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BERICHT/249: Situation koptischer Christen in Ägypten (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz 5/2008
Monatshefte für Gesellschaft und Religion

Umbruch in schwieriger Zeit
Zur Situation der koptischen Christen in Ägypten

Von Joachim Schroedel


Ägypten hat die größte christliche Minderheit von allen muslimisch geprägten arabischen Ländern. Die bis zu acht Millionen Kopten leben in weitgehend friedlicher Nachbarschaft mit ihren muslimischen Nachbarn. Ein islamisch-christlicher Dialog ist aber in Ägypten selber nur schwer möglich.


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Am 3. August feiert der Patriarch der koptisch orthodoxen Kirche, Papst von Alexandrien und Patriarch des Stuhles vom Heiligen Markus, Shenuda III., seinen fünfundachtzigsten Geburtstag. Der seit Jahren schon kranke "Papst der Kopten", der immer noch regelmäßig seine Mittwochsaudienzen hält und darüber hinaus durch rege, wenn auch zunehmend eingeschränkte Reisetätigkeit nach Nordamerika, Kanada und Australien seine vielleicht 10 Millionen Mitchristen besucht, steht mit seiner Kirche vor großen Herausforderungen. Im siebenunddreißigsten Jahr seiner Regentschaft gibt es innerkirchlich aber auch schon öffentlich Spekulationen über eine Nachfolge.

Sehr autoritär, aber ebenso wirkungsvoll führt seit 1971 Papst Shenuda die orthodoxen Kopten, die größte nichtmuslimische Bevölkerungsgruppe (etwa acht Prozent der Bevölkerung) in Ägypten. Obwohl er im Vergleich mit seinem als heiligmäßig verehrten Vorgänger Kyrillos bei der Bevölkerung eher schlechter abschneidet, ist es ihm gelungen, die Beziehungen zur Mehrheit der Gesamtbevölkerung Ägyptens, den Muslimen, relativ stabil zu halten.

Diese Entwicklung war jedoch im September 1981 (Shenuda war damals gerade 10 Jahre im Amt) nicht abzusehen. In aller Schärfe demonstrierte der Papst der Kopten gegen die immer stärker werdende Islamisierung Ägyptens. 1977 hatte er zu einem viertägigen Fasten aufgerufen, um gegen ein geplantes Gesetz zu demonstrieren, das gegen den Abfall vom Islam Sanktionen vorgesehen hatte. Als der damalige Präsident Sadat im Frühjahr 1981 zu einem Staatsbesuch nach Washington kam, rief Shenuda die etwa 100 000 Kopten Amerikas zu Demonstrationen auf.

Dies führte zur "Verbannung" Shenudas in sein Heimatkloster Amba Bschoi von September 1981 bis Januar 1985. Sein monastischer Vater, Matta Maskin, sagte damals gegenüber "Time-Magazine": "Shenudas Wahl war der Anfang der Probleme. Der Verstand ersetzte die Inspiration, Planung ersetzte das Gebet. In den ersten Jahren habe ich für ihn gebetet, aber ich sehe, dass die Kirche durch sein Verhalten vom Schlechten zum Katastrophalen geht."

Ganz offensichtlich hat sich der große Führer einer der ältesten orientalischen Kirchen umorientiert. An die Stelle von Aufrufen zu Boykott oder Demonstrationen sind Aufrufe zum Frieden zwischen den Religionen getreten. Der im letzten Jahrzehnt immer häufiger zu hörende Satz: "Wir sind Ägypter; es gibt keinen Unterschied zwischen Christen und Muslimen", wird auch persönlich häufig demonstriert. So kommen auf Einladung des ältesten Rotary-Clubs in Kairo jährlich Papst Shenuda und der Großscheich der El-Azhar-Universität, Sheik Muhammad Tantawi, im Ramadan zu einem "Iftar" (Fastenbrechen) und betonen die nationale Identität aller Ägypter und deren Wunsch nach Frieden; Religion - so wird demonstriert - ist zwar nicht Privatsache, aber die beiden Traditionen, Christentum und Islam, seien beide staatsgemäße Lebens- und Glaubensformen.

Das in den letzten Monaten häufiger genannte und von der Öffentlichkeit wohl beobachtete Phänomen der Konversion von Muslimen zum Christentum (nach islamischem Sharia-Recht und ägyptischem Recht ist Konversion absolut verboten) wird durch die Kirchenleitung eigentlich völlig verschwiegen. Ein befreundeter Priester sagte mir, es käme ohnehin nur zu etwa 80 Konversionen im Jahr. Aber eben auch diese sind verboten und werden von der Gesellschaft der Muslime geächtet. Konversion ist Abfall vom wahren Glauben - darauf steht nach Sharia-Recht die Todesstrafe.

Ob Shenuda immer noch ein "fanatischer Führer" ist, wie der koptische Intellektuelle Milad Hanna behauptet, steht zu bezweifeln. Es ist jedoch klar, dass er eine so starke Persönlichkeit (geworden) ist, dass derzeit nach Shenuda kaum eine weitere Hierarchie zu erkennen ist. Zwar sind Persönlichkeiten wie etwa der "Jugendbischof" Anba Moussa oder der in der Kurie arbeitende Anba Johannes dauernd im Gespräch als mögliche Nachfolger von Shenuda, doch bleiben sie in der Öffentlichkeit eher im Hintergrund. Eine merkwürdige Parallele: auch der bald 80-jährige Präsident Ägyptens, Husni Mubarak, ist ohne wirklichen Thronprätendenten.

Ägypten ist aus europäischer Sicht ein Land des Tourismus, der Träume, des Urlaubs; aus wirtschaftlicher Sicht eines der Europa am nächsten liegenden Billiglohnländer. Die Deutsch-Arabische Industrie- und Handelskammer zählt über 2000 Mitglieder. Und dennoch ist es auch ein Land des von Zeit zu Zeit aufflammenden Terrorismus und ein Schwellenland.

Ägyptens Bruttoinlandsprodukt wuchs 2006/2007 wiederum um 7,1 Prozent; im Vergleich zu 2000/2001 eine Verdopplung. Dennoch sind Lohn- und Preisniveau aus den Fugen geraten: Ein Lehrer mag um die 600 LE (rund 80 Euro) verdienen, eine Putzfrau bei einem Ausländer oft das Doppelte, aber die Preise, jetzt eben auch der Grundnahrungsmittel, die alle staatlich subventioniert sind (etwa Brot und Öl), stiegen im letzten Jahr um 50 bis 70 Prozent. Über wahre Brotknappheit berichten auch westliche Medien, Aufstände gegen die Regierung wie etwa am 6. April nehmen zu und beunruhigen zutiefst.

Die zunehmend schwieriger gewordene wirtschaftliche Situation Ägyptens trifft die etwa 90 Prozent der Bevölkerung umfassende Unter- und Mittelschicht. In der Mehrheit der Bevölkerung ist kein sozialer Unterschied zwischen Kopten und Muslimen zu erkennen. Kopten und Muslime rücken als "Notgemeinschaft" eher zueinander.

So mag die gemeinsame Not ein stabilisierender Faktor im Verhältnis zwischen Christen und Muslimen geworden sein. Als gesellschaftliches Phänomen steht jedoch die herrschende Schicht eher vor dem Problem, jetzt eine noch stärkere Opposition zu spüren. Es sind nicht nur die im Ausland oft genannten "Muslimbrüder", die als Opposition gegen die Regierung auftreten und bei freien Wahlen mit Sicherheit zwischen 40 und 45 Prozent der Stimmen erringen würden. Auch die Christen äußern massive Kritik, wenn auch unorganisiert und hinter vorgehaltener Hand.

Aus gutem Grund hat die staatliche Führung in den letzten Monaten immer wieder Demokratisierung angekündigt. Der staatliche Rundfunk "Radio Kairo" baut seine gesamte Sendestruktur um. Noch vor wenigen Monaten wäre es undenkbar gewesen, über sozial problematische Situationen diskutieren zu können; heute besteht auch hier kein Tabu mehr.

Einzig die Person des Präsidenten ist nach wie vor geschützt und darf nicht beleidigend kritisiert werden. Doch überregionale Bewegungen, wie etwa die parteiähnliche aber mittlerweile "regulierte" "Kifaya" (Genug!) darf in eine Zukunft blicken, die auch ohne die alten Strukturen auskommen will. Hier konnten auch Christen zusammen mit ihren muslimischen Gesinnungsgenossen aktiv werden.

Und man schaut - Christen und Muslime zusammen - auf die Zeit nach Mubarak, der am 4. Mai sein 80. Lebensjahr beendet hat. Derzeit stehen allerdings die Zeichen und gehen die Bestrebungen vieler Ägypter nicht in Richtung westlicher Demokratisierung, obgleich zum Beispiel die im Frühjahr neu gegründete Partei "Demokratische Front" (mit einer Christin als Generalsekretärin) frei wirken darf.

Viele Ägypter favorisieren Husni Mubaraks Sohn Gamal (Jahrgang 1963), und man erhofft sich von diesem jungen und dynamischen Mann die dringend nötigen sozialen Reformen. Eine Demokratisierung wird schon deshalb als problematisch angesehen, weil bei freien Wahlen im Lande eine Situation entstehen könnte, die im politischen Sinne eigentlich wirklich nicht gewollt ist - eine Wende zu den Muslimbrüdern.

Die Lage der Christen in Ägypten ist im Übrigen objektiv gesehen nicht schlecht und im Vergleich zu anderen muslimischen Ländern mit christlichen Minderheiten sogar recht positiv. Im Jahre 2000 hatte das Tourismusministerium zur Wallfahrt "auf den Spuren der Heiligen Familie" in Ägypten aufgerufen, seit 2003 ist das Weihnachtsfest am 7. Januar staatlicher Feiertag, 2005 wurde ein koptischer privater Rundfunksender eingerichtet, es gibt eine Reihe christlicher Presse-Publikationen, koptischer Religionsunterricht ist an staatlichen und privaten Schulen Pflichtfach. "Am Sonntag (in Ägypten Arbeitstag) haben christliche Angestellte Anrecht auf einen späteren Arbeitsbeginn, um vor der Arbeit den Gottesdienst besuchen zu können. Dazu stehen in der 20-Millionen-Stadt Kairo immerhin an die 200 Kirchen offen, die - anders als in manchen Ländern der Region - auch von der Straße aus als solche zu erkennen sind und, wenn sie dem westlichen Ritus angehören, auch ihre Glocken läuten lassen" (Frank Van der Felden, Brennpunkt Ägypten, in: Philipp W. Hildmann, [Hg.], "Sie werden euch hassen ..." Christenverfolgung weltweit, [Argumente und Materialien zum Zeitgeschehen 59], Hanns Seidel Stiftung [2008], 76).


Möglichkeiten des christlich-islamischen Dialogs

Immer wieder wird in den Medien hervorgehoben, wie sich in den letzten Jahrzehnten eine Wiederbelebung des Glaubens in der Koptischen Kirche vollzogen habe. Ausgehend vom Mönchtum und unter geistlicher Führung von großen Gestalten wie Kyrillos VI., Mata Maskin und anderen, gebe es nun überall Sonntagsschulen und in vielen Jugendgruppen sei der lebendige Glauben wieder zu finden. Dies ist auf den ersten Blick richtig; freie Tage werden dazu genutzt, in Gemeindezentren zusammen zu kommen, die Christen Ägyptens nutzen diese Möglichkeiten intensiv aus - denn dann kann man endlich einmal "unter sich" sein.

Freilich kann ein solcher Rückzug in den Bereich der Minorität auch dazu führen, dass die Minderheitensituation als einzig gangbarer Weg gegenüber der "muslimischen Welt" gesehen wird. Bei solchen Gelegenheiten kommt es zum Austausch von Urteilen - und manchmal eben auch Vorurteilen. In den letzten zehn Jahren hat sich die koptisch-orthodoxe Christenheit eher zurückgezogen. Ein Dialog mit anderen findet kaum statt. Zwei Beispiele mögen dies verdeutlichen.

Obgleich zwischen allen christlichen Kirchen ein klarer Konsens über die Anerkennung der Taufe besteht, fordert die koptische Kirche bei Übertritt in sie eine erneute Taufe. Und da die koptische Kirche keine Mischehe kennt, muss etwa eine katholische Frau - selbst wenn sie nachweislich engagiertes Mitglied einer katholischen Gemeinde war - noch einmal getauft werden, bevor sie einen Kopten heiraten darf. Dass die meisten Priester dann auch noch auf einer Taufe im "alten Ritus", also durch völliges Untertauchen des Täuflings bestehen, grenzt an Entwürdigung.

Der innerchristliche Dialog, der gerade mit Shenuda - damals noch als Bischof ohne Diözese - in den späten sechziger Jahren so hoffnungsvoll begonnen hatte, wird nicht zum eher sehr schlecht ausgebildeten Klerus durchgetragen. So habe ich selbst schon erlebt, dass ein Priester mir vorwarf, ich würde die Kommunion "ungültig" spenden, da ich die Brotkommunion nicht mit einem Löffel aus dem Kelch reichen würde. Striktes Einhalten des Ritus scheint Garant der Wahrheit zu sein. In Gesprächen und bei Rückfragen wird deutlich: Das Festhalten am Überlieferten ist für viele koptische Priester die einzige Möglichkeit, der "anderen Religion", nämlich dem Islam, die Stirn zu bieten. Vom Islam nämlich wird dem Christentum "westlicher Prägung" vielfach vorgehalten, es habe Glaubensgrundsätze und christliche Moral ohnedies aufgegeben. Daher fühlt sich das orientalische Christentum genötigt, mit besonderer Konsequenz am Überlieferten festzuhalten. Dies betrifft sowohl theologische als auch pastorale Fragen.

Freilich liegt genau hier auch die Problematik der orthodoxen Kopten; viele wenden sich anderen kirchlichen Gemeinschaften zu, zuallererst den evangelischen Kirchen, die in der "Synod of the Nile" zusammengefasst sind. Wenn auch im Vergleich zu den etwa 6 bis 8 Millionen orthodoxer Kopten die rund 250 000 Evangelischen nicht sehr ins Gewicht zu fallen scheinen; die Bewegung weg von der orthodoxen Kirche oder zumindest die Gleichgültigkeit gegenüber den Regeln und theologischen Konzepten nimmt zu.

Mitte 2007 machte ein angeblicher "Bischof" Maxim von sich reden, der in einem Stadtteil von Kairo residierte und sich als "Gegenpapst" bezeichnete. Er kündigte Reformen an; eine Reform der Liturgie mit einer fast durchgängigen Verwendung des Arabischen statt des von den jungen Christen kaum verstandenen Koptischen, die Reform des Eherechts und besonders die Einführung der Möglichkeit von Ehescheidung, größere Akzeptanz des vorehelichen Zusammenlebens und Ähnliches.

Er traf damit zentrale Kritikpunkte eines großen Teils der orthodoxen Kopten. Gerade auch bei der Frage der Ehescheidung bleibt die Kirche nach wie vor absolut restriktiv, da es auch nicht den in der katholischen Kirche bekannten "Ehe-Nichtigkeitsprozess" gibt. Am Sitz des koptischen Patriarchen in Abbasseia in Kairo gab es sofort Erklärungen, die darauf hinausliefen, dass sich dieser Priester die Bischofsweihe in Amerika erschlichen habe und sie ergo ungültig sei. Papst Shenuda sagte, er äußere sich nicht zu diesem Fall, denn dieser Priester sei für ihn "tot". Doch es brodelt weiter unter den Kopten.

Am 24. und 25. Februar 2008 traf der Präsident des päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog Kardinal Jean Louis Tauran in Kairo mit Scheich Abd al-Fattah Alaam und weiteren hochrangigen Vertretern des Islam zusammen. Die Bemühungen des Vatikan seit vielen Jahren und die persönlichen Anstrengungen von Benedikt XVI. zum Dialog mit dem Islam sind hinreichend bekannt. Dass Benedikt seinen "Islamtheologen" Michel Fitzgerald im Februar 2006 als Apostolischen Nuntius nach Ägypten gesandt hatte war nicht, wie einige Journalisten munkelten, eine "Versetzung in die Wüste"; vielmehr sind seit zwei Jahren bemerkenswerte und auch inhaltlich fassbare Dialoge geführt worden. Die seit dem Jahr 2000 existierende gemischte Kommission von Gelehrten der El-Azhar-Universität Kairo und Theologen des Vatikans, die zweimal jährlich in Kairo und in Rom tagt, hat durch die Initiative des Papstes neue Bedeutung gewonnen. So bestätigte der muslimische Gelehrte Abdullah el Naggar die große Bedeutung dieser Treffen etwa im Februar 2007 zum Thema Toleranz.


Alte Wunden sind noch nicht verheilt

Es scheint deutlich: Europäische Theologen können sich über kontroverse Themen im christlich-islamischen Dialog relativ problemlos mit ägyptischen Muslimen unterhalten - sie kommen aus zwei völlig unterschiedlichen Kultur- und Sprachkreisen.

Die Ägypter aber - gleich welcher Religion - sind und bleiben "Landsleute", die zudem unter dem ständig erneuerten Anspruch stehen, Religion spiele ja schließlich nur eine nachgeordnete Rolle, die nationale Identität sei wichtiger und deren Bande tragender als alle religiösen Unterschiede. So kommt es schlechthin nicht zu einem expliziten Dialog. Im Gegenteil: "Man kann als Ägypter über alles reden - nur nicht über Religion!" - diese Äußerung, in europäischen Ohren befremdlich, ist allenthalben zu hören.

Da es aber schlechterdings nicht stimmt, dass Religion nur eine untergeordnete Rolle im Verhältnis der Ägypter zueinander spielt und diese Behauptung durch ständige Wiederholung auch nicht wahrer wird, entwickelten sich auf beiden Seiten Zerrbilder der jeweiligen Religion, die zwar nicht gegenüber der anderen thematisiert werden, aber - und dies ist schlimmer! - hinter vorgehaltener Hand ständig in den jeweils eigenen (christlichen oder muslimischen) Kreisen die Runde machen. Mit anderen Worten: Die tägliche Begegnung zwischen Ägyptern unterschiedlicher Religionen wird bestimmt durch nicht ausgesprochene Vorurteile, die jedoch von freundlicher ägyptischer Mentalität überdeckt werden.

Spricht man einen Ägypter auf das Verhältnis der beiden Religionen Christentum und Islam an, wird man immer mit einem frohen Lächeln zu hören bekommen, sie seien Brüder, die sich durch nichts trennen ließen. In Ägypten sei das Verhältnis problemlos, sehe man von manchen "Fanatikern" ab, die dann aber sicher keine "richtigen" Muslime (oder Christen) wären. So weicht man jedem Religionsgespräch eher aus oder bleibt bei den oberflächlich zu notierenden und behaupteten "Gemeinsamkeiten", etwa mit dem Satz eines Muslims, dass schließlich Jesus im Islam ebenfalls ein großer Prophet sei und so fort. Und freilich ist seit dem 11. September 2001 der "interzivilisatorische" Dialog staatlich gefördert und gewollt. Dieser Dialog ist aber hauptsächlich das Gespräch unter wenn auch religiös unterschiedlichen Ägyptern, die sich dann gemeinsam mit zwanghafter Unterdrückung des Unterscheidenden zum Thema "Frieden und soziale Gerechtigkeit" äußern. Dabei braucht Religion nur noch als Legitimation herzuhalten mit der Maßgabe, schließlich wollen das ja beide Religionen.

Begegnet man Kopten privat, wird man allerdings massiv hören, wie schlimm die Situation geworden sei. Und eben auch: Wie schlimm der Islam als Religion doch sei. Was im christlich-europäischen Mittelalter an Aussagen über Mohammed und den Islam gemacht worden ist, findet man heute noch in den Gedanken und Meinungen des größten Teils orthodoxer Kopten. Zum Teil scheinen sie lückenlos und ohne Reflexion die Jahrhunderte überdauert zu haben. Man würde es zwar nie öffentlich sagen, doch geht ein durchschnittlicher orthodoxer Kopte davon aus, dass der Islam eine auf Lügen aufgebaute Lehre sei und sein Gründer eben ein "Lügenprophet".

Es käme wohl keinem orthodoxen Kopten in den Sinn, den Islam als eigenständige Religion zu akzeptieren - denn dies würde, im Denken eben dieses Christen, die (späte) Kapitulation vor dem Islam sein. Freilich wird man bei der Beurteilung dieser für uns kaum mehr nachzuvollziehenden Haltung immer berücksichtigen, dass Ägypten das erste vollständig christianisierte Land der Welt war und dies auch über mehr als 600 Jahre geblieben war. Diese Wunde ist nicht verheilt und nie wirklich therapiert worden. Vielmehr scheint das orthodoxe ägyptische Christentum sie offenzuhalten und bereitwillig zu zeigen.

So wird natürlich auch jeder bewusste aggressive Übergriff von Muslimen auf Christen in eben diese Richtung interpretiert: "Der Islam" wolle die Christen in Ägypten vernichten, es fände eben nicht nur eine indirekte Unterdrückung statt (in der Tat hat das staatliche Gesetz bezüglich der christlichen Ägypter eine zum Teil abweichende Haltung, manche Berufe dürfen von Christen nicht ausgeübt werden, der Präsident muss immer Muslim sein etc.), sondern auch eine direkte Verfolgung. Zu differenzierender Beurteilung solcher Übergriffe ist man zumeist nicht bereit.

Die orthodox-christliche Haltung zur Frage eines Dialogs mit dem Islam ist also nicht sehr verschieden von der Haltung eines strengen Muslim, für den sein eigener Glaube die "Vollendung der Religion" ist und das Christentum demzufolge eine zumindest defiziente Religionsform darstellt; die Schrift der Juden und später der Christen wurde im Laufe der Jahrhunderte verfälscht, bis schließlich Gott selber im Koran die letzte Wahrheit offenbart hat.

Spricht man von koptischer Kirche, vergisst man oft, dass etwa 250 000 ägyptische Christen mit Rom unierte Kopten sind. Durch Papst Leo XIII. wurde 1895 das katholische Patriarchat für die Kopten wieder errichtet. Besonders unter Stephanos II. Ghattas (1986 - 2006) wurde das in sieben Bistümer aufgeteilte Patriarchat mit seinen etwa 180 bis 200 Diözesanpriestern wichtiger Ausgangspunkt für die Beziehungen der lateinischen Kirche zu den Kopten. Seit 2006 leitet Antonios Naguib das Patriarchat.

Weitere mit Rom unierte Kirchen sind die Griechisch-Katholische Kirche, die Maroniten, die Syrisch-Katholische Kirche, die Armenisch-Katholische Kirche, die Chaldäisch-katholische Kirche. Diese kleine, aber nicht unbedeutende Gemeinschaft stellt eine Art Eingangstor für die westlich-katholische Kirche dar. Und gerade die intellektuellen Zentren der mit Rom unierten Kopten können besondere Brückenfunktion haben.

Die mit Rom unierten Riten betreiben in Maadi ein Priesterseminar für alle katholischen Riten, das nach klassisch-römischem Universitäts- und Seminarprogramm unterrichtet. Die propädeutische, philosophische und theologische Ausbildung der Seminaristen entspricht in allen Anforderungsbereichen dem üblichen westlichen Niveau. Zum Curriculum gehören natürlich auch Kenntnisse über die Religion des Islam. Wer klassisches Arabisch lernt, muss auch Koran-Arabisch lernen. So setzen sich die Seminaristen unmittelbar mit den Texten des Koran auseinander und haben Professoren, die ihnen - als Islamwissenschaftler - Brücken bauen helfen.

Auch die westlichen Ansätze des interreligiösen Dialogs werden theoretisch und praktisch erlernt. So kann man eher davon ausgehen, dass diese Theologen ein Dialogverständnis erhalten, das dem eines westlichen Theologen entspricht. Umgekehrt können diese so ausgebildeten christlich-ägyptischen zukünftigen Priester entsprechend ihre Dialogerfahrungen an westliche Theologen beziehungsweise die katholische Kirche weiterreichen. Es steht zu hoffen, dass dies auch von Rom wahrgenommen wird.

Seit weit über 100 Jahren unterhält die "Kongregation der Barmherzigen Schwestern vom Hl. Karl Borromäus" aus Grafschaft (Sauerland) zwei Mädchengymnasien in Ägypten. Etwa 1600 Schülerinnen werden an diesen Schulen in deutschen Curricula zum Deutschen Abitur oder zur Fachhochschulreife geführt. Etwa 55 Prozent der Schülerinnen sind Musliminnen, 45 Prozent Christinnen. Diese durch finanzielle Mittel der Bundesrepublik Deutschland geförderten Schulen sind "Begegnungsschulen" im wahrsten Sinne des Wortes. Als Schulseelsorger begleite ich seit 13 Jahren diese Schulen und deren Schülerinnen. Hier wird das Wort "Dialog" nicht nur genannt, sondern es findet praktischer und theoretischer Dialog statt, der in großer intellektueller Redlichkeit geführt wird. Absolventinnen dieser Schulen sind Ferment in der ägyptischen Gesellschaft und in gewisser Weise Garanten für gegenseitige Toleranz und echtes gemeinsames Tun. Denn nicht durch Verschweigen sondern durch Offenheit kann auch in Ägypten ein akzeptables Miteinander von Islam und Christentum möglich werden.


Joachim Schroedel ist Priester des Bistums Mainz und seit 1995 im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz Seelsorger für die deutschsprachigen Katholiken in Ägypten, Syrien, Jordanien, Libanon, Sudan und Äthiopien.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
62. Jahrgang, Heft 5, Mai 2008, S. 264-268
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juni 2008