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ASIEN/041: Kirche und kommunistische Führung in Vietnam (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 1/2011

Gelockerte Kontrolle
Kirche und kommunistische Führung in Vietnam

Von Georg Evers


Der katholischen Kirche in Vietnam gehören etwa sieben Prozent der der Bevölkerung an. Die Beziehungen zwischen der Kirche und der kommunistischen Führung haben sich in mancher Hinsicht entspannt; mit dem Heiligen Stuhl sind Verhandlungen im Gange. Die Kirche hat 2010 als "Heiliges Jahr" begangen, zur Erinnerung an zwei wichtige Daten der Missionsgeschichte Vietnams.


Das gewachsene Selbstbewusstsein Vietnams zeigte sich bei den Feierlichkeiten zur Gründung von Hanoi vor 1000 Jahren, die im Oktober 2010 nach langer Vorbereitung mit großem Pomp veranstaltet wurden. Die Gedenkfeierlichkeiten unter dem Motto "Tausend Jahre traditioneller Kultur" dienten auch dazu, den einzigartigen Charakter der vietnamesischen Kultur herauszustellen, die viele eigenständige und originelle Leistungen erbracht habe und nicht nur als eine Kopie chinesischer Kultur betrachtet werden dürfe. Die politische Führung ist stolz darauf, dass Vietnam heute in Südostasien eine politisch und wirtschaftlich starke und anerkannte Rolle spielt.


Wirtschaftswachstum mit negativen Begleiterscheinungen

Der Weg zu diesem Erfolg war nicht ganz einfach. In den Jahren nach der im Jahr 1975 erfolgten Wiedervereinigung des Landes war Vietnam ein wichtiger Bündnispartner der damals noch bestehenden UdSSR, die ebenso wie Vietnam in einem spannungsreichen, wenn nicht gar feindlichem, Verhältnis mit der VR China stand. Der Zusammenbruch der UdSSR und des Warschauer Paktes im Jahre 1989 hatte zur Folge, dass Vietnam seine politischen Optionen grundsätzlich neu ordnen musste. Zunächst gelang es der vietnamesischen Führung 1992, sich mit der VR China zu versöhnen und die gegenseitigen Beziehungen zu normalisieren.

Vietnam hat in den letzten Jahren einen starken wirtschaftlichen Aufschwung erlebt, der zur inneren Befriedung des Landes beigetragen und das außenpolitische Gewicht des Landes innerhalb der ASEAN-Länder und gegenüber dem großen Nachbarn China gestärkt hat. Auch die Bevölkerung profitiert vom wirtschaftlichen Wachstum, denn in den letzten 20 Jahren hat sich das Durchschnittseinkommen in Vietnam nominell vervierfacht, oder, gemessen an der tatsächlichen Kaufkraft, immerhin verdreifacht.

Auch wenn das Wirtschaftswachstum nicht ganz so spektakulär wie beim großen Nachbarn China ausgefallen ist, hat Vietnam im Zeitraum 1993 bis 2009 ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von beachtlichen sieben Prozent erreicht. Im gleichen Zeitraum haben sich die Exporte der vietnamesischen Wirtschaft vervierfacht. Trotz dieser Exportleistungen ist die Handelsbilanz Vietnams in den letzten fünf Jahren negativ ausgefallen. Neben Rohöl sind Kaffee, Reis, Textilien, Schuhe und Handwerksarbeiten die hauptsächlichen Exportgüter Vietnams. Die Anstrengungen Vietnams, neue Industrien im Lande aufzubauen, erforderten die Einfuhr technischer Güter und Maschinen, die in ihrer Summe weit über dem Ertrag der vietnamesischen Exporte lagen. Die Öffnung für den Welthandel brachte es auch mit sich, dass Vietnam mit den USA im Jahr 2000 ein bilaterales Handelsabkommen unterzeichnete, was den Prozess der Normalisierung der durch den Vietnamkrieg jahrzehntelang belasteten Beziehungen zu den USA förderte.

Aber auch die anderen negativen Begleitumstände eines rasanten Wirtschaftswachstums sind in Vietnam sichtbar. Da ist auf der einen Seite das Geschwür einer allgegenwärtigen Korruption, die vor allem unter den Parteikadern und den Wirtschaftsleuten weit verbreitet ist. Im Erziehungssystem, im Krankenhauswesen, im Dienstleistungssektor und in der Verwaltung zeigt sich die systemische Korruption, da an sich selbstverständliche und geschuldete Leistungen so gut wie überall an die Zahlung von "Sonderabgaben" gebunden sind.

Die Schere zwischen Reich und Arm geht immer weiter auseinander, eine für ein sozialistisches Land eigentlich nicht hinnehmbare Entwicklung. Die vom Lande in die Städte gekommenen Wanderarbeiter leben oft unter menschenunwürdigen Umständen. Prostitution ist zwar offiziell verboten, wird aber geduldet, da Kontrollen nicht greifen oder bewusst nicht strikt durchgeführt werden. Auch Drogenkonsum, besonders unter Jugendlichen, ist weit verbreitet. Aus den Kreisen der Drogenabhängigen kommen auch die meisten der HIV-Aids Infizierten. Die Behörden versuchen mit Hilfe des Systems der Nachbarschafts-Komitees die sozialen Missstände mit Erziehungsmaßnahmen zu bekämpfen, die aus einer Mischung von sozialistischen Idealen, vermengt mit konfuzianischen Vorstellungen bestehen. Allerdings sind Erfolge bei den Adressaten, vor allem den Jugendlichen, nur selten zu sehen, und die erwartete Umkehr bleibt meist aus.

Ähnlich wie in der VR China sind die Erwartungen, dass die Reformen in der Wirtschaftspolitik auch zu polischen Veränderungen, zu mehr Pressefreiheit und Stärkung demokratischer Kräfte führen würden, bisher jedenfalls enttäuscht worden. In der Verfassung Vietnams aus dem Jahr 1980, übernommen auch in den Neufassungen von 1992 und 2001, wird der Machtanspruch der kommunistischen Partei in aller Deutlichkeit formuliert. Dort heißt es im Artikel 4: "Die kommunistische Partei Vietnams, gestützt auf den Marxismus-Leninismus, ist die einzig führende Macht im Staat und in der Gesellschaft und der entscheidende Faktor, der den Erfolg der vietnamesischen Revolution sicherstellt." Auch wenn die kommunistische Ideologie ihre Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung und selbst bei den Parteikadern weitgehend verloren hat, so bleibt die kommunistische Partei doch die bestimmende Macht im Land.

Zu ihr zu gehören, bedeutet zugleich auch Zugang zu den Schalthebeln der Macht zu haben. Denn die Verfassungsorgane wie die Nationalversammlung, nach der Verfassung eigentlich das höchste Gremium im Staat, sowie Regierung und Justiz sind in allen Belangen der kommunistischen Partei untergeordnet, die alle Gesetze und Regierungsentscheidungen konterkarieren kann. Eine nach westlichen demokratischen Prinzipien funktionierende Gewaltenteilung gibt es im von der kommunistischen Partei regierten Vietnam nicht.


Größere Freiräume für die Katholiken im Land

Daran haben bisher auch die Versuche, das politische und juristische System des Landes zu verbessern, nichts geändert, da alle diese "Reformen" unter dem Vorbehalt stehen, von der Partei jeweils gebilligt werden zu müssen, um effektiv zu werden. Solange die Partei in der Lage ist, den wirtschaftlichen Aufschwung des Landes zu sichern, wird sich daran auch nichts ändern. Die kommunistische Partei Vietnams wacht mit großer Energie und wenn nötig mit aller Härte darüber, die Kontrolle über alle Bereiche des politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Lebens zu haben und zu behaupten.

Die Katholiken Vietnams haben das Jahr 2010 als "Heiliges Jahr" in Erinnerung an die Errichtung der ersten beiden Apostolischen Vikariate Tonkin und Cochinchina vor 350 Jahren und an die vor 50 Jahren erfolgte Errichtung der nationalen Hierarchie gefeiert. Offiziell wurden die Feierlichkeiten im Marienheiligtum Bai Dau in Vung Tau Anfang April eröffnet. Nach langer Vorbereitung fand dann vom 21. bis 25. November die "Die Große Versammlung des Volkes Gottes" in Ho-Chi-Minh-Stadt statt. Zu den 300 Teilnehmern des Kongresses gehörten die 28 Bischöfe sowie ausgewählte Vertreter der Priester, Ordensleute und Laien aus allen 26 Diözesen des Landes. In der Eröffnungsrede forderte Bischof Paul Nguyen Thai Hop von Vinh, dass die vietnamesische Ortskirche kritisch Bilanz ziehen und sich für grundlegende Reformen auf der Basis des Zweiten Vatikanischen Konzils öffnen sollte.

Die Feier des "Heiligen Jahres" wird am 6. Januar 2011 im nationalen Marienheiligtum von La Vang beendet werden. Die diesjährigen Gedenkfeiern sind für die Katholische Kirche in Vietnam von großer Bedeutung, auch wenn die Anlässe in erster Linie das äußere institutionelle Gerüst der vietnamesischen Kirche betreffen. Die katholische Kirche Vietnams hat in den letzten 60 Jahren zunächst 1954 die Teilung des Landes, dann in den sechziger und siebziger Jahren den Vietnamkrieg und die Wiedervereinigung unter kommunistischer Herrschaft 1975 erlebt und durchlitten.

Direkt nach der Wiedervereinigung kam es zu einer Reihe von Prozessen gegen Priester und katholische Laien, in denen immer wieder die grundsätzliche Gegnerschaft der katholischen Kirche gegen den Kommunismus als zentraler Anklagepunkt genannt wurde. Nach Jahren, in denen das Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und der kommunistischen Regierung von gegenseitigem Misstrauen geprägt und eher feindlich war, haben im Gefolge der politischen und vor allem wirtschaftlichen Reformen sich neue Formen im gegenseitigen Umgang entwickelt, die der katholischen Kirche - trotz der weiterhin bestehenden strengen Kontrolle durch staatliche Organe - doch größere Freiräume eröffnen.

Die gegenwärtig sechs Millionen Katholiken, die sieben Prozent der Bevölkerung von 86 Millionen ausmachen, sind in 26 Diözesen gegliedert. Wie die Kirchen von Japan, Korea und China rühmt sich auch die katholische Kirche in Vietnam, eine "Kirche der Märtyrer" zu sein. Insgesamt beläuft sich die Zahl der vietnamesischen Märtyrer auf mehr als 130 000. Ein wichtiger Faktor für die Verfolgung der vietnamesischen Christen war die Ablehnung der Ahnenverehrung oder des Ahnenkults durch Rom. In den Augen der staatlichen Stellen in Vietnam bedeutete die Ablehnung der Ahnenverehrung und der Riten zur Ehrung von Konfuzius, dass sich die vietnamesischen Christen an einer zentralen, für den inneren Zusammenhalt der Gesellschaft wichtigen Stelle verweigerten und damit aufhörten, loyale Bürger zu sein. Das Problem, inwieweit die vietnamesischen Christen, die von den staatlichen Behörden in den Zeiten der Christenverfolgung als Kriminelle verurteilt und hingerichtet wurden, als "heilige Märtyrer" oder als "Vaterlandsverräter" anzusehen seien, wird bis heute in Vietnam kontrovers diskutiert.

Auf die Sicherung des absoluten Machtanspruchs der kommunistischen Partei ist konsequenterweise auch die Religionspolitik ausgerichtet. Im Artikel 70 der vietnamesischen Verfassung wird den Bürgern grundsätzlich die freie Ausübung ihrer Religion zugesichert: "Jeder Bürger erfreut sich der Glaubens- und Religionsfreiheit und kann sich einer Religion anschließen oder nicht. Alle Religionen sind vor dem Gesetz gleich. Die Gotteshäuser der Religionsgemeinschaften sind von Gesetzes wegen geschützt. Niemand darf die Glaubens- oder die Religionsfreiheit verletzen, noch darf jemand die Religion missbrauchen, um dem Gesetz oder der Politik des Staates zuwiderzuhandeln."


Der Einfluss der Religionen hat zugenommen

Die aktuelle Religionspolitik hatte und hat als vorrangiges Ziel, die absolute Kontrolle jedweder Religionstätigkeit auf allen Ebenen sicherzustellen. 1980 wurde nach dem Vorbild des in Nordvietnam seit Jahren schon bestehenden Gremiums ein "Solidaritätskomitee der Patriotischen Katholiken Vietnams" gegründet. Der Widerstand der Bischöfe und des Klerus, die das Komitee wegen der zu großen Nähe zur kommunistischen Partei ablehnten, hatte zur Folge, dass - anders als in der VR China - diese patriotische Vereinung nur wenig Einfluss innerhalb der katholischen Kirche erlangen konnte. Eine interne Spaltung der katholischen Kirche in eine offizielle "patriotische Kirche", die mit dem Staat kooperiert, und eine "Untergrundkirche", die jede Zusammenarbeit mit kommunistischer Partei und Staat ablehnt, wie dies in der VR China der Fall war, hat es in Vietnam nie gegeben. Die ihm von der Regierung zugedachte Rolle, die katholische Kirche von innen zu unterwandern, hat das Komitee nie spielen können.

In den im Juni 2004 erlassenen Regeln für religiöse Aktivitäten werden in 41 Artikeln strenge Richtlinien festgelegt, die so gut wie jede religiöse Tätigkeit unter die Kontrolle der Regierung stellt und viele, an sich normale, kirchliche Aktivitäten von jeweils zu beantragenden Erlaubnissen abhängig macht. Ausgenommen von staatlicher Kontrolle sind lediglich die alltäglichen religiösen und liturgischen Handlungen in Tempeln und Kirchen. Dagegen bedürfen alle Aktivitäten wie etwa Firmreisen von Bischöfen, Konferenzen und Weiterbildungsmaßnahmen, die über diesen Rahmen hinausgehen, in jedem Einzelfall einer staatlichen Erlaubnis.

Die vielfältigen Restriktionen und Behinderungen, mit denen die kommunistische Regierung versuchte, den Prozess des natürlichen Endes der Religionen zu beschleunigen, hatten allerdings nicht den gewünschten Erfolg, sondern erwiesen sich als eher kontraproduktiv. Denn trotz der restriktiven Religionspolitik hat der Einfluss der Religionen auf das alltägliche und gesellschaftliche Leben im Lande zugenommen. Die traditionellen religiösen Gebräuche und Rituale haben wieder einen festen Platz im Leben der Menschen, auch wenn die kommunistische Partei sie als "Aberglauben" brandmarkt. Besonders die Ahnenverehrung hat wieder einen festen Platz im Leben der meisten Vietnamesen.

Auch der Konfuzianismus erlebt in Vietnam eine Renaissance und wird von der Regierung als eine Kraft betrachtet, die für eine Erziehung zu mehr Respekt und Verbesserung des ethischen Verhaltens dienlich sein kann. Damit rücken Regierung und kommunistische Partei von der lange verfolgten Brandmarkung des Konfuzianismus als einer reaktionären Lehre ab. Das Verhältnis der Regierungsstellen gegenüber den Buddhisten dagegen ist getrübt durch die Spaltung innerhalb der buddhistischen Gemeinschaft. Neben der von der Regierung anerkannten Organisation der "Vietnamesischen Buddhistischen Sangha" gibt es die "Vereinte Buddhistische Kirche Vietnams", die von der Regierung seit Jahren als nicht autorisierte und daher illegitime, religiöse Organisation verfolgt wird.

Aus den Erfahrungen, dass der Einfluss der Religionen trotz vieler Repressionen nicht geringer wurde, sondern eher noch gewachsen ist, haben kommunistische Partei und Regierung gelernt, oder doch zumindest Konsequenzen in Hinblick auf eine Änderung ihrer bisherigen ideologisch einseitigen Position gezogen. So wurde zwar daran festgehalten, dass Mitglieder der kommunistischen Partei keiner Religionsgemeinschaft angehören dürfen. Zugleich wird von Partei- und Regierungsseite eine Neubewertung der Rolle der Religionen beim Aufbau und Erhalt der Gesellschaft vorgenommen und der Einfluss der Religionen auf diesem Gebiet zunehmend positiv gesehen.

Seit Jahren mehren sich die öffentlichen Beiträge, die im Rückblick auf die Geschichte Vietnams die positiven Beiträge der Religionen herausstellen. Generell werden die Belange der Religionen von den "Büros für religiöse Angelegenheiten" wahrgenommen, die wiederum ein Organ der "Vaterländischen Front" sind, der Dachorganisation und das Verbindungsglied zwischen der kommunistischen Partei und den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen ethnischen Minderheiten und Religionen. Wegen ihrer internationalen Kontakte wurden die Katholiken Vietnams lange generell verdächtigt, keine echten Patrioten zu sein.


Bischofsernennungen mit Zustimmung der Regierung

Die vietnamesische Regierung hat zwar die Verbindungen der Bischöfe mit der römischen Zentrale immer stark kontrolliert, aber nicht gänzlich unterbrochen, wie dies in der VR China der Fall war. So wurden die vietnamesischen Bischöfe nie grundsätzlich daran gehindert, die alle fünf Jahre fällig werdenden "Ad-Limina-Besuche" in Rom anzutreten. Allerdings behält sich die Regierung durch die Gewährung oder Verweigerung von Reiseerlaubnissen vor, in welcher personeller Besetzung und Stärke diese Besuche jeweils durchgeführt werden können. Auch das Recht des Papstes, Bischöfe zu ernennen, wurde nie grundsätzlich angefochten. Allerdings beansprucht die vietnamesische Regierung immer ein Mitspracherecht bei Bischofsernennungen und hat sich öfter gegen von Rom vorgesehene Kandidaten ausgesprochen.

Kontakte mit Kirchen im Ausland sind für die Bischöfe Vietnams ebenfalls möglich. Bis vor wenigen Jahren wurden die vietnamesischen Bischöfe daran gehindert, bei den verschiedenen Seminaren und Konferenzen der "Vereinigung Asiatischer Bischofskonferenzen" (FABC), zu der Südvietnam als Gründungsmitglied gehörte, mitzuarbeiten. Ein Verbot, auf das die Behörden stillschweigend nicht mehr bestehen, so dass vietnamesische Bischöfe in der FABC und ihren Gremien wieder mitarbeiten. Auch an der Asiatischen Synode in Rom 1998 konnten vietnamesische Bischöfe teilnehmen.

Seit 2008 hat der Papst sieben neue Bischöfe in Vietnam in Übereinstimmung mit der vietnamesischen Regierung ernennen können, darunter den neuen Erzbischof von Hanoi. Die Restriktionen bei der Zulassung zu Priesterweihen wurden von der Regierung stark gelockert, sodass in den letzten Jahren mehrere Hundert Priester geweiht werden konnten. In den Jahren davor war die Zahl der Seminaristen, die in einem zweijährigen Turnus mit Zustimmung der Religionsbehörden zum Studium in den Priesterseminaren zugelassen wurden, stets sehr eingeschränkt. Viele potenzielle Seminaristen hatten ohne Erlaubnis und im Verborgenen eine philosophische und theologische Ausbildung gemacht und waren ohne Erlaubnis der Regierung zu Diakonen oder Priestern geweiht worden. Seit fünf Jahren haben die Religionsbehörden diesen "illegalen" Seminaristen, Diakonen und Priestern die Möglichkeit eröffnet, in Kurzstudien in den Priesterseminaren nachträglich die nötige offizielle Qualifikation für die Ausübung des Priesteramts zu erwerben.

Nach der Wiedervereinigung wurden die katholischen Schulen, Krankenhäuser und sozialen Einrichtungen vom Staat enteignet und der katholischen Kirche die Betätigung in diesen Bereichen untersagt. Inzwischen wird die Tätigkeit von katholischen Schwestern in Kindergärten, in Heimen für Schwerstbehinderte und in Häusern für psychisch Kranke vom Staat geduldet und zunehmend auch positiv gesehen. Auch Aktivitäten für Prostituierte und Aids-Kranke seitens der Caritas und kirchlicher Einrichtungen werden als hilfreich gewertet. 2008 erhielt Caritas Vietnam die offizielle Anerkennung der vietnamesischen Regierung. Im Juni 2010 wurde innerhalb der vietnamesischen Bischofskonferenz eine Kommission für Gerechtigkeit und Frieden errichtet, die sich für Belange der sozialen Gerechtigkeit und der Menschenrechte einsetzt.

In der Presse wird seit einiger Zeit spekuliert, wann es zur Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Vietnam kommen wird. Mitte Mai 2010 konnte man in den Nachrichten von Radio Vatikan lesen, dass dieser Schritt "bald" vollzogen werde. Es wurden schon Überlegungen angestellt, dass ein Besuch des Papstes in Vietnam 2011 erfolgen könnte. Offizielle Gespräche zwischen Vertretern des Vatikans und staatlichen Stellen in Vietnam finden seit 1990 regelmäßig statt. In diesen jährlichen Begegnungen geht es gewöhnlich darum, anstehende Fragen wie die Ernennung von Bischöfen, die Zahl von Priesterseminaren und Quoten für Seminaristen zu klären.

Im Verlauf dieser regelmäßigen bilateralen Gespräche hat sich ein gewisses Vertrauensverhältnis zwischen den ungleichen Partnern ergeben. Am 17. Februar 2009 hat sich in Hanoi erstmals eine Arbeitsgruppe der vietnamesischen Regierung und des Vatikans getroffen, um Möglichkeiten zu einer grundlegenden Verbesserung der gegenseitigen Beziehungen auszuloten. Vorausgegangen war im Januar 2007 eine Begegnung des vietnamesischen Ministerpräsidenten Nguyen Tan Dung mit Benedikt XVI. im Vatikan, die als historisch bezeichnet wurde. Im Zusammenhang mit einem Staatsbesuch in Italien kam es im Dezember 2009 zu einer Begegnung des vietnamesischen Staatspräsidenten Nguyen Minh Triet mit dem Papst.

Vorausgegangen war ein positives Signal in Richtung Hanoi durch Benedikt XVI., der in einer Ansprache aus Anlass des "Ad-Limina-Besuchs" der vietnamesischen Bischöfe in Rom im Juni 2009 erklärte, dass eine gesunde Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche in Vietnam möglich und realistisch machbar sei. Bei der zweiten Begegnung von Vertretern der Regierung Vietnams und des Vatikans vom 24. bis 25. Juni 2010 im Vatikan kam es zu einer weiteren Annäherung. Als ersten Schritt für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Regierung Vietnams wurde vereinbart, dass der Papst einen nichtresidierenden Vertreter des Heiligen Stuhls für Vietnam ernennen wird und dass es ein, terminlich noch nicht festgelegtes, drittes Treffen der beiden Seiten geben soll.


Eine umstrittene Personalentscheidung

Die Feiern des "Heiligen Jahres 2010" wurden durch eine innerkirchliche Auseinandersetzung um die Besetzung des erzbischöflichen Stuhls von Hanoi gestört. Die Ablösung von Erzbischof Joseph Ngo Quang Kiet (58) durch die Einsetzung eines Erzbischof-Koadjutors in der Person von Bischof Peter Nguyen Van Nhon (72) von Dalat, dem amtierenden Vorsitzenden der vietnamesischen Bischofskonferenz, führte zu einer intensiven Diskussion innerhalb der katholischen Kirche. Joseph Ngo Quang Kiet war schließlich erst 2004 zum Erzbischof von Hanoi ernannt worden, nachdem er schon zuvor zwei Jahre als Koadjutor des damals 85-jährigen Kardinals Paul Joseph Pham Dinh Tung (+ 22. Februar 2009) die Erzdiözese geleitet hatte.

Der Verdacht, dass diese Ablösung auf Druck der Regierung erfolgt sei, wurde durch Verlautbarungen der kommunistischen Partei gestärkt, in denen die Ablösung des dem Regime feindlichen und als Hindernis für die Verständigung angesehenen Erzbischofs als Sieg gefeiert wurde. Vorausgegangen waren Querelen mit den staatlichen Behörden wegen des Grundstücks der ehemaligen vatikanischen Botschaft in Hanoi, dessen Besitz und Nutzung von der Kirche gefordert, aber von den Behörden verweigert wurde.

Erzbischof Kiet hatte darüber hinaus das Missfallen der staatlichen Stellen und der Partei erregt, als er in einer Erklärung die Religionsfreiheit "ein Recht und nicht ein Privileg" genannt hatte. Mit dieser Erklärung wollte der Erzbischof klarstellen, dass die Kirche in der Ausübung ihrer Tätigkeiten selbständig handeln könne und nicht jedes Mal auf eine vorausgehende Zustimmung von Staat und Partei angewiesen sei. Auch wenn diese Erklärung eigentlich nur beinhaltete, was die vietnamesische Bischofskonferenz in einem Offenen Brief an staatliche Stellen und die Partei im Jahr 2002 auch schon gesagt hatte, häuften sich Angriffe auf Erzbischof Kiet. Der Druck der von Staat und Partei organisierten "spontanen" Proteste gegen ihn belasteten seine Gesundheit schwer.

Kritiker aus dem Ordensklerus bemängelten die mangelnde Unterstützung von Erzbischof Kiet durch die Bischofskonferenz und unterstellten, dass es sich hierbei um taktisches und geplantes Verhalten gehandelt habe, da im Zusammenspiel mit vatikanischen Stellen die Haltung von Erzbischof Kiet als für die Verständigung zwischen Vatikan und vietnamesischen Staat abträglich und schädlich gesehen wurde. So hat der Franziskaner Pascal Nguyen Ngoc Tinh, der als Exeget und Übersetzer liturgischer Texte in der vietnamesischen Kirche einen Namen hat, in einem Zeitschriftenbeitrag heftig gegen die Entscheidung des Vatikan polemisiert. Der Vorgang zeigt, dass in der katholischen Kirche in Vietnam auch 35 Jahre nach der nationalen Einheit immer noch widersprüchliche Tendenzen miteinander kämpfen, die in der Frage, ob und inwieweit man mit der kommunistischen Regierung zusammenarbeiten darf, tief gespalten sind.

Erzbischof Kiet hat sich jedenfalls persönlich bemüht, die Auseinandersetzung zu beenden und bei der Einführung des neuen Koadjutors am 7. Mai 2010 die Gläubigen aufgefordert, seinem Nachfolger genauso Gehorsam zu erweisen, wie sie dies ihm gegenüber getan hätten. Angesichts der vielen Gerüchte und der Unruhe unter den Gläubigen über die Ablösung ihres bisherigen Erzbischofs war das Bemühen deutlich zu spüren, diesen Gerüchten entgegenzutreten und einzig und allein seine gesundheitlichen Probleme als alleinigen Grund für sein Ausscheiden hinzustellen. Die Tatsache, dass der Nachfolger schon 72 Jahre alt ist, lässt diese Begründung etwas gekünstelt erscheinen. Nur wenige Tage später, am 12. Mai 2010 hat Benedikt XVI. offiziell den Rücktritt von Erzbischof Ngo Quang Kiet angenommen, wodurch Peter Nguyen Van Nhon automatisch auch kanonisch seine Nachfolge als Erzbischof von Hanoi angetreten hat.

Die katholische Kirche in Vietnam hat in den letzten Jahrzehnten in vieler Hinsicht eine Phase des Wachstums und der Konsolidierung erlebt. Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat beziehungsweise Partei ist zwar weiterhin nicht spannungsfrei, hat sich aber doch zu einer weitgehend und von beiden Seiten respektierten konstruktiven Zusammenarbeit entwickelt. Die Freiräume der Kirche, auch außerhalb der rein religiösen, pastoralen und liturgischen Tätigkeiten in die Gesellschaft hinein wirken zu können, sind größer geworden. Institutionell hat die Kirche neue Kirchen, Seminare und andere kirchliche Einrichtungen errichten können.

Diese Konsolidierung des kirchlichen Lebens birgt allerdings auch Gefahren. Aus Vietnam kann man Stimmen hören, die davor warnen, zu sehr auf den Ausbau von Institutionen zu setzen und dabei den Geist des Evangeliums zu verraten. So beklagt der emeritierte Bischof von Long Xuyen, Johannes-Baptist Bui-Tuan, in einem offenen Brief im Februar 2009, dass die Kirche Vietnams dabei ist, den Versuchungen von Macht, Prestige und materiellem Komfort zu verfallen. Er beklagt auch, dass die Kirche immer mehr eine "Kirche der Kleriker" geworden sei, in der die Laien ungebührlich und gegen das Kirchenrecht bevormundet und gegängelt würden.

Ausdruck des gewachsenen Selbstbewusstseins der vietnamesischen Katholiken ist die 32 Meter hohe Statue von Christkönig, die 2007 in dem Seebadeort Vung Tau errichtet wurde. Das als größte Christusstatue der Welt bezeichnete Monument ist bis zu einer Entfernung von 50 Kilometern sichtbar und zieht Tausende von Pilgern, aber auch Touristen an. Ein anderes Prestigeobjekt ist der Neubau der Kirche im nationalen Marienwallfahrtstort von La Vang, die 5000 Sitzplätze haben wird und 25 Millionen US-Dollar kosten soll.

Manche blicken nostalgisch zurück auf die Zeit, als die Kirche verfolgt, viele Priester und Ordensleute in Arbeitslagern verbannt und damit nahe beim einfachen Volk waren. In einem Interview mit Radio Vatikan nannte der Jesuit Joseph Nguyen Cong Duan die 12 Jahre, die er im Arbeitslager und Gefängnis verbrachte, eine "Zeit der Mission", wie er sie im Rückblick bezeichnet, die es ihm ermöglichte, Seelsorger für die Mitgefangenen zu sein. Die relativ große Zahl an Priestern bedeutet eben auch, dass die Kleriker die Mitarbeit der Laien als weniger notwendig und damit auch weniger wert ansehen. Von Laien wird beklagt, dass Priester auf die Einhaltung von nicht länger gültigen Verpflichtungen bestehen und auf Verstöße gegen ihre Anordnung willkürlich mit kirchlichen Strafen wie Verweigerung der Kommunion reagieren.

Von daher ist der Appell der "Großen Versammlung des Volkes Gottes" zur Einheit und zu einer besseren Zusammenarbeit zwischen Laien und Klerus von großer Aktualität. Auf dem Gebiet der Schulung der Laien im Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils bleibt noch viel zu tun. Das wirtschaftliche Wachstum und der damit verbundene zunehmende Reichtum macht die Weitergabe des Glaubens an die junge Generation zu einer großen Herausforderung für die Pastoral.


Georg Evers (geb. 1936) promovierte bei Karl Rahner über Theologie der Religionen. Von 1979 bis 2001 war er Asienreferent im Missionswissenschaftlichen Institut Missio (Aachen). In dieser Eigenschaft unternahm er zahlreiche Reisen in asiatische Länder und wirkte bei wichtigen theologischen Konferenzen im Rahmen der Vereinigung Asiatischer Bischofskonferenzen (FABC) mit. Zahlreiche Veröffentlichungen zum interreligiösen Dialog und zur Theologie der Mission.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
65. Jahrgang, Heft 1, Januar 2011, S. 44-49
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. April 2011