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KIRCHE/1148: US-Bischofskonferenz - Neuer Vorsitzender, neuer Kurs? (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 3/2011

Neuer Vorsitzender - neuer Kurs?
Eine überraschende Wahl an der Spitze der Bischofskonferenz der USA

Von Ferdinand Oertel


Die abweichend von der Tradition erfolgte Wahl des Erzbischofs von New York, Timothy M. Dolan, zum Vorsitzenden der US-Bischofskonferenz hat zu Spekulationen geführt, ob die amerikanische Kirche einen neuen Kurs einschlägt oder die bisherige Linie der harten Lehrausübung zementiert.


Der ersten Jahresausgabe der Kirchenzeitung des Erzbistums New York "Catholic New York" lag ein Poster bei, das Erzbischof Timothy M. Dolan umgeben von den Seminaristen der Jahre 2010-2011 zeigt. Es sind 55 Priesteramtskandidaten, darunter über ein Dutzend mit hispanischer, afrikanischer und asiatischer Abstammung. Das Poster trägt die Unterschrift "The World Needs Heroes" - "Die Welt braucht Helden".

Von diesem Poster gehen einige Signale aus, die für die katholische Kirche in den Vereinigten Staaten am Anfang des elften Jahres im dritten Jahrtausend kennzeichnend zu sein scheinen: Es ist eine starke, optimistische Glaubensgemeinschaft, die sich aus vielen Herkunftsländern mit unterschiedlichen Kulturen zusammensetzt; eine Kirche, in der Bischöfe und Priester die tragenden Grundpfeiler sind; eine Kirche, die in der pluralen säkularen Gesellschaft als mitbestimmende Größe wahrgenommen und akzeptiert wird.


Alle diese Züge verkörpert ein Bischof, den die "New York Times" nach seiner überraschenden Wahl zum neuen Vorsitzenden der US-Bischofskonferenz im November 2010 als "das künftige Gesicht der Kirche in Amerika" bezeichnet: Erzbischof Timothy M. Dolan. Die Wahl war unerwartet, weil traditionsgemäß der bisherige Stellvertretende Vorsitzende der Bischofskonferenz zum Vorsitzenden gewählt wurde, und dies war Bischof Gerald F. Kincanas von Tucson (Arizona).

Kincanas hatte sich durch seine offene Haltung in umstrittenen Kirchenfragen ausgezeichnet, als er sich nicht wie die Hardliner im Episkopat gegen den Auftritt von Präsident Barack Obama an der katholischen Elite-Universität Notre Dame gewandt hat, weil er von Pro Life Vorkämpfern als Pro-Choice-Demokrat und Abtreibungs-Präsident abgelehnt wird.

Kincanas gehörte auch nicht zu den Bischöfen, die katholischen Abgeordneten die Kommunion verweigern, wenn sie von kirchlichen Lehrpositionen abweichen. Da war es eigentlich kein Wunder, dass vor der Wahl der Bischofskonferenz konservative Gruppen eine Kampagne gegen ihn führten und dafür angeblich einen schwerwiegenden Grund fanden: Kincanas habe als ehemaliger Rektor eines Priesterseminars einen Kandidaten zur Weihe zugelassen, obwohl er Vorwürfe gegen ihn als Pädophilen gekannt habe. Der Bischof konnte diese Vorwürfe allerdings entkräften, und sie sollen nach Aussage mehrerer Bischöfe bei der Wahl keine Rolle gespielt haben.


Ein Bischof mit Bilderbuchkarriere

In einem ersten Interview erklärte Erzbischof Dolan, er glaube, andere Gründe hätten den Ausschlag dafür gegeben, dass er im dritten Wahlgang 54 Prozent der Stimmen gegenüber 46 für Kincanas erhalten habe. Im Übrigen habe er vor drei Jahren bei der Wahl des Stellvertretenden Vorsitzenden nur eine Stimme weniger als Kincanas bekommen. In Spekulationen über den unerwarteten Wahlausgang wurde als ausschlaggebend für Dolans Wahl angeführt, dass vor allem jüngere Bischöfe den üblichen automatischen Wechsel durchbrechen und stärker nach aktuellen Prioritäten entscheiden wollten und daher einer national und international angesehenen Persönlichkeit den Vorzug gaben. Dem entspricht tatsächlich die Wahl des Erzbischofs von New York, denn seit Kardinal Francis Spellmann zur Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils haben alle seine Nachfolger den Weg der amerikanischen Kirche maßgeblich bestimmt.

Timothy M. Dolan hat eine Bilderbuchkarriere in der US-Kirche hinter sich. Am 6. Februar 1950 in St. Louis, Missouri, geboren, erhielt er am "Pontifical North American College" in Rom seine theologische Ausbildung und wurde 1976 in St. Louis zum Priester geweiht. Während seiner ersten Kaplanszeit studierte er Kirchengeschichte und promovierte an der "Catholic University of America" in Washington. Nach weiteren fünf Jahren als Gemeindepfarrer in St. Louis erkletterte er 1987 eine erste Stufe seines Wegs nach oben: Er wurde zum Sekretär an der Nuntiatur in Washington bestellt. Danach wirkte er als Vize-Rektor am Priesterseminar in seiner Heimatstadt, bevor er 1994 zum Rektor des North American College in Rom berufen wurde - bereits die vierte, wohl zukunftsentscheidende Stufe seiner Karriere. In den folgenden sechs Jahren in Rom wurde Dolan Zeuge der kirchengeschichtlich bewegten Zeit unter Johannes Paul II. Dieser ernannte ihn 2001 zum Weihbischof in St. Louis.

Der nächste Schritt nach oben ließ nicht lange auf sich warten. Als 2002 der Benediktiner-Erzbischof von Milwaukee, Rembert Weakland, überraschend von seinem Amt zurücktrat, weil ihm im Zuge der pädophilen Missbrauchsskandale ein Vergehen aus seiner früheren Seminarzeit nachgewiesen wurde, berief Johannes Paul II. den 52-jährigen Dolan nach nur einem Jahr in St. Louis auf den Stuhl des Erzbischofs am Michigan See. Dort gelang es ihm, das durch fortschrittliche Pastoral und finanzielle Opferentschädigungen in Turbulenzen geratene Erzbistum zu stabilisieren. 2009, als er durch seine gesprächsoffene, den Menschen zugewandte Art die Herzen der Gläubigen erobert hatte, war es Benedikt XVI., der ihn an die Spitze des wohl wichtigsten amerikanischen Erzbistums im von Johannes Paul II. als "globales Weltzentrum" bezeichneten New York berief.


Kein kirchlicher Vorgang hat seit dem Besuch Benedikts XVI. in den USA so starke öffentliche Reaktion hervorgerufen wie Dolans Wahl. Während die "New York Daily News" ihn "eine gute Wahl als Führungsperson der Kirche" nannte, bezeichnete die "New York Times" die Wahl als einen Schritt, "der die konservative Richtung der Römisch-Katholischen Kirche in den USA festigt". Während die konservative katholische Wochenzeitung "National Catholic Register" sich begeistert über die "standfeste Lehrposition" des neuen Präsidenten der Bischofskonferenz zeigte, bemerkte die unabhängige katholische Wochenzeitung "National Catholic Reporter" kritisch, dass mit Dolan endgültig "die Ära Bernardin" zu Ende gehe, jene Zeit, in der der charismatische Kardinal von Chicago mit seiner Initiative des "Common Ground" eine gemeinsame Basis für die kontroversen Lager in der Kirche suchte. Als Zeichen dafür, dass die Bischöfe ihren "Kulturkampf" in der amerikanischen Gesellschaft im Streit um Abtreibung und Homo-Ehe fortsetzen wollen, wertete der wegen seiner liberalen Positionen entlassene Chefredakteur des Jesuiten-Magazins America, Thomas Reese, die Entscheidung für Dolan. In einem Blog von "Time" wurde dagegen die Wahl des New Yorker Erzbischofs als "schlechte Nachricht für Obama 2012" bezeichnet.


Drei Initiativen ins Leben gerufen

Der neue Vorsitzende der Bischofskonferenz hat nach seiner Wahl kein Programm verkündet. Auf einer Pressekonferenz erklärte er, dass die amerikanische Kirche "keine neuen Initiativen" brauche. Er wolle "mit aller Kraft das fortsetzen", was die Bischofskonferenz in den vergangenen Jahren verfolgt habe. Dazu zählen auch die Aktionen und Initiativen, die er selbst als Erzbischof in Milwaukee und in den anderthalb Jahren seines Wirkens in New York unternommen hat und die man folgendermaßen zusammenfassen kann: Überwindung der innerkirchlichen Spannungen durch Einheit unter Bischöfen und Laien, Stärkung des Glaubenslebens und der Glaubenslehre sowie Mitgestaltung des gesellschaftlichen Lebens als moralische Stimme in der Öffentlichkeit.

In New York hat Dolan eine ökumenische Allianz von Katholiken, Protestanten, Evangelikalen und Orthodoxen gegen Bedrohungen der Religionsfreiheit, des Lebensrechtes der Ungeborenen und der Unantastbarkeit von Ehe und Familie geschlossen, die als "Manhattan Manifest" bekannt wurde. Er hat im aktuellen politischen Geschehen Verbesserungen an Obamas Gesundheitsreform gefordert, weil sie Hintertüren offen lasse für staatlich subventionierte Abtreibungen. Und er setzte sich vehement für eine dringend notwendige, an der Uneinigkeit von Republikanern und Demokraten aber mehrfach gescheiterte Reform der Einwanderung ein, die den über elf Millionen illegalen Hispanics rechtliche Möglichkeiten des legalen Aufenthaltes und Familienzuzug ermöglichen würde.


Prioritäten der Bischöfe für die Gesetzgebung

Nach seiner Wahl im November vorigen Jahres ist Dolan kaum in seiner neuen Funktion auf überdiözesaner Ebene tätig geworden, sondern hat sich dem gewidmet, was er bereits bei seiner Wahl angekündigt hatte: Seine Hauptaufgabe liege in seinem Erzbistum New York. Und das zu Recht, denn das Hochglanzposter von ihm mit den 55 Priesteramtskandidaten verdeckt einige Schatten, die auf die Situation in allen US-Bistümern fallen: Das kirchliche Leben schrumpft. Der Besuch des Sonntagsgottesdienstes ist unter 20 Prozent gesunken, Kirchengemeinden müssen zusammengelegt werden, in katholischen Schulen, Krankenhäusern, Sozialstationen und Altenheimen mangelt es an Personal und Finanzen.

Deshalb hat Dolan drei Initiativen ins Leben gerufen, die das kirchliche Leben stabilisieren und aktivieren sollen: eine Stärkung der Sonntagsliturgie, eine Reform des katholischen Schulwesens und eine pastorale Initiative für die Gemeindegestaltung. Die Planungsinitiative steht unter dem Leitspruch "Making all things new" und soll die Ortskirche durch "die Nutzung aller Ressourcen im priesterlichen und Laien-Bereich stärken". Aus jeder Pfarrei werden drei Verantwortliche in die Initiative berufen, die sich auf Dekanatsebene mit Vertretern des Generalvikariates treffen, um die vordringlichen Angelegenheiten zu besprechen.

Als Grundlage soll eine Umfrage über die Lage in jeder Pfarrei hinsichtlich priesterlicher Betreuung, karitativer, erzieherischer und sozialer Aktivitäten dienen. Der zuständige Weihbischof für die Initiative, Dennis J. Sullivan (er ist gleichzeitig Generalvikar), legte in den ersten Versammlungen Wert darauf, dass alle Anregungen willkommen seien und der ganze Prozess "sehr, sehr transparent" gemacht werde. Durch diese Schritte hat Dolan sofort große Sympathien bei den Gläubigen seines Erzbistums gewonnen, er gilt als volksnah, charismatisch, aber auch linientreu, herausfordernd und durchsetzungsfähig.


Ende Januar ist Dolan erstmals in seiner Funktion als Vorsitzender der Bischofskonferenz tätig geworden. Zum Beginn der neuen Legislaturperiode des Kongresses wandte er sich in einem Schreiben an alle Abgeordneten des Repräsentantenhauses und an alle Senatoren, um "die Prioritäten der Bischöfe für die diesjährige Legislaturperiode" darzulegen. Darin spricht er "in einer Zeit schwieriger wirtschaftlicher und politischer Entscheidungen" die Hoffnung aus, dass sich der neugewählte Kongress dem "Common Good" zuwendet und "das Leben und die Würde aller Menschen verteidigt, insbesondere der Verwundbaren und Armen in ihren kritischen Notsituationen". Der Erzbischof bezeichnet die Prioritäten als "Agenda für Dialog und Aktionen" und bietet den "auf Erfahrung und Tradition beruhenden unverwechselbaren, konstruktiven und prinzipienbezogenen Beitrag" der Bischöfe bei der Lösung der nationalen und internationalen Probleme an.

Im nationalen Bereich rückt Dolan den Schutz des ungeborenen Lebens, der Behinderten und der Sterbenden sowie die Förderung der Ehe "als die treue, exklusive, lebenslange Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau" in den Vordergrund. Ebenso setzen die Bischöfe sich aber für eine sozial gerechte Finanz- und Steuerpolitik ein, die alle Lasten und Opfer unter den amerikanischen Bürgern gleich verteilt. Konkret steht auf der Agenda der Bischöfe die Verbesserung des Gesundheitssystems, damit es "universal und lebensförderlich" wird, sowie die Notwendigkeit, das "zerbrochene Einwanderungssystem zurecht zu rücken". Neben der Sicherung der freien Schulwahl ist die Forderung nach staatlichen Regelungen des Internets, die allen Menschen freien Zugang eröffnet, neu. Schließlich wird die Stärkung der "faith-based" Sozialarbeit erwähnt, weil diese Gruppierungen aus religiösen Denominationen sich "als hilfreiche Partner der Regierung im Kampf gegen Armut und andere Bedrohungen der menschlichen Würde bewährt haben".


An erster Stelle der Prioritäten für die internationale Politik der US-Regierung stehen "ein verantwortlicher Übergang zur Beendigung der Kriege im Irak und in Afghanistan" sowie die Förderung der Religionsfreiheit für alle Glaubensgemeinschaften im Kampf "gegen religiöse Unterdrückung unserer christlichen Brüder und Schwestern sowie anderer Denominationen". Bei der Forderung nach wesentlichen Auslandsinvestitionen gegen Armut, Hunger und Krankheit in den Entwicklungsländern ermutigen die Bischöfe ihre Regierung zu "wirksam und moralisch angemessenen Anstrengungen gegen AIDS und für Klimaschutz".

Zwei Dinge sind bemerkenswert an diesem Schreiben. Zum einen umreißt der neue Konferenzvorsitzende damit nach längerer Zeit wieder einen Katalog der gesamten kirchlichen Positionen, die die Kirche in die Gesellschaft einbringen will. Zum anderen weitet er den Bereich des Lebensschutzes über die Pro-Life-Konzentrierung und den Kampf gegen die Abtreibung aus. Man könnte darin sogar eine Antwort auf ein Memo sehen, das die Jesuitenzeitschrift "America" im vergangenen November an die Bischofskonferenz gerichtet hatte. Unter der Devise "Ein Ruf nach der Verkündigung der ganzen katholischen Lehre" hatte Theologieprofessor Vincent Miller von der University of Dayton beklagt, dass die Bischöfe im letzten Wahlkampf die Haltung zu Abtreibung, Homo-Ehen und Embryonen-Tötung als "intrinsic evil" (essentiell Böses) zum allein wahlentscheidenden Kriterium für Katholiken gemacht hätten. Wesentliche andere Forderungen der kirchlichen Soziallehre seien zu kurz gekommen. Deshalb appellierte der Theologe an die Bischöfe, zurückzukehren zur vollständigen Soziallehre. Das bedeute nicht, den Schutz des ungeborenen Lebens auf eine Ebene mit anderen sozialen Werten "herabzustufen", doch die Sorge um die Unterprivilegierten und die am Rande Lebenden, das Engagement für Frieden und Klimaschutz liege heute bei jungen Menschen stärker im Blickfeld als Normen der kirchlichen Sexuallehre.


Miller fragte, ob hinter der Vernachlässigung dieser Themen sogar die von den etablierten Parteien und linken Medien geschürte Angst stehe, dass eine soziale Politik zur staatlichen Sicherung des Existenzminimums für alle - wie im Falle von Gesundheits- und Einwanderungsreform geschehen - als "Weg in den Sozialismus" gedeutet werde und damit widersprüchlich zum demokratischen Freiheitsgedanken der Amerikaner stehe. Deshalb, so schloss das Memo an die Bischöfe, müsse die amerikanische Öffentlichkeit und die nächste Generation der Kirche die ganze Fülle der kirchlichen Soziallehre kennen lernen.


"Pro Life" bleibt aktiv

Trotzdem bleibt der Einsatz für den gesetzlichen Schutz des Lebens von Ungeborenen bei Bischöfen und Pro Life an oberster Stelle. Zum 38. Jahrestag der gesetzlichen Freigabe der Abtreibung durch den Verfassungsspruch des Obersten Bundesgerichtes im Fall Roe versus Wade haben die Pro Life-Anhänger am 22./24. Januar wieder ihren traditionellen "Marsch für das Leben" durch die Hauptstadt Washington geführt. Wenn diesmal keine Hunderttausend, sondern nur einige Zehntausende daran teilnahmen, lag das nicht nur am frostigen Winterwetter, sondern auch an einem Wandel des Protestes gegen die Abtreibung. "Pro Life" setzt nicht mehr nur auf ein gesetzliches Verbot der Abtreibung, sondern auch auf verstärkte Aufklärung über deren Folgen sowohl für das werdende Leben als auch für die Mutter sowie den Ausbau der Hilfen für Schwangere in Not. Und für diese Aktionen wird am Jahrestag der Abtreibungsgesetzgebung nicht nur in Washington demonstriert, sondern in allen Bistümern finden Gebets- und Aufklärungsveranstaltungen statt.

Bei den diesjährigen Veranstaltungen in Washington hat Bischof William Lori von Bridgeport (Connecticut) darauf hingewiesen, dass erstmals seit 1973 eine "solide Mehrheit der Amerikaner Pro Life ist". Eine Umfrage der Laienbewegung "Knights of Columbus" hat zwar ergeben, dass rund 60 Prozent der Amerikaner nicht mehr das gegenwärtige Abtreibungsgesetz gutheißen, sondern für einen gesetzlichen Schutz der Ungeborenen eintreten; allerdings sprechen sich 40 dieser 60 Prozent für Ausnahmeregelungen etwa im Fall von medizinischen und kriminologischen Indikationen aus.

Aufwind hat die Pro Life-Bewegung durch die Teilnahme führender republikanischer Kongressmitglieder erhalten. Der Führer der neuen Mehrheit im Repräsentantenhaus, Eric Cantor, sagte, die Bewegung habe dadurch "neue Energien" bekommen. Sein Kollege Chris Smith warnte hingegen, dass die Pro Choice-Vertreter trotz großer Fortschritte in der Fötus-Medizin und Sonogramm-Technik den Ungeborenen kein Menschenrecht zusprechen. Daher betonte der bekannte Sprecher des Repräsentantenhauses, der Republikaner John Boehner, dem Ambitionen als nächsten Präsidentschaftskandidat gegen Obama nachgesagt werden, dass seine Partei gesetzliche Maßnahmen in den Kongress einbringen werde, die verhindern sollen, dass Steuergelder für Abtreibungen verwandt werden.

Verärgerung rief bei den Pro Life-Gruppierungen hervor, dass Präsident Obama sich nicht wie sein Vorgänger George W. Bush mit einer positiven Botschaft an sie wandte, sondern in einer Erklärung zum Jahrestag der Abtreibungsfreigabe versprach, "dieses Verfassungsrecht zu schützen". Der Oberste Gerichtshof habe nicht nur "das Reproduktionsrecht der Frauen" verankert, sondern auch das Grundprinzip der Nichteinwirkung des Staates "in private Familienangelegenheiten". Diese Botschaft deutet darauf hin, dass es im Kongress weiterhin um heftige Kontroversen in Lebensschutzfragen geben wird - und damit neue Herausforderungen und Diskussionen unter Bischöfen und Laien.


Mit einer Stimme sprechen

Wie schwierig es ist, auch innerkirchlich Bischöfe und Gläubige auf einen Nenner zu bringen, musste Erzbischof Dolan in zwei weiteren Vorgängen erfahren. Da war zunächst sein Versuch, gleichsam als Mediator die Kontroverse zwischen den Bischöfen und der "Catholic Health Association" (CHA) in zwei gegenwärtigen ethischen Fragen beizulegen. Der erste Fall betrifft die Gesundheitsreform, der zweite die Identität katholischer Krankenhäuser.


Während die Bischöfe im ersten Fall an der nach vielen Änderungen verabschiedeten Gesundheitsreform Obamas kritisieren, dass sie Möglichkeiten zur staatlichen Finanzierung von Abtreibungen nicht ausschließe und die Gewissensfreiheit der im Gesundheitsdienst Tätigen nicht schütze, haben die Vertreter der katholischen Gesundheitsorganisation von Anfang an erklärt, sie könnten "mit dem Gesetz leben", auch wenn einige Punkte nur durch nicht näher definierte Kompromisse umrissen werden. Im zweiten Fall hatte Bischof Thomas J. Olmsted von Phoenix (Arizona) dem St. Josephs Hospital in seiner Stadt im Dezember 2010 untersagt, sich weiterhin als "katholisch" zu bezeichnen, weil in ihm eine Abtreibung vollzogen worden war und damit die "Ethischen und religiösen Richtlinien für katholische Gesundheitsdienste" verletzt worden seien. Die Krankenhausverantwortlichen hatten darauf hingewiesen, dass sie die Direktiven eingehalten hätten, als sie sich für die allein mögliche Rettung des Lebens der Mutter entschieden. Doch der Bischof sah das als "Verstoß gegen die authentische Morallehre der Kirche" an.


In Telefonkonferenzen und Briefwechseln mit allen Betroffenen beklagte Erzbischof Dolan, dass auf die Kirche wachsender politischer und sozialer Druck ausgeübt werde, damit sie ihre "Prinzipien kompromittiere". Um sich gegen ein solches ungesetzliches Einwirken des Staates auf das kirchliche Gesundheitswesen zu wehren, sei es Voraussetzung, dass die Kirche "mit einer Stimme spricht". Bei Auslegungskonflikten in moralischen Fragen liege die letzte Entscheidung eindeutig beim zuständigen Ortsbischof.

Die CHA-Vorsitzende, Schwester Carol Keehan, bestätigte in einem Brief an Dolan, dass die katholische Gesundheitsorganisation die Ortsbischöfe als "autorisierte Interpreten" der ethischen und religiösen Richtlinien anerkenne und den aufrichtigen Wunsch habe, mit der Kirche und jedem Bischof zusammenzuarbeiten, um mögliche klinische Probleme besser zu verstehen und gemäß der Lehre der Kirche zu lösen. Im Falle möglicher Finanzierungen von Abtreibungen durch die Gesundheitsreform teilte Schwester Keehan mit, das CHA unterstütze den von Republikanern im neuen Kongress eingebrachten Protect Life Act, der eine staatliche Abtreibungsfinanzierung ausschließe.


In der Identitätsfrage katholischer Krankenhäuser hatte die Vorsitzende des Gesamtverbandes CHA sich solidarisch mit der regionalen CHA West erklärt, die für das Krankenhaus in Phoenix zuständig ist. In dieser "herzzerreißenden Situation" habe man im Krankenhaus sorgfältig die Situation der Patientin erwogen. Wenn Schwester Keegan dann auch in diesem Fall die "zuständige Autorität" des Ortsbischofs anerkannte, wisse er, so Erzbischof Dolan in einem Online-Interview mit dem National Catholic Reporter, dass es für sie "ein schreckliches Gefühl" sei, dass der Bischof dem Krankenhaus die katholische Anerkennung absprechen musste. Ihm sei durchaus bewusst, dass die "Verteidigung der Integrität" des katholischen Gesundheitswesens dazu führen kann, dass auch andere Krankenhäuser sie verlieren. "Es ist bedauerlich, dass unsere katholischen Krankenhäuser jetzt da angekommen sind, wo unsere Universitäten in den achtziger Jahren waren und langsam aus dem katholischen Erdkreis herausfielen."

Damit berührte Erzbischof Dolan ein anderes umstrittenes Feld: Die Identität der katholischen Universitäten. In den achtziger und neunziger Jahren waren einerseits eine Reihe von katholischen Universitäten aus dem Zuständigkeitsbereich der Ortsbischöfe ausgeschieden, indem sie sich infolge finanzieller Schwierigkeiten in die Obhut säkularer Träger begeben hatten. Andererseits hatte es Kontroverse wegen der umstrittenen Frage der akademischen Lehrfreiheit gegeben, vor allem, nachdem die Bischöfe 2001 mit einem Dokument "Anwendung von 'Ex Corde Ecclesiae' die Richtlinien eines bischöflichen Mandates für Theologieprofessoren aus dem päpstlichen Schreiben verbindlich gemacht hatten. In diesem Jahr soll nun von den Bischöfen eine Übersicht der Entwicklung in den letzten zehn Jahren erstellt werden - ein weiteres Problemfeld bei der Suche nach Einheit.


Ein Aufsehen erregender Rückzug

Unerwartet traf den neuen Episkopats-Vorsitzenden Mitte Februar der Rückzug des bekannten Benediktiners Anthony Ruff von der Mitwirkung bei der Einführung der Übersetzung des neuen Römischen Missale in den amerikanischen Bistümern. Die Übersetzung ins Englische hatte sich über mehrere Jahre hingezogen, weil es aus dem angloamerikanischen Raum die Bemühungen um eine "inclusive language" gab, eine gendergerechte Form. Immer wieder kam es zu Auseinandersetzungen mit Rom.


Nachdem der Vatikan im vorigen Jahr endlich seine Approbation zu der letzten Fassung gegeben hatte, entwickelte die US-Bischofskonferenz ein umfangreiches Programm zur Einführung der neuen Texte in allen Bistümern. Zu den Instrukteuren zählte Ruff, Professor für Liturgie und Gregorianischen Gesang, der 2007 für die Bischofskonferenz den Entwurf des Gesangbuches "Sing to the Lord: Music in Divine Worship" erstellt hatte. In einem öffentlichen, von "America" vorab publizierten Brief vom 14. Feburar begründet der Liturgiefachmann seinen Rückzug mit der hierarchischen Verwaltungs- und Verantwortungsstruktur der Kirche, die von Rom in alle Bistümer reiche. Das Missale sei nur "Teil eines größeren Musters von Oben-nach-Unten erfolgenden Anordnungen durch eine zentrale Autorität", die glaube, sich nicht gegenüber der Gesamtkirche dafür verantworten zu müssen. Wenn er daran denke, "wie geheim der Übersetzungsprozess ablief, wie wenig Priester und Laien darin einbezogen wurden, wie der Heilige Stuhl einer kleinen Gruppe erlaubte, die Endfassung an sich zu reißen, wie unbefriedigend diese Fassung ist und wie sie den nationalen Bischofskonferenzen mit Verletzung ihrer legalen bischöflichen Autorität auferlegt wurde, wie viel Täuschung und Schaden der ganze Prozess mit sich brachte - und wenn ich dann an die (Art und Weise) des Lehrens, Dienens, der Liebe und der Gemeinsamkeit unseres Herrn denke, ...dann weine ich".

Angesichts dessen, so das Resümee des Benediktiners, dass viele seiner Freunde und Bekannten die Kirche verließen, teils aus Überzeugung, teils Schritt für Schritt, fühle er sich gedrängt, die Wahrheit, so wie er sie sehe, in Liebe und Respekt auszusprechen. Er selbst werde sein Leben lang in der Kirche bleiben und sein Bestes versuchen, um ihr zu dienen.

Dieser Brief dürfte insbesondere den neuen Konferenzvorsitzenden tief getroffen haben, nicht nur, weil es sich beim Missale um eine seiner Herzensangelegenheiten zur Verlebendigung der Liturgie handelt, sondern weil der angesehene Liturgie-Wissenschaftler diesen Vorgang in ein Bild des düsteren Gesamtzustandes der Kirche einordnet. Und damit die Grundfrage an "das neue Gesicht der amerikanischen Kirche" richtet: Alles wie bisher oder Kursänderung?


Ferdinand Oertel (geb. 1927) promovierte mit einer Arbeit über Thomas Wolfe. Seine berufliche Laufbahn im katholischen Journalismus führte ihn zur Katholischen Nachrichtenagentur, zur Zeitschrift "Die christliche Familie", zur Aachener Kirchenzeitung und zu "Leben und Erziehen". Seit dem Studium in St. Louis regelmäßig Aufenthalte in den USA. Langjährige Mitarbeit bei der Herder Korrespondenz.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
65. Jahrgang, Heft 3, März 2011, S. 134-140
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juni 2011