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KIRCHE/1082: Was sich hinter den Staatsleistungen an die Kirche verbirgt (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 11/2010

Eine Frage von untergeordneter Bedeutung
Was sich hinter den Staatsleistungen an die Kirche verbirgt

Von Ansgar Hense


Die Staatsleistungen an die Kirchen sind eine komplexe staatskirchenrechtliche Materie. Es bedarf deshalb der nüchternen Analyse und der klugen politischen Entscheidung. Selbst wenn es keine Staatsleistungen mehr gäbe, würde das nicht das Ende jeglicher Religionsförderung durch den Staat bedeuten.


Berichte über Kirchenvermögen und die Staatsleistungen sind regelmäßig wiederkehrende Aufmacher in Fernsehen und Zeitungen. In einer Anmoderation zu einem - im Großen und Ganzen aber passabel recherchierten - Fernsehbericht wies ein Fernsehjournalist darauf hin, dass in der Bundesrepublik Deutschland die katholischen Bischöfe ihr Gehalt unmittelbar vom Staat bezögen und verband dies gleich mit der Nachfrage, ob dies noch zeitgemäß sei. Um es schon hier vorwegzunehmen: Bis auf ein Bundesland ist die pauschalierende Anmoderation sachlich nicht korrekt gewesen.

Bei allem Bedürfnis nach "Reduktion von Komplexität" (Niklas Luhmann) können komplizierte Sachverhalte wie etwa das Phänomen der Staatsleistungen insbesondere an die großen christlichen Kirchen nicht unterkomplex betrachtet werden. Hier wie in anderen Bereichen des Staatskirchenrechts zeigt sich, dass bisweilen die Kraft des eigenen Vorurteils stärker ist als die sachangemessene Analyse der Rechtsfragen. Gerade in dem sehr stark historisch geprägten Sachbereich von Staat und Religion sowie dessen verfassungsrechtliche Ordnung bedarf es des auch für geschichtliche Zusammenhänge und Entwicklungsstränge sensiblen Unterscheidungsvermögens.


Dabei soll und kann das "kritische Infragestellen" nicht ausgeschlossen werden. Vielmehr geht es um die korrekte Aufarbeitung eines Sachverhalts und der damit verbundenen Rechtsfragen, bevor man diese beurteilt. Um es mit den Worten des Freiburger Staats- und Verwaltungsrechtlers Rainer Wahl zu sagen: "Was kompliziert ist, kann durch geschicktes Arrangement etwas weniger kompliziert werden, es kann aber nicht wirklich einfach gemacht werden".


Was sind genau Staatsleistungen?

Die finanziellen Leistungen des Staates an die Kirchen waren nicht zuletzt durch diverse Berichte in dem Magazin "Der Spiegel" und insbesondere die politische Initiative des schleswig-holsteinischen FDP-Politikers Wolfgang Kubicki im Sommerloch des Jahres 2010 ein größeres Thema. Standen anfangs vor allem die Bischofsgehälter im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit, waren am Ende die Staatsleistungen wie das Kirchenvermögen insgesamt Diskussionsgegenstand, wobei sich die "Bischöflichen Stühle" als selbständige Vermögensträger neben den Diözesen besonderer Aufmerksamkeit erfreuten. Die Diskussion geht aber nicht um die Religionsförderung und die Entdeckung neuen öffentlichen Sparpotenzials, sondern dient auch dem Transport bestimmter Ordnungsvorstellungen von Staat und Religion, deren Akzent weniger auf positiv-neutraler Förderung denn strikt laizistischer Trennung liegt.

Das Bemühen um eine differenzierte Analyse des Komplexes Staatsleistungen an die Kirchen wird bei der Durchsicht der Haushaltspläne der einzelnen Bundesländern schon auf bemerkenswerte Aspekte stoßen. Summa summarum beläuft sich ausweislich der Haushalte der Länder das Aufkommen zur Förderung von Religion und Weltanschauung auf etwa 460 Millionen Euro, wobei es zwischen den einzelnen Bundesländern recht erhebliche Unterschiede gibt und das Gesamtvolumen des bevölkerungsreichsten Flächenlandes Nordrhein-Westfalen mit etwa 21 Millionen Euro im Jahr 2010 im Vergleich zu anderen Ländern eher bescheiden ausfällt.

Das Staatsleistungsaufkommen ist im Einzelnen sehr unterschiedlich: Zum Beispiel in Schleswig-Holstein (etwa 12 Millionen Euro, davon 200 000 für die katholische Kirche), Rheinland-Pfalz (etwa 48 Millionen Euro), Hessen (etwa 45 Millionen Euro), Baden-Württemberg (etwa 103 Millionen Euro), Bayern (etwa 88 Millionen Euro); von den östlichen Bundesländern am höchsten in Sachsen-Anhalt (29 Millionen Euro, davon knapp 24 Millionen für die evangelische Kirche und etwa 4 Millionen für die katholische Kirche). Bei der näheren Analyse der Landeshaushaltspläne zeigt sich recht schnell, dass nicht jede finanzielle Leistung eines Bundeslandes als Staatsleistung qualifiziert werden kann und dass Begünstigte der staatlichen Fördermaßnahmen keineswegs nur die christlichen Kirchen sind.

Aber selbst dieser Umstand geht in der öffentlichen Berichterstattung bisweilen unter: Manche vermuten lediglich Leistungen an die katholische Kirche und übersehen dabei die evangelischen Kirchen als sogar noch größere Leistungsempfänger. Selbst wenn das Volumen wesentlich geringer ist, so müssen in eine Bestandsaufnahme beispielsweise auch die staatlichen Fördermaßnahmen an Humanistische Verbände als Weltanschauungsgemeinschaften (beispielsweise Berlin mit 580 000 Euro) oder andere Religionsgemeinschaften eingestellt werden. Schon an diesen hier nur anzudeutenden Tatsachen, die sich leicht aus den Landeshaushaltsplänen ermitteln lassen, zeigt sich das gegenüber der öffentlichen Wahrnehmung beziehungsweise publizistischen Darstellung vielschichtigere Bild.


Was sind nun Staatsleistungen? Anzusetzen hat die Begriffsbestimmung an einer dem Grundgesetz als vollgültiges Verfassungsrecht inkorporierten Bestimmung der Weimarer Reichsverfassung (Art. 140 GG/ 138 Abs. 1 WRV). Danach zählen zu den Staatsleistungen alle Zuwendungen von vermögenswerten Vorteilen, die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhen und vorkonstitutionell begründet worden sind. Es geht dabei vor allem um Leistungsverpflichtungen aus einer Entschädigungsmotivation heraus, ist aber nicht darauf beschränkt, weil beispielsweise später im Laufe des 19. Jahrhunderts begründete Bedürfniszuschüsse zur Förderung religiöser Zwecke auch noch dazu zählen. Staatsleistungen sind nur wiederkehrende Leistungsverpflichtungen, die sowohl in Geldzahlungen als auch in Naturalleistungen liegen können.

Die verfassungsrechtlich definierte Staatsleistung unterscheidet sich demnach gerade von der Subvention durch den historisch relevanten Entstehungszusammenhang und der damit verbundenen Ausgleichs- beziehungsweise Ersatzfunktion. Es ist folglich nicht korrekt, im Rahmen des wohlfahrtspluralistischen Systems erbrachte Förderungen sozialer Dienstleistungen einfach unter den Begriff der Staatsleistung zu subsumieren. Ebenso wenig können immer wieder kritisierte einmalige Zuschüsse zu kirchlichen Großereignissen (etwa Kirchentage) als Staatsleistung qualifiziert werden.


Zwischen positiven und negativen Staatsleistungen unterscheiden

Ein Stück komplizierter wird das Recht der Staatsleistungen im technischen Sinn dann noch dadurch, dass zwischen positiven und negativen Staatsleistungen zu unterscheiden ist. Während bei positiven Staatsleistungen etwa Geldzahlungen getätigt werden, zeichnen sich sogenannte negative Staatsleistungen dadurch aus, dass bei an und für sich bestehenden Zahlungsverpflichtungen Ausnahme-, Befreiungs- und Begünstigungstatbestände normiert werden.

Dies führt aber keineswegs dazu, dass sämtliche heute für die Religionsgemeinschaften bei der Steuer- oder Gebührenerhebung bestehenden Vergünstigungen a priori als Staatsleistung qualifiziert werden können, so sehr damit auch eine Förderung der Kirchen - aber auch anderer Religionsgemeinschaften - verbunden sein mag. Die historische Rückbindung der Kategorie Staatsleistung führt dann dazu, dass keineswegs sämtliche etwa an dem Körperschaftsstatus anknüpfenden Abgabenbefreiungen als negative Staatsleistung qualifiziert werden können.


In den Weimarer Kirchenartikeln normiert

Eine geschlossene, abschließende Systematik wird sich in das durch Wildwuchs geprägte Terrain von Staatsleistungen nicht bringen lassen. Wildwuchs allein kann aber kein Vehikel dafür sein, eine bestimmte Leistungsform zu delegitimieren, sondern führt gegebenenfalls zu Bereinigungsmaßnahmen wie sie in nicht wenigen Fällen schon während der Weimarer Republik und nach 1945 erfolgte, wenn etwa allzu detaillierte Leistungsausweisungen durch Pauschalbeträge ersetzt worden sind.


Als Rechtsgrund für die Staatsleistungen wird nicht selten pauschal "die Säkularisation" angegeben. Dies ist zwar nicht falsch, aber im Ergebnis doch ergänzungsbedürftig. Es hat Säkularisationen nicht erst mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts gegeben. Bereits im ersten konfessionellen Zeitalter (16. und 17. Jahrhundert) ist es schon zu Einziehungen kirchlicher evangelischer Güter gekommen, aus denen Unterhaltungsverpflichtungen resultierten. Für die katholische Kirche in Deutschland ist insbesondere der Reichsdeputationshauptschluss vom 25. Februar 1803 relevant, mit dem weitgehende Vermögenssäkularisationen verbunden waren.

Der Verpflichtungsgrund für die Ausgleichsmaßnahmen lag nicht in allen Aspekten in der "Enteignung" von Kirchengut an sich. Vielmehr lasteten auf den säkularisierten Gütern Leistungsverpflichtungen, die auf den Staat übergingen, als er sich das Vermögen einverleibte. Juristisch präzise wurden damit keine neuen Rechtpflichten begründet. Darüber hinaus sind auch neue Verpflichtungen begründet worden. Schon im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts sind nicht wenige durch den Reichsdeputationshauptschluß begründete Rechtsverpflichtungen des Staates durch neue Rechtsgrundlagen ersetzt worden. Häufig erfolgte dies bei den Neuumschreibungen und -organisation der diözesanen Ebene in Deutschland und wurde demzufolge in den Zirkumskriptionsbullen näher normiert.


Details staatlicher Leistungen und Regelungstiefe dieser Vereinbarungen waren im Einzelnen unterschiedlich. Bemerkenswerterweise dienten diese neuen Rechtsgrundlagen für die katholischen Bistumsneuumschreibungen später auch als Begründung und Legitimation für die Staatsleistungen an die evangelischen Kirchen. Selbst bei unterschiedlichen rechtlichen Ausgangspunkten und Entstehungszusammenhängen zeigte sich eine parallele und gleichartige Rechtsentwicklung zwischen den evangelischen Kirchen und den katholischen Diözesen.

Eine gewisse Sonderstellung nehmen innerhalb des Komplexes Staatsleistungen die Zuschüsse zur Pfarrbesoldung ein. Gerade diese Form staatlicher Leistungen zugunsten amtierender Geistlicher wurde in sehr alten Grundlagen verortet. Die Vielfalt der altrechtlichen Grundlagen und die nicht unerheblichen Unterschiede der Behandlung von evangelischen und katholischen Geistlichen erschweren einen präzise systematisierenden Zugriff. Gerade im 19. Jahrhundert erwies sich die Pfarrbesoldung nicht selten als unzureichend, da die Kirchengemeinden das Geld für die ortskirchlichen Bedürfnisse nicht aufbringen konnten.

Insbesondere für die evangelischen Kirchen resultierte daraus ein Systemwechsel: Das traditionelle Pfründen- und Gebührensystem wurde ausgewechselt durch eine "Verbeamtung" der Geistlichen. Die Kompensation des ortskirchlichen Finanzbedarfs und die Sicherstellung einer gewissen Mindestentlohnung von Geistlichen (insbesondere auf dem Lande) erfolgten seitens des Staates. Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurde über die Frage gestritten, ob es sich um freiwillige Leistungen des Staates handelte oder ob sie ihren Grund im Säkularisationsfolgenrecht fanden.

Für Preußen wurde die Pfarrerbesoldung dann 1898 gesetzlich geregelt und näher ausgestaltet, wobei es durchaus nicht unerhebliche konfessionelle Unterschiede gab. Pfarrbesoldungsgesetze normierten aber nicht den Rechtsgrund für diese Staatsleistungsform, sondern dienten nach überwiegender, wenngleich nicht unbestrittener Rechtsauffassung lediglich der effizienteren und effektiveren Umsetzung der altrechtlichen Verpflichtungen.


Der Übergang zur Weimarer Republik veränderte die staatskirchenrechtliche Ordnung in Deutschland insgesamt grundlegend. In den Weimarer Kirchenartikeln wurde der Regelungskomplex Staatsleistungen ausdrücklich normiert. Einerseits mit dem Ziel, sie abzulösen und damit das Verhältnis von Staat und Kirchen auch hinsichtlich der überkommenen Leistungsverpflichtungen zu entflechten; andererseits sah die Weimarer Reichsverfassung noch eine gesonderte Bestandsgarantie der bis zum "Normaljahr 1919" begründeten Staatsleistungen vor, die deren Fortbestand bis zur endgültigen Ablösung gewährleistete. Mit dem Ablösungsgebot normierte der Verfassungsgeber etwas Neuartiges.

Für die Durchführung der Ablösung war ein genaues Prozedere vorgesehen: Voraussetzung für die Durchführung einer Ablösung war eine gesamtstaatliche Regelung. Über einen Referentenentwurf aus den zwanziger Jahren ist ein solches Gesetzgebungsvorhaben nicht hinausgekommen. Unter Ablösung zu verstehen ist eine einseitige Aufhebung eines Leistungsgrundes gegen Ausgleichsleistung. Streitig war dabei, ob es sich um vollen Wertersatz oder eine angemessene Entschädigung handeln musste; letztlich wird zwischen Wertäquivalenz und angemessenem Ausgleich vielleicht kein allzu großer Unterschied bestehen.


Das Bemerkenswerte an der Rechtentwicklung schon zur Weimarer Zeit war, dass bei den Staatskirchenverträgen der "ersten Generation" (Michael Germann) teilweise so genannte Novationen der Staatsleistungen erfolgten. Der Wert und Umfang der Staatsleistungen wurde ermittelt und festgeschrieben. Damit wurden die Staatsleistungsverpflichtungen von realen Umständen und Veränderungen insofern unabhängig, als etwa der zukünftige Ausbau der Kirchenverwaltungen für die Entwicklung des Umfangs der Staatsleistungsverpflichtungen grundsätzlich nicht berücksichtigt werden sollte.


Rechtsverpflichtung bleibt Rechtsverpflichtung

Was die Staatsleistungen im technischen Sinne anbelangt, waren mit dem Grundgesetz keine wesentlichen Änderungen verbunden, da das Ablösungsgebot zwar übernommen wurde, aber an dieselbe Voraussetzung eines gesamtstaatlichen Ablösungsgesetzes gebunden blieb; ein bis heute nicht realisierter Gesetzgebungsauftrag. Ob man dieses gesetzgeberische Unterlassen als verfassungswidrig klassifizieren kann, erscheint fraglich. Der aus der Weimarer Reichsverfassung übernommene Entflechtungsauftrag hinsichtlich der Staatsleistungen mutierte zu einer Bestandsgarantie. "Die provisorische Status-quo-Garantie hat sich in der Folgezeit als dauerhaft erwiesen. Der Veränderungsauftrag hat im realen Effekt zu einer Veränderungssperre geführt" (Josef Isensee).


Sperrwirkung kommt der Verfassungsbestimmung vor allem deshalb zu, weil eine einseitige Leistungseinstellung ohne Einhaltung der Voraussetzungen von Art. 140 GG/ 138 Abs. 1 WRV untersagt ist und selbst eine gesetzgeberische Entscheidung beispielsweise eines Landesgesetzgebers dürfte die Rechte der begünstigten Kirchen nicht einfach in ein Nichts dahinsinken lassen. Wie schon zur Weimarer Zeit ist die Staatsleistungsproblematik vor und nach 1989 durch das Staatskirchenvertragsrecht immer wieder bereinigt worden.

Solche Novationen stellen zwar keine Ablösung im strengen Sinne dar, aber sie suchen einer solchen doch recht nahe zukommen. Wenn auch die staatskirchenvertragsrechtlichen Absprachen zu keiner Totalentflechtung von Staat und Kirche auf diesem Gebiet führen, intendieren sie gleichwohl durchaus Vereinfachungen und Teilentflechtungen, die nicht ohne Grund als "de facto-Ablösungen" qualifiziert werden.


Die groben historischen Schnitte und die kursorischen Hinweise auf die Rechts- und Verfassungslage deuten die Komplexität der mit den Staatsleistungen verbundenen Fragen an. Es ist schon verwunderlich, dass darauf hingewiesen werden muss, dass eine Rechtsverpflichtung zuerst einmal eine Rechtsverpflichtung bleibt und das Alter einer Rechtsverpflichtung nicht automatisch zur Delegitimierung einer Rechtsposition führt. Altes Recht ist nicht per se gleich schlechtes Recht. Gleichwohl resultiert aus diesem Umstand keine Veränderungsresistenz. Ein Beobachter der bisherigen Diskussion könnte den Eindruck gewinnen, dass die Kirchen von sich aus auf die Staatsleistungen verzichten sollten.

Aus rechtswissenschaftlicher Perspektive ist dies keine korrekte Fragestellung. Wenn man aus Art. 140 GG / 138 Abs. 1 WRV ein verpflichtendes Verfassungsgebot zur Ablösung von Staatsleistungen im rechtstechnischen Sinne ableitet, so ist der Adressat zuerst der Bund und dann die einzelnen Bundesländer, wobei zu beachten ist, dass hinsichtlich der Erarbeitung eines "Bundesgrundsätze-Gesetzes" zur Ablösung von Staatsleistungen staatskirchenvertragsrechtliche Bindungen bestehen. Durch das Reichskonkordat ist der katholischen Kirche ein gewisses Mitsprachrecht bei einer solchen Grundsatzgesetzgebung eingeräumt, die sich wegen des staatskirchenrechtlichen Paritätsgrundsatzes auch auf die evangelischen Kirchen erstreckt.

Kurzum, das verfassungsrechtliche Ablösungsgebot adressiert eine Verpflichtung an den Staat und keinen moralischen Appell an die Kirchen zum Verzicht. Die Kirchen haben einen Anspruch auf Ablösungsleistung, aber keinen Anspruch auf Vollzug der Ablösung.


Dass die Kirchen aber durchaus zu Modifikationen und ablösungsähnlichen Maßnahmen bereit sind, lässt sich gerade am Staatskirchenvertragsrecht ablesen. Und so wird man nicht ad calendas graecas auf die Schaffung einer bundesgesetzlichen Regelung warten müssen. Es besteht bereits jetzt die Option, das Problem einvernehmlich zwischen Staat und Kirche kreativ zu lösen. Eigentlich wurde und wird dieser Weg auch schon immer gegangen, so dass es auf das Ganze gesehen bereits zu einer Reihe von "Teilablösungen" gekommen ist.

Besonders hervorhebenswert ist etwa die Aufhebung der kommunalen Bau- und Unterhaltungsverpflichtung im Bundesland Hessen seit dem Jahr 2003. Die nach neuerer, aber durchaus strittiger Rechtsauffassung auch als Staatsleistung qualifizierten kommunalen Baulasten sind durch eine konzertierte Aktion der betroffenen Akteure weitgehend schiedlich-friedlich gegen Leistung einer Ausgleichszahlung aufgehoben worden.


Ob es zu einer kreativen Form der Aufhebung bisheriger staatlicher Leistungsverpflichtungen kommt, wird nicht zuletzt von der Frage abhängen, welcher Betrag staatlicherseits dafür aufzuwenden ist, um ein solches Ziel zu erreichen. Die Schätzungen für eine vollumfängliche Ablösung der Staatsleistungen belaufen sich ungefähr auf einen unteren zweistelligen Milliarden-Betrag in Euro. Berechnet wird dies bei einem zu erzielenden Kapitalzins von etwa 4 Prozent pro Jahr dadurch, dass die Jahresleistung mit dem Faktor 25 zu kapitalisieren ist; in Niedrigzinsphasen und bei deren längerer Dauer müsste dies aber unter Umständen zu einem höheren Kapitalisierungsfaktor führen.

Sofern Kritiker der Staatsleistungen eine historische Gesamtrechnung aufmachen und die kaum präzise zu ermittelnden Leistungen des Staates seit dem 19. Jahrhundert an die Kirchen mit einer aktuellen Ablösungssumme verrechnen wollen, weil das säkularisierte Kirchenvermögen bereits mehrfach zurückgezahlt worden sei, so dürfte dies vor allem politische Rhetorik sein. Eine juristisch solide Argumentationsweise ist dies nicht. Die Dauer der Staatsleistungen oder deren Umfang ist unerheblich, da es sich nicht um Tilgungsleistungen handelt, sondern um Rechtspflichten, die insbesondere den Wegfall des Vermögensertrags zu kompensieren haben.


Änderungen des Fördermodus sind möglich

Selbst dezidierte Kirchenkritiker sehen in der Staatsleistungsproblematik rein faktisch eine Frage von "untergeordneter Bedeutung". Es verwundert dann ein wenig, mit welcher Emotionalität die Debatte geführt wird. Selbst wenn die Staatsleistungen abgelöst würden, bedeutete dies nicht das Ende jeglicher Religionsförderung in Form von finanziellen Unterstützungen. Betreffen die Staatsleistungen im technischen Sinne vor allem die christlichen Kirchen, so zeigen die schon eingangs erwähnten Haushaltspläne ein vielfältigeres staatliches Engagement bei der Förderung von Religion und Weltanschauung insgesamt. Dem religiös und weltanschaulich neutralen Staat ist es mitnichten verboten, Religion und Weltanschauung finanziell zu fördern.

Angesichts der Entwicklung des Staatskirchenvertragsrechts wird den Kirchen nicht die Bereitschaft abzusprechen sein, sich auf Änderungen des Fördermodus einzulassen. Wo Grund und Grenzen solcher staatlichen Fördermaßnahmen liegen, ist eine Frage, die immer wieder diskutiert wurde und die zukünftig immer mehr oder weniger umstritten bleibt. Eine religiös pluralere Welt wird vielleicht die Staatsleistungsproblematik in Richtung einer Debatte über allgemeine Religionsförderung verschieben und dabei in weit größerem Ausmaß nochmals Gleichheitsprobleme virulent werden lassen.


Dabei ist an die Worte des Tübinger Staatskirchenrechtlers Martin Heckel zu erinnern, der darauf hinwies, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz den "Januskopf der Egalisierung und Differenzierung" trägt, so dass Ungleichbehandlungen durchaus sachgerecht verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden können. Komplexität und Kompliziertheit des Themenfeldes Staatsleistungen und Religionsförderung können nicht populistisch aufgehoben werden. Es bedarf vielmehr der nüchternen Analyse und der klugen politischen Entscheidung. Es verwundert demnach nicht, wenn sich der Deutsche Juristentag in diesem Jahr in Berlin mit sehr großer Mehrheit dem populistischen Aufruf zur sofortigen Ablösung von Staatsleistungen versagte.


Prof. Dr. iur. Ansgar Hense ist Direktor des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands und apl. Professor an der Technischen Universität Dresden.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
64. Jahrgang, Heft 11, November 2010, S. 562-566
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Januar 2011