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BERICHT/317: Koptisch-orthodoxe Christen aus Ägypten (Uni Bremen)


Universität Bremen - impulse aus der Forschung Nr. 1/2011

Aus der Forschung
Koptisch-orthodoxe Christen aus Ägypten
Zwischen Märtyrer-Tradition und Flucht in den Westen

Von Cordula Weißköppel


Die Kopten in Ägypten gehören zu den ältesten christlichen Gemeinden. Heute leben sie als Minderheit unter den Muslimen, doch viele junge Koptinnen und Kopten zieht es in die westlichen Länder, eine Entwicklung, die durch die jüngsten Unruhen in Ägypten sicherlich noch verstärkt wird. Wie die Kopten im Einwanderungsland die Verbindung zur religiösen Tradition und ins Mutterland aufrecht erhalten, zeigt eine Studie in den Kulturwissenschaften an der Universität Bremen.


Priester Deuscorus hat seine Ausbildung als Mönch im St. Antonius-Kloster erhalten, einem koptisch-orthodoxen Kloster nahe des Golf von Suez in Ägypten. Heute ist er Priester der St. Mina Kirche in München. Diese koptische Gemeinde besteht überwiegend aus ägyptischen Auswanderern, die in Deutschland studiert oder Arbeit gefunden haben und nun dauerhaft in München leben. Inzwischen zählt die Gemeinde ungefähr 75 Familien, die aber nach wie vor gute Kontakte in die Heimat haben, zu Verwandten in Ägypten und zur koptischen Mutterkirche, zu Priestern und Mönchen, die sie seit ihrer Geburt kennen.


Multilokale Priester

Die Beziehung zu einem Priester ist wichtig im orthodoxen Glauben, dient sie im frühen Lebensalter dazu, eine Verbindung zu Gott zu stiften und diese symbolisch, quasi stellvertretend für Gott, als lebenslanges Vertrauensverhältnis zu gestalten. Mit dem persönlichen "Abuna" (arabisch; deutsch: "unser Vater") bespricht man zum Beispiel wichtige Entscheidungen in Ausbildung und Beruf, Fehltritte, die verziehen werden sollen, oder die Suche nach Verständnis und Trost bei traurigen Anlässen. Und so sind die Priester, die wie Abuna Deuscorus in der europäischen Diaspora arbeiten, immer per Handy oder E-Mail zu erreichen, denn sie betreuen mehrere Gemeinden gleichzeitig.

Neben seinen Aufgaben in München und Nürnberg fliegt Priester Deuscorus am ersten Wochenende jedes Monats nach Zürich, um in einer katholischen Kapelle für die dortige koptische Gemeinde die heilige Messe zu halten, Kinder zu taufen oder Verstorbene zu beerdigen. Manche Familien reisen aus der gesamten deutschsprachigen Schweiz an, um am monatlichen Gottesdienst teilzunehmen. Man freut sich auf das anschließende Mittagessen, auf einen Plausch mit dem Abuna oder mit ägyptischen Landsleuten. Auch die Kinder und Jugendlichen sind immer dabei, wenn die Gemeinde der koptisch-orthodoxen Liturgie folgt, die sich über drei Stunden erstreckt, um schließlich die Heilige Kommunion zu empfangen und christliche Gemeinschaft zu erleben.

Für die jungen Kopten, die bereits in einem Einwanderungsland wie Deutschland oder der Schweiz aufwachsen, interessiert sich eine ethnologische Studie der Kulturwissenschaften der Universität Bremen, die nach religiöser Identitätsbildung unter den Bedingungen von Migration fragt. Die Studie wurde vom Zentrum für Religion, Wirtschaft und Politik der Universität Zürich im Zeitraum von 2008 bis 2009 gefördert.


Religiöse Identität im Einwanderungsland

Das Leben in der Einwanderungsgesellschaft stellt besondere Anforderungen an die religiöse Sozialisation. In Gesprächen mit jungen Koptinnen und Kopten in Zürich, München, Rom und Wien sowie mit Priestern, Eltern und sogenannten Sonntagsschul-Lehrerinnen kristallisierte sich heraus, wie es gelingt, die orthodoxen Traditionen und die spezifische Geschichte des Christentums in Ägypten an die junge Generation zu vermitteln.

Die koptisch-orthodoxe Kirche in Europa bildet eine Minderheit im Spektrum der hier präsenten christlichen Konfessionen. In Deutschland ist oftmals gar nicht bekannt, dass es nach wie vor eine eigenständige christliche Kirche in Ägypten gibt, die aus den unmittelbaren Anhängern des Apostel Markus in Alexandria hervorgegangen ist. Bildet zwar die abendländisch-christliche Prägung westlicher Länder einen besonderen Anreiz für koptische Emigranten, sind sie hier aber viel stärker mit den dominanten Amtskirchen des Katholizismus und Protestantismus konfrontiert als sie es im Heimatland gewohnt sind.


Aufwachsen zwischen mehreren Konfessionen

Während in Ägypten klare Abgrenzungen gegenüber anderen christlichen Kirchen herrschen, ist man im Einwanderungsland auf stärkere Kooperationen angewiesen, schon alleine um Kirchenräume anzumieten. Durch interkonfessionelle Ehen lernen die Kinder beide Kirchen kennen und somit auch Unterschiede in der religiösen Praxis. Jugendliche sehen hier Spielräume, zwischen verschiedenen christlichen Zugehörigkeiten wählen zu können, während die ägyptischen Väter lieber sähen, dass ihre Söhne oder Töchter der koptisch-orthodoxen Tradition folgen.

Häufiger Konfliktherd ist das Tabu in der koptisch-orthodoxen Kirche über voreheliche Sexualität, was Jugendliche, die im Umfeld westlicher Freizügigkeit aufwachsen, nicht immer nachvollziehen können. Ebenso ist es koptischen Gläubigen untersagt, zu einer anderen christlichen Konfession überzutreten. Um Konfliktlagen zwischen älterer und jüngerer Generation zu mildern, wurde von den Interviewpartnerinnen betont, wie wichtig es ist, die Herkunftskultur der ägyptischen Väter oder Mütter kennen zu lernen. Die verwandtschaftlichen Beziehungen nach Ägypten werden besonders gepflegt und durch wechselseitige Besuche werden sukzessive kulturspezifische Kompetenzen für die je andere Gesellschaft generiert. In der Migrationsforschung spricht man in diesem Zusammenhang von "transnationalen sozialen Räumen", in denen interkulturelle Sensibilität und Verstehen wachsen können.

Einmal jährlich veranstaltet die koptisch-orthodoxe Gemeinschaft in Europa die so genannte European Youth Mission, wo sich Jugendgruppen inklusive ihrer Priester und Bischöfe aus verschiedenen europäischen Ländern für ein langes Wochenende versammeln. Während manche junge Kopten diesen Event für die Suche nach möglichen Heiratspartnern nutzen, genießen andere die Kombination von religiöser Lehre und touristischem Sightseeing wie in Rom im Sommer 2008. Hier war besonders zu beobachten, wie das Ägyptisch-Arabische als transnationale Verkehrssprache unter den Jugendlichen dominierte, das im sonstigen Alltag der Einwanderungsländer oft nur noch als Mutters oder Vaters Sprache gilt.


Die Kultur der Väter und Mütter

Kenntnisse über die historische wie gegenwärtige Position der koptischen Christen als religiöse Minderheit in Ägypten halfen den Jugendlichen zu verstehen, warum das biblisch hergeleitete Verbot von vorehelicher Sexualität und das Gebot der Heirat nur innerhalb der eigenen Gruppe eng miteinander verknüpft sind. Beides diente langfristig dem Erhalt der Kopten, um nicht in der dominierenden Religion, seit der arabischen Besiedelung im 12. Jahrhundert vor allem in der muslimischen, aufzugehen. Die Kopten verstehen sich bis heute als nachfolgende Bevölkerung Alt-Ägyptens, also der pharaonischen Kultur. Seit ihrer Gefolgschaft um den Apostel Markus waren sie allerdings immer von konkurrierenden Gruppen oder von Fremdherrschaft bedroht.

In ihrer wechselhaften Geschichte wurden die Kopten zunächst von anderen, christlichen Mächten verfolgt und massenhaft ermordet. Durch die Ausbreitung des Islam wurden die Kopten schließlich zur Minderheit im eigenen Land, was verschiedene Formen der Diskriminierung und der Gewalt mit sich brachte. Auch wenn sie weniger wurden, widerstanden die Kopten erfolgreich durch ihren unerschütterlichen Glauben, für den man auch das eigene Leben opferte. Daher ist unter koptischen Christen ein Selbstverständnis als Märtyrer weit verbreitet. Wer für seine Kirche und seinen Glauben stirbt, wird auch heute besonders gewürdigt.

Die 23 Opfer, die das Bombenattentat in der Neujahrsnacht 2011 vor einer koptisch-orthodoxen Kirche in Alexandria gefordert hat, wurden somit als Märtyrer charakterisiert. Sie wurden an einem besonderen Ort, dem El-Menas-Kloster in der Nähe von Borg el-Arab beigesetzt. Auch im Internet finden sich Seiten zur Trauer und Huldigung.


Zeitgenössische Medien erhalten die Traditionen

Angesichts der vielfältigen, oftmals nicht-religiösen Sinnstiftungsangebote in modernen Gesellschaften bemühen sich die überwiegend älteren und männlichen Führungskräfte der koptisch-orthodoxen Kirche, also Priester, Bischöfe und der amtierende Papst Shenouda III., ihre jungen Mitglieder mit den zentralen christlichen Werten auszustatten. Insbesondere wird das Wissen über die historische Verwurzelung der koptisch-orthodoxen Traditionen in Ägypten im Sinne einer exklusiven, also einer besonders zu verteidigenden Identität weitergegeben.

Dabei zeigt die koptisch-orthodoxe Kirche keine Berührungsängste gegenüber zeitgenösischen Medien. Es gibt eigene Fernsehsender, verschiedene Internetseiten, koptische facebook-Gruppen, sogar die Buchbestände aus den Kloster-Bibliotheken werden digitalisiert und somit vor Zerstörung geschützt. Kaum eine Gemeinde, sei es in Ägypten oder in der weltweiten Diaspora, kommt heute ohne die Kommunikation via Internet aus: Tagespsalmen oder Predigten von Papst Shenouda III. sowie regelmäßige und besondere Termine werden auf diesem Wege unter Gemeindemitgliedern verbreitet. Auch der transnationale Informationsfluss wird auf diese Weise betrieben und bringt in kürzester Zeit Nachrichten aus Ägypten in die Welt. So waren bereits nach wenigen Tagen Solidaritätsdemonstrationen für die Opfer des Bombenanschlags in Alexandria aus diversen Diasporagemeinden im Internet dokumentiert. Die jüngere Generation bleibt ihrer Kirche also gerade durch die vielfältigen Kommunikationsmedien treu, denn die zunehmende Emigration von gebildeten Koptinnen und Kopten in die Wohlfahrtsstaaten des Westens (USA, Kanada, Australien und EU-Länder) ist augenfällig. Mit den in Ägypten erworbenen Studienabschlüssen lässt sich "abroad" oftmals schnelleres Geld verdienen als in der Heimat, die unter korrupten Verhältnissen leidet.


Ägypten im Umbruch

Seit dem 25. Januar 2011 blickt die Welt überrascht auf die politischen Umwälzungen in Ägypten, die in vieler Hinsicht von der jungen Generation angestoßen wurden. Dass hier auch orthodoxe Christen engagiert waren, steht außer Frage, da viele anstehende Reformen auch die bessere gesetzliche Regelung zur friedlichen Koexistenz von Muslimen und Christen in der ägyptischen Gesellschaft betreffen. Insgesamt herrscht Aufbruchsstimmung, die auch in der koptisch-orthodoxen Kirche dazu führt, ihre Mitglieder zur politischen Partizipation zu motivieren, um die bisherige Isolierung von der islamisch dominierten Gesellschaft zu überwinden und koptische Interessen zukünftig besser zu vertreten.


Cordula Weißköppel
studierte Ethnologie und allgemeine Erziehungswissenschaft in Hamburg. 2000 promovierte sie in Osnabrück über die multikulturelle Situation in deutschen Schulklassen und war anschließend drei Jahre wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Bayreuth. Seit 2003 ist sie am Institut für Ethnologie und Kulturwissenschaft der Universität Bremen tätig. Hier habilitierte sie sich 2011 mit einer Arbeit zur sudanesischen Diaspora in Deutschland. Neben der transnationalen Migrationsforschung lehrt Weißköppel zu Jugend und Geschlecht, zu Religionen in der Einwanderungsgesellschaft sowie zu qualitativen Methoden im Rahmen von Ethnografie.


Aktuelle Publikation zum Thema:

"Die Kultur der Väter verstehen. Ethnoreligiöse Sozialisation von Jugendlichen im transnationalen Beziehungsgefüge der koptisch-orthodoxen Kirche in der Schweiz", In: Brigit Allenbach/Merle Hummrich/Urmila Goel/Cordula Weissköppel (Hg.): Jugend, Religion, Migration. Interdisziplinäre Perspektiven. Nomos: Baden Baden, 2011, S. 161-197.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Seite 6:
Die St. Mina Kirche in München ist heute ein koptisches Gotteshaus.
Seite 6:
Die enge Beziehung zu den geistlichen Vätern gilt ein Leben lang.
Seite 6:
Shenouda III., Papst der koptischen Christen
Seite 7:
Zu Gast in einer katholischen Kirche: Die koptische Gemeinde in Zürich feiert ihre Heilige Messe.
Seite 7:
Frauen beten vor einer Ikone des El Mina, eines Heiligen der ägyptischen Christen.
Seite 8:
2 Bilder: Ägypten ist die Heimat der koptischen Christen. Kloster St. Bishoi im Wadi Natron.
Seite 9:
Jesus führt die Opfer des Anschlags von Alexandria ins himmlische Jenseits.
Seite 9:
Ägypter in München feiern den Sturz von Präsident Mubarak am 12.2.2011.

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Quelle:
Universität Bremen - impulse aus der Forschung
Nr. 1/2011, S. 6-9
Herausgeber: Rektor der Universität Bremen
Redaktion: Eberhard Scholz (verantwortlich)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. August 2011