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BERICHT/261: Staat und Kirchen im heutigen Rumänien (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion 8/2008

Postkommunistischer Kulturkampf
Staat und Kirchen im heutigen Rumänien

Von Jürgen Henkel


Mit der Revolution in Rumänien Ende 1989 verband sich nicht zuletzt die Hoffnung auf Religionsfreiheit. Inzwischen melden sich kirchenkritische Stimmen zu Wort, die einen zu großen Einfluss vor allem der orthodoxen Mehrheitskirche im öffentlichen Leben beklagen und einen radikalen Laizismus befürworten.


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1989 hat die Welle der antikommunistischen Revolutionen in Ost- und Südosteuropa auch den Diktator Nicolae Ceausescu und sein Regime in Rumänien weggefegt. Die ganze Welt nahm Anteil an dieser Erlösung der Rumänen nach über 40 Jahren Kommunismus. Für christlich geprägte Geschichtsphilosophen und -interpreten waren die Tage der Revolution schon stets ein besonderer Grund zur Deutung. Am 25. Dezember, dem Tag, an dem die Christen die Geburt des Erlösers Jesus Christus feiern, kam für die Rumänen die Erlösung von ihrem Diktator durch dessen Hinrichtung in der südrumänischen Stadt Târgoviste. Ein politisches Golgatha, das die Befreiung und Wiederauferstehung des rumänischen Volkes ermöglichen sollte.

Über diese Revolution gibt es heute heftigen Streit zwischen den Historikern. Sie wird als "gestohlene Revolution" oder als "unvollendete Revolution" bezeichnet, als "Staatsstreich" oder "Austausch der Führungsetagen". Ein bisschen trifft wohl von jedem zu. Trotzdem war es nach politikwissenschaftlicher Sicht tatsächlich eine Revolution: es gab Tote, es beteiligten sich Bürger auf der Straße und es kam zu einem gewaltsam herbeigeführten Systemwechsel. Niemand bestreitet dies heute ernsthaft.

Eines jedoch ist entscheidend für die Bewertung, auch wenn dies heute zunehmend aus ideologischen Gründen geleugnet oder verdrängt wird: die rumänische Revolution auf der Straße war ganz wesentlich auch christlich motiviert. Es gab in den Revolutionstagen kaum eine Ansprache von Intellektuellen, Schauspielern und anderen Revolutionären in Rundfunk und Fernsehen, bei der nicht auf Gott und den christlichen Glauben explizit Bezug genommen wurde. Große und populäre Schauspieler wie Florin Piersic oder Ion Caramitru, später als Christdemokrat Kultus- und Kulturminister, dankten Gott für die Befreiung von der Tyrannei. Dass sie damit kein fabulöses höheres Wesen meinten, sondern den Gott des christlichen Glaubens, wurde immer dann deutlich, wenn sie sich vor laufender Kamera tief ergriffen bekreuzigten.


Die Orthodoxe Kirche bat um Vergebung

Die politischen Strippenzieher im Hintergrund, die aus dem von ihnen selbst kreierten System die größtmögliche Zahl an Gefolgsleuten und Seilschaften in die neue Zeit mit hinüberretten wollten, hatten natürlich eine andere Motivation für ihr Handeln. Doch die Menschen auf der Straße haben diese von oben geplante und kontrollierte Revolution den Politregisseuren entrissen. Sie taten dies auch, indem sie den auf sie gerichteten Gewehren Gebete und Ikonen, Kreuze und Kerzen entgegenhielten.

Die Rolle der Kirchen ist sehr unterschiedlich interpretiert worden. Der ungarische reformierte Pastor László Tökés aus Temeswar galt lange als Revolutionsikone. Heute wird er kritisch gesehen. Seine Motivation war eher nationalistischer Natur. Der Rumänischen Orthodoxen Kirche wurde immer wieder Kollaboration vorgeworfen. Dabei wurde gerne übersehen, dass die Kirche es durch mancherlei Kooperation mit dem Staat geschafft hatte, eine systematische Verfolgung und massive Kirchenzerstörung wie in der Sowjetunion zu verhindern und das binnenkirchliche Leben weitgehend aufrechtzuerhalten. Auch die Orthodoxen hatten große Opfer zu beklagen: rund 1700 Priester waren in Haft, darunter bedeutende Theologen wie Dumitru Staniloae. Viele kamen dabei ums Leben, auch bei der Zwangsarbeit am Schwarzmeerkanal.

Einen Sonderfall stellt die um 1700 durch Konversion Orthodoxer zum Katholizismus nach dem Vorbild von Brest-Litowsk von 1596 entstandene Griechisch-Katholische mit Rom unierte Kirche dar ("Unierte"). Sie wurde 1948 völlig verboten, ihre Gotteshäuser den Orthodoxen übergeben. Die Römisch-katholische Kirche war nur geduldet.

Alle Kirchen wurden schikaniert, hatten Opfer zu beklagen und mussten zum Überleben mit staatlichen Stellen kooperieren und Kompromisse schließen. Die einzige Kirche, die überhaupt keine Kompromisse machte, war die Griechisch-katholische Kirche, weil es sie offiziell nicht mehr gab. Der Religionsunterricht und die Anstaltsseelsorge waren verboten, Bistümer, theologische Zeitschriften und Fakultäten aufgelöst.

In einem bemerkenswerten und auch veröffentlichten Schuldgeständnis baten die Bischöfe der Heiligen Synode der Orthodoxen Kirche noch im Januar 1990 ihre Gläubigen und Gott um Vergebung für zu viele Kompromisse bis 1989. Der 2007 im Alter von 92 Jahren verstorbene Patriarch Teoctist, der 1986 das Amt übernommen hatte, betrachtete es als seine größte Schuld, nicht entschiedener gegen den Abriss einiger Kirchen in Bukarest protestiert zu haben. Zugleich war er es, der es persönlich hinter den Kulissen erfolgreich verhinderte, dass der ganze neben Ceausescus "Volkspalast" gelegene Patriarchatskomplex abgerissen und der Patriarchatshügel in die wahnwitzige Stadtsystematisierung integriert wurde.

Das berühmte "Solidaritätstelegramm" des Patriarchen in den Revolutionstagen, das durch alle Medien geisterte, stellte eine perfide Manipulation der Securitate dar. Eines der üblichen Glückwunschtelegramme der Kirchenführer nach Parteitagen wurde zurückgehalten und erst in diesen Tagen veröffentlicht. Solche Telegramme hatten die Kirchenführer regelmäßig geschrieben, das gehörte zum kirchlich-politischen Ritual.

Die Bevölkerung in Rumänien wollte zuallererst das Diktatorenpaar loswerden. Nicolae und Elena Ceausescu galten als verhasste Symbolfiguren des verabscheuten Systems. Mit ihnen wurde das Elend in Krankenhäusern und Anstalten, der niedrige Lebensstandard mit Rapsöl statt Speiseöl und kilometerlangen Warteschlangen an Tankstellen, das stundenlange Warten auf Brot und Milch, alle Denk-, Schreib- und Sprechverbote und der Securitate-Staat schlechthin identifiziert. Aber gleichzeitig darf nicht vergessen werden, dass die Menschen, die damals in rumänischen Städten und auch Dörfern auf die Straße gingen und kommunistische Bücher tonnenweise verbrannten, sehr wohl politische Ziele hatten wie Bürgerrechte, Religions- und Meinungsfreiheit, Demokratie, Rechtsstaat und eine freie Wirtschaft. Und eben auch Religionsunterricht und andere christliche Gesellschaftsdienste.

Die Entwicklung verlief turbulent. Und die Kirchen, vor allem die Orthodoxie als Mehrheitskirche, zu der 87 Prozent der Bevölkerung gehören, versuchen seither, christliche Werte für die Gesellschaft einzuklagen. Ein Runder Tisch, die "Front zur Nationalen Rettung", übernahm zunächst die Regierung und bereitete für 1990 die ersten freien Wahlen vor. Als Wahlgeschenk für die Frauen wurde die Abtreibung in den ersten drei Monaten völlig freigegeben: eine Million Kinder wurden als Ausdruck der neuen Freiheit der Frauen in diesem Jahr im Mutterleib getötet. Ein erster Knackpunkt im neuen Verhältnis von Staat und Kirchen im Postkommunismus war gesetzt.


Mehrere Versuche, das Staatskirchenrecht zu ändern

Die Kirchen protestieren bis heute dagegen. An der Regelung hat sich nichts geändert. Es ist eine Frage der Mentalität: Abtreibungen gelten als Verhütungsmittel. Rund 300.000 Abtreibungen gibt es heute in Rumänien jährlich. Und das sind nur die offiziellen Daten. Was hinter den Vorhängen der schicken neuen Privatkliniken geschieht, weiß niemand. Gegen genügend Bares werden dort auch noch wesentlich später Abtreibungen vorgenommen.

Zu diesem Thema herrscht große Stille bei vielen so genannten Menschenrechtsgruppen der Bürgerbewegung, die sonst gerne für die Rechte von Schwulen und Lesben und religiösen Kleinstgruppen mobil machen. Im Gegenteil: Wer heute die Abtreibungspraxis in Rumänien kritisiert und strengere Gesetze fordert, wird sofort als frauenfeindlich hingestellt und in die Nähe der Geburtenpolitik von Ceausescu gerückt. Dabei werden friedlich gegen Abtreibung demonstrierende orthodoxe Christen schon einmal als "christliche Taliban" diffamiert, wie etwa in einer Kolumne der deutschsprachigen "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien" (ADZ). In kommunistischer Zeit war Abtreibung in Rumänien völlig verboten.

In den neunziger Jahren schon gab es mehrere Versuche, das Staatskirchenrecht zu ändern. Je nach politischer Couleur der Regierenden fielen die Gesetzesvorlagen aus. In einer Vorlage wurden die Orthodoxen als Mehrheitskirche privilegiert zu Lasten der Minderheitenkirchen. Die Orthodoxen versuchten, ihren früheren Status als Nationalkirche im Sinne einer Staatskirche wiederzuerlangen, den sie in den Verfassungen Rumäniens von 1866 und 1923 einmal hatten. Andere Entwürfe setzten die historisch so bedeutende Orthodoxe Kirche und die traditionellen Kirchen mit allen Kleinstgruppen von Esoterikern bis zu den Sekten auf eine Stufe. Einmal waren die historischen Kirchen nicht einverstanden, dann die Kleinstgruppen, dann die Katholiken, dann wieder der Staat

Es dauerte bis 2006, bis ein Konsens gefunden wurde, nachdem die an den Verhandlungen beteiligten 18 Religionsgemeinschaften Vetorecht hatten und dieses auch weidlich ausnutzten. Das 2007 in Kraft getretene neue Staatskirchenrecht ("Legea Cultelor" - Kultusgesetz) löst das kommunistische Kultusgesetz von 1948 ab.


Antikirchliche "Bürgerrechtsbewegungen" machen mobil

Zu weiteren Knackpunkten im Verhältnis Staat-Kirche wurden in den neunziger Jahren der Streit um die Legalisierung der Prostitution und die Abschaffung des Homosexuellenparagraphen im Strafrecht. Vor allem die orthodoxe Kirche widersetzte sich beidem. Wobei sie den Homosexuellenparagraphen nicht als Rechtspraxis angewandt wissen wollte, sondern als moralischen gesellschaftlichen Standard.

Doch es gab auch positive Entwicklungen. Die Theologischen Fakultäten der Zwischenkriegszeit durften wieder eröffnet werden und wurden in die staatlichen Universitäten integriert. Schrittweise wurde für alle Klassen der Religionsunterricht wieder eingeführt - weitgehend nach deutschem System als freiwilliges Fach, aber mit Benotung. Die Inhalte verantworten Kirchen und Staat gemeinsam. Religionslehrer brauchen eine Genehmigung durch die Kirche. Rund 95 Prozent der Schüler nehmen seither am Religionsunterricht teil.

In Schulen und staatlichen Institutionen kamen wieder Kreuze und Ikonen, auch Kapellen und Gebetsräume wurden errichtet. Der Staat fördert Pfarrgehälter und Kirchenbauten finanziell. Bei wichtigen Anlässen sind Vertreter der Kirchen eingeladen und auch präsent. Viele Politiker suchen die Nähe der Kirche und ihrer Bischöfe.

Die rumänische Bürgerrechtsbewegung entwickelte sich indes in eine Richtung, die so bei der Revolution von 1989 nicht vorauszusehen war. Durchaus unter christlichen Auspizien gestartet, beargwöhnten führende Menschenrechtsgruppen immer stärker die neue Nähe und Normalisierung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirchen. Wobei der Fokus stets auf der orthodoxen Mehrheitskirche lag. Beeinflusst von liberalen und säkularistischen westlichen Ideen und Vorbildern begannen diese Gruppen, eine Art "Alleinvertretungsanspruch auf Zivilgesellschaft" zu formulieren und schafften es zunehmend, Kirchen und Zivilgesellschaft mit Maximalforderungen im Bereich des Schutzes religiöser, sexueller und ethnischer Minderheiten auseinanderzudividieren.

Mit dem Näherrücken des EU-Beitritts Rumäniens 2007 witterten alte Atheisten und neue liberale Kirchenkritiker in Rumänien Morgenluft. Hatten sie sich angesichts des spürbaren religiösen Aufbruchs in Rumänien nach 1989 zunächst sehr zurückgehalten, so haben sie mit dem Argument aus der Luft gegriffener "EU-Standards" einen neuen Kulturkampf ausgerufen. Es begann mit der Kritik an Kreuzen und Ikonen in öffentlichen Gebäuden und Schulen. Dies sei nicht mit der religiösen Gleichbehandlung der Bürger vereinbar. Kreuze sollten aus der Schule entfernt werden, vor allem zum Schutz von Atheisten und Angehörigen anderer Religionen.

Leider stimmten auch die bilder- und orthodoxiekritischen reformierten Ungarn in den Chor derer ein, die die Entfernung von Kreuzen und Ikonen aus öffentlichen Gebäuden und Schulen forderten. Sie realisierten lange nicht, dass sie sich dadurch mit denen verbündeten, die die Kirchen aus dem öffentlichen Leben verbannen wollten. Es wirkt wie eine Ironie, dass die Imame Rumäniens die Kreuze und Ikonen mit dem Hinweis auf die orthodox-christliche Prägung des Landes verteidigten.

Dessen ungerührt entfachten Bürgerrechtsgruppen mit so wohlklingenden Namen wie "Liga Pro Europa" oder "Rumänisches Helsinki-Komitee" Kampagnen gegen die Kirchen, unterstützt von liberalen Politikern und Medien. Plötzlich wird auch der nach 1989 als Errungenschaft der Revolution wieder eingeführte Religionsunterricht infrage gestellt. Bildungsminister Cristian Adomnitei von der Nationalliberalen Partei (PNL) erklärte öffentlich, in den höheren Schulklassen auf Religionsunterricht verzichten zu wollen, denn das sei "ein Märchen für Kinder bis 14 Jahren". Mit einem einseitig interpretierten Begriff der Menschenrechte und der Toleranz versuchen diese Gruppen, die sich als Bürgerrechtsbewegung verkaufen, aber ihre kommunistischen und atheistischen Wurzeln nur schwer verbergen können, Kreuze und religiöse Symbole zu entfernen und auch den Religionsunterricht zu kippen. Dabei sind die Argumente genauso pointiert wie falsch.

Argumentiert wird mit der Gleichbehandlung aller Religionen und den Inhalten des Religionsunterrichts. Solange der Staat nicht jedem Anhänger selbst fernöstlicher Kulte Religionsunterricht an staatlichen Schulen in Rumänien garantiere, dürfe es wegen der Gleichbehandlung auch keinen christlichen Religionsunterricht mehr geben, formulierte jüngst bei einer Tagung der Evangelischen Akademie Berlin Smaranda Enache von der "Liga Pro Europa". Etwa Bahai, Buddhisten, Yogis und Hindus könnten keinen staatlich geförderten Religionsunterricht genießen, klagte Enache.

Doch buddhistischen oder hinduistischen Religionsunterricht gibt es in Deutschland auch nicht. Und trotzdem kommt niemand auf die Idee, dass Deutschland mit dem Religionsunterricht permanent Menschenrechte und EU-Normen verletzen würde. Die - beispielsweise auch in Deutschland übliche - Erteilung des Religionsunterrichts an staatlichen Schulen durch Lehrer mit Genehmigung der Kirchen wird als mit europäischen Standards nicht vereinbarer Eingriff der Kirchen in den staatlichen Unterricht dargestellt, der den Kirchen als "private Einrichtungen" (Enache) nicht zustehe.

Einzelne missglückte Passagen aus den ersten orthodoxen Religionsbüchern nach 1990 mit fundamentalistischen Tendenzen, die meist schon lange nicht mehr verwendet werden, wurden als Beispiel für die religiöse Intoleranz der Orthodoxen Kirche publizistisch und populistisch hochstilisiert. In einem äußerst umstrittenen Bericht zum Religionsunterricht versucht die "Liga Pro Europa", vor allem den orthodoxen Religionsunterricht nachhaltig zu diskreditieren mit an den Haaren herbeigezogenen Verallgemeinerungen maßlos überbewerteter Einzelfälle.

So hätten einzelne Religionslehrer mit dem Verkauf von kleinen Heiligenbildchen ihr (sehr bescheidenes) Salär aufgebessert. Auch werden Fälle "bewiesen", dass nicht orthodoxe Kinder verpflichtet worden seien, Ikonen zu küssen. Solche Einzelfälle werden zu einer Generalkritik instrumentalisiert. Selbst die Schulanfangsgottesdienste stehen im Kreuzfeuer: es müssten Repräsentanten aller Kirchen und Religionsgemeinschaften vertreten sein, alles andere wäre eine Verletzung der Menschenrechte und der Gleichbehandlung, heißt es. Auch die orthodoxen Schulkapellen rufen Widerspruch hervor: sie seien eine Bevorzugung der Orthodoxen. Doch der Orthodoxie gehören nun einmal 87 Prozent der Bevölkerung an. Das Ziel ist klar: es werden mit fanatischer Energie Argumente gesucht, um auf dem Rechtsweg den Religionsunterricht zu kippen.


Angebliche EU-Standards werden bemüht

Solche Gruppen lassen es sich auch nicht entgehen einen strafrechtlich relevanten Fall, der von der Kirche ohne jede Verzögerung auch genauso behandelt wurde (der Tod einer jungen Frau nach einem Exorzismus im Kloster Tanacu 2005), als Argument für ihre Propaganda zu verwenden, die Orthodoxe Kirche missachte die Menschenwürde. So der führende Kirchenkritiker Gabriel Andreescu bei besagter Tagung in Berlin. Dabei hat die Kirche sich damals sofort distanziert, sämtliche Ermittlungen aktiv gefördert und den Fall der weltlichen Justiz übergeben.

Mit dem Argument angeblicher "EU-Standards" wollen diese Kirchengegner nun ihrem alten oder neuen Atheismus frönen und diesen durch die Hintertür durchsetzen. Denn Rumänien will Musterschüler sein und setzt EU-Standards sklavisch durch. Das Argument zieht, unabhängig vom Grad der Stichhaltigkeit. Sie argumentieren mit der Neutralität des Staates, der keine Privilegien für Kirchen erlaube und nach einer totalen Trennung von Staat und Kirche verlange. Selten bekennen sich die Wortführer allerdings dabei so deutlich zu ihren wirklichen Motiven wie Andreescu in Berlin, der auf hartnäckige Nachfragen aus dem Publikum schließlich zugab, dass er nicht nur den neutralen, sondern den "säkularen Staat" anstrebe, die völlige radikale Trennung von Staat und Kirche im Sinne eines Laizismus à la Frankreich.

Doch der ist in Rumänien, wo der christliche Glaube tief verankert ist und die Kirchen weit über 80 Prozent an Vertrauen und Zustimmung besitzen und damit vor allen anderen Institutionen rangieren, schlicht nicht durchsetzbar, weil das nicht mehrheitsfähig ist in einem Land, dessen Bewohner sich zu rund 90 Prozent zu den christlichen Kirchen zählen.

Andreescu und seine Gesinnungsgenossen vermeiden auch geflissentlich, in der rumänischen Debatte darauf hinzuweisen, dass das von ihnen favorisierte Modell des Laizismus nur eine Variante des Verhältnisses von Staat und Kirche darstellt und das Staatskirchenrecht in der EU aus guten Gründen Ländersache ist. Das Kooperationsmodell und sogar das Modell einer Staatskirche wie in Skandinavien, Griechenland und Großbritannien stehen dem gleichberechtigt gegenüber, solange keine Verletzung der Menschenrechte vorliegt. Und das kann trotz aller penibel konstruierten Fallbeispiele der "Liga Pro Europa" niemand wirklich ernsthaft behaupten.

Einen heftigen verbalen Schlagabtausch über die künftige Rolle der Kirchen in der rumänischen Gesellschaft haben sich die Teilnehmer bei der schon erwähnten Konferenz der Evangelischen Akademie Berlin geliefert. Während die antikirchlichen "Bürgerrechtler" die völlige Trennung von Kirche und Staat sowie die Verbannung der Kirche aus dem öffentlichen Leben forderten, verteidigten Vertreter der Evangelischen Akademie Siebenbürgen deren starke Stellung im gesellschaftlichen Leben Rumäniens. Dabei wird auch gezielt desinformiert, um die Orthodoxe Kirche systematisch zu diffamieren. William Totok etwa bezeichnete das 2007 erschienene "Ökumenische Martyrologium" Rumäniens als "Versuch der Orthodoxen Kirche, sich als Opfer des Antonescu- wie des kommunistischen Regimes zu stilisieren."

Außerdem behauptete Totok, die Rumänische Orthodoxe Kirche plane in Bukarest eine "Kathedrale des Volkes" zu bauen, die größer werden solle als das "Haus des Volkes" von Ceausescu. Das sind absurde Postulate. Wer weiß, wie groß der Ceausescu-Palast ist, der kann ermessen, dass schon der Platz fehlen würde, eine Kathedrale zu bauen, die noch größer ist. Außerdem wäre das baulich völlig unmöglich. Das "Ökumenische Martyrologium" von 2007 wiederum ist kein orthodoxes Werk, sondern ein von der deutschen katholischen Stiftung St.-Gerhards-Werk angeschobenes ökumenisches Modellprojekt. Es sind Porträts katholischer, ungarischer und rumänischer, evangelischer und orthodoxer Märtyrer des Kommunismus enthalten, außerdem ein summarischer Aufsatz des griechisch-katholischen Bischofs Mesian aus Lugoj.


Das neue Kultusgesetz von 2006

Fragwürdig ist freilich, warum gerade eine Evangelische Akademie in Deutschland Kirchenkritikern aus Rumänien so undistanziert eine Bühne zur Selbstdarstellung und Kirchendiffamierung bietet. Und das mit Hauptreferaten. Die kirchenfreundlichen Redner aus Rumänien sollten jeweils nur kurz kommentieren. Allein schon das Markenzeichen "Bürgerrechtler" bringt offenbar in Deutschland manche politisch korrekten Herzen zum Schmelzen und sorgt für ökumenisch äußerst unsensible und schädliche Sympathie mit Leuten, die das Christentum am liebsten in das Privatleben verbannen möchten, um in ihrem Atheismus im Alltag nicht gestört zu werden.

Die rumänischen Religionsgemeinschaften und die Politik haben sich mit dem neuen Kultusgesetz von 2006, das pünktlich zum EU-Beitritt 2007 in Kraft getreten ist, klar für das Kooperationsmodell nach deutschem und österreichischem Vorbild entschieden. Darin wird - historisch völlig zu Recht - auf die besondere geschichtliche Rolle und Bedeutung der Rumänischen Orthodoxen Kirche hingewiesen. Staatskirchenrechtler wie Karl Schwarz aus Wien sehen darin kein Problem. Auch die Katholiken haben dies akzeptiert, zumal das eine symbolische Aussage ist, die nicht mit einer besonderen Privilegierung einhergeht.

Das Gesetz entspricht den rumänischen Rechts- und Kulturtraditionen und auch dem Willen der Mehrheitsbevölkerung. Doch der Feldzug gegen die Kirchen, dieser neue Kulturkampf, wird sicher fortgesetzt. Dafür sind die Wortführer und ihre Adepten in Medien und Politik zu fanatisch. Doch sollten ihre Ideen Wirklichkeit werden, würde dies zu einer Diktatur der Minderheit führen.

Allerdings findet auch dieses neue Gesetz keine Gnade bei den Kirchenkritikern. Die Hürden für die Zulassung kleiner Religionsgemeinschaften seien zu hoch. Die historischen Kirchen würden bevorzugt. Diese Argumente sind nicht stichhaltig. Natürlich muss auch der Staat Rumänien sich und seine Gesellschaft vor Westentaschenkulten schützen, die dann gleiche Rechte wie die historischen Kirchen und Religionsgemeinschaften genießen würden. Zudem ist die Zulassung von Religionsgemeinschaften gerade weniger rigide geregelt als in Deutschland. Die Hürden sind niedriger, was Dauer der Existenz und Mitgliederzahlen der antragstellenden Kulte betrifft. Das wird auch daran deutlich, dass etwa die Zeugen Jehovas in Rumänien über den behördlichen Weg als Religionsgemeinschaft zugelassen wurden und sich ihren Status als Körperschaft des Öffentlichen Rechts nicht über den Gerichtsweg erklagen mussten wie in Deutschland.

Doch harte Fakten interessieren die Kirchenkritiker in ihrem ideologisch motivierten Kulturkampf selten. Das Gesetz schützt die bestehenden Kirchen und Religionsgemeinschaften und würdigt deren Rolle für Werte, Sitte und Moral und seelische Erziehung in der Gesellschaft und ihre Sozialarbeit. Der Staat verpflichtet sich, die Kulte auch finanziell zu unterstützen. Das Gesetz bietet eine sehr gute Basis für das künftige Verhältnis zwischen Kirchen und Religionsgemeinschaften.


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Dr. theol. Jürgen Henkel, Hermannstadt/Sibiu. Pfarrer der Ev.-Luth. Kirche Bayerns im Auslandsdienst. Publizist, Leiter der Ev. Akademie Siebenbürgen (EAS). Betreut sieben Kirchengemeinden in Siebenbürgen. Veröffentlichungen: Einführung in Geschichte und kirchliches Leben der Rumänischen Orthodoxen Kirche, Münster 2007; Neue Brücken oder neue Hürden? Eine Bilanz der Dritten Europäischen Ökumenischen Versammlung (EÖV3), Münster 2008.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
62. Jahrgang, Heft 8, August 2008, S. 423-428
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. September 2008