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BERICHT/304: Krankheit und Gesundheit in der Bibel (Bibel heute)


Presseinformation zu "Bibel heute"
Zeitschrift des Katholischen Bibelwerks e.V. Stuttgart - Heft 2/2010

KRANKHEITEN - HEILUNG - HEIL
Krankheit und Gesundheit in der Bibel

Von Prof. Dr. Stefan Beyerle


Die Bibel kennt Krankheit und Schwäche sowohl als individuelles als auch als kollektives Phänomen. "Heilung" wird nicht im Sinne von "Überwindung der Krankheit" eng geführt, sondern ganzheitlich als Zustand des Heils verstanden.


Krankheiten im Alten und im Neuen Testament

Die Bibel bietet unterschiedliche Begriffe, um von Krankheiten zu sprechen. Das Alte Testament etwa greift auf Namen von Dämonen (etwa "Pest": vgl. Hab 3,5; Ps 78,50, hebr. däbär) zurück oder verwendet zu Kennzeichnungen von Hautabnormalitäten ganz allgemeine Begriffe wie "Makel" (zara'at: vgl. Lev 13-14). Daher können Krankheiten nicht immer zufriedenstellend im Sinne medizinisch-exakter Diagnostik bestimmt werden. Dennoch lassen sich Krankheitstypen unterscheiden:

Hautkrankheiten

Zu den äußerlich sichtbaren Krankheiten zählen pockenartige Bläschen (hebr. sch'chin), die offenbar mit Fieberschüben einhergingen und damit konkret lebensbedrohlich waren. Sowohl König Hiskija (2 Kön 20,7; Jes 38,21) als auch der arme Lazarus (Lk 16,20-21) und jene Menschen, die in der apokalyptischen Endzeit "das Zeichen des Tieres" tragen (Offb 16,2; vgl. V. 11), leiden daran. Während Hiskija durch Mitwirkung des Propheten Jesaja und mithilfe eines Feigenkuchens gesund wird, stirbt Lazarus, um erst im Totenreich in "Abrahams Schoß" Trost zu erlangen.

Zu den auf der Haut sichtbaren Erkrankungen gehört auch der Aussatz. Das hebräische Wort (zara'at) hat ein weites Bedeutungsspektrum und sollte zunächst neutral mit "Makel" übersetzt werden. Schon die griechische Übersetzung des Alten Testaments interpretierte den Begriff, indem sie ihn mit "Lepra" übersetzte. Allerdings ist Lepra (Morbus Hansen) erst seit der Zeit, da das Alte Testament ins Griechische übersetzt wurde (seit dem 3. Jh. v. Chr.), in Palästina bekannt.

Der Aramäer Naaman, der an Aussatz leidet, wird durch siebenmaliges Waschen im Jordan geheilt (2 Kön 5). Auch hier ist ein Prophet, nämlich Elischa, beteiligt. Gott straft Mirjam nach dem Aufbegehren gegen ihren Bruder Mose mit Aussatz (Num 12). Die Aufforderung des Mose: "Gott, heile sie doch!", zeigt, dass Gott auch für die Heilung verantwortlich ist, die dann nach sieben Tagen eintritt. Im Neuen Testament heilt Jesus Aussatz (griech. lepra) durch Handauflegung (Kraftübertragung) und die Aufforderung: "Ich will es, werde rein!" (Mk 1,40-45). Allerdings bleibt auch bei den neutestamentlichen Belegen unsicher, ob Lepra im Sinne von Morbus Hansen gemeint ist. Insgesamt versteht die Bibel Aussatz als Krankheit, die im Sinne der Unreinheit kultisch wie sozial ausgrenzt und der entsprechend mit "Reinigungen" wie Waschungen begegnet wird.

Körperliche Gebrechen

Der nächste größere Krankheitskomplex sind körperliche Gebrechen, die auch ein Handikap benennen können: Taubheit, Blindheit, Gehbehinderungen. Das Alte Testament verwehrt Israeliten mit körperlichen Defekten wie gebrochenem Fuß oder Hand, einem Buckel, Krätze oder Blindheit den Zugang zum Priestertum - aber nicht den Zugang zum Heiligtum (Lev 21,16-24; vgl. aber 2 Sam 5,8). Taube bzw. Taubstumme werden hier nicht erwähnt. Während Ex 4,11 (vgl. Ps 146,8) betont, dass Gott stumm oder taub, sehend oder blind macht, handelt in anderen Zusammenhängen der Mensch selbst: Äußerst brutal ist die Blendung des letzten Königs in Juda, Zidkija, durch den Babylonier Nebukadnezzar, nachdem man vor den Augen Zidkijas seine Söhne umgebracht hat (2 Kön 25,6-7; Jer 52,10-11). In besonders drastischer Weise wird hier Blindheit als Strafe aufgefasst. Andererseits werden Blinde als schutzbedürftig (Dtn 27,18) und orientierungslos (Zef 1,17; Klgl 4,14) geschildert.

Im Neuen Testament gilt Blindheit als unheilbar. Blinde werden sozial ausgegrenzt (vgl. Mk 10,46-52). Lahme gelten als durch einen bösen Geist (Satan) "gefesselt" (Lk 13,10-17). Jesus heilt hier durch ein erlösendes Wort bzw. Kraftübertragung beim Auflegen der Hände. Schließlich kombiniert der sogenannte "Verstockungsauftrag" in Jes 6 "Taubheit" und "Blindheit", wenn der Prophet dem Volk verkündet, dass es hören, aber nicht begreifen, sehen, aber nicht erkennen soll (V. 9-10). Jene bildlich zu verstehenden Aussagen in den Gerichtsansagen der Prophetie (vgl. Hos 5,13; Jes 1,5-6; Am 4,10) begegnen auch als Zitat im Munde des Apostels Paulus (Apg 28,26-27). Die bisherigen Krankheitstypen werden im Neuen Testament als "Schwäche" bezeichnet (griech. asthéneia). Das Neue Testament weist auch Krankheiten aus, die durch Dämonen hervorgerufen sind und gerne als "Besessenheit", auch Hysterie oder Epilepsie, interpretiert werden (vgl. Paulus in 2 Kor 12,6-10; Gal 4,13-14).

Demgegenüber ist das Alte Testament mit dem Verweis auf Dämonen eher zurückhaltend. Aber auch dort begegnet "Besessenheit", am prominentesten bei der Figur König Sauls. Sie wird mit ekstatischer Prophetie verbunden (1 Sam 18,10; vgl. Jer 29,26) und durch einen "bösen Geist" verursacht, dem der "Gottesgeist" gewichen ist (1 Sam 16,14-23). Nur bedingt vermag das Leierspiel Davids dem Saul Linderung zu verschaffen.

Im Neuen Testament sind Krankheitsdämonen Ursache von "Besessenheit", denen im Wirken Jesu mit Exorzismen begegnet wird. Die Dämonen nehmen dabei gänzlich vom Kranken Besitz (Mk 1,25-26; 5,9; 9,20.25; vgl. 1,34). Wenn Jesus in Lk 11,20 sagt, dass er mit dem "Finger Gottes" Dämonen austreibt und damit bereits das "Reich Gottes" angebrochen ist, so gehen hier "Heilung" und "Heil" eine enge Verbindung ein, was auf die theologische Dimension verweist.


Die theologische Dimension von Krankheit

Von Krankheiten können sowohl Einzelne als auch Gruppen, Menschen und Tiere betroffen sein. Das Volk der Ägypter samt Vieh treffen in der sechsten Plage Geschwüre mit aufplatzenden Blasen (Ex 9,8-12; vgl. Dtn 28,27). Auch Israel wird auf seinem Weg in der Wüste, nachdem es gegen Gott aufbegehrt hatte, durch Schlangenbisse tödlich verletzt, bis Mose selbst einschreitet und auf Gottes Geheiß eine bronzene Schlangenstandarte errichtet, die Heilung bringt (Num 21,4-9). Andererseits können auch den Einzelnen wie Ijob böse Geschwüre von Kopf bis Fuß befallen (Ijob 2,7-8). Beide Erzählungen deuten scheinbar ein Krankheitsverständnis an, das körperliches Leid mit einem gestörten Gottesverhältnis verknüpft und die Ursache der Krankheiten in der Schuld des Erkrankten sucht (vgl. Ps 38,5; 91,14; 2 Chr 21,12-19). Ein genauer Blick auf die Texte und Kontexte in Numeri und Ijob ergibt jedoch, dass jene Vorstellung zwar vorausgesetzt, jedoch gerade durchbrochen ist: So sind die Israeliten von Gott ausersehen, das "Gelobte Land" in Besitz zu nehmen, und gerade nicht zum Sterben in der Wüste verurteilt (Num 21,1-3; vgl. 14,45 u. Dtn 7,1-11). Und Ijob wird gleich zu Beginn der Rahmenerzählung (Ijob 1,1-2,13; 42,7-17) ausdrücklich als "schuldloser und aufrichtiger" Mann bezeichnet, der "Gott fürchtet" und "das Böse meidet" (Ijob 1,1). Gott wendet schließlich Ijobs Geschick, sodass er "alt und lebenssatt" stirbt.

Das sich hier andeutende theologische Verständnis von Krankheit wird im Neuen Testament nochmals verstärkt. Bei der Heilung eines Blindgeborenen (Joh 9; vgl. aber Mk 2,5) antwortet Jesus auf die Frage seiner Jünger, ob der Blindgeborene oder seine Eltern gesündigt haben (V. 3): "Weder er noch seine Eltern haben gesündigt. Vielmehr sollen an ihm die Werke Gottes bekannt werden." Daraufhin heilt Jesus den Blinden, indem er einen Teig aus Speichel (vgl. Mk 8,23) anrührt, auf seine Augen streicht und ihn auffordert, seine Augen im Teich "Schiloach" abzuwaschen (V. 6-7). Bei einer weiteren Blindenheilung (Lk 18,35-43) geht Jesus so weit, dass er gar den Glauben des Blinden für die Heilung (Lk 18,42 par Mk 10,52: "Rettung") verantwortlich macht (vgl. auch Lk 17,19). Biblisch wird also die Überwindung von Krankheit in der engen Verknüpfung von "Heilung" und "Heil" verstanden. Auch das Alte Testament verdeutlicht diese Verknüpfung schon begrifflich. Befindet sich doch der Gesunde bzw. Geheilte in einem Zustand von "Ganzheit" (Jes 1,6; Ps 38,4.8: hebr. metom) und "Heil" (Ps 38,4; Ijob 5,24: hebr. schalom).


Heilung und Heil

Um als Kranker die angesprochene "Ganzheit" zu erreichen, sind Heiler und Heilmittel in Verbindung mit Ritualen oder auch Gebeten gefragt.

Konkrete Heilmittel werden nur sporadisch in der Bibel erwähnt und sind zumeist pflanzlicher und tierischer Natur. Öl wird zum Verbinden und Ruhigstellen verwendet (Jes 1,6). Es soll neben Wein Blutungen stillen (Lk 10,34; vgl. auch Mk 6,13; Jak 5,14). Balsam ist mit der Landschaft Gilead, dann mit Ägypten und Babylonien verknüpft (Jer 8,22; 46,11; 51,8). Ein Feigenkuchen dient zur Heilung der Krankheit Hiskijas (2 Kön 20,7). Oder das Augenleiden Tobits wird mit Fischgalle geheilt (Tob 6,7-9). Schließlich vermag Speichel bei der Heilung von Taubstummen und Blinden zu wirken (Mk 7,33; 8,23; Joh 9,6). Vereinzelt begegnen auch "Ärzte": der "Wundarzt" (vgl. Jes 3,7), dann aber auch im Milieu fremder Kulturen wie Ägypten verortet (Gen 50,2; Ez 30,21). Zwar heißt es in Ex 15,26: "Ich bin der Herr, dein Heilender", doch bezieht der Textzusammenhang die Heilungsfunktion Gottes auf die "Krankheiten Ägyptens", also auf Plagen, mit denen Ägypten geschlagen wurde und von denen Israel verschont bleibt. Daher sollte man den Text nicht vorschnell als Beleg einer generellen Zurücksetzung von Ärzten in Israel, etwa gegenüber Ägypten und Babylonien, verstehen - zumal auch Propheten (s. o.) und Priester (vgl. Lev 13-14) Heilungs- und Reinigungsfunktionen übernehmen konnten.

Schließlich können zwei außerhalb der Bibel begegnende Texte die Bedeutung und inhaltliche Füllung von "Heil" und "Heilung" illustrieren. Beide Texte wurden bei archäologischen Grabungen gefunden und gehören in das Inventar von Grabanlagen. Im Jahre 1979 fanden Ausgräber in einer Grabhöhle im Hinnomtal (Jerusalem) zwei Silberstreifen, deren unsichere Datierung zwischen dem 7. und 4. Jh. v. Chr. angesetzt wird. In eingerolltem Zustand dienten sie wahrscheinlich als Amulette, die um den Hals getragen wurden. Auf beiden Amuletten steht das Thema Segen im Vordergrund, mit leichten Abweichungen der "Aaronitische Segen" nach Num 6,24-26. Dem Träger der Amulette diente also der Segen und Schutz Gottes zur Abwehr des "Bösen" (so auf Amulett I) und - im Kontext der Familienreligion - zum Fernhalten von Dämonen, somit auch als Schutz vor Krankheit.

Auch der zweite außerbiblische Beleg rückt den Segen Gottes in den Mittelpunkt. Bei seit 1967 durchgeführten Ausgrabungen in Chirbet el-Qom, im Süden Israels, fand man in zwei Gräbern drei Inschriften. Die dritte Inschrift datiert aus dem 8. Jh. v. Chr. und nennt den Bestatteten, einen gewissen Urijahu. Dieser wird als "reich" und durch Gott (Gottesname JHWH) gesegnet bezeichnet. Außerdem ist die aus dem Alten Testament bekannte und dort harsch abgelehnte "Aschera" genannt, die als Beigöttin JHWHs jenen Urijahu von seinen "Feinden" errettet habe. Der Segen, zusätzlich betont durch eine skizzierte Hand unterhalb der Schrift, und der Schutz vor Feinden, die in Klagepsalmen häufig zusammen mit Krankheit und Schwäche genannt sind (Ps 13,3-5; 31,11-12; 69,20-21), blicken zurück auf ein Leben in "Wohlfahrt" (schalom) und damit auch in Gesundheit des hier Bestatteten.

Prof. Dr. Stefan Beyerle ist Alttestamentler an der Universität Greifswald.



Zum Weiterlesen

Jan-Adolf Bühner, Arztgeschichten der Bibel
(Biblische Taschenbücher), Stuttgart 2005

Michael Roth/Jochen Schmidt (Hg.),
Gesundheit: Humanwissenschaftliche, historische und
theologische Aspekte

(Theologie - Kultur - Hermeneutik 10), Leipzig 2008


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Quelle:
Presseinformation zu "Bibel heute" - 2. Quartal 2010, Nr. 182, Seite 4-7
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juni 2010