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AFRIKA/028: Kenia - Einstiger Hoffnungsträger im Chaos (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion 3/2008

Einstiger Hoffnungsträger im Chaos
Wie konnte Kenia an den Rand eines Bürgerkriegs geraten?

Von Wolfgang Schonecke


Auf den ersten Blick scheint er kaum erklärbar, der Ausbruch archaischer Gewalt, der große Teile Kenias nach den Wahlen Ende Dezember 2007 erschüttert hat. Die eigentlichen Ursachen liegen weit zurück. In dieser schweren politischen Krise blieb die Stimme der Kirchen merkwürdig schwach, zögerlich und uneinig.


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Dass Kenia nach den Wahlen am 27. Dezember 2007 an den Rand eines Bürgerkriegs schlitterte, war für viele eine böse Überraschung. In vielerlei Hinsicht war das ostafrikanische Land Hoffnungsträger für eine offene, moderne Gesellschaft. Die Wirtschaft boomt mit Wachstumsraten über fünf Prozent und einem Bruttoinlandsprodukt von über 20 Milliarden Dollar. Eine gebildete Mittelschicht hat sich in den rasant wachsenden Städten etabliert. Eine hoch professionelle Presse und unabhängige Radio- und Fernsehstationen erfreuten sich einer Freiheit, von der Journalisten in anderen Staaten Afrikas nur träumen können. Die Zahl der Bürger, die über Handy oder Internet Zugang zu Information haben, hat sich seit dem Jahr 2000 mehr als verzehnfacht. Kenia erfüllte viele Bedingungen für eine gesunde Entwicklung auf demokratischer Basis. Wie lässt sich also dieser makabre Ausbruch von archaischer Gewalt, der große Teile des Landes erschüttert hat, verstehen?


Wahlen bedeuten immer schon Gewalt

Für die meisten Deutschen beginnt die Geschichte Afrikas mit seiner Entdeckung durch die Europäer im 19. Jahrhundert. Dabei existierte bereits vor 2000 Jahren eine Handelsroute zwischen Indien und der ostafrikanischen Küste und man findet Afrikaner auf mittelalterlichen indischen Gemälden als militärische Befehlshaber und Herrscher dargestellt. Den meisten ist ebenso unbekannt, dass Vasco da Gama den Seeweg nach Indien mit Hilfe eines Navigators aus der Stadt Malindi fand. Und was wissen wir schon über die Völker und Gesellschaften in der vor-kolonialen Epoche? Und doch lassen sich heutige Entwicklungen oft nur durch soziale Strukturen und kulturelle Denkmodelle einer vormodernen Welt erklären. So manche Phänomene des modernen Afrika könnte man interpretieren als ein Versagen des modernen Paradigmas in Afrika und als enttäuschter, partieller Rückzug auf ursprüngliche Modelle. Wo der moderne Staat beim Schutz seiner Bürger versagt, werden ethnische Bande wieder der Garant für das Überleben. "Failed States" sind Anzeichen für das Versagen des westlichen Entwicklungsmodells.


Alle afrikanischen Staaten sind künstliche Gebilde

Alle afrikanischen Staaten, die aus der Berliner Konferenz von 1884 hervorgingen, sind künstliche Gebilde. Völker, die weder Sprache noch Kultur gemein haben, sich oft sogar als Erzfeinde betrachteten, wurden durch die Kolonisierung in eine politische Einheit gepresst. Kenia vereint in einem Staat Bantu-Völker in Zentralkenia, nilotische Gruppen im Westen, nomadische Somalis im Norden, arabisierte Swahili an der Küste. Julius Nyerere, der erste Staatspräsident von Tansania, konnte durch seine integre Persönlichkeit, durch seine politische Ideologie, die sich aus der christlichen Soziallehre speiste, und durch die schnelle Verwurzelung des Swahili als gesprochenes nationales Kommunikationsmedium allen Bürgern eine nationale Identität verschaffen. Dem ersten Präsidenten Kenias, Jomo Kenyatta, gelang dies nicht.

Im Unterschied zu den Nachbarn Tansania und Uganda fiel Kenia die Unabhängigkeit nicht in den Schoß. Sie wurde durch den Mau-Mau-Aufstand der Kikuyu gegen die britische Kolonialverwaltung blutig erkämpft. In einem fünfjährigen Guerillakrieg, der auf beiden Seiten mit großer Härte und Grausamkeit geführt wurde, starben 7.800 Mau-Mau-Kämpfer. 90.000 Kikuyu hatten Jahre in britischen Konzentrationslagern verbracht. Es ist verständlich, dass sie sich am Tag der Unabhängigkeit am 12. Dezember 1963 als Erben der Kolonialverwaltung verstanden und die politische Führung beanspruchten. Ihr Anführer, Jomo Kenyatta, zeigte überdies menschliche Größe und politische Klugheit, als er am Tag der Machtübernahme dem britischen Erzfeind die Hand der Versöhnung ausstreckte. Ebenso verständlich ist, dass die Kikuyu ihre politische Vormachtstellung nutzten, ihre wirtschaftliche Position zu stärken, auch gegenüber den 100.000 kenianischen Indern, die Wirtschaft und Handel beherrschten.

Was andere Ethnien jedoch nicht akzeptierten, war, dass Kenyatta ebenso wie seine Nachfolger sich über die Maßen bereicherten - auch auf Kosten anderer ethnischer Gruppen, die sie zugleich von politischen Führungspositionen fernhielten. Dies gilt vor allem für die zweitgrößte ethnische Gruppierung der Luo, deren Anführer, Oginga Odinga, zwar unter Kenyatta Vize-Präsident war, aber daran gehindert wurde, eine eigene Partei zu gründen.

Nach dem Tod Kenyattas 1978 übernahm Arap Moi, der aus der weniger einflussreichen Stammesgruppierung der Kalenjin stammte und vorher Vize-Präsident war, laut Verfassung die Präsidentschaft. Er jonglierte geschickt mit Bündnissen zwischen anderen ethnischen Gruppierungen. Auch er war der politischen Gewalt keineswegs abhold. Zu den Opfern gehört sein Außenminister Ouko, der regierungskritische katholische Missionar John Kaiser und ebenso der jetzige Oppositionsführer Raila Odinga, der die Oppositionsfahne von seinem Vater übernahm und unter Moi von der Geheimpolizei mehrmals inhaftiert wurde.

Während des kalten Krieges unterstützten die USA und Europäische Länder ohne Skrupel viele totalitäre Regime in Afrika, solange sie sich nicht mit dem Ostblock verbündeten. Nach dem Fall der Mauer änderte sich das. Der Westen machte massiven Druck auf afrikanische Regierungen, demokratische Wahlen einzuführen.

Politische Parteien in Afrika sind allerdings andere Gebilde als in Europa. Sie zeichnen sich aus durch Bezug zu ethnischen Gruppen und die Abwesenheit von politischen Programmen. Opportunistische Politiker wechseln die Partei wie das Hemd und schenken ihre Loyalität oft dem höchsten Anbieter. Wahlkämpfe bestehen außer unrealistischen Versprechungen im Kauf von Stimmen durch Bargeld oder Geschenke und in der Einschüchterung der Opposition. Demokratie war für Kenianer also kein uneingeschränkter Segen und die Bevölkerung blickte jeder Wahl mit Furcht und Zittern entgegen, bedeuteten Wahlen doch immer Gewalt. Wenn Moi sich zwei Jahrzehnte an der Macht halten konnte, dann durch die Unfähigkeit der jeweiligen Opposition, sich auf einen gemeinsamen Kandidaten zu einigen.


Eine tickende Zeitbombe

Afrikaner erwarteten von der Demokratisierung nicht nur größere politische Partizipation, sondern vor allem einen Weg aus der Armutsfalle. Die gleichzeitig von Weltbank und Internationalem Währungsfonds betriebene Zwangsliberalisierung der Wirtschaft setzte zwar eine gewisse wirtschaftliche Dynamik frei. Davon profitierte jedoch im Wesentlichen eine kleine Elite, die Masse vor allem der ländlichen Bevölkerung verarmte zusehends. Die Jugend sah keine Möglichkeiten in der Landwirtschaft und strömte zu Tausenden in die Städte. Nairobis Bevölkerung wuchs in 10 Jahren von 1,9 auf 3,5 Millionen an.

Um die Wucht der ersten Gewaltausbrüche zu verstehen, muss man wissen, dass 60 Prozent der Einwohner Nairobis in Slums leben. Da diese von der Stadtverwaltung als "Squatters", als illegale Siedlungen, angesehen werden, erscheinen Slums auf dem Stadtplan Nairobis lediglich als leere Flächen. Die Stadtväter fühlen sich auch nicht verpflichtet, eine Basisversorgung mit Wasser und Strom zu garantieren. Ein Abwassersystem gibt es nicht, sodass die Schlammwege in den Slums zu Kloaken werden. Dort leben zwei Millionen Menschen. Wenn die Medien täglich berichten, wie sich ihre Politiker die eigenen Diäten erhöhen, sich Traumvillen neben den Slums bauen und eine Flotte teuerster Luxuslimousinen leisten, stößt das bei den Armen auf Empörung. Vor allem nicht das Heer arbeitsloser Jugendlicher, die für sich selber keine Zukunftsperspektive sehen. "Die Slums von Nairobi sind die größten des afrikanischen Kontinents und voll von Jugendlichen, sie sind arbeitslos, und haben keine Ausbildung (...) und das Gefühl, keine Zukunft zu haben", kommentierte Kenias Nuntius, Erzbischof Alain Lebeaupin, die Situation. Solche Jugendliche sind leichte Beute skrupelloser Politiker, die unter ihnen ihre Schlägertrupps rekrutieren.

Raila Odinga gelang es, sich im Wahlkampf als Anwalt der Armen zu profilieren, obwohl er und die Politiker um ihn herum auch keine sauberen Finger haben. Für die Bewohner der Slums von Nairobi wurde Odinga trotzdem zur Verkörperung der Hoffnung, dass mit seinem Wahlsieg endlich etwas geschehen würde, um ihre Wohn- und Lebenssituation zu verbessern. Als Kibaki am 30. Dezember seinen Wahlbetrug inszenierte, brannten alle Sicherungen durch und - angestachelt von Odinga - wandte sich die aufgestaute Wut von Jahrzehnten gegen seine Stammesgenossen, die Kikuyu. Hätte nicht eine gut trainierte Bereitschaftspolizei die aufgebrachten Massen mit Tränengas und scharfer Munition in Schach gehalten, wäre zu Silvester halb Nairobi zu einem Riesenfeuerwerk geworden.


Land besitzt in Afrika einen fast mystischen Wert

Für Afrikaner ist das Land, auf dem sie leben, mehr als eine wirtschaftliche Ressource. Land ist eng verknüpft mit der eigenen Identität, mit den Ahnen, mit Sicherheit. Weil Land einen fast mystischen Wert darstellt, werden Landkonflikte mit großer Leidenschaft ausgetragen und spielen eine tragische Rolle in der Geschichte Kenias. Der Unabhängigkeitskampf war so grausam, weil die weißen Siedler den Kikuyu und Kalenjin das beste Land genommen hatten. Die post-kolonialen Politiker gaben den kolonialen Landbesitz oft nicht an die ursprünglichen Besitzer zurück, sondern eigneten sich die großen Farmen und über die Jahrzehnte weiteres Land an. Die Landfrage wird noch komplizierter durch unterschiedliche Landrechte.

Traditionell ist Land nicht Privatbesitz, sondern gehört der Gemeinschaft. Moderne Gesetzgebung macht Land zu einer kommerziellen Ware, die von Individuen gekauft und verkauft werden kann. Oft eignete sich eine korrupte Oberschicht durch Bestechung der traditionellen Chiefs kommunales Land an, formell legal, im Verständnis der lokalen Bevölkerung illegal. Seit Urzeiten existieren darüber hinaus unzählige Landkonflikte zwischen nomadischen Hirtenvölkern, die weder Grenzen noch Landbesitz kennen (unser Land ist da, wo Gras für unser Vieh ist) und den Bauern, die ihre Ernten gegen die frei herumziehenden Herden verteidigen müssen.

Kenias Bevölkerung ist von 2000 bis 2007 von 30 auf 35 Millionen angewachsen. Der ungeheure Bevölkerungsdruck und die Tatsache, dass nur 18 Prozent der Landfläche Kenias landwirtschaftlich voll nutzbar sind, macht die Landfrage noch gravierender. So ist es nicht verwunderlich, dass "land-clashes" gerade im Kontext von Wahlen immer wieder hochkommen, auch im Chaos des Januar 2008. Der Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung wird zur Gelegenheit, alte Rechnungen zu begleichen und die "Ausländer", die sich das Land der Vorfahren angeeignet haben, mit Gewalt zu vertreiben. Mit Recht nannte der Erzbischof von Mombasa, Boniface Lele, die Landprobleme als Ursache für viele ethnische Auseinandersetzungen seit 1990 und forderte "eine klare Land Policy, die historische Ungerechtigkeiten berücksichtigt".


Die Abwahl des Moi-Regime war eine demokratische Revolution

Dass das Moi-Regime im Jahr 2003 abgewählt wurde, war eine demokratische Revolution. Die Regierungspartei KANU und ihre überalterten Politikgreise sahen sich in der "Regenbogen-Koalition" mit einer Revolte der jüngeren Generation und unzufriedener Ex-Minister konfrontiert. Der alte Mwai Kibaki war für die Kikuyu Politiker der richtige Mann. Als ehemaliger Vize-Präsident war er unter Moi sehr früh in die Opposition gewechselt. Mit seinem Alter und einer angeschlagenen Gesundheit diente er als ideales Aushängeschild und war leicht durch die jüngeren Kikuyu-Politiker zu manipulieren. Raila Odinga, der fünf Jahre lang in Magdeburg Ingenieur studiert hatte, war dagegen unbestrittener Vorkämpfer der Luo und hatte starke Unterstützung in den Slums von Nairobi.

Kibaki und Raila einigten sich auf eine Machtteilung nach der Wahl: mit Mwai Kibaki als Präsident und Raila Odinga auf dem neu zu schaffenden Posten eines Premierministers. Die Rechnung ging auf und Moi wurde vom Thron gestürzt. Man hätte von einem Sieg der Demokratie reden können, hätte nicht Kibaki sein Abkommen mit Odinga annulliert, eine Verfassungsänderung verweigert, und seine eigene Kikuyu Clique, auch die "Mount Kenya Mafia" genannt, in die wichtigen Stellungen lanciert. Dass Kibaki seinen Rivalen Odinga damals austrickste, lässt verstehen, warum sich dieser nicht noch einmal auf eine "große Koalition" mit Kibaki einlassen will.


Man hätte Kenia viel Gewalt ersparen können

Die Kibaki-Odinga Koalition hatte im Wahlkampf den Kampf gegen Kenias bodenlose Korruption angesagt. Einmal an der Macht, trieben es die "Regenbogen"-Politiker aber ärger als alle ihre Vorgänger. Drohungen mit dem Zeigefinger seitens der "donor-community" wurden in der Regel mit einer weiteren Untersuchungskommission entschärft, deren Resultate in der Regel nie veröffentlicht wurden. Massive Korruption erlaubt es den Männern hinter Kibaki nicht, die Kontrolle der Macht loszulassen. Sie riskieren, sich wegen Veruntreuung von Staatsgeldern verantworten zu müssen.

Am 27. Dezember 2007 standen die Kenianer diszipliniert wie die Preußen in Reih und Glied vor den Wahllokalen und warteten viele Stunden, um ihren Wahlzettel in die Urne zu stecken. Vertreter aller Parteien waren zugegen, sowohl beim Wahlvorgang, wie auch bei der Stimmauszählung. Wahlbetrug auf lokaler Ebene war also relativ schwierig. Die Leute vor Ort kannten die Resultate in ihrem Wahlbezirk.

Am Tag nach der Wahl war Nairobi wie leergefegt. Die ganze Nation hing gebannt an Radios und Fernsehern und jubelte jedes Mal, wenn wieder ein korrupter Politiker dem Stimmzettel zu Opfer fiel. Railas Kandidaten hatten die Mehrheit im Parlament gewonnen. Dann kam der Coup. Als Oppositionskandidat Raila Odinga knapp in Führung lag, wurde die Auszählung gestoppt, eine Nachrichtensperre verhängt, und der Leiter der Wahlkommission gezwungen, Amtsinhaber Mwai Kibaki zum Sieger zu erklären. Der Generalstaatsanwalt war auch zur Stelle, um ihn sofort zu vereidigen.

Technisch war das ein unblutiger Staatsstreich oder ein ziviler Putsch - wie die ehemalige Staatssekretärin im Bundesministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ), Uschi Eid, es nannte. Als dann der Leiter der Wahlkommission auch noch erklärte, er wüsste eigentlich genau, wer die Wahl gewonnen hätte, war jedem klar, was passiert war. Der Chef der EU-Wahlbeobachter, Alexander Graf von Lambsdorff, konnte sich auch nur dazu durchringen, von "Unregelmäßigkeiten" zu sprechen, und der renommierte BBC wiederholt wie ein Mantra, es sei Raila, der sich um seinen Sieg betrogen fühlt. Hätte man Kibakis Regierung sofort als illegitim erklärt und massiven Druck auf ihn gemacht, wäre Kenia vielleicht viel Gewalt erspart geblieben. Wobei man nicht übersehen darf, dass viele Kenianer, Politiker, Geschäftsleute und ganz normale Bürger, sich mit allen Kräften einsetzen, die Gewalt einzudämmen, Respekt zwischen den ethnischen Gemeinschaften wiederherzustellen und den Opfern der Unruhen beizustehen.


Die Stimme der Kirche blieb schwach

In dieser schwersten politischen Krise seit dem Mau-Mau Aufstand blieb die Stimme der Kirchen schwach, zögerlich und uneinig. Dabei ist die katholische Kirche in Kenia seit Anfang des Demokratisierungsprozesses stark politisch engagiert. In regelmäßigen Hirtenbriefen haben die Bischöfe immer wieder die Lage der Nation analysiert, die Regierung kritisiert und sich für eine neue Verfassung eingesetzt, die dem Präsidenten weniger und dem Parlament mehr Verfügungsmacht zugestanden hätte. Bei Wahlen haben die Kirchen gemeinsame Programme für eine demokratische Bürgererziehung aufgelegt und Tausende von Wahlbeobachtern ausgebildet und eingesetzt.

Warum also brauchten die Bischöfe so lange, um auf eine nationale Krise zu reagieren? Warum fanden sie nicht die richtigen Worte, um eine klare und konkrete politische Orientierung zu geben? Warum glaubte Nairobis neuer Erzbischof, Kardinal John Njue, dem Usurpator gratulieren zu müssen? Das sind schmerzliche Fragen.

Ein Grund liegt sicher darin, dass auch die Bischofskonferenz selber nicht einig ist. Selbst Bischöfe unterliegen der Versuchung, sich mit ihren ethnischen Gruppierungen zu identifizieren und die Kriterien für eine halbwegs objektive Analyse zu vergessen. Am Ende einigt man sich auf Aufrufe, die Gewalt zu beenden, und auf fromme Ermahnungen, sich an einen Tisch zu setzen, ohne aber die Ungerechtigkeiten auf beiden Seiten klar zu benennen.

Unglücklicherweise fiel der Wechsel an der Spitze der kirchlichen Führung in die Zeit der Wahlen. Die Presse kommentierte die unterschiedlichen Ausführungen des alten und des neuen Erzbischofs von Nairobi zu einem viel diskutierten Wahlkampfthema: "Majimboism", die Frage, wie weit eine neue Verfassung zentralistisch oder föderalistisch gestaltet werden soll. Der ausscheidende Erzbischof Mwana Nzeki sprach sich für den Föderalismus aus, eine Position, die auch Raila Odingas ODM vertritt. Als Kardinal John Njue in einem Interview kurz nach seinem Amtsantritt die gegenteilige politische Position vertrat, interpretierten das viele Kenianer als eine parteipolitische Einflussnahme.

Nachdem auch andere kirchliche Würdenträger sich parteipolitisch positioniert hatten, wurde die Kirche von vielen Kenianern nicht mehr als neutrale Instanz gesehen und verlor viel von ihrer moralischen Autorität. Verspätete Aufrufe verhallten ungehört im Wind der Gewalt. Das gilt auch für andere Kirchen. In einer Analyse des ökumenischen All Africa Church Council (AACC) ist zu lesen: "In der Wahrnehmung (der Öffentlichkeit) hatten sich einige, wenn nicht die meisten, Kirchenführer mit Positionen politischer Parteien identifiziert, und so die Kirche ihrer autoritativen, kollektiven und unabhängigen moralischen Stimme beraubt, die das Anliegen des Friedens und der nationalen Einheit hätte hoch halten können."

Wie so oft liegt dabei die Stärke der Kirche bei den Bodentruppen und weniger in der Führungsgarde. Katholische Pfarreien und Institutionen wurden Zufluchtsorte für Tausende von Menschen, die vor der Gewalt fliehen mussten. Gemeinden leisten spontan erste Hilfe, die Caritas unterstützte sie. In Nairobi bildete sich ein Team von Traumaheilern, die den internen Flüchtlingen zuhören, Trost spenden und erste Nöte lindern. Gebäude sind zerstört, der materielle Schaden ist enorm, aber länger wird es dauern, die seelischen Wunden zu heilen und ein Grundvertrauen in Mitbürger von der anderen Ethnie wiederherzustellen. Und gerade da steht die Kirche vor einer riesigen Aufgabe.


Der Beginn eines Bürgerkriegs ist nicht auszuschließen

Vergleiche mit Ruanda sind trotz der 1000 Toten und einer Viertelmillion interner Flüchtlinge unangebracht. Aber wenn die Spannungen weiter eskalieren, ist der Beginn eines Bürgerkriegs nicht auszuschließen. Abgesehen von den zahllosen menschlichen Tragödien, würde ein interner Krieg das Land Jahrzehnte zurückwerfen. Schon jetzt ist die Tourismusindustrie zum Stillstand gekommen, und auch die Nachbarländer, die über den Hafen von Mombasa versorgt werden, sind stark betroffen. Westliche Drohungen, die Entwicklungshilfe einzustellen, sind wirkungslos. Steht doch China im Hintergrund, das nur zu gerne die kürzlich entdeckten Ölfelder vor der kenianischen Küste ausbeuten möchte und sich prinzipiell nicht in interne Probleme seiner Partner einmischt (vgl. HK, Februar 2007, 104ff.).

So bleibt nur zu hoffen, dass internationale Vermittlungsbemühungen nach vielen Misserfolgen am Ende doch einen politischen Kompromiss erreichen, der eine fest garantierte Machtteilung und am Ende auch Neuwahlen einschließen muss. Aber Macht ist eine gefährlichere Droge als Heroin oder Alkohol. Und schon mancher machtsüchtige Politiker hat sein Land in den Ruin getrieben.


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Wolfgang Schonecke (geb. 1938) ist seit 2001 Leiter des Netzwerks Afrika Deutschland in Bonn (www.netzwerkafrika.de). Von 1965-1982 arbeitete er in der Pastoral in Uganda; von 1982-1992 übernahm Schonecke Leitungsaufgaben für seinen Orden der Afrikamissionare - Weiße Väter; Von 1994-2001 leitete er die Pastoralabteilung bei der ost-afrikanischen Bischofskonferenz (AMECEA).


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
62. Jahrgang, Heft 3, März 2008, S. 154-158
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. April 2008