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BERICHT/322: Landraub und Landrechte in der Bibel (Junge.Kirche)


Junge.Kirche 1/2011
Unterwegs für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung
Focus dieses Heftes: Wachstum

Landraub und Landrechte in der Bibel

Von Bernd Kappes


Landgrabbing ist ein relativ neues Phänomen. Neu sind dabei vor allem die Ausmaße, und diese sind in der Tat gewaltig. Landraub als solcher ist andererseits gar nicht neu. Landkonflikte, Vertreibungen von Kleinbauern und der Kampf der Landlosen um ein Stück Land, kurz: die ungelöste Landfrage als Erbe der Kolonialzeit ist in vielen Ländern des Südens ein großes Entwicklungshindernis, das strukturell und permanent zu Menschenrechtsverletzungen führt.

Aber auch schon die biblischen Überlieferungen, in erster Linie die des Alten Testaments, reflektieren deutlich und an unterschiedlichen Stellen die Konflikte um Zugang, Besitz und Kontrolle des Landes. Die Gier der Besitzenden nach Land und noch mehr Land war offenbar schon damals unersättlich und für Kleinbäuerinnen und Kleinbauern schon damals existenz- und lebensbedrohend.



Nabots Weinberg

Nabot hatte einen Weinberg. Der Weinberg befand sich in der Nähe des Palastes von König Ahab (9. Jahrhundert v. Chr.). König Ahab redete mit Nabot: "Gib mir deinen Weinberg. Ich will mir einen Kohlgarten daraus machen, weil er so nahe an meinem Hause liegt." Der König hat Interesse an Nabots Land - immerhin, um ebenfalls Nahrungsmittel anzubauen und immerhin auch mit dem Angebot, Nabot dafür ein anderes Stück Land oder Geld zu geben. Doch Nabot ist nicht einverstanden: "Das lasse Gott fern von mir sein, dass ich dir meiner Väter Erbe geben sollte!"

Im Blick auf die Machtverhältnisse muss man sagen: David gegen Goliath. Doch in dieser Angelegenheit kann David nicht gewinnen. Isebel, die Frau des Königs, weist "die Ältesten und Oberen" an, zwei falsche Zeugen zu suchen, die Nabot der Gotteslästerung anklagen. Und so geschieht es: Nabot wird angeklagt, vor die Stadt geführt und gesteinigt. "Als Isebel aber hörte, dass Nabot gesteinigt und tot war, sprach sie zu Ahab: Steh auf und nimm in Besitz den Weinberg Nabots, denn Nabot lebt nicht mehr, sondern ist tot."

Nabot, der Bauer, wurde aus dem Weg geräumt. Der König hat sich sein Land angeeignet. Entscheidend für die ethische Dimension dieses Textes (1. Könige 21) ist, dass Gott sofort den Propheten Elia beauftragt, das Geschehene als Unrecht anzuklagen: "Du hast gemordet, dazu auch fremdes Erbe geraubt!" Neben Mord lautet die Anklage also: Landraub!


Nahalah

Bei der Erzählung von Nabots Weinberg fällt auf, dass König und Königin vom "Weinberg" sprechen, während Nabot von seinem "Erbbesitz" (hebräisch "nahalah") spricht. Der Begriff nahalah ist für das alttestamentliche Verständnis von Landbesitz von zentraler Bedeutung. Die nahalah ist der Landbesitz, der erblich weitergegeben wird. Dem Konzept der nahalah liegt die (idealisierte) Vorstellung zugrunde, dass bei der Besiedlung das Land unter den Sippen und Familien in Israel so aufgeteilt wurde, dass alle so viel Land wie nötig erhielten, um sich und ihre Familien ernähren zu können. Allerdings: "Grund und Boden war nicht Eigentum in unserem heutigen Sinne, sondern war der Sippe von Jahwe als Lehen zur Bewirtschaftung gegeben." (G. von Rad) Das heißt: Die Sippe oder die Familie besitzt das Land und vererbt es von Generation zu Generation. Das Land ist ihre Lebensgrundlage und wird darum nicht wie eine Ware gehandelt. Symbolisch kommt das in der Vorstellung zum Ausdruck, dass Gott der eigentliche Eigentümer des Landes ist: "Denn mein ist das Land", spricht Gott (3. Mose 25,23). Das Land ist ein Lehen, eine Leihgabe Gottes, den Menschen "zur Bewirtschaftung" geliehen. Die Kleinbauernfamilien haben ein Recht auf Land, das sie zum Leben und Arbeiten brauchen.

Während Nabot also von der Unverkäuflichkeit seines Erbteils ausgeht, betrachten Ahab und Isebel "den Weinberg" als Ware, die man tauschen oder kaufen kann. Sie "arbeiten" - per Landraub und Vertreibung - am Ausbau des Krongutes zu einem Latifundium. Der gesellschaftliche und religiöse Umbruch, der hier im Gange ist, wird von den Propheten scharf kritisiert.


Prophetische Sozialkritik

Die klassischen Propheten des 8. Jahrhunderts v. Chr. haben deutliche Worte gefunden für die Missachtung des "alten" Verständnisses vom Land als Gabe Gottes und als Lebensgrundlage für die bäuerlichen Familien. Sie kämpfen gegen die "modernen" Tendenzen, Land als Ware zu betrachten, weil damit der Ungerechtigkeit Tür und Tor geöffnet wird:

"Weh denen, die Schaden zu tun trachten und gehen mit bösen Gedanken um auf ihrem Lager, dass sie es früh, wenn es hell wird, vollbringen, weil sie die Macht haben! Sie reißen Äcker an sich und nehmen Häuser, wie sie es gelüstet. So treiben sie Gewalt mit eines jeden Haus und mit eines jeden nahalah." (Micha 2,1-2)

"Weh über die, die ein Haus zum anderen bringen und einen Acker an den anderen rücken, bis kein Raum mehr da ist und sie allein das Land besitzen!" (Jesaja 5,8)

Im Blick auf diese Entwicklungen fordern die Propheten: "Recht ergieße sich wie Wasser und Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach." (Amos 5,24) Amos, Jesaja und Micha appellieren mit den Grundworten "Recht und Gerechtigkeit" an die Vorstellung einer gerechten sozialen Ordnung. Der Maßstab ihrer Kritik sind die egalitären Grundwerte der vorstaatlichen israelitischen Gesellschaft. Und diese (idealisierte) traditionelle Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zeichnete sich eben durch den Respekt der nahalah aus, also dadurch, dass jeder Familie ausreichend Ackerland zur Verfügung steht, um sich ernähren zu können.

Die Propheten verteidigen das "kleinbäuerliche Verfassungsideal" (K. Koch), also die alte solidarische Ordnung, die durch die neuen Entwicklungen zerstört wird. Es sind die Kleinbauern, die in der sozialen Krise im 8. Jahrhundert v. Chr. unter Druck geraten und offenbar nicht nur in Einzelfällen (in aller Regel vermutlich aufgrund von Verschuldung) ihr Land an diejenigen verlieren, die "die Macht haben".


Das Erlassjahr

In jedem 50. Jahr "sollt ihr im Land für alle seine Bewohnerinnen und Bewohner Freilassung ausrufen. Es ist ein Jobeljahr (bzw. Erlassjahr) für euch. Eine jegliche Person von euch kehrt wieder zu ihrer nahalah und zu ihrer Sippe zurück." (3. Mose 25,10) Diese Bestimmung stammt aus dem sog. Heiligkeitsgesetz aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. Geregelt wird hier nicht weniger, als dass alle 50 Jahre die ursprünglichen Besitzverhältnisse wiederhergestellt werden sollen: Schulden sollen erlassen werden, (Schuld-)Sklaven erlangen wieder die Freiheit - und Landverkäufe werden annulliert, das heißt: Die Landlosen erhalten wieder Zugang zu Land. Die gerechte und solidarische Sozialordnung, welche die Propheten politisch einforderten, wird hier per Gesetz zu schützen versucht. Ein rechtlicher Mechanismus wird etabliert, um Abweichungen vom gerechten Idealzustand regelmäßig zu korrigieren. Den Bestimmungen des Erlassjahres zufolge werden alle 50 Jahre Freiheit und Gerechtigkeit wieder hergestellt.

Genau an diese Vision des Erlassjahres knüpft Jesus von Nazareth in seiner ersten, öffentlichen und programmatischen Rede an: "Der Geist des Lebendigen ist auf mir, denn er hat mich gesalbt, den Armen das Evangelium zu bringen. Er hat mich gesandt, den Gefangenen ihre Freilassung zu verkünden und den Blinden, dass sie sehen sollen. Er hat mich gesandt, um die Unterdrückten zu befreien und das Erlassjahr des Herrn auszurufen." (Lukas 4, 18-19) Die Regelungen zum Erlassjahr haben die Wiederherstellung einer gerechten, solidarischen Sozialordnung zum Ziel. Entstandene Landkonzentrationen werden rückgängig gemacht, wer wenig oder gar kein Land (mehr) hat, bekommt, was er und sie zum Leben brauchen. Gute Nachricht für die Armen!


Biblische Orientierungen

Es ist beeindruckend zu sehen, wie sich die biblische Überlieferung mit den Konflikten um das Land auseinandersetzt. Das soziale Problem, dass freie Bäuerinnen und Bauern ihr Land an Mächtigere verlieren, wird klar gesehen und mit deutlichen Worten kritisiert.

Faszinierend ist aber vor allem auch, dass und wie dieses politische Thema mit Gott in Verbindung gebracht wird, denn die sozialen und politischen Fragestellungen werden durchgängig auch theologisch reflektiert. Was hat Gott mit dieser Landfrage zu tun? Die alttestamentlichen Texte geben eine klare Antwort: Gott hat den bäuerlichen Familien eine nahalah gegeben, damit sie auf dem Land arbeiten und von dem Land leben können. Es darf nach/um Gottes Willen nicht sein, dass Kleinbauern aufgrund von Profitinteressen anderer ihr Land und damit ihre Lebensgrundlage verlieren!

Die Relektüre der zentralen biblischen Texte zum Thema Land/Landfrage mündet somit einerseits in einer klaren biblisch-ethischen Orientierung: Das Recht auf Land von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, die das Land zur Ernährung ihrer Familien und damit zum Leben brauchen, muss unbedingt verteidigt werden gegenüber der profitorientierten Aneignung dieses Landes durch Staaten und Unternehmen. Das allein ist schon nicht wenig.

Darüber hinaus lassen die biblischen Texte aber auch Ansätze erkennen, wie wir dem Landgrabbing durch mächtige Staaten und mächtige Konzerne heute entgegentreten können. Zunächst fällt das klare Bewusstsein auf, das Nabot von seinen (Land-)Rechten hat - keinen Moment ist er im Zweifel: "Das ist mein Land, meine nahalah." Beeindruckend auch der Mut, die Entschlossenheit, der Widerstand des Betroffenen: Nabot bietet dem König die Stirn - was er allerdings, auch darin ist die Erzählung ganz realistisch und aktuell, mit seinem Leben bezahlen muss.

Wegweisend und unverzichtbar ist auch das grundsätzliche theologisch-sozialethische Nachdenken von Amos, Jesaja und Micha darüber, was recht und gerecht ist. Ihrer scharfen Analyse und ihrem klaren Urteil folgt sodann ihr politisches Engagement: Die Propheten verteidigen die Rechte der Armen, der Kleinbauern, gegen die Gier nach Land, mit der die Mächtigen ein Stück Land nach dem anderen an sich reißen. Das sind die Vorfahren der heutigen Menschenrechtsverteidiger! Und schließlich ist in den Texten die Arbeit an Entwürfen für Gesetze und verbindliche Regelungen zur Gestaltung und Bewahrung einer gerechten Ordnung und der Menschenrechte zu beobachten. All dies ist heute nötiger denn je.


KASTEN

Weltweit leiden fast eine Milliarde Menschen an Hunger. Die meisten von ihnen leben im ländlichen Raum. Sie sind Kleinbauern, Jäger, Sammler, Fischer und Landlose. Der Zugang zu Land ist für sie existentiell. Dennoch verpachten immer mehr Entwicklungsländer riesige Ländereien an wohlhabende Staaten, transnationale Konzerne und Investmentgesellschaften, die sich auf diese Weise in bisher nicht gekanntem Ausmaß Ländereien sichern. Allein zwischen Oktober 2008 und Juni 2009 wurde einem Bericht der Weltbank zufolge über 46 Millionen Hektar Land verhandelt - das entspricht nahezu einem Viertel der landwirtschaftlichen Nutzfläche der Europäischen Union. Drei Viertel davon liegen in Afrika. Auf diesen Feldern werden nicht Nahrungsmittel für die einheimische Bevölkerung, sondern Agrarprodukte für den Export sowie Tierfutter und Energiepflanzen zur Produktion von Agrotreibstoffen angebaut. Sowohl der hohe/steigende Fleischkonsum in Industrie- und Schwellenländern als auch die (politischen Vorgaben folgende) Steigerung der Nachfrage nach Agrotreibstoffen sind als treibende Ursachen dieser Entwicklung erkennbar. Diese neue Form der Landnahme - "Landgrabbing" bzw. Landraub genannt - führt dazu, dass Kleinbäuerinnen und Kleinbauern ihre Lebensgrundlage verlieren und die Zahl der Hungernden weiter steigt.


Bernd Kappes arbeitet bei Brot für die Welt in Stuttgart


Die Kurzfassung dieses Beitrags ist in der Broschüre "Wenn das Land knapp wird. Was haben Biosprit und Tierfutter mit Hunger zu tun?" von "Brot für die Welt" erschienen. Die Broschüre kann kostenlos unter 0711-2159-525 oder ernaehrung@brot-fuer-die-welt.de bestellt werden.


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INHALTSVERZEICHNIS - JUNGE.KIRCHE 1/2011

Focus: Wachstum

- "Nationen murmeln ins Leere" / Klara Butting
- Ikarus oder: die dialektik des aufstiegs / Yaak Karsunke und Gunther Schendel
- Wachstum und Lebensqualität / Hans Diefenbacher
- Weiter, weiter / Christian Reiser
- Wachsen gegen den Trend? / Andreas Pangritz
- Von der "Kirche der Freiheit" zur Kirche der Befreiung / Ruth Gütter
- Kampagne Alternativen zum Wachstum / Stefan Weiß im Gespräch mit Walter Lechner
- Grenzen des Wachstums? / Peter Winzeler
- Stiften als Teil des Wachstumsfetischismus / Gudula Frieling
- Das Netz nutzen / Ilona Nord
- Welches Wachstum meinen wir? / Nelson Kilpp
- Glaube und Kunst / Erinnerungsbilder

Forum

- In die Tiefe / Rolf Wischnath
- Landraub und Landrechte in der Bibel / Bernd Kappes
- Das Volk Gottes in Mittelamerika / Bärbel Fünfsinn
- Reich Gottes Jetzt / Claus Petersen
- Das Wendland als Ort theologischer Einsichten / Simon Tielesch und Manuel Kunze
- Mit Herz und Hand / Jürgen Ebach

Sozialgeschichtliche Bibelauslegung

- Horizonte weiten - Handlungsperspektiven einer Frauengeschichte / Katja Jochum

Predigt

- "Es ist Krieg - Entrüstet Euch!" / Martin Stöhr

Geh hin und lerne!

- Waffenstillstand / Gernot Jonas und Paul Petzel

Buchseiten, Veranstaltungen, Impressum und Vorschau


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Quelle:
Junge Kirche, 72. Jahrgang, Nr. 1/2011, Seite 40-43
Herausgeber: Erev-Rav, Verein für biblische und politische Bildung
Redaktion: Junge Kirche, Luisenstraße 54, 29525 Uelzen
Tel. & Fax 05 81/77 666
E-Mail: verlag@jungekirche.de
Internet: www.jungekirche.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Dezember 2011