anapanasati) als wichtigste Vorübung, führt der Buddha im "Satipatthana-Sutra" ausführlich aus. Diese Achtsamkeitsmeditation, die zu einem das Objektbewusstsein übersteigenden Erlebnis geistiger Ruhe führt, war dem Buddha offenbar von seinem ersten Lehrer Alara Kalama gelehrt worden.

ee. Rechte Meditation (auch "Konzentration") als 8. Glied hat die gewissenhafte Beachtung der Glieder 1-7 zur Voraussetzung und richtet sich auf den "Zusammenschluß des Geistes". Der Meditierende soll sein Denken auf einen Punkt konzentrieren mit dem Ziel der Aufhebung des Unterschiedes zwischen Subjekt und Objekt. Denn dadurch erlischt seine Begier nach diesen Objekten, wodurch die Aufhebung des Leidens erreicht wird. "Rechte Meditation" wird meist verstanden als der Vollzug der vier meditativen Versenkungsstufen (jhana), wie sie den Buddha nach seinen eigenen Worten zur Buddhaschaft führten.

Die Meditationstechnik des 8. Gliedes (samma-samahdi) umfaßt drei Abteilungen: erstens die vom Meister selber befolgte Versenkung (Trance) in vier (später auf acht erweiterte) Versenkungsstufen; zweitens analytische (auf Durchschauung vorgefundener Dinge gerichtete) Methoden und drittens synthetische (nach außen gerichtete) Methoden. Bei letztgenannten handelt es sich um die sog. "Vier Brahma-Verweilungen" (brahmavihara), wobei der Meditierende in sich Güte (metta), Mitleid (karuna), Mitfreude (mudita) und Gleichmut (upekkha) erzeugt und diese dann in alle Weltgegenden ausstrahlt.

Die einzelnen Glieder des achtfachen Pfades sind nicht zeitlich aufeinanderfolgend gedacht, aber auch nicht gleichzeitig. Zwischen ihnen besteht vielmehr Wechselwirkung. Für das Verständnis des achtgliedrigen Pfades wie überhaupt für die Buddhalehre ist wichtig festzustellen, daß zwar zunächst - durch rechte Anstrengung - positives Karma angesammelt werden soll. Letztes Ziel ist dann aber, überhaupt kein Karma mehr zu sammeln, um die Erlösung zu erreichen. Die "rechte Achtsamkeit" ist essentiell eine buddhistische Meditation, während die "Konzentration" auch von den Hindu-Yogis betrieben wird. Ob eine Differenzierung zwischen Beruhigungs- (samatha) und Einsichts- (vipassana) Meditationen sinnvoll ist, wird unterschiedlich beantwortet.


III. Die weiteren Lehren

1) Die Lehre vom Nicht-Ich

Wenn aber der Ersten Edlen Wahrheit zufolge das Dasein leidhaft ist, so stellt sich die Frage nach dem Subjekt des Leidens, also nach demjenigen, der da leidet. Sei es, dass der Buddha seinen Mönchsgefährten erst einmal eine Verschnaufpause gönnte, sei es, dass er selber seine Lehre noch einmal durchdenken wollte - jedenfalls wartete er ein paar Tage, bis er seine Lehrunterweisung im Gazellenpark Isipatana fortsetzte und die Lehre vom Nicht-Ich, von der Seelenlosigkeit der Person (Sanskrit: anatman; Pali: anatta) verkündete.

Mit scharfsinniger Analyse teilt der Buddha die menschliche Persönlichkeit in fünf Gruppen ("skandhas") ein, nämlich den Körper (rupa) als materielle Basis und die vier nichtphysischen Gruppen (nama) Empfindung, Wahrnehmung, Geistesregungen und Bewusstsein. In irgendeiner dieser Gruppen müsste die Seele - der von den Brahmanen postulierte, sich ewig durch die Wiedergeburten ziehende "Atman" (s.o. I 1 a) - ja dann stecken.

"Was denkt ihr, Mönche, ist der Körper beständig oder unbeständig?"
"Unbeständig, Herr."
"Was aber unbeständig ist, ist das leidhaft oder freudvoll?"
"Leidhaft, Herr."
"Was aber unbeständig, leidhaft, dem Gesetz des Untergangs unterworfen ist, ist es recht, das anzusehen als 'Dies ist mein, dies bin ich, dies ist meine Seele?'"
"Gewiß nicht, Herr."

Also schon beim Körper, der aus Haut, Knochen, Fleisch und anderem Material bestehenden ersten Gruppe, erhalten wir eine Fehlanzeige. Denn von frühen Kinderjahren bis zum Greisenalter ist er ständiger Veränderung unterworfen und nach dem Tode löst er sich völlig auf. Er ist ein durch permanente Aufnahme und Ausscheidung von Stoffen gebildetes "Fließgleichgewicht", ein zwischen Zeugung und Tod ablaufender Prozeß. Was derart der Vergänglichkeit unterliegt, kann aber nicht für sich in Anspruch nehmen, die ewige Seele zu sein.

Für die anderen Gruppen, die zusammen mit dem Körper die empirische Person bilden, gilt dasselbe. Empfindungen, Wahrnehmungen und dadurch bedingte Geistesregungen und Bewusstsein kommen und gehen pausenlos, wechseln ständig und können daher nicht als Seele, als eine in die nächste Existenzform nach dem Tode übergehende Entität angesehen werden. Die herkömmliche Auffassung von einem "Atman" musste daher falsch sein und der Buddha brachte das zum Ausdruck, indem er vom "Anatman" (Pali: anatta) sprach, von der Seelenlosigkeit (Ichlosigkeit) der Person.

Buddha Gautamas materialistische Anatta-Lehre hatte erhebliche Konsequenzen. Auch für ihn war entsprechend indischer Tradition Erlösungsziel die Befreiung aus dem Kreislauf der Wiedergeburten, jedoch darüber hinaus das völlige Erlöschen in einem als "Nirvana" bezeichneten, mit Worten unbeschreibbaren Zustand. Dies war aber nur erreichbar, wenn keine (ewige) Seele einer solchen "Totalauflösung" entgegen stand. Mit der prinzipiellen Leugnung einer Seele entzog sich der Buddha auch den zeitgenössischen Streitereien, wo die ewigen Seelen im Fall ihrer Erlösung denn verblieben. Für den Heilssucher bedeutete die Aufgabe des Glaubens an einen "Atman", dass er frei wurde von dem Zwang, sich an den Körper als den vermeintlichen Repräsentanten seiner Persönlichkeit zu klammern. Damit konnte er die Gier nach den Objekten der Welt und die damit verbundenen Frustrationen vermeiden.

Freilich bestritt der Buddha nicht, dass jeder Mensch als empirische Person über ein "Ich" im Sinne einer psycho-physischen Einheit verfügt. Doch es besteht die Gefahr, dieses Ich überzubetonen und es abzugrenzen gegenüber allem, was "Nicht-Ich" ist. Der Mensch schafft sich so eine Welt der Gegensätze und wird Gefangener der Vorstellung einer allgemeinen Polarität wie gut und böse, richtig und falsch, Gott und Teufel. Er vermag sich nicht einzugestehen, dass nicht die Welt polar ist, sondern sein Bewusstsein. Die Polarität unseres Bewusstseins zwingt uns, immer zwischen zwei gegebenen Möglichkeiten zu entscheiden, was bedeutet, stets wählen und dabei eine der Möglichkeiten unverwirklicht lassen zu müssen. Dieser Dualismus unversöhnlicher Gegensätze beherrscht insbesondere die westliche Kultur, hindert uns an die Gegensätze überwindenden Lösungsansätzen und macht uns gar krank. Meditation ist ein Weg, sich der Polarität zu entziehen und die hinter ihr stehende Einheit zu erkennen.


2) Der Konditionalnexus

Allerdings musste sich der Buddha der kritischen Frage stellen, wie man sich denn die Wiedergeburten ohne die Wanderung einer von ihm ja in Abrede gestellten Seele vorstellen solle, was es denn sei, das wiedergeboren werde. Er antwortete hierauf mit dem von ihm entdeckten Prinzip des Entstehens in Abhängigkeit (paticcasamuppada).

Die Lehre vom Entstehen in Abhängigkeit (Konditionalnexus) ist, anders als die auf die Praxis bezogene Lehre von den Vier Edlen Wahrheiten, eher theoretischer Natur. Sie soll die Wiedergeburt ohne Seele erklären und nicht etwa praktische Ziele verfolgen. Vermutlich stammt sie in der überlieferten Form nicht vom Buddha selber, sondern ist das Werk späterer Mönche. Es fällt auf, dass als Ursache des Leidens nicht mehr die Gier (tanha), sondern die Unwissenheit (avijja) angegeben wird, von der die Gier nur eine Folge ist.

Die Formel besteht aus zwölf Gliedern, von denen einige "alte Bekannte" für uns sind, nämlich die oben ( II 1 und III 1 ) schon erwähnten Skandhas, welche die empirische Person ausmachen. Die Beziehung zwischen den Gliedern ist nicht einfach nur kausal (also nur auf einer Ursache beruhend), sondern es ist eine Mehrzahl von Bedingungen erforderlich, damit eine Wirkung erfolgen kann (Konditionismus). In einem solchen Zusammenhang stehen auch schon die "fünf Skandhas", diese flüchtigen Scheingebilde. Der 12-gliedrige "Konditionalnexus" soll aber die über die Einzelpersonen hinausgehende Geburtenfolge verdeutlichen. Dazu erstreckt er sich - sicherlich etwas umständlich - über drei menschliche Existenzen.

(1) Das erste Glied der Kette (und des Leidens!) ist die Unwissenheit (avijja), nämlich von der Leidhaftigkeit des Daseins, was gleichbedeutend ist mit der Unkenntnis des in den Vier Edlen Wahrheiten dargelegten Heilsweges. Sie ist die Bedingung für das Entstehen von
(2) Tatabsichten (sanskharas, entsprechend den "Geistesregungen" der Skandhas), welche gut, schlecht oder neutral sind und ein dementsprechendes
(3) Bewusstsein hervorrufen. Dieses prägt nach dem Tode eines Menschen
- hier Wiedergeburt! -
(4) die in einem Mutterschoß entstehende neue empirische Person (namarupa), welche
(5) Sechs Sinne (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten und Denken) entwickelt, mit denen sie die
(6) Berührungen der weltlichen Dinge erfährt, was zu angenehmen oder unangenehmen
(7) Empfindungen führt. Daraus entwickelt sich die
(8) Gier (tanha, s.o. II 2) nach den schönen Dingen des Lebens. Und dies ist wiederum der Grund, warum wir im Tode nicht loslassen können, sondern eine neue empirische Person
(9) ergreifen mit der Folge des
- hier Wiedergeburt! -
(10) Werdens eines neuen Wesens mit der unausweichlichen weiteren Folge von
(11) Geburt und
(12) Tod.

Nach diesem System geht also keine irgendwie geartete Seelenmonade in die neue Existenz über, sondern diese wird konditional geprägt durch die Eindrücke, die der Sterbende hinterlässt. Das Bewusstsein der vorigen Existenz prägt das neue Bewusstsein, ohne jedoch mit ihm identisch zu sein.


3) Karma, Ethik und Weisheit

a) Karma. Der Buddha hatte die Lehre vom Karma, von der Vergeltungskausalität ( s.o. I 1 b), aus den Upanishaden übernommen, jedoch in einem entscheidenden Punkt geändert. Denn nach herkömmlicher Lehre ergaben sich die entsprechenden Folgen aus der Tat als solcher. Wenn aber, so Buddha Gautamas scharfsinnige Überlegung, a l l e Taten Folgen haben, dann kann der Mensch niemals ihren karmischen Wirkungen entfliehen, da er ja nun einmal zur Lebensführung ständig irgendwelche Handlungen vornehmen muß. Der die individuellen Folgen begründende Faktor kann daher nicht in der Tat an sich, sondern nur in der ihr zugrunde liegenden Absicht gesucht werden. Die Tatabsichten (sanskharas) sind es also, die gutes, schlechtes oder neutrales Karma bewirken und die man bei gehöriger Anstrengung auch entsprechend beeinflussen kann. Das Rezept des buddhistischen Erlösungsweges lautet deshalb, man solle wohlwollend und mit klarem Geist handeln ohne jegliche Gier nach Erfolg. Damit hatte der Buddha das karmische Wirkungsprinzip in den Geist verlegt und eine Gesinnungsethik begründet.

b) Ethik. Unerlässliche Voraussetzung für den buddhistischen Weg und jede Meditation ist ein angemessenes ethisches Verhalten. Was ethisch korrekt ist, hat der Buddhismus in fünf Grundregeln (silas) festgehalten, die von allgemeiner Gültigkeit sind und sich in ähnlicher Form auch in den christlichen 10 Geboten finden: Am Anfang steht die traditionelle Ablehnung des Tötens, dann soll man nicht lügen, stehlen, ehebrechen und übermäßig Alkohol genießen. Doch darüber hinaus entwickelt der Buddhismus hieraus Regeln zur positiven Lebensgestaltung, etwa zur Pflege von Natur und Umwelt oder zum heilsamen Umgang mit Worten und Informationen. Denn nicht nur das Unterlassen von negativen Gedanken, Worten und Handlungen, sondern auch das Bemühen um heilsames Denken, gütige Sprache und positive Taten macht die buddhistische Ethik aus. Die für jedermann geltenden fünf Silas werden für Mönche auf zehn verdoppelt, wobei die Erweiterungen mehr disziplinären als ethischen Charakter tragen. (z.B. "Nichtbenutzung hoher Betten") Die Silas ergänzen den achtfältigen Weg (s.o. II 2 c bb).

Woher nimmt aber nun der Buddhismus seine Auffassung von einem sittlichen Lebenswandel, von den "fünf Silas", deren universale ethische Grundregeln ja in allen Weltreligionen betont werden? Die Antwort ist überraschend einfach: Unter Verzicht auf metaphysische Begründung und außerweltliche Verankerung fordert der Buddhismus, dass die Ethik durch den Verstand kontrolliert werden soll. Wie im chinesischen Dirghagama ausgeführt wird, gehören Sittlichkeit und Verstand unverzichtbar zusammen: "Sittlichkeit und Vernunft sind die beiden Grundpfeiler, auf die das gesamte Gebäude der Religion des Buddhismus gegründet ist." (K. Meisig) Sittliches Handeln, das vom gesunden Menschenverstand kontrolliert wird, führt also zwingend zur Beachtung der Grundregeln buddhistischer Sittlichkeit. Allerdings geben dann zusätzlich Mitleid (karuna) und Güte (metta) der buddhistischen Ethik erst die Lebenswärme, die sie den durch göttliche Androhungen oder durch Strafgesetze erzwungenen Verhaltensweisen überlegen macht. (s.o. II 2 c dd)

c) Weisheit. Meditation ist sicherlich erforderlich, um den Geist zur Ruhe zu bringen, wenn man jedoch aus der Trance wieder auftaucht, wird das Bewusstsein doch wieder von Fragen und Gedanken gequält. Der Buddha erkannte, dass zur Beendigung dieser Grübeleien noch die Weisheit hinzukommen muß, die sogar noch höher als Ethik und Meditation einzustufen ist (sila - samadhi - prajna). Er akzeptierte jede der Erlösung dienende Wahrheit, gleich ob die Erkenntnis auf eigenem Nachdenken, auf Gehörtem oder auf Kontemplation beruhte. Die Erkenntnis der Relativität aller Wahrheiten, die das Anhaften an ihnen als Illusion zeigt, bekommt dann eine heilspragmatische Bedeutung.

Die von Gautama geschaffenen Grundlehren werden von allen späteren Schulen anerkannt und bildeten den Keim künftiger Entwicklungen, so z.B. die Anatta-Lehre für die Leerheitsphilosophie des Mahayana. Alle späteren Neuerungen betreffen nicht die Axiome und die Kernlehre des Buddhismus, sondern nur den für empfehlenswert gehaltenen Heilsweg.

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Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
45. Jahrgang, Mai - August 2013, Nr. 2, Seite 6-14
Herausgeber: Buddhistischer Bund Hannover e.V.
Drostestr. 8, 30161 Hannover,
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E-mail: info@buddha-hannover.de
Internet: www.buddha-hannover.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. August 2013