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KIRCHE/1237: Migration verändert die kirchliche Landschaften (ÖRK)


Ökumenischer Rat der Kirchen - Pressemitteilung vom 15. Dezember 2011

Migration verändert die kirchliche Landschaften


Wie verändert Migration die kirchlichen Landschaften der Welt? Um welche Veränderungen geht es, und welche Auswirkungen haben sie auf Migrantengemeinschaften? Was können Kirchen tun, um die Akzeptanz der Verschiedenartigkeit zu fördern und in einer zunehmend globalisierten Welt neue Antworten auf die theologische Frage "Wer ist mein Nachbar?" zu erarbeiten?

Diese Fragen wurden auf einer dreitägigen regionalen Konferenz des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Beirut (Libanon) erörtert, wobei Erlebnisberichte aus dem reichen Erfahrungsschatz von dreißig Teilnehmern aus Afrika, Europa und dem Nahen Osten gesammelt wurden, die Kirchen, ökumenische Organisationen und nichtstaatliche Aktivistengruppen vertraten.

Die Konferenz wurde vom ÖRK-Programm für Gerechte und integrative Gemeinschaften [1] organisiert und fand auf Einladung des Kirchenrates des Nahen Ostens [2] von 5. bis 7. Dezember in der Near East School of Theology in Beirut, Libanon, statt.

Teilnehmer aus Afrika sannen darüber nach, dass die Migration kein neues Phänomen ist, sondern dass es schon immer Menschen gegeben hat, die sich auf die Suche nach besseren Lebensumständen gemacht haben. Es wurde dabei angemerkt, dass die interne Migration in Afrika wesentlich stärker ist als die externe Migration.

Die Vortragenden wiesen darauf hin, dass Armut, Arbeitslosigkeit und Konflikte die Hauptgründe für die Massenmigration darstellen, die innerhalb und außerhalb Afrikas stattfindet. Bei solchen Herausforderungen, so sagten sie, werde die Theologie des Begrüßens und Liebens seines Nachbarn wichtiger als je zuvor.

In ihrem Diskussionsbeitrag konzentrierte sich Sarah Silomba Kaulule, die stellvertretende Vorsitzende der ÖRK-Kommission für Glauben und Kirchenverfassung, auf die Situation der Migranten in Sambia. Sie sagte, aufgrund der sich verändernden kirchlichen Landschaften müssten wir interreligiöse Beziehungen, Identität, Gerechtigkeit, Rassismus, Fürsprache und Diakonie beachten, wenn wir Migranten wie unsere Nachbarn behandeln wollten.

"Die Kirche hat den Auftrag, Migranten und Flüchtlinge aufzunehmen. Dazu brauchen wir ein starkes Fundament, das in den Kirchen nicht Spaltung und Vertreibung verursacht, sondern uns hilft, einander zu verstehen und zu akzeptieren, während wir das ökumenische Ziel 'berufen, eins zu sein' verfolgen", so sagte sie.

Kaulule ermutigte die Kirchen, die Schwierigkeiten zu überwinden und einen Zufluchtsort für alle, einschließlich der Migranten, zu bieten, die häufig missbraucht werden und Menschenhändlern in die Hände fallen, was in Grenzgebieten durchaus üblich ist.

Bei einem Erfahrungsaustausch unter den Konferenzteilnehmern zeigte sich, dass Migranten häufig gesellschaftlich ausgegrenzt und wie Fremde behandelt werden.

Außerdem wurde über die Beziehungen zwischen den Geschlechtern und die in Familien herrschende Dynamik geredet. Es wurde darauf aufmerksam gemacht, dass es durch die veränderten Machtverhältnisse dort, wo Frauen die Rolle des Ernährers übernommen haben, zu Fällen häuslicher Gewalt gekommen ist.

Hinzu kommt, dass weibliche Migranten in manchen Situationen sexuell missbraucht werden. Um diese Gewalt anzuprangern und weibliche Migranten zu unterstützen, haben die Kirchen es sich erneut zur Aufgabe gemacht, einen auf dem Glauben basierenden ethischen Standpunkt zu bieten, der als Grundlage für die Beschäftigung mit diesen Themen dienen kann.

Während sie die Ergebnisse der Diskussionen durchsprachen, zitierten die Teilnehmer mehrere Bibelstellen, in denen die Gläubigen dazu aufgerufen werden, "die am meisten benachteiligten und die an den Rand der Gesellschaft gedrängten Personen zu befreien", ein Ansatz, den die Kirchen verkörpern können, indem sie verstärkte und verbindliche Anstrengungen unternehmen, um die Migrantengemeinschaften zu unterstützen.

Die besondere Situation der Migranten in Europa warf Themen wie Identität, kulturelle Vielfalt und Dynamik zwischen älteren Kirchen und den neuen internationalen Kirchen auf, die manchmal als "Migrantenkirchen" bezeichnet werden.

Dr. Gerrit Noort, der Direktor des Niederländischen Missionsrates, sprach über die Herausforderung durch Multikulturalismus. Er sagte: "Glaubensgemeinschaften und Kirchen waren bislang die gesellschaftlichen Orte, die Raum boten für Versuche zum Umgang mit der kulturellen Vielfalt in Europa."

Noort führte ein Beispiel aus den Niederlanden an und sagte, "die 'alten' und 'neuen' Kirchen in den Niederlanden sind sich mehr und mehr der Gegenwart des jeweils anderen bewusst und ergreifen häufiger die Initiative für ökumenische Zusammenarbeit."

Laut Noort ist es wahrscheinlich, dass diese Veränderungen in der kirchlichen Landschaft die Beziehung zwischen den Kirchen so beeinflussen und formen werden, dass eine engere ökumenische Zusammenarbeit entsteht, um die kulturelle Vielfalt zu unterstützen.



Auf Migrationsdynamik eingehen

Das Kräftespiel des "Arabischen Frühlings" und seine Auswirkungen auf die Migration im Nahen Osten hat zu wichtigen Erkenntnissen geführt. Vortragende aus dieser Region wie auch die Gastgeber tauschten ihre Ansichten über die Komplexität der politischen Entwicklungen aus, die viele Menschen zum Abwandern veranlassen.

Nach Ansicht der Teilnehmer ist es gerade bei der aktuellen Migrationswelle, in der die Menschen vor politischen Unruhen, Konflikten und Verfolgung fliehen, besonders relevant, dass die Achtung vor religiösen Minderheiten gefördert und ein aussagekräftiger interreligiöser Dialog in Gang gesetzt wird.

Dr. Audeh B. Quawas aus Jordanien, Mitglied des ÖRK-Zentralausschusses und des Griechisch-Orthodoxen Patriarchats von Jerusalem, machte folgende Anmerkung: "Die Kirchen werden mehr tun müssen, wenn sie für den Respekt vor religiösen Minderheiten werben und, insbesondere zwischen Christen und Muslimen, einen positiven Dialog in Gang setzen wollen."

Weiter sagte er: "Die Kirchen im Nahen Osten sind dazu berufen, den Gemeinschaften, die sich zur Migration entschließen, die Furcht und das Gefühl der Unsicherheit zu nehmen, denn unseren Ländern droht die ernstzunehmende Gefahr des 'brain drain', d.h. der Abwanderung von Wissenschaftlern und hochqualifizierten Arbeitskräften ins Ausland.

Der Aspekt der "erzwungenen Migration" wurde im Einzelnen erörtert. Viele Menschen verlassen ihre Heimat aufgrund von Umweltkatastrophen. Es wurde zur Kenntnis genommen, dass Umweltkatastrophen zu Migration führen können.

Pfarrer Asora Amosa von der Pazifischen Kirchenkonferenz nannte die Erwärmung der Erdatmosphäre und den Klimawandel als wichtigste Gradmesser für die Migration in seiner Region und beschrieb Kircheninitiativen zur Unterstützung von Menschen, die durch Umweltprobleme vertrieben wurden.

Er gab der Hilfe der Kirchen für Migranten eine ethische Perspektive als er sagte: "Die theologische Basis für die Sorge der Kirchen um die Umwelt ist Gottes Verhältnis zu der von ihm geschaffenen Welt."

Er erklärte, wenn "wir gute Verwalter von Gottes Schöpfung - fanua (Land) and moana (Meer) - sein wollen, müssen wir über die Schöpfungsgeschichte im Buch Genesis nachdenken, in der betont wird, dass Gott unser Schöpfer ist und wir seine Geschöpfe sind."

Laut Amosa ist dies die theologische Grundlage für die Unterstützung umweltbedingt vertriebener Menschen, was einen Teil der Kräfte ausmacht, welche die kirchliche Landschaft der Welt verändern.

Nach der abschließenden Sitzung der Konferenz begann eine Arbeitsgruppe damit, eine theologische Erklärung zum Thema der Migration zu verfassen, in der Hoffnung, dass diese die Diskussionen auf der im Herbst 2013 anstehenden Vollversammlung des ÖRK in Busan (Korea) zum Thema "Gott des Lebens, weise uns den Weg zu Gerechtigkeit und Frieden" bereichern wird.


Verweise:
[1] http://www.oikoumene.org/index.php?RDCT=0c2d732c1609850840b4
[2] http://www.oikoumene.org/index.php?RDCT=c726e88d1030b1e0d7ef



Lektüre zum Thema:

Der "Arabische Frühling" - ein Winter für die Christen?
http://www.oikoumene.org/index.php?RDCT=98a422ec76e25a92cb50
(ÖRK-Pressemitteilung vom 13. Dezember 2011)

Weitere Informationen zum Globalen ökumenischen Netzwerk für Migrationsfragen:
http://www.oikoumene.org/index.php?RDCT=8e3d9df141015caf505c

ÖRK-Mitgliedskirchen in Ägypten:
http://www.oikoumene.org/index.php?RDCT=e2d641fd39f02ed16bb0

Der Ökumenische Rat der Kirchen fördert die Einheit der Christen im Glauben, Zeugnis und Dienst für eine gerechte und friedliche Welt. 1948 als ökumenische Gemeinschaft von Kirchen gegründet, gehören dem ÖRK heute mehr als 349 protestantische, orthodoxe, anglikanische und andere Kirchen an, die zusammen über 560 Millionen Christen in mehr als 110 Ländern repräsentieren. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit der römisch-katholischen Kirche. Der Generalsekretär des ÖRK ist Pfarrer Dr. Olav Fykse Tveit, von der (lutherischen) Kirche von Norwegen. Hauptsitz: Genf, Schweiz.


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Quelle:
Pressemitteilung vom 15. Dezember 2011
Herausgeber: Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK)
150 rte de Ferney, Postfach 2100, 1211 Genf 2, Schweiz
E-Mail: ka@wcc-coe.org
Internet: www.wcc-coe.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2011