Schattenblick →INFOPOOL →RELIGION → CHRISTENTUM

BERICHT/238: Wie Religion in "Bild" vorkommt (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion 10/2007

Nach eigenen Gesetzen
Wie Religion in "Bild" vorkommt

Von Elisabeth Hurth


Die Bildzeitung ist in Deutschland eine publizistische Großmacht. Seit einigen Jahren kümmert sich das Blatt verstärkt um das Thema Religion. Allerdings wird Religion in "Bild" weithin zur Verstärkung von Betroffenheit oder zu Unterhaltungszwecken eingesetzt. Christliches wird hochgehalten, nicht zuletzt in Absetzung gegen die vermeintliche Bedrohung Islam.


*


"Wir brauchen Gott!", titelte "Bild" (11.9.06) anlässlich des Besuchs von Benedikt XVI. in Bayern. Mit Gott ist unter Chefredakteur Kai Diekmann in der Bild-Zeitung wieder zu rechnen. Gott füllt die Schlagzeilen aus, nicht nur als spirituelle Größe und Wertmaßstab - "Der liebe Gott hat mir ein neues Leben geschenkt" (25.11.02) -, sondern auch als Ausdruck einer Religiosität, in der die christliche Religion gegen den vermeintlich gewaltbesetzten Islam ausgespielt und ein Bedrohungsszenario heraufbeschworen wird: "Der Islam ist auf dem Vormarsch" (29.11.06), "Immer weniger Kirchen, immer mehr Moscheen" (21.11.06). Glaube und Religion sind nicht zuletzt vor diesem Hintergrund in "Bild" zu Topthemen geworden. "Die Bild-Zeitung", so behauptet die katholische Fernseharbeit beim ZDF in ihrem Online-Angebot zum Thema Zeitgeist und Spiritualität, "liefert den Beweis: Religion boomt wieder". Schaut man aber genauer hin, drängt sich eine andere Erkenntnis auf. Eine Rückkehr der Religion schlechthin liegt in "Bild" nicht vor. Was tatsächlich wiederkehrt, sind religionsförmige Instrumentalisierungen des Prädikats "Religion" zu Zwecken des Emotainments und der Aufmerksamkeitssteigerung. Was in "Bild" zurückkehrt, ist primär Religion als Unterhaltung.

Man kann sich generell mit "Bild" über Ungeheuerlichkeiten und Missstände empören oder an fremden Schicksalen mitleiden. Aber wenn man sich im Gewand von Glaube und Religion empört oder mitleidet, erhält alles ein anderes Gewicht, eine Allgemeingültigkeit, die nachhaltige Reaktionen auslöst. Die Meldung "Heino verzweifelt am Selbstmord seiner Tochter" springt den Leser emotional an (2.12.03). Diese emotionalisierende "Attacke" auf den Leser wird religiös erhöht durch die Titelschlagzeile "Mein Gott, was hab ich falsch gemacht?" Ähnlich verhält es sich bei der Meldung "Nach dem schweren Motorrad-Unfall verlor der Vater des Tennis-Stars (Tommy Haas) 4 Liter Blut" (11.6.02). Eine solche Meldung setzt "Bild" dem Vorwurf aus, "blutrünstig" und sensationslüstern zu sein. Aber mit der entsprechenden Schlagzeile - "Tommy Haas betet um das Leben seines Vaters" - wird all das religiös "kaschiert".

Die Thematisierung von Religion in "Bild" folgt gezielt medialen Inszenierungsgesetzen unter Konkurrenzbedingungen und ökonomischem Erfolgszwang. Mit Hilfe von Religion verleiht die Bild-Zeitung ihren Themen eine tiefere, existenzielle Bedeutung, die die Betroffenheit des Lesers steigert. Mit dieser kalkulierten Strategie der Bedeutungserhöhung löst sich das Blatt von kurzlebigen und aktualitätsempfindlichen Inhalten. Wenn sich das Fernsehen zunehmend boulevardisiert und "Bild" die Themen wegnimmt, ist Religion ein geeignetes Instrument, um sich mit neuer Ernsthaftigkeit vom Fernsehkonkurrenten abzusetzen.

Eine grundsätzliche Abkehr vom Boulevard, die viele Medienkritiker für den "Wandel" der Bild-Zeitung ausgemacht haben, bedeutet dies nicht. Im Gegenteil, "Bild" überträgt Boulevard-Ingredienzien auf das Themenfeld Religion und Glaube. Mit Gott in der Schlagzeile wird Klage geführt. Mit Gott wird Betroffenheit erzielt. Mit Gott werden Wut und Trauer stimuliert.


Mit Religion erlebnisstarke Gefühlswelten vermitteln

Grundstrategien zur Aufmerksamkeitssteigerung und Leserblatt-Bindung wie Emotionalisierung und sensationelle Dramatisierung bleiben auch in der "neuen" religiösen "Bild" erhalten. Mit anderen Worten: Das Blatt stellt nicht einfach die Bedeutung der Religion für das Leben des Menschen an sich dar, sondern will mit Religion erlebnisstarke Gefühlswelten vermitteln. "Der mörderische Hindu-Priester und seine Hure", so eine Schlagzeile vom 12. Juni 2003. Darunter der auf Grauen und Entsetzen abzielende Kurztext: "Sie lockte die Opfer mit Fesselsex. Er schnitt den wehrlosen Männern die Kehle durch, um seinem Hindu-Gott zu gefallen."

"Schickt China Prostituierte nach Tibet, um die frommen Menschen vom Beten abzuhalten?", fragt "Bild" am 17. August 2002 und titelt leserlockend: "Huren-Invasion in der heiligen Stadt des Dalai Lama". Aufsehen erregende, schockierende Ereignisse aus dem Themenfeld Sexualität und Religion erlauben es dem Blatt hier, sämtliche Gefühlsregister zu ziehen und das sinnliche Verlangen des Lesers anzusprechen. Die Bild-Strategie der Spektakularisierung und Sensationalisierung medialer Inhalte berücksichtigt dabei auch die religiöse Gestimmtheit des Lesers und zielt auf den Effekt des einfühlenden Mitleidens.

"Eine Bestie nahm ihnen beide Kinder", diese Meldung über ein Verbrechen, "das ganz Deutschland erschüttert" , wird in ihrer emotionalen Sprengkraft nochmals aufgewertet durch den Aufmacher: "Mein Gott, die armen Eltern!" (8.4.03). Das emotional-expressiv eingesetzte Schlagwort "Gott" steigert die Neugier und Anteilnahme des Lesers. Religion wird zur emotionalen Anmache. Die Grenzen zwischen religiöser Sehnsucht und Sensationsgier verschwimmen. Religiöses und Skandalöses, Erbauliches und Schockierendes gehen Hand in Hand.

Als Affekt-Medium reduziert "Bild" religiöse Inhalte auf einen Diskurs der subjektiven Betroffenheit, der auf die erlebnismäßige Dimension von Religion abhebt. Dies wird besonders deutlich, wenn Stars als personalisierte religiöse Sinnvermittler auftreten. Fußball-Star Heiko Herrlich dankt nach einer erfolgreichen Krebsoperation Gott "für seine Hilfe" (15.3.01). Nach dem tragischen Tod von Ursula Karvens Sohn Daniel, der in einem Pool ertrank, erzählt ihre Freundin Dana Schweiger in "Bild", wie sie mit der Tragödie umgeht. "Gott", so bittet sie, "gib uns die Kraft, den Schmerz zu ertragen und den Sinn dieses Unglücks zu verstehen" (23.6.01).


Der Leser erhält ein Identifikationsangebot

Christliche Deutungsmuster erhalten hier Öffentlichkeitscharakter, aber nicht in Form reiner Verkündigung und Lehre, sondern im Spiegel des Bekenntnisses, der persönlichen Erfahrung. Im Medium des Bekenntnisses gewinnt das Autobiographische an Bedeutung. Man interessiert sich für die Person "hinter" dem Bekenntnis, ihre Glaubwürdigkeit und Ausstrahlungskraft. Die Prämisse lautet: "Ich glaube dir", und nicht "Ich glaube an etwas". Als religiöse Sinnvermittler machen Stars Religion in "Bild" zu einer persönlichen, privaten Einstellung. Es zählt individuelle spirituelle Kompetenz. Die christliche Religion ist dabei nicht mehr verbindlich. In einem Portrait von Franz Beckenbauer erfährt der Leser, dass der "Kaiser" an Astrologie und Wiedergeburt glaubt (4.9.05). Star-Regisseurin Doris Dörrie berichtet in "Bild", dass ihr die Kirche nach dem Tod ihres Mannes "wenig zur Seite gestanden (habe)". "Erst eine andere Religion" habe ihr "neue Kraft" gegeben. "Mich hat dieses schwarze Loch innerhalb der Kirche zum Buddhismus gebracht", bekennt Dörrie. Dessen "noble Weisheit": "Leben ist Leiden, es endet mit Alter und Tod" habe sie als "wahnsinnig erleichternd" empfunden (11.2.04).

An dieser Stelle zeigt sich: In Sachen Religion und Glaube legt sich "Bild" inhaltlich nicht eindeutig fest. Einerseits erhebt das Blatt die christliche Religion zu einem verbindlichen Maßstab von Kultur und Gesellschaft, andererseits folgt es dem allgemeinen Trend, dass Religion heute Privatsache des Einzelnen ist und christliche Deutungsmuster in einer religiös pluralisierten Welt nicht mehr allein maßgebend sind.

Mit Religion als Teil der Bild-Gefühlskultur erhält der Leser ein Identifikationsangebot, in dem Melodramatisches und Sensationelles "religionisiert" wird, um den Effekt der inneren Anteilnahme zu erhöhen. Handlungskerne von Trivialmythen - Liebe, Tod, plötzliches Unglück - machen die Bild-Glaubensbekenntnisse zur Schicksalsreportage und religiösen Reality-Show. Dort, wo Religion mit trivialmythischen Elementen durchsetzt und emotionalisiert wird, stehen nicht mehr Inhalte im Vordergrund, sondern das Ergriffensein und Betroffensein. Die emotionalen Effekte verselbständigen sich von den Inhalten. Auch die "neue", religiös eingekleidete "Bild" erweist sich damit als "Nullmedium".

Als "Nullmedium", so Hans Magnus Enzensbergers Urteil, werde die Bild-Zeitung gelesen, "nicht obwohl, sondern weil (sie) von nichts handelt,... weder Vergangenheit noch Zukunft kennt, alle historischen, moralischen, politischen Kategorien zertrümmert". Auf die religiös aufgeladene "Bild" scheint dieses Urteil nicht unbedingt zuzutreffen. Gerade was Religion und Glaube anbelangt, gibt sich das Blatt inhaltlich engagiert und arbeitet dezidiert in "moralischen Kategorien". Wehe dem, der einen Angriff auf die christliche Tradition startet - eine moralische Verurteilung ist ihm in "Bild" sicher.

Ein Beispiel: November 2006. Der Präsident des Trierer Landgerichts beschließt, Kruzifixe aus dem renovierten Justizgebäude zu entfernen. "Bild" gibt sich entrüstet, zeigt ein Kruzifix im Sitzungssaal des Trierer Landgerichts und fragt empört: "Was haben Sie gegen dieses Kruzifix, Herr Beck?" Darunter die Anklage: "Im Trierer Gericht wurde der gekreuzigte Christus nach der Renovierung aus den Sitzungssälen verbannt. Und der Ministerpräsident greift nicht ein" (17.11.06).

Dass der christliche Glaube in den öffentlichen Zeichen immer weiter verdrängt wird, will das Blatt nicht hinnehmen. Ein Verbündeter ist schnell gefunden: "Bischof kämpft für Kruzifix im Gericht" (25.11.06). Mit dem Trierer Bischof Marx als Verbündeten zieht "Bild" gegen die "bewusste Zerstörung unseres Wertefundaments" und gegen die "gezielte Kappung unserer kulturellen Wurzeln" zu Felde (17.11.06).


Für christliche Symbole in der Gesellschaft

Doch in diesem Kampf bezieht das Blatt wiederum keine eindeutige Position. "Bild" tritt für das Festhalten an zentralen christlichen Symbolen in der Gesellschaft ein, arbeitet jedoch selbst der Entwertung christlicher Symbole und Deutungsmuster zu. In Sprachspielen und Verfremdungen bedient sich "Bild" biblisch-religiöser Sprachmuster, um profane Ereignisse und Sachverhalte religiös zu stilisieren. Diese "sakrale Säkularität" (Michael Nüchtern) ist Teil einer überwiegend trivialen Wiederverzauberung, die der Entzauberung nachfolgt. Sie verwandelt Fußballstars in Heroen, Kitsch in Kult und freizügige Schauspielerinnen in Sex-Göttinnen.

Sie dient "Bild" dazu, sich als Marke einen Anteil vom Heiligenschein des Religiösen zu sichern und sich so zu erhöhen. Religion als Werbe- und Medienstrategie unterliegt dabei einem tief greifenden Gestaltwandel. Genuin Religiöses verdunstet oder wird zerlegt und neu zusammengestellt, oft ganz ohne Bezug zur ursprünglichen religiösen Deutungstradition. In entkonfessionalisierten "Updates" (Hans-Joachim Höhn) religiöser Motive und Traditionen wird ihre Verwurzelung im Evangelium und in der geschichtlich überlieferten Verkündigung des Glaubens nicht nur zurückgedrängt. Man muss vielmehr davon ausgehen, dass die einstmals kirchlich-institutionell gebundenen Formen und Inhalte religiöser Praxis, die medial neu abgespeichert und adoptiert werden, in ihrem ursprünglichen Sinn oft gar nicht mehr bekannt sind.

"Bild" entsorgt religiöses Wissen und gibt den christlichen Traditionsschatz zum unterhaltsamen, erlebnismäßigen Abschuss frei."Herr, lass es Witze regnen", "betet" Harald Schmidt (16.7.04).Religion als Reservoir für einen "Gag-Schleuderer" (16.7.04). Das Thema Religion scheint inhaltlich abgefertigt. Alle geschichtlichen Wurzeln sind gekappt und ersetzt durch die religiös aufgeladene Geschichte der Trivialkultur, aufgezeichnet und archiviert von "Bild": Eine "Busen-Diva" "beichtet" ihre Verfehlungen (8.12.03), Tigerbändiger Roy erhebt sich "wundersam" aus seinem Rollstuhl (15.9.04), Hape Kerkeling feiert seine "Wiedergeburt" (31.5.06) und Michael Schumacher wird auf einem "Schicksalskurs" "unsterblich" (7.10.03).


Das Feindbild Islam wird gepflegt

Die entkernende Instrumentalisierung von Religion zu Zwecken der Aufmerksamkeitssteigerung zeigt sich auch in der bekannten Bild-Beichte. Während die Beichte im christlichen Gemeindeleben kaum noch eine Rolle spielt, sind in "Bild" Schuldbekenntnisse, Geständnisse und Beichten regelmäßig zu finden. Der Ex-Profi-Boxer Dariusz Michalczewski "beichtet" auf Seite 1: "Ich betrog meine Frau in der Hochzeitsnacht" (4.5.04). Ebenfalls auf Seite 1 "outet" sich am 22. Dezember 2004 Cora Schumacher: "Ja, ich habe ihn vergrößern lassen." Darunter die Schlagzeile:"Schumis Cora beichtet Busen-OP!" "Bild" verkleinert hier die Perspektive konsequent auf Schlüsselloch-Größe, enthüllt Intimes, macht Privates öffentlich und erhebt Banales zur Sensation - das alles religiös eingekleidet in Beichtform. Religion muss dabei als Tarnkappe für etwas herhalten, was im Kern areligiös ist: das Ausbeuten privater Schicksale, die Befriedigung voyeuristischer Sensationslust.

"Bild" schürt Empörung. Damit hat das Blatt schon immer versucht, sich Mehrheiten zu sichern und sich als "Sprachrohr der Volksseele" (Dieter Brumm) zu positionieren. Heute zeigt "Bild", dass dies auch im Themenfeld Religion und Glauben funktioniert. Das Blatt geht in Stellung, wenn der christliche Glaube herabgesetzt oder bedroht wird. Dabei sind religiöse Bild-Bekenntnisse nützliche Instrumente, um gemeinschaftliche Identitäten zu schaffen. In dieser Situation bringt vor allem das überwiegend negative, extremistische Bild des Islams eine willkommene, gemeinschaftliche christliche Reaktion hervor.

"Bild" macht es sich zu Nutze, dass immer mehr Deutsche heute den Islam als große, fremde Religion empfinden. Angesichts diffuser Ängste und Feindseligkeiten gegenüber dem Islam greifen viele wieder zur Religion, um sich kulturell und national abzugrenzen - selbst wenn sie im Grunde gar nicht religiös sind und keinen Glauben praktizieren. Das Blatt bedient diese Abgrenzungsversuche ebenso wie die antiislamische Stimmung vieler Leser - siehe etwa die Leserbriefe zum geplanten EU-Beitritt der Türkei (25.2.04). Mit der Negativzeichnung des Islams vergewissert sich die Bild-Leser-"Gemeinde" ihrer eigenen Identität im Sinne einer dem Islam "überlegenen" kulturellen Gemeinschaft. Am Feindbild Islam kann sich die neue "Bild" aufbauen und sich als Apologetin einer auf christlichen Werten begründeten westlichen Kultur inszenieren.

Anfang 2006, anlässlich der Auseinandersetzung um die Mohammed-Karikaturen, die in einer dänischen Regionalzeitung erschienen waren, fragt "Bild": "Islamisten gegen den Westen. Ist das der Krieg der Kulturen?" (6.2.06). Alle Anzeichen sprechen für einen solchen Krieg: "Brennende Botschaften in Nahost, die Fahnen europäischer Staaten in Flammen, wütender Mob, der Kirchen demoliert." Es folgt der explizite Hinweis auf Samuel P. Huntingtons Bestseller 'The Clash of Civilizations', der "vorausgesagt" habe: "Es wird zu einem Zusammenstoß von Islam und westlicher Welt kommen."

Diesen Zusammenstoß führt das Blatt dem Leser auf drastische Weise vor und spielt dabei geschickt mit Bedrohungsängsten."Die Lage ist sehr ernst" (2.2.06)", "Und wieder brennt eine Botschaft!" (6.2.06), "Karikaturen-Streit weitet sich aus. Auch deutsche Fahnen brennen" (7.2.06). "Bild" spricht schließlich explizit aus, was diese Schlagzeilen suggerieren: "Müssen wir uns vor dem Islam fürchten?" (7.2.06).


Religion als nützliches Element zum Glücklichwerden

Das Blatt bedient hier eine antiislamische Stimmung in Deutschland und nutzt das Feindbild Islam, um die Überlegenheit der westlichen Kultur und der christlichen Tradition herauszustellen. So eindeutig die Bild-Polemik gegen den Islam für die Überlegenheit und "Richtigkeit" der christlichen Religion spricht, so wenig eindeutig hält "Bild" an eben diesem Christentum fest. Der christliche Glaube ist eine Option neben vielen anderen.

Weihnachten 2006. "Bild" gibt sich - zumindest auf Seite 14 der Bundesausgabe - christlich-fromm. Kardinal Karl Lehmann verkündet den Bild-Lesern die Botschaft vom menschgewordenen Gott, der sich in Jesus Christus der Welt geoffenbart hat als ein Gott, "der immer nahe bei uns" ist (23.12.06). Einen Tag nach Weihnachten wird das Leben in "Bild" nicht mehr vom vorsehenden Handeln eines personalen Gottes bestimmt, sondern vom Mond, der Wegweiser zum Glück ist.

Dieses Glück kann man in "Bild" buddhistisch, christlich oder esoterisch erreichen. Ob es nun die "Weisheiten des Heiligen Benedikts" (17.12.01) sind, die zum Glück führen oder die Herzensratschläge des Dalai Lama, ob man sich zum christlichen Erlösungsglauben bekennt oder (auf derselben Seite) an Selbstheilung glaubt (8.4.04) - alles hat in "Bild" seinen Platz. Das Blatt passt sich an die Pluralisierung der Religion in der Gesellschaft an und liefert Bauteile für eine Patchwork-Religion.

Religion wird zur Bedarfsreligion, die vage Hoffnungen auf eine bessere Welt und privates Glück transportiert und hierzu von Astrologie über Wiedergeburt bis zur selbstvergessenen Meditation alles anbietet. Aus dem Angebot von Versatzstücken unterschiedlicher Religionen und Sinnangebote kann sich der Leser seine religiöse Identität zusammenbasteln nach dem Motto: Ich mach' mir meine Religion selbst.

"Bild" überlässt den Leser nicht der religiösen Unübersichtlichkeit. Wer sich von der Fülle religiöser Sinnangebote überfordert fühlt, wird von dem Blatt an die Hand genommen und instruiert. Es liegt damit genau im Trend: Die heutige Sehnsucht nach Spiritualität ist vor allem auch eine Sehnsucht nach Festigkeit und Führung, Ordnung und Halt. Was diese Sehnsucht angeht, will "Bild" eindeutig sein und versendet eine moralisch profilierte Alltagsethik: Das Unmoralische darf sich nicht durchsetzen und muss nach den Maßstäben einer "Law and Order Mentality" geortet und verbannt werden. Nur das "Gute" ist im Rahmen der simplen Bild-Moralität siegreich und "mehrheitsfähig". Alle, die angesichts der generellen Verunsicherung, des sozialen Wandels und vieler Umbrüche nach Orientierungen fragen, werden so mit einer verlässlichen Botschaft bedient, die letztlich Moral an die Stelle von Religion setzt.

"Der liebe Gott hat bei uns nicht Saison", so diagnostiziert Claus Jacobi in seinem Bild-Tagebuch. "Karriere, Kohle und Korruption, Ego, Wellness und Fitness machen ihm Konkurrenz" (6.8.05). "Bild" will in dieser Situation nicht nur Lehrer des Glaubens sein, sondern auch dessen Hüter. Anlässlich der Einführung des Fachs "Lebensgestaltung, Ethik, Religionskunde" an Berliner Schulen formuliert die Bild-Zeitung zehn "Bild-Gebote", die Politiker beachten sollen. Sie fordern unter anderem: "Du sollst das Gottvertrauen, das Kinder haben, nicht aus ihren Seelen vertreiben." Und vor allem: "Du sollst die Schulen nicht als Tempel missbrauchen, in denen der Götze der Unverbindlichkeit verehrt wird" (12.4.05).

Dass die Bild-Zeitung selbst solche "Unverbindlichkeit" fördert, indem sie Religion zu einer Art Steinbruch macht, aus dem sich jeder etwas für stetig wechselnde Bedürfnisse herausholt, steht auf einem anderen Blatt. Im biblisch-religiösen Gewand gibt sich "Bild" hier moralisch-kämpferisch und erlegt Politikern Gebote und Verbote auf - ganz im Geiste jener Verfügungen, die einst vom Bundes-Gott an das Bundes-Volk ergangen sind. Dem entspricht: In "Bild" ist Religion Moralgarant. Der Bild-Katechismus gibt Anregungen für ein gutes Leben in moralischem Sinn. Entscheidend ist dabei: "Bild" weiß, was gut und böse, richtig und falsch ist.

Der "harten", autoritären Bild-Religion steht im Blatt eine "weiche" Wohlfühlreligion gegenüber mit einem Kuschelgott, der religiöser Wellness dienen soll. Dieser Gott wird zur "Happy-Formel". Religion ist dann ein nützliches Rezept zum Glücklichwerden und Wohlfühlen, wenn man ihr jene Transzendenz ausgetrieben hat, die die Welt der Erfahrung als solche überschreitet. Die Bild-Religion bietet eine nivellierte Transzendenz, sie verbleibt in der Welt des alltäglichen Erlebens, die mit dem Glauben dem "Glück" zugeführt werden kann - siehe die Bild-Plakat-Aktion "Mit dem Glauben kam das Glück".

Religion wird in "Bild" damit letztlich zu einem Mittel der Selbsttherapie, sie dient dem Nutzen des Einzelnen und wird zur "Haben-Religion" (Paul M. Zulehner). Sie muss den Nachweis erbringen, dass sie für das Ich etwas "abwirft". Es bleibt eine Welt nach Menschenmaß, in der Erlösung als innerweltliche Perfektionierung vorgestellt wird. In "Bild" taucht Religion nicht als Religion auf, die einen grundsätzlichen Geltungsanspruch für eine transzendenzbezogene Lebenspraxis erhebt. Das Blatt vermittelt keine religiöse Erfahrung, die sich auf eine höhere Welt bezieht. Der einzig gültige "höhere" Bezugspunkt ist "Bild" selbst.


Elisabeth Hurth (geb. 1961) hat Amerikanistik, Germanistik und katholische Theologie in Mainz und Boston studiert. PH.D. 1988 in American Studies in Boston, Promotion 1992 in Mainz in Germanistik. Sie ist Dozentin, Lerntherapeutin und Publizistin in Wiesbaden.


*


Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
61. Jahrgang, Heft 10, Oktober 2007, S. 529-533
Anschrift der Redaktion:
Hermann-Herder-Straße 4, 79104 Freiburg i.Br.
Telefon: 0761/271-73 88
Telefax: 0761/271-74 88
E-Mail: herderkorrespondenz@herder.de
www.herder-korrespondenz.de

Die "Herder Korrespondenz" erscheint monatlich.
Bezugspreis ab Januar 2007:
Heftpreis im Abonnement 10,20 Euro.
Das Einzelheft kostet 12,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2007