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BUCHTIP/065: Wie Kirche und Katholiken die Politik beeinflussen (idw)


Friedrich-Schiller-Universität Jena - 03.08.2007

Wie Kirche und Katholiken Einfluss auf die Politik nehmen

Publikation von Politikwissenschaftler der Universität Jena analysiert politischen Katholizismus


Jena (03.08.07) Im Mittelalter hatte die Kirche unbestreitbar immensen Einfluss auf die Politik. Mit der Aufklärung wurde ihre Macht geringer - doch sie ist bis heute nicht verloren. Welchen Einfluss die katholische Kirche seit 1960 auf die Politik in Deutschland und den USA hat, ist PD Dr. Antonius Liedhegener von der Friedrich-Schiller-Universität Jena in seiner Habilitation nachgegangen.

Fundamentalismus ist in aller Munde und liefert ein - negativ besetztes - Beispiel für den Einfluss von Religion auf die Politik. Doch der Fundamentalismus ist keineswegs das einzig mögliche und wirkungsmächtige Verhältnis von Politik und Religion in der Moderne. In seiner vergleichenden Untersuchung "Macht, Moral und Mehrheiten", in der Nomos Verlagsgesellschaft veröffentlicht, macht Liedhegener deutlich, wie die katholische Kirche und ihre Organisationen auf der politischen Bühne agieren.

Basis dafür ist die Religionsfreiheit, die die katholische Kirche, in den USA wie in Deutschland, gleichermaßen bejaht und politisch nutzt. "Dies ist ein legitimes Agieren", betont Liedhegener, der im neuen Buch auch die Hintergrundbedingungen und bestimmenden Entwicklungslinien der heutigen politischen Rolle der katholischen Kirche herausgearbeitet hat. Katholische Organisationen haben dadurch - wie viele andere Lobbyverbände - Zugang zum politischen Prozess und beeinflussen politische Entscheidungen - mit wechselndem Erfolg, wie der Jenaer Politikwissenschaftler und Historiker beweist.

Liedhegener zeigt dies an den beiden Politikfeldern Lebensschutz und Sozialpolitik exemplarisch auf. So haben die katholischen Interessenvertretungen in Deutschland etwa in der Abtreibungsfrage hohen Einfluss auf die politischen Entscheidungen ausüben können - Liedhegener spricht von einer "Veto-Macht des Katholizismus", sogar stärker als dies in den USA der Fall war. "Im direkten Vergleich vermag der bundesdeutsche politische Katholizismus vor allem durch seine vergleichsweise höhere organisatorische Geschlossenheit und Nähe zu den Unionsparteien wichtige politische Entscheidungen eher zu beeinflussen als der amerikanische Katholizismus", hat Liedhegener ermittelt.

Die Erfolgsaussichten hängen nach seiner Analyse zum einen sowohl von allgemeinen Faktoren wie den jeweiligen politischen Mehrheitsverhältnissen ab. Zum anderen haben spezielle religiöse Faktoren großen Einfluss, etwa die ausdrückliche innerkirchliche Bejahung demokratischer Herrschaftsformen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Der Einfluss religiöser Faktoren wird vor allem durch die aktive Lobbyarbeit der Bischofskonferenzen, insbesondere bei ethischen Fragen sehr stark. "Dagegen ist der Einfluss des Katholizismus auf die Wahlentscheidung der katholischen Bevölkerung auf nationaler Ebene als gering zu veranschlagen", sagt Liedhegener. Allerdings gibt es im deutschen Katholizismus bis in die Gegenwart wichtige personelle Verflechtungen zwischen dem organisierten Katholizismus und den Parteien, insbesondere der Union.

Für seine Analyse hat der Jenaer Politikwissenschaftler umfangreiches Quellenmaterial und Interviewaussagen von Zeitzeugen in dieser vergleichenden Längsschnittstudie zusammengeführt. Dabei gelingt es ihm in einer lebendigen Darstellung, erstmals die historischen Vorbedingungen des aktuellen politischen Handelns, den Strukturwandel und die Vielfalt von Kirche und Katholizismus seit 1960 in den USA und in Deutschland zu beschreiben.

Seine Analyse zeigt, dass die katholische Kirche und katholische Organisationen Bestandteil von und Akteure in modernen Demokratien sind.


Bibliographische Angaben:
Antonius Liedhegener: "Macht, Moral und Mehrheiten.
Der politische Katholizismus in der Bundesrepublik Deutschland und den USA seit 1960"
Nomos Verlagsgesellschaft, Jenaer Beiträge zur Politikwissenschaft
Bd. 11, 69,- Euro, ISBN 3-8329-1915-5

Kontakt:
PD Dr. Antonius Liedhegener
Institut für Politikwissenschaft
der Universität Jena
Ernst-Abbe-Platz 8
07743 Jena
Tel.: 03641 / 945423
E-Mail: antonius.liedhegener[at]uni-jena.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution23


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Axel Burchardt, 03.08.2007
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. August 2007