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PRESSE/987: Betrachtungen über den Tod (DMW)


Der Mittlere Weg - Nr. 1, Januar - April 2015
Zeitschrift des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

Betrachtungen über den Tod

von Ulrich Beck



Kürzlich stieß ich wieder einmal auf den berühmten lateinischen Spruch: Quidquid agis, prudenter agas et respice finem. Fast ein Jahrzehnt hatte man uns früher mit Latein drangsaliert, und viel ist nicht mehr davon nicht übrig. Aber doch immerhin dieser bedeutsame Spruch: Was auch immer du tust, mache es klug (oder gar weise?) und bedenke das Ende. Natürlich ist mit dem Ende der Tod gemeint. Aber welcher junge Mensch denkt schon an den eigenen Tod? Vielleicht ist er aber schon in jungen Jahren einmal mit dem Tod durch das Sterben eines nahen oder entfernten Angehörigen in Berührung gekommen, wie es mir trauriger Weise mit dem frühen Tod meines um drei Jahre älteren Bruders beschieden war. Aber auch solch ein schreckliches Ereignis führt "nur" zu Trauer, aber bei einem jungen Menschen wohl kaum zum Nachdenken über den eigenen Tod.

Mit zunehmendem Alter wird es einem aber immer deutlicher bewusst, dass der eigene Tod nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen wird, besonders wenn sich Krankheiten einstellen, welche die Lebenserwartung verkürzen können. Ganz natürlich steigt dann mit zunehmender Häufigkeit der Wunsch auf, "etwas zu tun", wobei es jedem klar ist, dass es gegen die unausweichliche Tatsache "Tod" nichts zu tun gibt. Das oben erwähnte "et respice finem" ist wohl eine kluge Aufforderung, nur gibt sie uns leider methodisch nichts an die Hand. Könnte es zumindest so etwas wie eine Vorbereitung auf das Ende geben?

Glücklicherweise gibt es ja die buddhistischen Lehren, die uns auch bei der Frage "Wie kann ich mich auf den Tod vorbereiten" behilflich sein können. Ferner sagen sie uns, dass es beim Handeln auf das Hier und Jetzt ankommt, wobei man seine Gedanken nicht einem anderen Thema zuwendet.

In Edward Conzes Buch "Thirty Years of Buddhist Studies (Cassirer 1967) gibt es ein Kapitel "Meditation über den Tod" (Meditation on Death). Einleitend heißt es hier: Nach Buddhagosa sind nur zwei unter den vierzig meditativen Übungen immer und unter allen Umständen zu empfehlen - die Entwicklung von Freundlichkeit und das Nachdenken über den Tod. Dabei gedenkt man der Tatsache (et respice finem), dass man mit Sicherheit sterben wird. Man gebe die Suche nach Wertlosem auf und verstärke die eigene innere Unruhe oder den eigenen Antrieb, bis man jegliche Art von Trägheit aufgegeben hat. Hier stimmt Buddhagosa mit Platon überein, der gesagt (oder geschrieben) hat, dass es drei Verehrer des Wissens gibt, die nichts anderes üben als das, wie man stirbt oder wie man dem Tod begegnet.

Nach Buddhagosa bedeutet "Tod" das Erlöschen der durch ein einzelnes Dasein begrenzten Lebenskraft. Was hier gemeint ist sind diese beiden Arten des Todes: der rechtzeitige Tod und der unzeitige Tod.

Von diesen erfolgt der rechtzeitige Tod (kala marana) durch Versiegung des Verdienstes, Versiegung der Lebensdauer oder Versiegung beider. Der unzeitige Tod (akalamarana) erfolgt durch ein die Früchte früheren Wirkens zerstörendes Wirken. (Aus "Der Weg zur Reinheit, Visuddhi Magga, Übersetzung von Nyanatiloka, Kristiani Verlag 1975)

Der praktische Rat von Buddhagosa lautet: Der Yogin sollte Lebewesen betrachten, die getötet wurden oder tot sind und auf den Tod von Menschen hinweisen, die starben und zuvor in Reichtum (oder anders ausgedrückt "in Saus und Braus") gelebt hatten. Hierbei sollte er Achtsamkeit anwenden, Unruhe oder Aktivität und Erkenntnis mit den Worten aufbauen "Der Tod wird stattfinden". Wenn er so vorgeht, geht er weise vor, d.h. zweckdienlich. Denn nur wenn er auf diese Weise übt, werden seine Hindernisse abgebaut, wird Achtsamkeit auf das "Objekt Tod" gewonnen und ein gewisser Grad an Konzentration erreicht werden. (Zitat aus E. Conze, Thirty Years of Buddhist Studies, Cassirer 1967, S. 87-105)

Heutzutage sind die im Pali Kanon empfohlenen Leichenbetrachtungen (Sivathika) wohl kaum mehr zu praktizieren. Man ist sehr überrascht, wenn man jüngere Menschen oder selbst die im mittleren Lebensalter fragt, ob er schon einmal einen Toten gesehen hat. Die Frage wird meist mit einem Nein beantwortet. Ausnahmen finden sich natürlich in ärztlichen oder Pflegeberufen, bei denen die konkrete Begegnung mit dem Tod zur Routine gehört. Es wäre aber wahrscheinlich heilsam für ängstliche oder hypochondrische Wesen, wenn sie einmal einen friedlich Entschlafenen sehen könnten.

Wie könnte der Tod betrachtet werden? Es werden folgende acht Weisen empfohlen (zusammengefasst nach Visuddhi Magga, S. 268-280)

1. Man sollte den Tod sehen wie einen Mörder, der vor einem steht, als jemanden also, der mit gezücktem Schwert vor uns steht und beabsichtigt, uns den Kopf abzuschneiden. Und warum? Weil der Tod mit der Geburt zusammen kommt und uns das Leben wegnimmt.

2. Aus dem unausweichlichen Verlust von allem Erreichten heraus. In dieser Welt hat Erfolg nur so lange Bestand, bis er durch Versagen überwältigt wird.

3. Aus einer Schlussfolgerung heraus, was bedeutet, dass man von sich auf andere schließt. Man sollte sich dabei mit sieben Arten von Personen vergleichen, die gestorben sind: mit berühmt Gewordenen, Menschen mit großen Verdiensten, Menschen mit großer Macht, groß in magischen Kräften, bedeutend in ihrer Weisheit, Pratyekabuddhas und vollständig erleuchteten Buddhas.

4. Aus der Perspektive heraus, dass man den Körper mit vielen anderen teilt. Dieser Körper ist das gemeinsame Eigentum von vielen. Er wird mit acht Klassen von Parasiten-Tieren geteilt, und er erleidet den Tod als Ergebnis ihrer Virulenz. Vergleichsweise gehört er vielen hundert Arten von Krankheiten, die in ihm entstehen als auch äußeren Gründen wie Schlangen, Skorpionen usw.

5. Aus dem Blickwinkel der Schwäche der Lebenssubstanz heraus. Diese Lebenskraft ist schwach. Denn das Leben von Lebewesen ist abhängig von Ein- und Ausatmung, den Körperhaltungen, von Hitze und Kälte, von der Nahrung.

6. Aus der Perspektive des Fehlens von Anzeichen heraus, die auf den genauen Zeitpunkt des Todes hindeuten.

7. Aus der Begrenztheit der Lebensdauer heraus:

"Gar flüchtig ist der Menschen Sein, Verabscheun'n sollt's der edle Mann Und leben, als ob's Haupt ihm brenne, Denn keine Rettung gibt's vor'm Tod
(S.IV,9)

8. Aus der Kürze des Augenblicks heraus. In letzter Wirklichkeit leben die Wesen nur für einen extrem kurzen Augenblick, denn das Leben dauert gerade einmal so lange wie ein einzelner gedanklicher Moment:

"Das Leben, sowie alles Dasein,
Wie alle Freude aller Schmerz,
Hängt bloß an einem Denkmoment
Und schnell eilt der Moment dahin."
"Die Daseinsgruppen sind erloschen,
Bei Lebzeiten oder beim Tod,
Sind ganz in gleicher Weise nun
Dahin auf Nimmerwiederkehr.
"Nicht lebt im künftigen Moment man,
Lebt jetzt in diesem Denkmoment;
Wenn der erlischt, erlischt die Welt:
Dies Wort ist wahr im höchsten Sinn"

Was könnte uns noch ganz wesentlich bei der Vorbereitung auf den Tod helfen? Neben der ständig geübten Achtsamkeit sind eine langjährige Übung des Verzichtes, der Entsagung und besonders auch das Akzeptieren des Todes zu nennen. Ist doch der Tod auch verbunden mit einem endgültigen Loslassen oder Freigeben. Lasst uns dies üben, immer wieder, achtsam und ohne zu ermüden.

Abschließend soll noch zwei Zen Meistern das Wort erteilt werden:

Als Meister Daibi im Sterben lag, sprach er zu seinen Mönchen: "Was kommt, dem weiche man nicht aus; was geht, dem folge man nicht nach." Ein wenig später hörte er ein Flughörnchen schreien und sagte: "Genau das ist es und nichts sonst. Bewahrt das treu und brav. Jetzt muss ich fortgehen."

Meister Sokei-An sagt über den Augenblick des Todes: "Wenn dies kommt, könnt ihr nichts mehr tun. Schließt eure Augen und legt eure Hände aneinander. Geht mit dem zurück, was euch nicht gehört, hinein in den ursprünglichen Zustand, aus dem ihr gekommen seid!"

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Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
46. Jahrgang, Januar - April 2015, Nr. 1, Seite 13-15
Herausgeber: Buddhistischer Bund Hannover e.V.
Drostestr. 8, 30161 Hannover,
Tel. und Fax: 05 11/3 94 17 56
E-mail: info@buddha-hannover.de
Internet: www.buddha-hannover.de
 
"Der Mittlere Weg - majjhima-patipada" erscheint
nach Bedarf und ist für Mitglieder kostenlos.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Januar 2015


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