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AFRIKA/056: Das Schweigen über Sexualität und HIV brechen (ÖRK)


Ökumenischer Rat der Kirchen - Feature vom 4. Juli 2011

Zentralafrika: Das Schweigen über Sexualität und HIV brechen


Hendrew Lusey hat den Rat nie vergessen, den ihm ein Freund 2002 in einem Workshop des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) über menschliche Sexualität gegeben hat. Kurz zuvor war Lusey zum Regionalkoordinator der Ökumenischen HIV und Aids-Initiative in Afrika (EHAIA) für Zentralafrika ernannt worden.

Er stellte damals mit Erstaunen fest, dass Vertreter/innen aus Nordamerika, Europa, Australien und Lateinamerika dem ÖRK dicke Berichte über Homosexualität vorlegten. Die afrikanischen Kirchen hingegen schwiegen zu Heterosexualität und HIV.

"In diesem Workshop lag offensichtlich kein Bericht aus Afrika vor", erinnert sich Lusey. "Obwohl Afrika damals wie heute das Epizentrum von HIV ist."

Während der dreitägigen Tagung beteiligte Lusey sich an den Diskussionen über Homosexualität. "Aber Homosexualität hatte im afrikanischen Kontext damals keine Priorität im Gesundheits- und Entwicklungsbereich."

Ein europäischer Freund sagte ihm damals freundlich, aber bestimmt: "Wenn du weiter glaubst, dass Menschen aus anderen Kontinenten sich mit Problemen, die deinen Kontinent betreffen, identifizieren und Lösungen dafür finden müssen, dann hast du noch einen weiten Weg vor dir."

Für Lusey ist dieser Rat auch heute noch so etwas wie ein "Weckruf" - und er handelt dementsprechend.

In den letzten zehn Jahren hat er nahezu 6000 Kirchenverantwortliche aus 200 Kirchen in Zentralafrika und darüber hinaus geschult. Aber auch heute noch steht er vor zwei großen Herausforderungen: dem allgemeinen, kulturell bedingten Unwillen, über menschliche Sexualität zu sprechen, und einer Ökumene, die noch ganz am Anfang steht.

In einer Situation, in der die meisten Kirchen Schwierigkeiten haben, über Geschlechtsverkehr und Sexualität zu diskutieren, stellt die Aufklärung darüber, dass die meisten HIV-Infizierten in Afrika heterosexuell sind, eine große Herausforderung dar.

Einige Pfarrer, so Lusey, beharrten weiter darauf, dass im kirchlichen Umfeld nicht über Sex gesprochen werden sollte. Daher sei es schwierig, Diskussionen über HIV, die unweigerlich Diskussionen über Sexualität nach sich zögen, in Gang zu bringen.

"Ich erinnere mich an einen Besuch in einer bekannten Erweckungskirche in Kinshasa, bei dem der leitende Pfarrer mir sagte, 'seine' Kirche sei offen für alle Themen - außer für HIV. HIV war in seinen Augen eine Infektionskrankheit für gottlose Menschen."


Fortschritt, Land um Land

Trotz dieser Herausforderungen hat Lusey beobachtet, wie Tausende von Menschen in Zentralafrika in Kirchen, die mit EHAIA zusammenarbeiten, Frieden gefunden haben und sich angenommen fühlen.

Lusey und EHAIA haben Menschen in Zentralafrika ermutigt, die häufig ungleichen Machtverhältnisse zwischen Frauen und Männern kritisch zu hinterfragen. Verfestigt werden diese Verhältnisse von fundamentalistischen religiösen Bewegungen, die aggressiv die Unterwerfung von Frauen und die Entscheidungsbefugnis von Männern in Sachen Sexualität predigen.

"Frauen, die sich über Sexualität informieren und ihre sexuellen Rechte wahrnehmen, werden als 'schlechte Frauen' angesehen", erklärte Lusey und fügte hinzu, dass es in religiösen Einrichtungen und Familien keine umfassende Sexualaufklärung gebe.

Trotz der fest verwurzelten kulturellen Sichtweisen, die eine große Herausforderung für EHAIA darstellen, hat Lusey in den einzelnen Ländern bedeutsame Fortschritte beobachtet.

Im nördlichen Teil der Demokratischen Republik Kongo hat EHAIA eine 25-jährige HIV-positive Frau begleitet. Diese junge Frau leitet jetzt eine Organisation, der mehr als 1500 HIV-infizierte Menschen angehören.

In Kamerun hatten viele Kirchen die Herausforderungen der HIV-Pandemie bereits angenommen. Zur Stärkung der Zusammenarbeit zwischen diesen Kirchen startete EHAIA die Christliche HIV-Initative in Kamerun (CHIC). Diese interkonfessionelle Plattform brachte Kirchen zusammen, die sich getrennt voneinander bereits engagiert hatten, und half ihnen, als geeinte Kraft aufzutreten und die Stimme der Kirche gegenüber staatlichen und anderen Einrichtungen zu erheben.

In der Zentralafrikanischen Republik, wo die meisten evangelischen Kirchen ein eher negatives Ökumeneverständnis haben, hat EHAIA Kirchenverantwortliche in vielen Bereichen, einschließlich HIV-Prävention, Geschlechterproblematik (Männlichkeit und Weiblichkeit) und Antragstellung, geschult. Die Faculté de Théologie Évangélique de Bangui (FATEB) zögerte anfänglich, die von EHAIA bereitgestellten Informationsmaterialien zu nutzen. Grund dafür war allein deren ökumenische Ausrichtung. Aber mittlerweile lädt FATEB EHAIA ein, ihre Studierenden und Lehrkräfte theologisch HIV-kompetent zu machen.

Lusey ist überzeugt, dass die eigentlichen Erfolge seiner Arbeit sich in vielerlei Hinsicht zeigen werden, sobald junge Menschen ihre Vision vom kirchlichen Engagement gegen HIV umsetzen.

"Ich habe festgestellt, dass alle jungen Menschen, die ich interviewt habe, der Meinung waren, die Kirchen sollten sie weiter über Sex, Sexualität und HIV-Prävention aufklären, obwohl viele von ihnen die kirchlichen Lehren zu HIV nicht befolgen", erklärte er. "Was die Arbeit von EHAIA anbetrifft, hat mich dieses Ergebnis ermutigt. Es zeigt mir, dass meine Arbeit unter den Jugendlichen trotz der begrenzten Mittel nützlich ist. Gesundheit und Wohlbefinden sind nicht nur für junge Menschen, sondern auch für Kirche und Gesellschaft zentrale Fragen."


Dieser Artikel ist der zweite in einer Reihe von Portraits, die die Arbeit von EHAIA durch die Regionalkoordinatoren/innen und theologischen Berater vorstellen. Die Reihe wird im Vorfeld des 10. Jahrestags der Gründung von EHAIA im April 2012 veröffentlicht.

Weitere Informationen zu EHAIA:
Link: http://www.oikoumene.org/index.php?RDCT=b77e0a6a9650d5df8ea5

Regionalkoordinatoren/innen und theologische Berater von EHAIA:
Link: http://www.oikoumene.org/index.php?RDCT=5b3768ef265cfb1ad59f

Lesen Sie auch:
AIDS-Kompetenz für Kirchen des südlichen Afrikas, ein Portrait von Dr. Susan Parry
Link: http://www.oikoumene.org/index.php?RDCT=595ba27cbb451cd4a1d1

EHAIA-Wirkungsstudie, 2002-2009 (auf Englisch):
http://www.oikoumene.org/index.php?RDCT=42a38089f06a168aa7f5


Der Ökumenische Rat der Kirchen fördert die Einheit der Christen im Glauben, Zeugnis und Dienst für eine gerechte und friedliche Welt. 1948 als ökumenische Gemeinschaft von Kirchen gegründet, gehören dem ÖRK heute mehr als 349 protestantische, orthodoxe, anglikanische und andere Kirchen an, die zusammen über 560 Millionen Christen in mehr als 110 Ländern repräsentieren. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit der römisch-katholischen Kirche. Der Generalsekretär des ÖRK ist Pfarrer Dr. Olav Fykse Tveit, von der (lutherischen) Kirche von Norwegen. Hauptsitz: Genf, Schweiz.


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Quelle:
Pressemitteilung vom 4. Juli 2011
Herausgeber: Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK)
150 rte de Ferney, Postfach 2100, 1211 Genf 2, Schweiz
E-Mail: ka@wcc-coe.org
Internet: www.wcc-coe.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juli 2011